Ein Leser hat unter dem Stichwort „Aufräumarbeiten“ einen wunderbaren Beitrag geschrieben, den ich euch für heute ans Herz lege! Wie schön, im „Kamf gegen den Stoff“ bin ich nicht allein! Uri spricht mir aus der Seele, wenn er schreibt:
„Meine Gedanken sind nicht originell, meine Aufzeichnungen ohne Quellenangabe wissenschaftlich unbrauchbar, aber irgendwie auratisch! Bin ich selbstverliebt, daß ich mich kaum von meinen Handschriften trennen kann, obwohl die Texte im Computer erfaßt sind? Es ist ein Stück Jugend, ein Stück liebgewonnene Naivität, von der ich mich nicht trennen kann, Zeugnisse einer Persönlichkeit, die Spuren in dieser Welt hinterlassen will, bevor der Tod mich holt. Dabei bin ich nicht mal ernstlich krank!“
Dauern wollen, Spuren hinterlassen – ich stelle mir plastisch vor, wie es ist, wenn mein Lebensgefährte nach meinem Ableben an meine Ordner tritt, ein paar Blicke riskiert, und sich verzweifelt fragt, was er mit dem ganzen Zeug bloss tun soll. Ich werde einen großen Zettel in jeden Ordner legen: Hau weg den Scheiß! Nur keine Hemmungen! Besser noch: ich werde endlich ein TESTAMENT machen, ein reines „Entsorgungskonzept“ für Regale, Bücher, Ordner, PC und vor allem für meine Webseiten – für letztere muss ich einen Online-Testamentsvollstrecker ernennen, ja, mir fällt da auch schon jemand ein…:-)
Für jetzt vertage ich dieses leidige Thema (wie immer!) und hoffe, noch ein paar Tage oder besser Wochen zu leben: Vielleicht komm‘ ich ja noch dazu, die Aufräumungsarbeiten abzuschließen….
Nielsen, der Hammer!
Gerade lese ich Jakob Nielsen: Designing Web Usability. Das Buch ist ein Muss für jeden, der Webseiten baut! Satz für Satz, Artikel für Artikel, wird mein schlechtes Gewissen größer wegen all meiner Design- und Usability-Sünden. Zwar sind die weit verbreitet, sogar allgemein üblich, gelten als normal und korrekt, aber Nielsen führt vor, was das alles für einen Ärger machen kann, wenn die Surfer sich nicht auskennen. Vermutlich werde ich nach diesem Buch eine andere sein und vieles anders machen. Mir war Nielsen vorher als „Purist“ im Kopf, einer, der gegen alles ist, was gut aussieht und mehr Spass macht als das uralte HTML 2.0. Doch weit gefehlt! Nielsen begründet Punkt für Punkt in einer beeindruckenden Detailgenauigkeit die Vor- und Nachteile verschiedener Lösungen, untermauert das ganze durch zahllose User-Tests und führt mir vor Augen, WAS ich vielen Surfern zumute! Vor allem zerstört er eine Denkweise, die Webdesigner wie ich, die schon seit ’96 dabei sind, ganz unbewußt hegen: Bald würden (fast…) alle Surfer mit „zeitgemäßen“ Browsern, schnellen Verbindungen und großen Bildschirmen unterwegs sein und sich KUNDIG durch die unterschiedlichsten Navigationen bewegen, weil das Web mittlerweile zum Allgemeinwissen gehört. Völlig falsch!
Im Gegenteil: der kleine Bildschirm wird sich als Bestandteil der MOBILEN Netzkommunikation wieder weit verbreiten. Nicht nur Notebooks, Handhelds und demnächst UMTS-Handys, sondern auch Monitore in Autos werden Webseiten zeigen – und zwar beschissen! Drahtlose Verbindungen werden LANGSAME Verbindungen sein, die Navigationsmöglichkeiten auf TV-Bildschirmen und Touch-Screens werden andere Gestaltungen erfordern – kurzum: Das Chaos wird größer, nicht kleiner, und was Nielsen lehrt, scheint mir der einzig sinnvolle Ausweg zu sein: Ein relativ einfaches, aber sehr flexibles Design, bei dem die DARSTELLUNG wieder von der BEDEUTUNG getrennt ist und man es dem Endgerät überlßt, die Seiten für die jeweiligen Ansprüche korrekt anzuzeigen.
Millionen klicken in die Irre
Ein weiterer Aspekt ist das immense Netz-Wachstum. Während in den ersten Jahren noch begeisterte Technik-Anwender, Pioniere des Netzwesens das Web bevölkerten, strömen nun Millionen Menschen ins Internet, die allenfalls am Content interessiert sind – und nicht an ihrer Bildschirmauflösung, den feinen Unterschieden der Browser oder den installierten oder fehlenden Plug-Ins. Sie wollen „immer auf die gleiche Weise“ navigieren können, zum Beispiel mit der BACK-Taste zurückschalten, eine Seite bookmarken und sie auch SO wiederfinden (und nicht nur das Start-Frameset!), und vor allem wollen sie eines nicht: mehr als 10 Sekunden WARTEN, bis die Seite endlich geladen ist….
Diese und andere Überlegungen hör‘ ich natürlich nicht zum ersten Mal. Aber zum Beispiel auf dieses praktische Frameset hier zu verzichten (für Einsteiger: das ist die Mehrteiligkeit dieses Bildschirms, den ihr gerade seht, der es ermöglicht, Inhalte in Teilfenster zu laden), fiele mir schon schwer! Andrerseits erlebe ich natürlich, wie unsinnig es ist, dass all die alten Einträge, teils zeitlose Artikel, recht schwer aufzufinden, zu bookmarken und von anderen Seiten aus zu linken sind. Zwar mach‘ ich neuerdings für jeden Beitrag eine einzelne Datei, doch muss man sich schon auskennen, um die Adresse (URL) dieses mittleren Teils herauszufinden und linken zu können.
Und ich erlebe immer mehr Menschen, die die für mich einfachsten Dinge nicht wissen: dass zum Beispiel ein LINK nicht immer unterstrichen sein muss und auch nicht immer die gleiche Farbe haben; oder dass man auch mal auf Logos und Bilder klicken sollte, um sich mehr Inhalt zu erschliessen. Letztens baute ich eine für mich völlig übersichtliche Seite, doch wussten einzelne Anwender erstmal nicht, WO sie da einen Beitrag schreiben könnten – obwohl das der Sinn der Site war und für mich alles ganz offen und verständlich wirkte.
Das Web ist im Umbruch und wir werden nicht daran vorbei kommen, uns grundstürzende Überlegungen zur Anwenderfreundlichkeit zu machen! Klar kann man sagen: Meine Zielgruppe hat schon ein bisschen Ahnung und surft mit 17-Zoll-Monitoren – aber die vielen anderen, die eben auch mal auf die Seiten kommen, werden unter Umständen Unmut empfinden, und uns vielleicht sogar zusammen mit dem Unmut im Gedächtnis behalten!
Die meisten meiner Leser hier sind schon ein paar Tage länger im Web – aber evtl. sind ja doch einige Newcomer darunter: Schreibt mal ins Forum, was Ihr im Web so erlebt, was Euch nervt oder durcheinander bringt! Was haltet Ihr zum Beispiel davon, wenn sich beim Klick auf einen Link ein zweites Fenster öffnet, bei dem die Backtaste dann nicht mehr funktioniert – nur mal so als Anregung, sicher gibt es ganz andere Punkte, die mir nur nicht einfallen.
Hinweis:
Fahre morgen nach Essen, ein Webzine planen – morgen dann zu Besuch bei Ralph (www.rare.de), das Update fürs „Online-ABC“ besprechen. Diary dann wieder am Montag. Wer mich erreichen will, maile in dieser Zeit an charlier@online.de. So long!
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