Wann genau es angefangen hat, kann ich nicht exakt bestimmen, jedoch scheint es jetzt der gefühlte Status Quo zu sein: Die Zukunft lässt nicht mehr hoffen, dass alles besser wird, sondern das Gegenteil ist der Fall. Beim Klimawandel weist nichts darauf hin, dass die Welt auch nur ein gewisses Ausbremsen schafft, die Kriege in der Ukraine und in Israel/Gaza erscheinen aussichtslos, Inflation und Preissteigerungen lassen immer mehr Menschen verarmen, die Regierung ist mit ihrem Konzept, die Schuldenbremse zu umgehen, gescheitert, die daraus folgenden Sparmaßnahmen im sozialen Netz und entfallende Investitionen in die wirtschaftliche Zukunft verschärfen das Gefühl der Aussichtslosigkeit – was folgt aus alledem?
Deutschland macht mehr krank als je zuvor, berichten die Krankenkassen. Neben Erkältungskrankheiten wie Grippe, grippale Infekte oder Bronchitis erreichen psychische Diagnosen einen neuen Höchststand – kein Wunder! Wenn das Vorausdenken in die Zukunft nurmehr Abstiegsängste und Gefahren aller Art zeigt, befördert das Depressionen und das Immunsystem wird geschwächt.
Was kann dagegen helfen? Es gibt verschiedene Video-Kanäle, die versuchen, das Denken der Stoiker für heutige Menschen zu erschließen – zum Beispiel „Der Philosophenpfad“ mit dem Beitrag „Niemehr aus der Fassung: Kontrolliere deine Emotionen mit 7 stoischen Lektionen“ (leider mit einem etwas nervigen Hintergrundsound):
- Erkenne, was in deiner Kontrolle liegt
- Akzeptiere das, was du nicht ändern kannst
- Lebe im Hier und Jetzt
- Übe Dankbarkeit
- Reflektiere regelmäßig
- Sehe Hindernisse als Gelegenheit
- Entwickle Selbstgenügsamkeit.
Innere Ruhe und Frieden, mehr Lebensfreude in der Gegenwart, mehr Selbsterkenntnis und Gelassenheit versprechen die Stoiker als Ergebnisse einer solchen Umstimmung. Vieles davon kennen wir auch aus anderen Philosophien und aus der modernen Achtsamkeitslehre, auch entwickelt sich diese Haltung oft von selbst im höheren Alter, wie ich an mir selbst feststelle.
Ich bemerke allerdings auch, dass „stoisches Denken“ in einer privilegierten, halbwegs abgesicherten Situation besser zugänglich ist als „in der Not“, wie immer diese sich gerade darstellt. Schließlich waren die Stoiker durchweg Patrizier, Mitglieder der herrschenden Klasse, die nicht befürchten mussten, dass ihnen der Gerichtsvollzieher auf den Leib rückt oder das Geld am Ende des Monats nicht reicht. Da wird es dann nämlich schwierig mit Einsichten wie „dass unser Glück von unseren eigenen Gedanken und Handlungen abhängt, nicht von äußeren Umständen“ (Epiktet).
Noch etwas stört auf dem stoischen Weg, sofern man ihn denn beschreiten will: Eine seltsame Sucht nach Aufregung, nach Erregungszuständen, die durch punktuelle Teilnahme an den täglich im Überfluss herum schwappenden Empörungswellen vermeintlich gestillt wird, aber doch – wie jede Sucht – dadurch nicht endet. Und, etwas honoriger als bloßes Suchtverhalten: Haben wir nicht die Pflicht, als mündige Bürger, an den Debatten über die Zustände unseres Gemeinwesens teilzunehmen? Sich nur auf sich selbst im Hier & Jetzt zu konzentrieren und alles andere zu ignorieren, kann es doch auch nicht sein!
Mit dem Liebsten bespreche ich mindestens einmal pro Woche ausführlich die Lage, den Stand der Dinge in den aktuell drängendsten Problemfeldern. Es kommt so ziemlich alles zur Sprache, was uns bewegt – durchaus im Blick auf die Zukunft. Der Austausch ist sehr hilfreich, um „bei Laune zu bleiben“, obwohl durch unser Gerede ja nichts besser wird. Gestern gab‘ es jedoch ein Thema, dem ich mich verweigerte: Was, wenn Trump wieder an die Macht kommt und seine unverstellt faschistischen Ansagen umsetzt? Dass die amerikanischen Wahlen ganz sicher zu den Dingen zählen, die außerhalb meiner Einflussmöglichkeiten stehen, ist sonnenklar. Meine Bitte, dieses Thema jetzt bitte nicht zu vertiefen, war jedoch nicht „stoisch“ motiviert. Ich wollte einfach nicht in diesen Abgrund schauen, der mir Angst macht, wenn ich an die Folgen denke. Wobei dieses „Wegschieben“ ja nur für den Moment hilft. Echte Gelassenheit ist etwas Anderes als bloße Verdrängung.
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8 Kommentare zu „Wenn die Zukunft finster aussieht: Hilft stoisches Denken?“.