„Wo du bist, da bohr dich ein, bis du im Mittelpunkt der Welt ankommst.“ Mein Sieb-Gedächtnis hat natürlich vergessen, von wem der Satz stammt, der aller Mobilität Hohn spricht, und ganz sicher richtet sich das Leben nicht nach Sinn- und Merksprüchen. Es hat sich einfach so ergeben, dass meine Ortswechsel eher selten sind (so alle 20 Jahre…), ein paar beruflich bedingte Kurzreisen pro Jahr ausgenommen, die aber eigentlich nicht zählen: nicht, um andere Gegenden zu sehen, werden sie unternommen, sondern um Menschen zu treffen.
Urlaub? (Oh, was für ein Thema! Seid unbesorgt: Bilder zeig ich keine). Als Kind hatte ich das große Glück, mit meinen Eltern acht Jahre lang an den immer gleichen Ort in Italien zu reisen. Von 1963 bis 1971 jeden Sommer ein mehrwöchiger Camping-Urlaub am Meer, zu einer Zeit also, in der Italien noch „richtig italienisch“ wirkte und die verschmuddelte Romantik der 50er-Jahre noch nicht ganz verflogen war (Ochsenkarren, Esel, Steh-Klos, von grünen Algen verstopfte römische Brunnen…). Als 1963 am Ort noch einzige (!) deutsche Touristen-Familie mit drei Kindern boten wir den Einheimischen ein exotisches Schauspiel. Von den Campingplatz-Nachbarn begeistert aufgenommen, wurden wir in alle großfamiliären Aktivitäten einbezogen. Die ausschweifenden Fressgelage mit neun und mehr Gängen, die sich über Stunden hinzogen, stehen mir unauslöschlich im Gedächtnis (es fehlten nur die Federn, mit denen man sich bei den Römern im Hals kitzelte, um nach erzwungener Entleerung mit dem Gelage fortfahren zu können).
Tarquinia, eine uralte Kleinstadt 100 km nördlich von Rom, wurde mir zweite Heimat. Jedes Jahr dieselben Leute, ich gewann Freunde über Jahre, und auch meine ersten prägenden Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht ereigneten sich mit italienischen Jugendlichen – das hiess „verschärfte Bedingungen“ von Beginn an, romantische Höhenflüge, Herz und Schmerz bis hin zu Fast-Vergewaltigungen, alles etwas unverstellter und intensiver als im kühlen Germany.
Von zuhause abgeseilt, wollte ich GANZ ANDERS Urlaub machen, unsere Family-Touren fand ich länger schon extrem spießig und langweilig. Zwischen ’73 und ’78 waren es dann Reisen zu zweit oder zu mehreren Päärchen: nach Südfrankreich, Spanien, Portugal, meist mit Schrottauto, Zelt und Schlafsack. Seltsamerweise stellte ich fest, dass immer etwas fehlte. Aber was? Zum Beispiel der Pinienduft…. ich war offensichtlich darauf GEPRÄGT! Ohne den gewohnten harzigen Geruch der Pinien kam einfach kein rechtes Urlaubsfeeling auf. Auch vermisste ich es, irgendwo ANZUKOMMEN. Alle Orte, die wir besuchten, alle Strände und Städte erschienen mir nichtssagend. Das Gefühl, „auf der Durchreise“ bzw. auf dem Sprung zu sein, vermieste mir jede Freude: Was um Himmeols Willen sollte ich dort? An wechselnden Stränden liegen, immer andere Bars und Restaurants besuchen, irgend welche Läden in fremden Orten betrachten – es war alles hohl und sinnlos weil ich ja doch nie wiederkommen würde!
Bald war klar: für mich funktionierte „Urlaub“ nicht. Mal eben hier oder dorthin, um etwas ganz bestimmtes vorübergehend zu genießen, war nicht mein Ding. Ich vermißte Beziehung, Kontinuität, Entwicklung und Vertiefung, wie es nur möglich ist, wenn man den immer gleichen Ort immer wieder aufsucht. Alles andere ergab keinen Sinn, ja, fühlte sich sogar nach „Sinn-Verlust“ an und stimmte mich traurig, nicht freudig, wie es ein Urlaub eigentlich tun sollte.
Ich gab es also auf. Zog mit 26 von Wiesbaden in die Mauerstadt Berlin und fand dort soviel Sinn, daß der Gedanke an Urlaub wirklich nicht mehr aufkam. 1986 lernte ich meinen liebsten Freund kennen, mit dem ich auch jetzt noch lebe. Er hatte damals – wow! – ein Haus in der Toskana. Und ich endlich wieder einen Ort, an den ich immer wieder reisen konnte, reisen, um anzukommen, nicht einfach „nur so“.
Das Haus ist nun lange schon verkauft, die Mauer um Berlin gefallen, und auch die Gründe, in einer Großstadt zu wohnen, sind weg. Über ein Jahr genieße ich schon die Idylle von Schloß Gottesgabe und Ende September fahren wir – zur Abwechslung? – in Urlaub. (Ja, gestern beschlossen! Ich finde es auch recht seltsam…) Toskana kommt nicht in Frage, zu traurig noch die Erinnerungen – also warum nicht mal nach Tarquninia?
(Wer also seine Kinder für den Konsum-Tourismus untauglich machen will, fahre immer an denselben Ort – das mögen sie sowieso am liebsten)
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