Wieder einmal regnet es in Strömen – um 7 Uhr hab‘ ich die Hühner aus dem Stall gelassen, doch sie waren nicht besonders wild darauf, sich die Federn nass zu machen und kamen nur langsam, eins nach dem anderen, zum Vorschein. An trockenen Tagen stürzen sie heraus, als ginge es darum, Olympia-reife Sprints zur Futterstelle hinzulegen. Hühner sind halt auch nur Menschen… ;-)
Ich staune immer wieder, wie anders meine Stimmung am frühen Morgen ist: meist positiv-optimistisch, ein gewisser Tatendrang, der sich von keiner To-Do-Liste schrecken läßt, und die Neigung, Dinge als vorübergehende schlechte Laune anzusehen, die noch gestern sehr bedrückend wirkten, ja, mein ganzes Netz-Leben als „Problem“ erscheinen liessen.
Gestern bin ich der Kiste fast ganz ferngeblieben. Der Beitrag vom Samstag, „Zerteilt und Zerstreut“, war wohl schon ein Hinweis darauf, dass ich an eine Grenze der Belastungsfähigkeit geraten war. Nicht etwa die viele Arbeit ist der Punkt, das hält sich derzeit noch immer in Grenzen: es ist das viele mailen, insbesondere, wenn dabei Konflikte zwischen Menschen auftreten. Per Mail – also als reiner Text, von jeder Mimik & Gestik frei, losgelöst von Zeit und Raum – können Kommunikationen ungemein bedrohlich oder herunterziehend wirken, sogar ohne dass das in der Absicht des Senders gelegen hätte. Mich wundert nur, dass mich das nach fünf Jahren intensiver Praxis noch immer so sehr belasten kann, dass ich vor den „incoming Mails“ gelegentlich irrationale Ängste entwickle.
Als ich in der Anfangszeit meines NetLife dieses Phänomen bemerkte – neben der negativen „Aufladung“ gibt es auch eine positive, genauso irrationale! – zog ich daraus meine Schlüsse und verhielt mich entsprechend. Meine Mails sind in der Regel sachlich, ja, ausgesprochen freundlich. Wenn ich mich wirklich mal ärgere, behalte ich das für mich und giesse es ganz gewiss nicht in die nächste Mail, womit ich die Emotion ja nur verlängere und an andere weitergebe, die sie verstärkt zurückkommen lassen. Mailinglisten, die einen „rauhen Ton“ pflegen, lese ich nicht mehr, sondern nutze sie allenfalls als Kompendium zur Volltextsuche. Und natürlich hab‘ ich nie das Usenet benutzt: ein, zwei Besuche haben völlig gereicht, die Stänkerer sollen ruhig unter sich bleiben und ihren Spass miteinander haben.
Meine Kontakte beschränke ich entsprechend auf Leute, die das Medium nicht zum Abreagieren eigener Negativ-Emotionen missbrauchen. Wenn ich gar mit jemandem zusammenarbeiten will, achte ich zuerst darauf, wie der- oder diejenige in Mailinglisten oder auf Websites kommuniziert: Agressive Entgleisungen, egal zu welchem Thema, rüder Umgangston, unfreundliches Abbügeln von Newcomern und Ahnungslosen, und schliesslich dieses häufige „Ich weiss alles besser und sag‘ das auch dauernd“ geht mir einfach nur auf die Nerven, das muss ich mir nicht auch noch privat oder im eigenen Business-Rahmen antun. Leute, die in der Lage sind, ihre finsteren Aspekte mit sich selber auszumachen und den Mail-Verkehr zugunsten eines „gedeihlichen Miteinanders“ davon frei zu halten, sind für mich die wahren, die auch SOZIAL kompetenten Kommunikatoren.
Und doch: Trotz aller Schutzmechanismen und aller Bemühung um Sachlichkeit und Freundlichkeit, gewinnt in glücklicherweise seltenen Momenten dieses ganze Mail-Wesen einen bedrohlichen Charakter. Nicht allein durch Konflikte, die man dann sowieso besser per Telefon angeht, sondern durch die schlichte Tatsache, dass von allen Seiten so viel kommen kann, und dass darunter stets Botschaften sein können, die sofortiges Agieren verlangen. Ist man also in einer eher schwachen, gedrückten Stimmung, ist das Abrufen der „Incoming Mails“ nicht gerade eine lustvolle Aktivität.
‚Sofortige Reaktion‘ war in den Zeiten der Snailmail oder auch der Faxe nicht zu erwarten, doch je mehr E-Mail zum Standard wird, desto schneller soll alles vor sich gehen. Dem entgegen werde ich langsamer, antworte nicht mehr IMMER binnen 24 Stunden (wenn es nicht sein MUSS), und hab‘ mir den Sonntag freigeschaufelt: keine Arbeitsmails am Sonntag! Weder beantworte ich sie, noch schicke ich selber welche los – letzteres war schwerer zu lernen als ersteres :-)
E-Mail: das einfachste Kommunikationsmedium aller Zeiten? Im Gegenteil! Gerade die vermeintliche Einfachheit und die Freiheit von vorgeschriebenen, sozial tradierten Formen macht es schwer, damit POSITIV umzugehen. Einen Geschäftsbrief, womöglich nach DIN-Norm, bekommt fast jeder hin, ohne sich eine allzu große Blöße zu geben und ohne in ungezählte Fettnäppfchen zu treten. Wenn ich dagegen so manche Mail ansehe, die mir Unbekannte schicken, denk ich mir: Wenn der wüßte, was er mir hier alles über sich mitgeteilt hat, ohne es in den Text zu schreiben! Natürlich muss nicht jede Annahme stimmen, die man auf diese Weise macht, aber: Wäre der Andere ein BEWUSSTER Mail-User, dann wüßte er, welche Annahmen er mit diesem oder jenem Verhalten auslösen KANN und würde es also vermeiden.
Um nun neue Netzbürger nicht völlig im Unklaren zu lassen: An sich ist es wirklich ganz einfach! Eine gute E-Mail hat eine Anrede, einen sachlich-freundlichen Text mit klarer Botschaft und möglichst wenigen Tippfehlern, einen Namen als Unterschrift und wenn vorhanden, eine Fusszeile mit der URL zur eigenen Website. Auch der BEZUG sollte deutlich sein. Zum Beispiel schicken mir Leute unkommentiert irgendwelche Texte – warum sie das tun, kann ich nur raten. Oder sie antworten DIREKT auf irgendwelche Inhalte, die in einer meiner Webseiten von 1998 stehen – tja, ist das nicht ein bisschen viel verlangt?
Anrede, Text, Bezug, Unterschrift, URL – so einfach! Und doch so schwer, dass offensichtlich gut ein Drittel bis die Hälfte aller Mail-Versender damit Probleme hat. Komisch, nicht?
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