Immer wenn ich über Arbeit oder auch „nur“ Geld verdienen schreibe, bekomme ich mehr Resonanz als sonst, offensichtlich brennt das Thema vielen auf den Nägeln. Manche sehen meine Situation als übers Netz arbeitende Freelancerin als ideal an und möchten das für sich am liebsten ganz genauso haben, von jetzt auf gleich, versteht sich! Andere denken nur an die „Lebenslauf-Pflege“ und streben klassische Karrieren an, heute natürlich anders ins Werk zu setzen als vor 20 Jahren, aber im Prinzip dasselbe: Status und Einkommen als oberste Werte.
Dann sind da die Widerständler und Verweigerer, die immer genau wissen, was sie NICHT wollen. Ja, da fühle ich mit, so war ich auch, seit ich die Arbeitswelt auch nur von Weitem erblickte! Schon als in der gymnasialen Oberstufe meine Mitschüler darüber klagten, wie öde die Schule doch sei, sagte ich dazu nur: „Macht mal halblang, wir werden es nie wieder so gut haben!“. (Zum Glück hab‘ ich mich da geirrt, was das „gut haben“ angeht, nicht aber, was die Sorglosigkeit betrifft.)
Hinter das „selbstbestimmte Arbeiten“, das allenthalben als Ideal gilt, setze ich heute mal ein Fragezeichen. Was heisst denn das eigentlich? Auf den ersten Blick scheint es ganz einfach: Tun, was ICH tun will, und zwar so, wie ICH es für richtig halte. Nun ist aber die Bezahlung, die ja keiner entbehren kann und will, eine Gegenleistung für das Dienen, dafür, dass ich eben NICHT tue, was mir gerade Spass macht, sondern an einer Aufgabe arbeite, die anderen nutzt: kontinuierlich und berechenbar, nicht spontan & sporadisch. Diese Grundstruktur jedes bezahlten Arbeitsverhältnisses, ob nun als „Freie“ oder Angestellte, ist nicht auszuhebeln. Auch das Sich-selbständig-machen, seine eigene Chefin sein, verschiebt die Sache nur vom Arbeit- bzw. Auftraggeber auf den anonymen „Markt“ – manch eine merkt erst dann, was es bedeutet, „frei“ zu schalten und zu walten, wenn keine böse oder idiotische Chefin mehr als Puffer zwischen ihr und den potenziellen Kundinnen steht. ;-)
Die „ganze Freiheit“ ist also nicht zu haben, selbst Künstler und Autoren, gern als besonders Selbstbestimmte glorifiziert, müssen sich „vermarkten“, heute mehr denn je. Wenn ich also Leute klagen höre über mangelnde Selbstbestimmung, fehlende Freiheit, schlimme Bedrückungen durch fremde Einflüsse und Anforderungen, dann versuche ich, zu unterscheiden: Leiden sie an dem, was nicht zu ändern ist und sitzen also Illusionen auf? Oder stecken sie ’nur‘ in Zwängen und Gewohnheiten fest, die sie nicht mehr überblicken, geschweige denn ändern können?
Wir haben in diesem unserem Land – daran zu denken, schadet nie! – noch immer sehr luxuriöse Bedingungen, um dieses Problemfeld individuell und kollektiv zu bearbeiten. Das soziale Netz schützt vor den schlimmsten Härten, viele schützt es so gut (z.B. durch „unbefristete Arbeitslosenhilfe“), dass sie nicht einsehen, Kompromisse zu machen zwischen den eigenen Vorstellungen und dem, was gefordert wird. Ich denke, ich darf das offen sagen, denn ich habe selbst von diesem Netz viele Jahre gelebt und in dieser Zeit nicht im Traum daran gedacht, mich „ernsthaft zu bewerben“ – ich war gut darin, so zu tun, als ob.
Meine Verweigerung konnte ich mir selbst gegenüber rechtfertigen, weil ich ja immerhin nicht untätig war: schwer aktiv in der Stadtteilpolitik, nützlich als Beratungsinstanz für Mieter und andere Sanierungsbetroffene leistete ich unbezahlte Bürger-Arbeit und hatte also kein schlechtes Gewissen, das soziale Netz in Anspruch zu nehmen. Schön und gut, aber wenn ich genau hinsehe, hab ich doch ein wenig MEHR und LÄNGER abgehangen, als es ‚gerechter Ausgleich‘ gewesen wäre!
Meine Schwester ist Psychologin und betreut seit Jahren Langzeitarbeitslose, relativ erfolglos, ihre Kandidaten sind psychisch sehr weit weg vom Gedanken an Arbeit. Sie berichtete, dass vor einigen Jahren, als die Politik mal beschlossen hatte, die Arbeitslosenhilfe zu befristen, auf einmal ein RUCK durch die Reihen ging. Plötzlich wurden die Leute etwas wacher, begannen, sich ernsthaft Gedanken zu machen – auf Sozialhilfe hat ja nun echt niemand Lust! Das Vorhaben ist dann allerdings nochmal verhindert worden und alle wendeten sich wieder ab vom „Problem“. (Achtung Leute, das kommt! Im Zuge der europäischen Vereinheitlichung ist die unbefristete ALHI nicht zu halten.)
Heute bin ich dankbar für die Zeit, die mir das soziale Netz gegeben hat: Zeit, meinen Impulsen zu folgen oder auch gar nichts zu tun und zu erleben, wie mir das bekommt. Und wenn ich demnächst meine Steuer ’99 mache (oh Graus!) und im Ergebnis ALLES Geld, das über plus-minus Null hinausgeht, beim Finanzamt abgebe, dann jammere ich nicht, sondern erinnere mich daran!
Völlig selbst bestimmtes Arbeiten ist, wie man es auch betrachtet, eine Idealvorstellung und als solche unerreichbar. Was geht, ist ein ständiges Sich-mühen, den jeweiligen Rahmen selbst zu wählen, bzw. ab und zu auszuwechseln und innerhalb dieses Rahmens möglichst große Freiräume zu erobern, bzw. zu verteidigen. In der Regel geht das nur über gesteigerte Nützlichkeit: Je mehr Nachfrage, Bedarf, Problemlösung jemand erzeugt, desto eher läßt man ihn machen, was und wie er will.
So jedenfalls stellt sich das „von außen“ dar. Glück und Zufriedenheit, Freude und Abenteuer sind aber innere Angelegenheiten eines jeden Individuums. Der neue Job, die Beförderung, der tolle Auftrag oder die Sehnsucht danach verstellen den Blick, bzw. richten ihn in die falsche Richtung, wenn es darum geht, die Freude in und an der Arbeit zu finden. Man glaubt leicht, wenn nur dieser oder jener Erfolg eintrete, dann breche auf einmal Zufriedenheit aus, dann sei das Problem gegessen, die Kuh ein für allemal vom Eis. Weit gefehlt! Genau dieser Blick nach aussen, auf die Bedingungen, die Mitarbeiter, die Rendite oder Höhe des Verdienstes ist es, der erfolgreich ablenkt von dem, was eigentlich ansteht: Die eigenen Fähigkeiten und Talente auszuexperimentieren, für sich selbst das zu finden, was „an sich“ und nicht „um zu“ Freude macht. Arbeiten und nach befriedigender Arbeit immer neu Ausschau halten ist eine Form der Suche nach Antwort auf die Frage: Wer bin ich? Allein aus einmal vorhandenen Vorstellungen heraus beantwortet sich das nicht, sondern nur aus intensiver Praxis.
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