Claudia am 14. April 1999 —

Prekäre Arbeit

Ach, ich bin so glücklich, daß ich zwei Aufträge abgeschlossen habe, die mich in letzter Zeit recht intensiv beschäftigt haben. Die trans-mission-WebSite ist schon online, die Druckwerkstatt Ilmoro wartet noch auf den letzten Segen – ich zeig‘ sie dann auch. Endlich wieder ein klein wenig mehr Zeit für dies&das! So hab‘ ich heute auf Surferwunsch die Home-Logo-Ausstellung wieder in mein Cyberzine Missing Link gestellt – irgerndwie sind sie putzig, diese Bildchen, wenn man sie mal alle nebeneinander stellt! Früher hatte ja jede Website ein Home-Logo – heute sind sie zumindest im professionellen Bereich out, durch komplexe Navigationsysteme und schicke Menüleisten ersetzt. Aber auf einer privaten Homepage sind sie immer noch nett, find ich.

Selbständige Arbeit

Anja schrieb mir zum Eintrag vom 2.4., in dem ich – zugegeben – stark ins Schwärmen geraten war, einen nachdenklich-kritischen Leserbrief über das selbständige Arbeiten.

Liebe Claudia,

zufällig auf deine Seiten gestoßen, hab ich mich in deinem Diary festgelesen. Ich wollte dir nur kurz zu deinen Gedanken am 2.4. schreiben, wo du über die Zusammenhänge zwischen Arbeiten und Leben schreibst. Ich kann das alles sehr gut nachvollziehen, habe aber das Gefühl, daß du die Selbständigkeit ein wenig zu sehr glorifizierst. Es ist schön, wenn du für DICH darin einen zufriedenstellenden Weg gefunden hast, aber das für die Allgemeinheit als erstrebenswert hinzustellen, halte ich für äußerst fragwürdig. Du hast ja selbst erkannt, daß das Freiberuflertum viel Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit verlangt. Somit ist es für mich ein äußerst privilegiertes Arbeiten, denn ich glaube nicht, daß man diese eigene Initative und Verantwortlichkeit allen Menschen abverlangen kann. Daß es so etwas wie Kündigungsprozesse (also -fristen) gibt, hat schließlich seinen guten Grund AUCH im Interesse der Arbeitnehmer. Und was soll so erstrebenswert daran sein, sich selbst zu versichern?

Ich glaube auch nicht, daß Projektarbeit generell machbar ist, so sehr ich selbst mich auch als Projektarbeiterin einschätze. „Sich je nach Laune zu mehr oder weniger Projekten zusammenschließen“ wäre ja schön und recht, wenn da nicht tausend Kleinigkeiten und Sachzwänge usw wären, die jeweils berücksichtigt werden müssen. Nach Sekretärinnen- und Datentypistinnenjob war ich einige Monate als freiberufliche Redakteurin tätig und stehe im Moment am Anfang einer Umschulung zur Mediengestalterin. Nebenberuflich arbeite ich als Schriftsetzerin in einem kleinen, sich links zuordnendem Stadtmagazin, in dem niemand angestellt ist. Folge dort: 1/3 der Leute ist GAR NICHT krankenversichert, rund die Hälfte zahlt keine Steuern (machen erst gar keine Steuererklärung), auch Leute, die schon jahrelang dabei sind, bekommen keinen höheren Lohn usw. Alles in allem ziemlich scheiße.

Inzwischen mußte auch ich begreifen lernen: Es gibt viele Leute, die in einem Angestelltenjob stecken, den ich wegen der Ödnis kein halbes Jahr ertragen würde, den die Betroffenen selbst aber als einigermaßen zufriedenstellend empfinden. Es gibt viele, die gar nicht „frei“ arbeiten wollen. Und die, die es wollen, können es ja tun. Ich persönlich brauche wohl irgendwas dazwischen. So ganz mit freier Zeiteinteilung und nur von zuhause aus (teilweise mach ich das noch als Schreiberline) wäre nichts für mich – weil ich KollegInnen brauche. Menschen, denen auffällt, wenn ich mal einen Tag nicht da bin. Menschen, die ich täglich sehe.

Die Fragen, die ich viel spannender finde bei den Zusammenhängen Leben und Arbeiten sind Fragen um Teilzeitarbeit, um das Aufteilen zwischen gewinnorientierter und sozialer Arbeit, um geschlechterspezifisches Arbeiten und generell um eine gerechtere Verteilung der Arbeit. Da gibt es noch unheimlich viel zu tun, und es wird noch viel Umdenken nötig sein.

Ansonsten weiterhin viel Spaß bei der Arbeit ;-),
liebe Grüsse
Anja

Eigene Initative und Verantwortlichkeit könne man nicht allen Menschen abverlangen, sagt Anja. Nein, nicht von allen, ALLE ist ein großes Wort, das habe ich nicht gemeint. Arbeitende und Arbeitssuchende sind sowieso immer eine Minderheit, absolut gesehen. Und es gibt Menschen, die in dieser „hochzivilisierten“ technisch und bürokratisch verregelten Welt nicht zurecht kommen. Sie sollte man nicht mit blöden „Maßnahmen“ belästigen, in denen sie Dinge lernen, die sie mit Sicherheit niemals für sich nutzen werden. Hier wäre eher die Arbeit mit Menschen, mit der Umwelt, soziale und ehrenamtliche Arbeit zu fördern. Aber: unter den 4,3 Millionen Arbeitslosen sind sicher ein paar Hunderttausende, die vom Herkommen, ihren Vorjobs und ihren vorhanden Fähigkeiten durchaus in der Lage sind, sich weiterzubilden und etwas „für sich“ anzufangen. Und auch die, die in ihren langweiligen Mobbing-Jobs stöhnen, könnten verschiedentlich durchaus etwas ändern, wenn sie ihre hochgesteckten Sicherheitsbedürfnisse zurückstecken würden.

Den Fehler seh ich da auch nicht nur bei den Einzelnen, sondern er ist strukturell angelegt: diese ganzen „Maßnahmen“ zielen darauf, Leute wieder in Angestelltenverhältnisse zu bringen, es wird nicht gleichzeitig die Selbständigkeit gelehrt. Denn daran hat das Arbeitsamt ja nicht viel Interesse, die zahlen als Selbständige ja keine Beiträge mehr!

Arbeit bei Stadtteilzeitungen und ähnlichen Inititativen, bei denen Anja die mangelnde Absicherung kritisiert, rechne ich garnicht „richtig“ zum ersten Arbeitsmarkt. Solche Tätigkeiten – ich war selbst jahrelang auf diese Art aktiv – sind eher Bürgerinitiative als Geschäft: wo soll da das Geld herkommen, um die immensen Arbeitskosten normaler Angestelltenverhältnisse zu bezahlen?

Ich habe auch mal erlebt, wie es ist, wenn eine solche „Ini“ öffentliche Mittel bekommt und auf einmal paradisische Verhältnisse ausbrechen: Der ganze Elan war weg, es ging nur noch um „Verlängerung“, Anträge schreiben, wer ist dabei und wer nicht, niemand wollte mehr einen Handschlag umsonst tun… Wenn es eine richtig nötige Sozialarbeit ist, dann ist es in Ordnung, zu institutionalisieren. Ansonsten finde ich das „prekäre“ Arbeiten echt nicht schlecht, zumindest nicht in jungen Jahren. Abgesehen davon, daß die Arbeitsfelder selbstgesucht und gesellschaftlich spannend sind, lernt man jede Menge. Oft genau das, was nötig ist: die Fähigkeit und den Willen, sich selbst durchzuwursteln, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Dieses Anklagen und Forderungen aufstellen, das in DE so verbreitet ist, kann ja nicht alles sein. Schon garnicht, wo heute jeder weiß, daß beim Staat einfach immer weniger zu holen ist – egal, wer regiert.

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