Es gibt psychische Macken, die eine ganze Generation mit sich herumschleppt und es dauert eine Weile, bis man bemerkt, daß es sich hier um kein individuelles Problem handelt. Unter den „Post-68ern“, zu denen ich gehöre, ist das zum Beispiel die Haltung zum Geld-Verdienen. Es hat etwas grundsätzlich „sündhaftes“ an sich, obwohl der Begriff „Sünde“ für diejenigen, die in den 70gern erwachsen wurden, schon immer völlig out war.
Bei mir machte sich das Problem lange Zeit dadurch bemerkbar, daß ich mich nur bei einer Bezahlung nahe am Sozialhilfesatz wohl fühlte: am besten eine politisch korrekte Gemeinwesenarbeit, die mit minimaler staatlicher Förderung auskommen mußte oder – noch besser! – von Spenden finanziert wurde. Jahr um Jahr arbeitete ich in den 80gern in solchen „prekären“ Jobs, in einem Mieterladen, einem Jugendzentrum, bei einer Stadtteilzeitung, sogar mein einjähriger Ausflug ins professionelle parteipolitische Leben der frühen Berliner Alternativen Liste war nicht besser bezahlt.
Wir fanden das normal, ja, angesagt! Schließlich war mit diesen Arbeiten das Gefühl verbunden, die Menschheit zu retten oder zumindest einen großen Schritt weiter zu bringen. Affenklar, daß „die Herrschenden“ dafür kein Geld ausgeben wollten! Es war Teil unserer Identität, finanziell marginalisiert zu werden – und das, obwohl sich die Jobs mehr und mehr als veritable Managertätigkeiten mit 80-Stunden-Woche darstellten.
Der Ruf nach mehr „Staatsknete“ zur Förderung unserer vielfältigen Kultur- und Kiez-Arbeit erschien den meisten schon als großer Sündenfall – doch ganz individuell gesehen war die Karriere beim Staat noch das am wenigsten Anrüchige, ein sicheres Beamtengehalt oder eine Bezahlung „analog BAT“ gerade noch psychisch zu verkraften – und letztlich auch ganz gemütlich!
Privatwirtschaft? Unternehmertum? Selbständig arbeiten und seinen Preis am Markt durchsetzen? Igittigitt! Sowas lag für uns in weiter Ferne, das „Reich der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen“ war ja gerade das Übel, gegen das die etwas früher geborenen, unsere bewunderten „richtig politischen“ älteren Brüder, Schwestern und Freunde so vehement angetreten waren! Wir fühlten uns als die besseren Menschen, wenn wir wenig oder garnichts verdienten und sahen auf diejenigen herab, denen Konto, Konsum, Sicherheiten und materieller Wohlstand wichtig waren.
Seit 1997 arbeite ich nun selbständig, natürlich im Netz, wo der „Geist des Kostenlosen“ noch eine gewisse anheimelnde Wirkung entfaltet. Wer bereit ist, erstmal viel zu lernen und zu leisten, ohne darauf zu sehen, ob „sich das auch rechnet“, hat durchaus Vorteile. Existenzgründerkredite? Förderanträge? Bank-Verhandlungen? Um Himmels willen, nur um den eigenen Arbeitseinsatz vom ersten Tag an als „bezahlt“ zu erleben, würden wir uns doch nicht in solche Abhängigkeiten begeben! Und wärend andere noch Berge von Formularen ausfüllen, an ihren Business-Plänen feilen und ihre Berater reich machen, blicken wir schon auf eine Reihe erfolgreicher Projekte und Aufträge zurück – und verdienen sogar richtig Geld!
Damit mußte ich erstmal zurecht kommen. Ein Angebot abzugeben und die eigene Leistung mit NORMALEN Preisen zu versehen, ist noch heute für mich kein Spaziergang. Glücklicherweise ist das sündhafte Gefühl mit einiger Übung zurückgegangen, doch noch immer halte ich mich in meinen Angeboten unterhalb dessen auf, was für meine mittlerweile angesammelte Erfahrung, Praxis und Kreativität korrekt wäre. So, wie ich mich auf meine Aufträge einlasse, die nie nur „Brotarbeit“ sind, sollte ich das Honorar eher am oberen Ende der Preisskala ansetzen – sag ich mir immer wieder, wenn wieder mal ein Angebot dran ist, ein Angebot, das ich heute von einer Basis aus mache, die den jeweiligen Auftrag nicht mehr unbedingt zum Leben braucht. Und trotzdem, ich bin immer noch zu preiswert! Ich bekomme Mitgefühl mit dem Auftraggeber, den ich garnicht kenne, mir aber immer als einen vorstelle, dem jede ausgegebene Mark weh tut. Ob sich das je ändern wird? Vielleicht sollte ich einen Agenten nehmen, der für mich verhandelt..:-)
Um so schöner ist es, ab und zu jemanden zu treffen, der mitbekommt, was Sache ist und meine tendenzielle Selbstausbeutung von sich aus korrigiert. So hat mir gerade jemand nach Durchsicht meines Angebots eine PRÄMIE ausgesetzt, wenn das Projekt termingerecht fertig wird. Und vor kurzem bekam ich zusätzlich zum Honorar eine Einladung zu einem Seminar, das mehr kostet, als das ganze Webprojekt, um das es ging. Alles Leute aus meiner Generation, versteht sich. So gefällt es mir! Sogar besser, als wenn von vornherein „bis an die Schmerzgrenze“ verhandelt würde – das werd‘ ich wohl in diesem Leben kaum mehr lernen. Und vielleicht ist das ja gut so.
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