„Da kommt nicht MEHR“, schrieb ich gestern morgen über das ereignislose Dasein auf dem Dorf, doch da klingelte es plötzlich an der Tür. Die Polizei sei bei unserem Auto, sagte der Nachbar, irgendwas sei passiert. Wir eilten zum Parkplatz in etwa 30 Meter Entfernung vom Schloß und sahen die Bescherung: Das hintere Fenster eingeschlagen, alles voller Glasscherben, zwei Polizeibeamte telefonnierten mit ihrem Handys nach der Kriminalpolizei. „Nichts anfassen!“, sagten sie mitfühlend, und daß das Stümper gewesen seien, sonst hätten sie es nämlich geschafft, das Auto mitzunehmen. Glück im Unglück also, so eine Scheibe läßt sich ja leicht ersetzen! Schlimmer hatte es das Nachbarauto erwischt, dessen Lenkradschloß die Möchte-Gern-Diebe aufgebrochen hatten. Ihr Versuch, den Wagen anzuschieben, war allerdings mißlungen, sie ließen es mitten auf der Straße stehen. Und DAS war den Polizisten aufgefallen….
Feindliche Ossis?
Ich mußte an die warnenden Worte eines Auftraggebers denken, der zu meinem anstehenden Umzug gesagt hatte: „Passen Sie auf! Da im Osten wohnen lauter verzweifelte Menschen, die Ihnen alles kaputt schlagen.“ Na, die Leute jedenfalls, die wir bisher kennengelernt haben, sind durchweg freundliche selbstbewußte Leute, die kein Stück an die Gestalten erinnern, die in den Feuilletons großer Zeitungen als mißgelaunte und vom „Aufschwung Ost“ enttäuschte Ureinwohner vorgeführt werden (genauso hoffe ich, kein „typischer“ Besserwessi zu sein…). Trotzdem fragte ich: „Meinen Sie, daß das Berliner Nummernschild besonders anregend wirkt?“
„Nein, nein, die Zeiten sind lange vorbei!“, sagte der Polizeibeamte, „die kommen aus Schwerin und ziehen nachts über die Dörfer, knacken Autos und fahren ‚rum, bis das Benzin alle ist“. Aha, nichts Ungewöhnliches also, kommt überall vor und der Parkplatz am Dorfrand ist ja wirklich einladend. Auf einmal verstehen wir besser, warum hier in jedem zweiten Haus ein großer Hund lebt, der laut bellt, wenn jemand vorbeikommt…
Nachdem der Aktenlage genüge getan und die Beamten gegangen waren, kehrten wir die Scherben auf, bastelten aus der Pappe einer Umzugskiste ein Ersatzfenster, verklebten alles schön mit Packband und stellten das Auto erstmal ins ehemalige Feuerwehrhäuschen in Sicherheit. Nun wollte ich ein Schild „Einfahrt frei halten“ ausdrucken – aber komischerweise war der Bildschirm schwarz! Kein Festplattenrauschen, alles tot! Stromausfall im ganzen Haus, auch das Wasser weg. Wieder erkundigten wir uns bei den Nachbarn, was davon zu halten sei und ob man etwas unternehmen müsse. „Kommt öfter mal vor“, hieß es, „dauert vielleicht eine Stunde…“. Naja, eine Stunde Zwangspause ist zu ertragen, doch ich dachte kurz darüber nach, ob ich mir nicht doch einen Notebook mit mehreren Akkus anschaffen sollte, für den Fall, daß es einmal länger dauert.
Mittlerweile war es Nachmittag und wir beschlossen, unseren Schwerin-Besuch doch noch zu unternehmen. In einer Berliner Zeitung hatte ich gelesen, daß da immer „verkaufsoffener Sonntag“ sei und das wollten wir für ein paar Einkäufe nutzen. Die 9 km sind ja nur ein Hüpfer…
Wir parkten auf einem bewachten Parkplatz, zahlten zwei Mark fünfzig für das Gefühl, unser Auto sicher abgestellt zu haben, und wanderten durch die Straßen im Zentrum. Von wegen verkaufsoffen! Das einzig offene neben den Cafés in der Fußgängerzone ist das Schloßparkcenter, die örtliche Mall. Wir betraten die nagelneue Konsumkathedrale, die – genau wie das Zentrum insgesamt – einen seltsam leeren Eindruck machte. Alles sieht dort genauso aus, wie in den neuen Arkaden am Potsdamer Platz, genauso, wie wahrscheinlich alle Malls aussehen, diesselben Geschäfte, die gleiche Sauberkeit und Aufgeräumtheit, dasselbe erhöhte Preisniveau – und alles so arrangiert und übertrieben schick ausgebreitet, als sei das ganze Jahr Weihnachten. Nur die Menschenmengen fehlen, die hier eigentlich dazugehören und so wirkt das Ganze ein wenig gespenstisch, wie eine aufwendige Theaterpremiere vor drei Gästen.
Wieder unter freiem Himmel, entdeckten wir ein winziges Café am Dom mit nur vier, noch dazu freien Sitzplätzen auf der kleine Gasse. Wir tranken einen Cappuchino, neben uns setzen sich zwei Frauen mittleren Alters – man grüßt sich hier, sogar in der Stadt!
Eine Gestalt mit Hut, Schal und trotz Hitze langem Mantel näherte sich von links. Die Frauen wurden auf den Mann aufmerksam, der sich prompt ausladend vor ihnen verbeugte und in schauspielerhafter Manier begann, mit ihnen zu plaudern. „Lassen Sie mich jetzt einfach gehen“, sagte er zum Abschied mit leiser Stimme, „ein Stück von mir bleibt ja doch immer zurück“. Ich wunderte mich: ob da die Stadt einen Schauspieler angeheurt hatte, um den Touristen etwas zu bieten? Oder ob der Mann in seiner Maniriertheit einfach ein komischer Kauz war, ein klein wenig verrückt vielleicht, so wie jede Stadt ihre „Originale“ hat?
„Das war doch Illja Richter!“, sagte mein Lebensgefährte, „kennst du den denn nicht mehr?“. Doch, kenn‘ ich – aber bisher noch nicht als graumelierten Mittfünfziger, der durch Schweriner Gassen wandelt wie der Graf von Saint Germain…
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