Geräte bringen Leiden, mehr Geräte bringen noch mehr Leiden. Dieser leicht abgewandelten buddhistischen Weisheit zum Trotz hab‘ ich mir ein Midi-Keyboard angeschafft. Gestern wurde es geliefert, in einem Karton, dreimal so groß, als es nötig gewesen wäre. Geräte lieben eben den großen Auftritt. Man soll schon gleich vorab von der schieren Größe beeindruckt sein, um sich dem Inhalt dann entsprechend vorsichtig und ehrerbietig zu nähern!
Entgegen meinen Erwartungen war die „Inbetriebnahme“ einfach und störungsfrei. Das mitgelieferte Profi-Programm für Midi-Arrangements auf 64 Spuren (Kanäle? Parts? Schon wieder eine neue Fachsprache!) war zwar auf Anhieb zu komplex, um es zu benutzen. Doch glücklicherweise befand sich noch ein kleines Shareware-Programm auf meiner Platte, das es ohne technoide Geistesvertiefung ermöglicht, alle 128 ‚Instrumente‘ auszuprobieren.
Welch ein Wunderwerk! Klaviere, verschiedene Orgeln, Cello, Baß, Dudelsack, Panflöte, Percussion-Instrumente und vieles mehr laden ein, nirgends lange zu verweilen, sondern immer gleich das nächste auszuprobieren. Und wem die 128 Klänge nicht reichen, für den gibt es ganze Tonwelten zum Herunterladen oder auf CD….. Halt, dafür müßte ich erstmal meine Soundkarte verstehen, und außerdem genügt mir, was da ist. Reicht, um 1000 Jahre Musik zu machen – ich kann ja nicht mal richtig Noten!
NOTEN!!! Warum nur sind mir diese kleinen schwarzen Zeichen auf fünf Linien so verhaßt? In der Schule konnte ich sie immerhin begreifen, wenn auch mit schwer genervten Gefühlen. Und als ich dereinst Gitarre lernte (mit einem Tabulator-System, nicht mit Noten!), brachte ich es immerhin fertig, mir einige Stücke, die es nur „in Noten“ gab, mühsam selber beizubringen, Takt für Takt auswendig zu lernen, bis die Finger ihre Bewegungen beherrschten – dann konnte ich die Noten sofort wieder vergessen.
Musiktheorie, Harmonielehre, Transponieren, verminderte Akkorde – man könnte meinen, der Widerstand gegen das Notensystem sei ein Widerstand gegen Theorie, gegen ein abstraktes Zeichensystem, das vom „realen Leben“ der Sinne weit weg führt. Doch andrerseits hab‘ ich mit TEXTEN keine Probleme – obwohl es doch da die Grammatik gibt, eine Literaturgeschichte, verschiedene Studienfächer und ganze Philosophien, die sich mit theoretischer Durchdringung von Sprache und Text befassen. Das alles tangiert mich nicht, wenn ich schreibe.
Doch Musik ist anders. Schließlich höre ich sie nicht zuvorderst und alleine im Kopf, sondern muß mit den Händen einen mechanischen Akt vollführen – einen Akt, der sofort den Ton auslöst und nicht etwa ein neues Zeichen zu Papier bringt, wie die Schreib-Tastatur. Denken, texten, schreiben – das bleibt alles im selben Metier, im gleichen Kontinuum einer zeichengestützten Bedeutungswelt, die uns zudem dazu verführt, sie für die einzige Welt zu halten. Gerade, weil ich besuchsweise auf einer anderen Ebene spielen will, bin ich auf das Keyboard gekommen. Ich will nicht einen Ton hören und dabei im Kopf an das Zeichen mit dem Kreuz davor denken müssen – sondern möchte mich in das GEFÜHL vertiefen, das der Ton auslöst. Ist es nicht ein großes Wunder, daß Töne in der Lage sind, uns zu bewegen? Was geht da eigentlich vor?
Diesem Blog per E-Mail folgen…