Claudia am 27. Oktober 1999 —

Sag mir nicht, wo’s lang geht!

Wer hier öfter reinsieht, weiß: ich liebe das Web! Es ist wunderbar, Erlebnisse und Gedanken einfach ins Netz zu schreiben, ohne Themenvorgabe, Marktzwang, Zeilenbegrenzung, Zielgruppendenken. So schreibe ich in ruhigen Stunden dieses Diary: an mich selbst, als „alle“, an den unbekannten Gott.

Es freut mich, wenn jemand sich angesprochen fühlt und eine Mail schreibt – meistens! Selbst die typische „Lob-Mail“, in der nur steht: „Toll deine Seiten, weiter so“, aus der ich also nicht erfahre, WER da lobt, WARUM er lobt, und WAS er lobt (schließlich hab‘ ich hunderte Seiten im Web!), ist doch ein Zeichen, daß ein gewisser Erregungszustand aufgekommen ist, der ein positives Ausagieren verlangte, und sei diese Reaktion auch noch so nichtssagend.

Am besten gefallen mir Feedbacks, in denen jemand bereit ist, etwas von sich zu zeigen. Selbstverständlich steht ein Name unter solchen Mails, manchmal eine Homepageadresse, der Schreiber sagt, WAS ihn angeregt hat und erzählt, wie er Vergleichbares erlebt. Das ist Kommunikation, wie ich sie mag, gemeint als Anfang eines vielleicht längeren Gesprächs, eine Kontakt-Aufnahme im besten Sinne, wie sie SO nur das Netz möglich macht. Manchmal entstehen aus solchen Kontakten gemeinsame Aktivitäten und Projekte, ich finde SO Mitarbeiter, denen ich traue, und mancher wird über die Zeit zum Freund.

Möchte-gern-Gurus

Doch solche Mails sind eher selten. Häufiger bewerben sich „Gurus“ bei mir, die zum Einstand sehr konkretisiert loben (Zucker fürs Ego), dann aber gleich zur Sache kommen, z.B. so:

Kommunikation ist Deine Stärke. Dies ist ein wichtiger Faktor um zufrieden leben zu können. Doch die Zeit eilt dahin und der Wind wird wehen wenn wir längst nicht mehr sind………. Es stellt sich die Frage, weshalb und wozu und warum leben wir? Liebe Claudia wir leben nicht umsonst und nicht ohne Grund….Soll ich Dir im Laufe der Jahre mehr verraten?!

Bitte bitte nicht! Und nicht nur deshalb nicht, weil auf des Schreibers Homepage gerade mal drei Buttons und null Text zu finden sind. Sondern ich frage mich ernsthaft: Was treibt diese Leute um? Wie kommen sie nur auf die Idee, ich hätte gerade darauf gewartet, mir von jemandem „Grund zum Leben“ liefern zu lassen, als wär’s die Pizza vom Italiener?
Er will mir etwas „verraten“, von dem er annimmt, ich könne es brauchen – und er glaubt allen Ernstes, er könne es mir einfach ‚rüber rücken in seiner unendlichen Großzügigkeit!

Warum ärgert mich sowas? Warum ignoriere ich es nicht einfach wie die vielen „10.000 Dollar for free“-Mails? Erstmal natürlich die Tatsache, daß jemand das Podest gleich mitbringt, von dem herab er dann mit mir kommunizieren will. („Soll ich mal meine Podeste aus dem Keller holen und aufeinander stapeln?“ schlägt MEIN Ego begeistert vor und wittert Morgenluft…). Doch mehr als das nervt es mich, wie solche Gurus-ohne-Demand mit spirituellen Inhalten umgehen. Als würden sie ein Software-Update empfehlen, als wären die tiefsten Lebensfragen durch einfachen Info-Input zu beantworten, als könne da ein „Wissender“ einem „Unwissenden“ so locker helfen, raten, gar etwas ver-raten!

Genug! Zum Schluß dieser für dieses Diary recht ungewohnten Lästerei will ich Euch, liebe Leser, die Ihr bis hierhin ausgehalten habt, mein größtes Geheimnis verraten:

Wir leben grundlos – ganz UMSONST.
Wären sich alle dessen in jedem Augenblick bewußt, wäre das Leben ein Fest.

Diesem Blog per E-Mail folgen…