Heute morgen liegt Reif über der Landschaft und alles ist winterlich weiß, auch die Wiese hinter dem Schloß. Bald wird das letzte Laub verschwunden sein und ich werde durch das Wäldchen hindurch sehen können. Wie schnell das alles geht! Um halb sechs abends ist es bereits stockdunkel und ich erinnere mich, daß ich in Berliner Zeiten immer fragte: was treibt das Landvolk wohl an diesen langen Abenden? Nichts, weiß ich jetzt. Ich gehe immer früher schlafen und wundere mich, daß es in der Stadt selbstverständlich war, auch winters die Nacht zum Tage zu machen, zumindest bis Mitternacht zu lesen, fernzusehen, zu arbeiten, oder auszugehen. Es ist, als hätte die allgemeine Wachheit einer großen Zahl Menschen zur Folge, daß man ebenfalls wach bleibt. Und hier ist die „Menschendichte“ sehr gering und also fällt man in den Schlaf, sobald es lange genug dunkel ist.
Bis zum Jahresende hab‘ ich mir ‚frei‘ genommen: Aufträge und kommerzielle Arbeiten auf ein Minimum heruntergefahren. Jetzt ist also Platz für eigene Aktivitäten: Die Schloß-Gottesgabe-Site macht mir große Freude, ich bin geradezu in einen Design-Rausch verfallen und lerne auch mal wieder etwas Neues. Dann (es kann sich nur noch um Tage handeln) kommt endlich mein Lehr-Projekt, das ich schon lange plane und zu dem es mich immer stärker hinzieht: Ich werde – zusammen mit einem Kollegen, der vom Journalismus kommt – das Thema „Schreiben für das Internet“ didaktisch aufbereiten. SCHREIBEN ist der Ausgangspunkt und NICHT Design, Grafik, HTML, Netztechnik – obwohl all das natürlich eine Rolle spielen wird, ausnahmsweise aber mal eine DIENENDE!
Noch immer gilt: Selber machen geht!
Durch die Professionalisierung des Webdesigns entsteht mehr und mehr der Eindruck, mensch könne nicht selber dem Medium entsprechend die eigenen Inhalte veröffentlichen, ohne riesigen Aufwand an Zeit und Geld. Die Rede vom „Webseiten programmieren“ hat sich etabliert und damit auch der Abschreckungsfaktor, der dem Wort PROGRAMMIEREN schon immer anhing, gerade für Leute, die eher mit Texten als mit Technik umgehen. Doch genau wie dereinst lesen & schreiben gehört heute „Medienkompetenz“ zu den Schlüsselfähigkeiten, ohne die bald niemand mehr ein Bein auf den Boden der (nicht nur Erwerbs-) Gesellschaft bekommen wird. Millionen neue „User“ kommen ins Netz, doch wird es ihnen alles andere als leicht gemacht, die Chancen und Gefahren richtig einzuschätzen und vor allem, es FÜR SICH zu nutzen, jenseits der platten Möglichkeiten des E-Commerce.
1996, als ich meine ersten Seiten baute, ging das noch leicht, die Webgemeinde war klein, der kommerzielle Bereich dominierte noch nicht und die Idee „selber machen“ lag nahe. Doch wer heute ins Netz kommt und – natürlich! – erstmal die in der Printpresse besprochenen Webseiten absurft, kommt nie auf die Idee, sowas läge im Bereich eigener Möglichkeiten – etwa so wenig, wie die Möglichkeit, ein eigenes Fernsehprogramm zu starten. Doch, entgegen dem ersten Anschein, ist genau diese Möglichkeit die zentrale Neuerung des Netzes, und nach wie vor ist das machbar, ja sogar immer besser machbar, denn es gibt unzählige Hilfen, Programme und Mailinglisten, die das ‚webben‘ erleichtern. Und wo heute nur Text und Bild und ein paar Animationen die Mittel des Ausdrucks sind, werden es morgen auch bewegte Bilder sein – ich bin mir sicher, daß in einigen Jahren auch das „eigene Fernsehprogramm“ aus vielen Homepages herauswachsen wird, schließlich gibt es eine riesige Szene engagierter Hobbyfilmer.
Jede Minute, die DU hier in diesem Diary liest, geht einem Printmedium oder einem Fernsehsender (oder einer E-Commerce-Site) verloren – klar, daß der kommerzielle Sektor darüber „not amused“ ist und über den „vielen Schrott“ im Netz lästert. Sollen sie lästern, der Leser liest doch, was er lesenswert findet! Ich möchte, daß VIELE Schreiber zu Webgestaltern werden, daß Millionen wilde Blumen neben den aufwendigen Züchtungen stehen – genau wie in der ‚realen‘ Pflanzenwelt!
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