Es schneit! Zwar bleibt der Schnee gerade erst auf den Autos liegen, doch vielleicht wird schon bald die Schloßwiese, das Wäldchen, der Garten und alles rundherum weiss sein. Und ich mitten drin, im ersten Winter auf dem Land! Nicht Matsch, Salz, Sand, nicht die mißmutig in zugigen U-Bahnen an die Wand oder in allzu breite Zeitungen starrenden Städter werden um mich sein – sondern Weisse, Weite, sehr frühe Dunkelheit und Stille. Bei allem Komfort, versteht sich, welch ein Glück!
Oft denke ich nämlich an unsere Vorfahren, die bei jeder Witterung in schlechten Hütten an rauchigen Feuern froren – was sie wohl die ganze Zeit gemacht haben? Vor allem im Winter, wo es draussen nicht viel zu tun gab??? Ganz ohne Bücher, TV, Telefon, gar Internet? Und ohne die Gewohnheit und Möglichkeit, sich zu waschen? Mich schaudert.
Es ist doch ein unglaubliches Wunder, daß aus solchen Lebensumständen das HEUTE herauswuchs, mit seinen so ganz anders gearteten Problemen! Liest man einen Text wie „Überleben im Netz und anderswo“ von Goedart Palm, der von der Überforderung des Individuums angesichts allzuvieler Möglichkeiten handelt, gewinnt man den Eindruck (wie praktisch bei jedem guten Text zur Diagnose des Daseins): Nie war so viel Katastrophe wie jetzt!
Mitten in der Klimakatastrophe, mitten im ökologischen Desaster einer ungebrochen dem WACHSTUM hinterherhechelnden Wirtschaft, mitten in der „Globalisierung“, die selbst die Beamtenschaft entwickelter Länder aus alter Gemütlichkeit aufstört, mitten in einer Welt, deren Bevölkerung nach wie vor „explodiert“, wo Wasser und Erde und Chancen der Teilhabe immer geringer, Kriege und Krankheiten dafür mehr werden – mitten in einer Medienlandschaft, die uns all das in jedem Augenblick wissen läßt, müssen wir nun auch noch feststellen, daß unser Bewußtsein für die Welt, die wir geschaffen haben, nicht PLASTISCH genug ist.
Nachdem sich philosophische Denker lange schon von der Vorstellung, Welt sei zu steuern und zu regeln, verabschiedet haben, geht es jetzt ans Eingemachte: auch das Individuum packt es nicht mehr, ist hoffnungslos antiquiert angesichts der Geräte und Potentiale seiner Umgebung, verliert sich in zum Scheitern verurteilten Versuchen, den Forderungen und Versprechen der VIRTUALISIERUNG nachzukommen.
Ach je! Arme Welt – aber warum fühle ich nichts, wenn ich all das so hinschreibe? Allenfalls fühle ich etwas, wenn der Satzbau nicht stimmt und die Sprache holpert. Das ist fast wie ein Schmerz und ich muß dann solange herumändern, bis es „klingt“. Bin ich auch schon eine Art Monster? Wahrscheinlich – und noch immer fühle ich nichts.
Auf Goedart Palms lesenswerter Textbaustelle findet sich im Intro der Satz:
„Interessenten mögen mich kontaktieren, da die vorliegenden Texte gegen Entgelt zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus biete ich an, Texte für diverse Webinitiativen neu zu verfassen, da nicht zuletzt die Armseligkeit vieler Textlandschaften, die Dürftigkeit des „content“ eine Ursache für die Flüchtigkeit des user-Interesses ist.“
Das ist der Punkt: Das User-Interesse und das Schreiber-Interesse richtet sich allenfalls auf TEXTE, kaum je auf das, was sie beschreiben und besprechen. Wer kennt das nicht: selbst der Entschluß, einen Aspekt des eigenen Lebens nun ernsthaft zu ändern, führt zunächst dazu, erstmal einige „Bücher zum Thema“ anzuschaffen, dann überlegt man, welche Ausrüstungen und Hilfsmittel vielleicht dazu gebraucht, also gekauft werden müssen – und bei alledem tauchen soviele neue Aspekte und Wünschbarkeiten auf, daß das ursprüngliche Vorhaben als eine von 1000 Möglichkeiten ad Acta gelegt wird.
Ist das nun katastrophal – oder gerade gut? Auch das ist nur eine Frage des Blickwinkels, von dem aus man den aktuellen Text schreibt. Es kann Zeichen der Antiquiertheit und Ohnmacht sein, aber auch Ausdruck der Widerständigkeit und Beharrlichkeit gegenüber jeglichem Veränderungsstreß und seinen Zumutungen.
Und da ich das Schreiben damit jeglichen Sinnes über das Unterhalten hinaus entkleidet habe, höre ich für heute auf und bastle weiter an meinen „nützlichen“ Webseiten.
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