Claudia am 21. Dezember 1999 —

Märchenwelten auf RIVEN

Je näher die Wintersonnwende, die Weihnachtstage und der Jahreswechsel rücken, desto größer wird mein Hang zum Aussteigen. Raus aus dem Alltag, weg von den ’sinnvollen‘ Arbeiten, ja, weg von der Vernunft und dem ganzen folgerichtigen und vermeintlich nützlichen Denken. Das fleißige Arbeitsbewußtsein zwischen Projekten, Aufträgen und Kontobewegungen ist mir eine Last, die ich gerne mal ablege – manchmal mittels trockenem Rotwein, was eine Holzhammermethode ist, doch neuerdings hab‘ ich etwas anderes entdeckt: RIVEN – the Sequel to Myst.

Ein Computerspiel, aber was für eines! Das endgültige Spiel für Leute wie mich, die keine Computerspiele mögen. Keine „Äktschn“, keine Monster, kein Herumballern, keine öden Geschicklichkeitsaufgaben, kein kriegerisches Vordringen mit allerlei Militärmaterial, nichts davon. Man erreicht Riven durch einen goldenen Transmitter,

Riven Startszene

wandert durch eine märchenhafte Inselwelt von vorerst unverständlich bleibender Fremdheit, durchstreift Höhlenlandschaften,

Riven Höhlenlandschaft

und erkundet geheimnisvolle Tempel.

Riven Tempel

Eine Welt, von einem Autor geschrieben, die mittels eines „Verbindungsbuchs“ betreten werden kann.

Die wunderschöne Grafik und vor allem der sensibel mit den Szenen verbundene Sound schaffen eine unglaublich dichte Atmosphäre, wie es sonst nur einem Film-Soundtrack oder einem Video-Clip gelingt – dort aber nur für kurze Zeit!

Als ich vor einigen Wochen meinen ersten Riven-Ausflug unternahm, wer ich zwar gleich von der Stimmung begeistert, scheiterte aber schon bald an einem sehr komplexen Arrangement aus verschiedenen Apparaten. Trotz aller Versuche, sie mittels der eigenartigen Hebel und Räder in Aktion zu versetzen, blieb mir ihre Funktion verschlossen. Sollte ich jetzt etwa alle logisch möglichen Reihenfolgen ausprobieren? Nicht mit mir! Ich gab auf und wendete mich zum geistigen Abspannen wieder dem Bücher-lesen zu.

Ein Spiel für Erwachsene

Am letzten Freitag dann ein neuer Versuch, Kinder waren zu Gast und ich wollte ihnen etwas Schönes zeigen. Doch leider: es ist ein Spiel für Erwachsene, für Kids ist es zu unverständlich. Wer noch nicht so recht weiß, wie die „normale“ Welt funktioniert, hat wahrscheinlich wenig Freude daran, eine völlig ver-rückte, aber logisch aufgebaute Welt zu erforschen. Noch dazu wird man nicht zu schnellen Aktionen herausgefordert, sondern hat durchgängig selbst die Initiative. Bei der Vorführung bemerkte ich, daß mich ja nichts zwingt, am einmal vorgefundenen Problem stehen zu bleiben. Ich konnte weiter über die Inseln wandern, die durch rasante Fahrten in seltsamen Magnetbahnen, Loren und U-Booten zu erreichen sind.

Riven U-Boot

Kaum waren die Kinder weg, spielte ich weiter…. und weiter…. und weiter bis nachts um halb zwei! Sowas ist mir noch nie zugestoßen!

Meine Freude wuchs, als ich für die Rätsel Hilfe fand: gewohnt, zumindest auf alle TECHNISCHEN Fragen im Netz die Antwort zu finden, surfte ich mal kurz auf www.riven.de. Und tatsächlich: ein ausführlicher Riven-Guide führt durch die Schwierigkeiten, und das sogar, ohne jeweils zuviel zu verraten. Der Spaß am Geheimnis bleibt erhalten.

Seither, einige haben es sicher bemerkt, hab‘ ich kein Tagebuch mehr geschrieben, sondern viele Stunden auf Riven verbracht. Wie seltsam! Nebenher überlegte ich, was es wohl ist, das mich dazu verführt, soviel Lebenszeit – die ich doch NÜTZLICH verbringen könnte! – mit dem Herumwandern in einer, zugegeben wunderschönen, Fantasiewelt zu verbringen. Einerseits ist es die Tatsache, daß RIVEN den Geist nicht beleidigt: alle noch so seltsamen Rätsel und Artefakte stehen in einem Sinnzusammenhang zum Ganzen, sind nicht wie anderswo als reine Stolpersteine in eine platte Rahmenhandlung eingebaut. Und: die Rätsel erschließen sich, je länger man herumgeht, man findet auch Lösungen, ohne die Rätsel schon zu kennen (den Rest leistet der Guide! :-).

Dennoch: mir scheint, die Freude an RIVEN ist die Freude am Nichtstun, die normalerweise in Langeweile umschlägt, wenn man „wirklich nichts“ tut. Das Eintauchen in die meditativ-ruhige, musikuntermalte Stimmung dieser Landschaften mit ihren beiläufigen Geräuschen von Wellen, Wind, Insekten und Vögeln bietet der Psyche eine Art Urlaub, die sogar für Stunden nachwirkt, wenn man RIVEN verlassen hat.

Ich war erstaunt, zu hören, daß dies das meistverkaufte Computerspiel aller Zeiten ist (zusamen mit dem Vorläufer „Myst“). Ein Drittel bis die Hälfte der User sind Frauen, auch das Alter der Spieler scheint im Schnitt weit höher, als das des üblichen PC-Spiele-Publikums. Und natürlich gibt es weltweit eine große Fan-Szene mit unzähligen MYST- und RIVEN-Homepages.

Besonders gute Bilder finden sich auf den Seiten von Tony F. Davidson, einer der Künstler, die RIVEN und MYST geschaffen haben. Eine gute Anmutung vom Spiel geben auch The Riven Journals.

Diesem Blog per E-Mail folgen…