Die Sonne scheint, schon den ganzen Tag. Ob hier eigentlich mal richtig Winter wird? 40 Kilometer von der Ostsee ist wohl nicht mit viel Schnee zu rechnen, doch sagen die Nachbarn, im Februar werde es richtig kalt. Soll ich vielleicht mal wieder was im Garten umgraben? Ach, ich merke: ich bin gelangweilt, doch ohne richtig daran zu leiden. Wehmütig schaue ich auf die Liste mit „Organisatorischem“, die noch immer im Kopf im Bereich „abarbeiten“ herumliegt. Nichts ist dabei, was nicht auch noch gut morgen geschehen könnte! (…also nicht nur gelangweilt, sondern auch noch stinkfaul!)
Wenn „nichts los“ ist, neigt man im Allgemeinen dazu, in Wunschvorstellungen einzutauchen. Damit hab‘ ich länger schon „Probleme“: Es funktioniert nicht. Mir fällt nichts ein, was ich gerne geändert hätte. Das ist einerseits so, weil es mir de facto blendend geht: ich wohne, wie ich es nicht besser hätte treffen können. Mit den Mitmenschen fühle ich mich im Frieden und die kleinen Alltagsbedürfnisse (essen, trinken, lesen, Sauna) kann ich mir erfüllen, ohne auf Preise achten zu müssen. Die Zukunft sieht gut aus, jedenfalls gibt es keine Drohungen, sondern eine Reihe Möglichkeiten, die ich nur zu ergreifen brauche, um das Auskommen auch dieses Jahr zu fristen.
Gut, die Steuer, die man als Selbständige so nachzahlt, macht nicht gerade Freude. Vor allem zwingt das System dazu, im nächsten Jahr nicht auch mal weniger, sondern MEHR zu verdienen als gehabt. „Arbeiten ohne Stress“ ist mir unglaublich wichtig und daß das bisher sogar funktioniert hat, freut mich besonders. Also doch eine kleine Wolke am Horizont?
Quatsch! Wenn man lange genug grübelt, fallen immer negative Gedanken ein! Irgendwo muß der ganze Unsinn aus den Medien ja seinen Niederschlag finden: wie die Hyänenrudel sitzen die schlechten Nachrichten und Möglichkeiten am Rande des Bewußtseins. Läßt man mit der persönlichen inneren Anspannung nach, fallen sie in das Vakuum ein: Guck mal, hier ist etwas, vor dem könntest du doch wenigstens ein bißchen ANGST haben?
Doch es klappt nicht! Es ist zu durchsichtig, eine bloße Beschäftigungstherapie des Verstandes, der nicht weiß, was tun, wenn die Wunschenergie nicht zur Verfügung steht. Buchhaltungsarbeiten wären da tatsächlich eine gute Beschäftigung – doch die hab‘ ich zum Glück gerade hinter mir.
Es ist also kein Weg, in Befürchtungen abzugleiten, wenn die Wunschwelten geschlossen haben. Ich weiß zwar, daß ein Status Quo zerfällt, wenn man nicht ständig daran arbeitet, ihn zu entwickeln, zu einem „Mehr“ zu machen, auf welcher Ebene auch immer. An irgendeinem Punkt des Zerfalls setzt die Wunschmaschine dann verläßlich wieder ein. Man beginnt, wieder zu wollen und entsprechend zu strampeln. Das kenn‘ ich alles schon und es schreckt mich nicht..
Ob das alles ist im Leben? Vielleicht hab‘ ich ja zu schnell gelebt: Niemals Zeiten des Abwartens, der mühseligen Kompromisse, der in die Länge gezogenen Kämpfe. Immer bin ich schnurstracks meinem jeweils aktuellen Dämon gefolgt. Im Zweifel jederzeit auf zu neuen Ufern.
Seit einiger Zeit fühlt es sich an, als hätte ich alle Ufer schon kennengelernt und oft genug aufgesucht. „Oh nein, nicht schon wieder die Karibik!“ = nicht schon wieder eine netzliterarische ‚Großtat‘, nicht schon wieder ein neuer toller Auftrag, nicht noch einmal ein nützliches Webzine, nicht noch eine neue Community und schon gar keine spannende Politaktion….
[Anmerkung: Keine Sorge, liebe Freunde, Kollegen und Auftraggeber! Ich bleibe am Ball. Nach wie vor macht mir meine Arbeit große Freude und es besteht keine Gefahr, daß ich „alles hinschmeiße“, weil mich manchmal solche Stimmungen anwandeln. Es geht mehr um das Finden längerer Linien, wenn ich mich davon vereinnahmen lasse…. und das muß auch mal sein. Lest den aktuellen FOCUS: erst muß man den Sinn des Lebens (immer neu) finden, dann erst wird konkretes Handeln sinnvoll….]
Was dann? Vielleicht doch ein paar Aktien kaufen, um vom Auf und Ab der Börse, vom Duft und vom Angstschweiß des großen Geld-Machens zu partizipieren? Ach je, ich glaube, das packe ich auch nicht. Zum einen passe ich jetzt auf Geld besser auf, wo ich weiß, wieviel Steuern so anfallen. Zum anderen fasziniert es mich höchstens ein paar Tage, das Thema Börse zu verfolgen. Der Punkt ist einfach, daß ich nicht mal weiß, was ich mit „mehr Geld“ anfangen sollte. Klar, das ist „Sicherheit für die Zukunft“, aber genau das war für mich nie ein Handlungsgrund. Auch die Tatsache des älter-werdens hat mich da bisher nicht umdenken lassen – falsch, umdenken schon, aber eben nicht „umfühlen“.
Gottfried Benn, offenbar in ähnlicher Stimmung, hat mal ein Gedicht dazu geschrieben:
Nur zwei Dinge
Durch so viele Formen geschritten,
durch Ich und Wir und Du,
doch alles blieb erlitten
durch die ewige Frage: wozu?
Das ist eine Kinderfrage.
Dir wurde erst spät bewußt,
es gibt nur eines: ertrage
– ob Sinn, ob Sucht, ob Sage-
dein fernbestimmtes: Du mußt.
Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
was alles erblühte, verblich,
es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich.
Gottfried Benn
Gutes Gedicht – allerdings empfinde ich nicht mehr dieses heftige „Leiden an der Sinnfrage“, mir ist da zuviel Verzweiflung und Pathos drin. Ich muß mich nicht von einem Leiden befreien, sondern ich erwarte, daß sich neue interessante, nie gekannte Möglichkeiten auftun. Und wenn das nicht passiert, weil ich das meiste schon kenne, dann geh‘ ich eben mal wieder in die Sauna, das beruhigt das Denken und man schwimmt in umfassendem Wohlgefühl – weit weg von allen „Woher-wohin-wozu“-Fragen.
Eine Stunde Yoga bringt es auch – eine gute Idee!
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