Jeden Morgen beginne ich den Tag mit einer Kanne Espresso. Aufschrauben, Sieb ausleeren, säubern, Wasser und nicht allzu fein gemahlenes Kaffeepulver einfüllen, zuschrauben, auf den Gasherd stellen. Daneben ein Topf mit einem halben Liter Milch. Wenn der Espresso röchelnd in der oberen Hälfte der Kanne angekommen ist, ist auch die Milch gerade heiß genug. Überhöre ich das Geräusch, kocht die Milch über und der Kaffee verspritzt sich nach und nach quer über die Herdplatte.
Zum Glück passiert das selten, zumindest nicht morgens, denn da ist meine Nase noch nicht vom Zigarettenqualm betäubt und ich werde vom Espresso-Duft, der jetzt durch die ganze Wohnung zieht, in optimistische Stimmung versetzt. Heute werde ich bestimmt alles schaffen, was auf der Todo-List steht! Ich fühle mich stark und aktionsfähig – wär‘ es nur ein „normaler“ Kaffe, wäre die Wirkung nicht vergleichbar. Viele Jahre Italien-Urlaub schon in Kindertagen haben mich auf Espresso geprägt, die normale deutsche Kaffe-Plörre ist mir ein Graus.
Gut riechen – schlecht riechen
Düften und Gerüchen bin ich ausgeliefert, sie gehen am Denken vorbei und beeinflussen das Befinden, ohne mich zu fragen. Vielleicht bedauere ich es deshalb kaum, keine feine Nase zu haben. Mein Yogalehrer konnte so gut riechen, dass seine Schülerinnen und Schüler nur frisch geduscht, geseift, mundgespült und unter Vermeidung von Knoblauch und Zwiebeln am Vortag zu seinen samstäglichen Stunden anzutreten wagten. Und selbst das bot keine Garantie: er roch die Raucher heraus und die Schweinefleisch-Esser, und manchmal nahm er über seine Wahrnehmungen kein Blatt vor den Mund! Ich dachte mir damals: Wenn man auf dem Yogaweg SO empfindlich wird, dann ist das vielleicht gar nichts für mich. Will ich denn leidend durch die Straßen gehen? Staub, Dreck, Autoabgase, Hundescheiße und all die vielfältigen Ausdünstungen der Mitmenschen – gar nicht auszudenken, wenn all das ständig im Vordergrund der Aufmerksamkeit ankäme!
Das waren natürlich nur bequeme Ausreden. Ich war immer nur eine Gelegenheits-Yogini, mal mehr, mal weniger motiviert, doch – abgesehen vielleicht vom ersten Jahr – niemals wirklich bereit, ein „voll gesundes Leben“ zu führen. Immer mal wieder ein Versuch, mit dem Rauchen aufzuhören, kurze Phasen als Fast-Vegetarierin oder Vollwertköstlerin: all das scheiterte alsbald wieder am Alltag, an meiner Trägheit und am Unwillen, mich fortwährend auf „Nebenkriegsschauplätzen“ aufzuhalten.
„Du riechst so gut“ ist ein Kompliment, das mich verlegen stimmt, hab‘ ich festgestellt. Insbesondere, wenn es von Menschen kommt, mit denen ich keine erotische Beziehung habe. „Du stinkst nach Rauch“ ist mir da fast lieber, mit Kritik kann ich umgehen und das Rauchen und seine Folgen ist mir ein gewohnter Stachel im Fleisch. Die exzessive Körperlichkeit der Gerüche empfinde ich als Störung und manchmal als Verstörung. Kein Wunder, dass sich das Riechorgan ganz allgemein zurück entwickelt, es passt nicht mehr so gut in eine Zeit, in der das Auge alles dominiert und die Mehrheit der Menschen in die Städte strebt, deren riesige Dunstglocken erst aus der Entfernung drastisch sichtbar werden. In den zwei Jahren, die ich draußen auf dem Land verbrachte, war jeder Berlinbesuch von „Eingangskopfschmerzen“ begleitet: jetzt roch ich, was ich sonst nicht bemerkte – und es war NICHT gut so!
Riechen als Leiden – seltsam, dass mir das zuerst einfällt, wenn ich daran denke. Schließlich gibt es jede Menge angenehmer Düfte und Gerüche: der erste Frühling, wenn langsam die Erde aufweicht und das Grün zu sprießen beginnt, die Baumblüte im Mai, die reine Luft nach einem Sommerregen! Und dann Weihnachten, Lebkuchengewürze, angekokelte Tannenzweige, ein Duftmix, den man ab Oktober in manchen Supermärkten riecht. Nicht natürlich entstanden, sondern gemacht, auf dass – am Denken und an der Einkaufsliste vorbei – die Kunden von der Lust auf Schokoladennikoläuse und Christstollen ergriffen werden mögen. Mich vertreibt das eher, als dass es mich anregen könnte, genau wie ich den Geruch in Kaufhäusern hasse, dieses Konglomerat aus allerlei Parfüm, das heute zum Einkaufserlebnis gehört wie der Duft von Leder oder Latex zu einem „ordentlichen Fetisch-Outfit“.
Im kollektiven Kindergarten
Der Duft der Zeit ist Vanille. Vilém Flusser hat die gesellschaftliche Entwicklung als – im negativen Fall – zum kollektiven Kindergarten hin strebend beschrieben, und mir scheint, die exzessive Verwendung des Vanille-Aromas deutet darauf hin, dass dieser negative Fall lange eingetreten ist. Kaum mehr ein Tee ohne Vanille-Touch, zu Marmelade und Fruchtaufstrichen passt das eigentlich nicht, wird aber nichtsdestotrotz immer häufiger beigemischt. Oft merke ich es erst, wenn es zu spät ist! In Süßigkeiten, Joghurts, Cremes, löslichem Kaffe, in Haarwaschmitteln und Bodylotions, im Weichspüler und in Duftkerzen: Vanille ist überall, erinnert unvermeidlich an die schöne Zeit im Sandkasten, als wir nach sinnlicher Lust strebten, keine „richtigen Sorgen“ hatten und im besten Fall geborgen in einer harmonischen Familiensituation wie aus der Margarine-Werbung unbeschwerte Kindertage verlebten. Je mehr Vanille-Duft in der Luft liegt und aus den Dingen strömt, desto schlechter ist es um das Land bestellt, denke ich mir. Unser Gemüt soll sich beruhigen und in archaischen Wohlgefühlen schwelgen, während die Zeiten härter werden. Vanille überall ist politisch, wenn es auch keine Verschwörung gibt, die hier zum einschläfernden Duftangriff bläst.
Alles in allem bin ich froh, keine allzu sensible Nase zu haben. Meine Versuche in jungen Jahren, mich mittels irgend eines der zahlreichen Parfüms zu besonderen Gelegenheiten etwas weiblicher zu stylen, scheiterten schon an der Unfähigkeit, einen passenden Duft auszuwählen. Hatte ich drei oder vier auf dem Handrücken ausprobiert, roch ich schon nichts mehr, bzw. nur noch intensives, sehr fremd stinkendes Geruchschaos. Ich ließ es bleiben und fand mich damit ab, den Ansprüchen der Frauenmagazine auch in diesem Punkt nicht zu genügen. Neuerdings trifft der Duftstress ja auch die männliche Hälfte der Menschheit, der mit aller medialen Macht suggeriert wird, es brauche nur das richtige Deo, und schon werde die holde Weiblichkeit vor Verlangen nur so dahin schmelzen. Und für HardCore-Duftgläubige gibt’s Pheromone, damit konnte man zu Anfang des Hypes als Internet-Versender richtig reich werden, genau wie mit „Penisverlängerung“.
Trotz aller Ablehnung diverser Duft-terroristischen Anschläge auf mein limbisches System, nutze ich gelegentlich selber Räucherstäbchen und ätherische Öle – sie dürfen aber weder nach Vanille noch nach Patschuli riechen, der Duft aus alten Hippie-Tagen, der vielen recht verhasst ist. Wenn Besuch kommt, lüfte ich die Räume, auf dass der Zigarettenqualm sich weitmöglichst verziehe, den Rest erledigt ein glimmendes Sandelholzstäbchen. Auch Zitrone, Melisse oder Orange reinigen die Luft. Das „Zitronige“ darf allerdings nicht dominieren, wenn es ein erotischer Anlass ist: dann mische ich eher Ylang Ylang bei, auch mal Moschus oder Rose. Alles ein bisschen weniger intensiv, als es für mich „richtig“ wäre, denn dann wäre es für meinen Gast mit der Nichtrauchernase schon wieder zuviel. Ihn selber rieche ich am liebsten „im Original“, ohne dass sich ein künstlicher Duft allzu sehr vordrängt, wenn wir uns sehr nahe kommen.
Jetzt ruft mich die Arbeit und dafür koche ich mir die zweite Kanne Espresso des Tages. Die rieche ich schon deutlich weniger als die erste, hoffentlich überhöre ich über dem Lesen der ersten Mails das „Röcheln“ nicht wieder! Wenn ich dann eines Tages auch noch schwerhörig bin, installiere ich mir eine digitale Eieruhr – Sinnlichkeit ist wunderbar, aber man kann sich behelfen! :-)
Dieser Artikel wäre vielleicht nur eine Idee geblieben, hätte ihn nicht ein Diary-Leser unterstützt! 1000 Dank! Ich habe die mir so geschenkte „Schreibzeit“ sehr genossen!
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