Wenn ich morgens – oft VOR dem Lesen irgendwelcher E-Mails – meinen Web-Editor starte, fahre ich mit der Maus im Startmenü auf „HomeSite 4.0“, wodurch drei Möglichkeiten „aufklappen“. Die erste heißt „HomeSite 4.0 deinstallieren“, erst die zweite ist der Programmaufruf. Seltsam, nicht? Mir kommt das wie eine kleine Aufforderung vor: Laß es lieber! Mach Schluß mit dem Ganzen….
Klar, wenn ich vor Tatendurst strotze, gehe ich darüber hinweg, doch derzeit versinke ich immer wieder in Motivationsproblemen. Liegt es am Januar? Der Lichtmangel? Oder bin ich ernsthaft des Webbens müde? Ich wüßte nicht, was ich statt dessen tun sollte und es ist doch, mit allem, was damit zusammen hängt, eine sehr abwechslungsreiche Tätigkeit! Schließlich bin ich kein Code-Sklave, der nur Projekte und Vorgaben anderer Leute umsetzt und ich betreibe auch immer wieder eigene Projekte, nutze die Freiräume des Netzes.
Mein Leben lang war ich überzeugt, Arbeit müsse Spaß machen – nicht nur der Erfolg, sondern die Arbeit selbst. Und nie nie nie mußte ich diesen Grundsatz aufgeben! Dafür nahm ich Zeiten der Arbeitslosigkeit in Kauf oder arbeitete in Bereichen, die andere Selbstausbeutung oder „prekäre Jobs“ nennen. Selbst einen guten „Arbeitsplatz“ (BAT 2!) verlassen, weil er keine Möglichkeiten mehr bot, meinen Interessen zu folgen: kein Problem! Auf diese Weise war ich immer sehr flexibel, lernbereit, häufte Kenntnisse über die Welt und was sie nachfragt, an. Ich bin für meine Arbeit- und Auftraggeber immer schon ein Teil der Lösung ihrer Probleme und niemals eine Last.
Und wie hat mir das gefallen, mittels des Netzes auf diese Weise selbständig zu werden! Meine ganz persönliche Kompromißlosigkeit (Spaß MUSS sein) zahlt sich seit längerem aus. Schließlich ist das Web ein derart schnell wachsendes Medium, daß jedes Festhängen am einmal Geglaubten eher stört. Webprojekte sind schnell erstellt, verglichen mit dem Aufwand, in der physischen Welt etwas aufzubauen – und schon kann man sich dem nächsten zuwenden! Langeweile dürfte da nicht aufkommen.
Nein, das ist es nicht. Wenn ich mal drin bin in einer Arbeit, bin ich keineswegs gelangweilt. Doch der Umstieg, das Switchen zwischen verschiedenen Projekten macht mir Mühe. Und wenn wenig Druck ist, nimmt das Formen an, die ich nur noch „Winterdepression“ nennen kann. Dann fühle ich mich fast körperverletzt von der Vielfalt der Dinge, die auf mich einströmen. Die vielen Mails, die ich beantworten muß oder will, die ständigen organisatorischen Kleinigkeiten, der ewige Kleinkrieg mit der Technik, mit dem Papierkram – all das stößt mich ab und ich spüre Fluchttendenzen. Es gibt Tage, da lese ich lieber einen Roman anstatt zu arbeiten, tausche meine allzu kompliziert wirkende Welt gegen die simplen Abläufe eines spannenden Thrillers und liege den Großteil des Tages auf der Couch: Regression!
Manchmal denke ich: wenn ich etwas hätte, FÜR das ich viel Geld brauche, dann hätte ich eine dauerhafte Motivation. Das könnte ein kostenintensives Real-Life-Projekt sein, oder aber eine Tätigkeit, für die alles andere in den Hintergrund rückt, bzw. einzig Mittel zum Zweck ist. Manchmal beneide ich z.B. Autoren, die gute Geschichten schreiben. Geschichten, die man weiterlesen muß, Bücher, von denen man nicht loskommt. Das muß nicht literarisch-hochstehend sein, bewahre! Ich finde es großartig, etwas zu schaffen, was die Leute unterhält und zudem die Möglichkeit bietet, viel von sich selbst einzubringen – versteckt in den Figuren und Handlungen. Das schönste daran – so stell‘ ich es mir wenigstens vor – ist die Gelegenheit, in EINER SACHE völlig aufzugehen und sich nicht in 1000 Dingen zu verlieren.
Wenn ich sehe, in was für selbst geschaffenen Gefängnissen andere leben, sag ich mir immer wieder: Claudia, du hast es doch super-gut! Zum Beispiel der Programmierer meines Mailprogramms: seit vielen Jahren arbeitet er daran, hat großen Erfolg und zigtausend Kunden. Alle Jahre kommt ein Update mit neuen Features, die ich alle nicht brauche, aber egal, darum geht es hier nicht. Sondern: Er kann nicht aufhören, nicht plötzlich sein Programm auf den Müllhaufen der persönlichen Geschichte werfen und etwas ganz Neues anfangen. Allenfalls der Verkauf wäre drin, aber welcher Programmierer schreibt schon einen Code, den andere wirklich durchblicken?
Oder die Leute, die eine Firma aufbauen, VC-Kapital, etc. Wenn es ihnen nicht gelingt, binnen zwei drei Jahren an der Börse abzukassieren, sehen sie alt aus. Da gibt es keine Möglichkeit, aus dem Hauen & Stechen mitten drin auszusteigen.
Was ist nur mit mir los? Wie ich es auch betrachte, ich kann mir keine Veränderung vorstellen, die grundsätzlich ein für alle mal meine „Motivationsprobleme“ beseitigt. Habe ich Vielfalt und Abwechslung, sehne ich mich nach Einfachheit und Konzentration. Stecke ich in EINER Sache allzu fest, fühle ich mich gefangen und will wieder weg. Etwas Neues beginnen und zum Erfolg führen – ach, das kenn ich doch schon….
Wenn ich soweit bin in meinen Betrachtungen, sehe ich ein: auf dieser Ebene ist kein Weiterkommen! Was ich suche, ist offenbar durch Veränderungen der Arbeit nicht zu erringen. Ich suche das, was ich auf dem Bahnhof Zoo (letzter Diary-Eintrag) in Berlin ganz kurz spüren konnte: Das „eigentliche Leben“, ein ständiges Gewahrsein der Wahrheit unserer seltsamen Existenz. Etwas, das normalerweise nur im Schock, in der Todesangst oder durch einen großen Verlust ans Bewußtsein tritt. Es befreit von aller Langeweile und gleichzeitig von der Last, ständig etwas wählen zu müssen.
Darüber Texte zu schreiben, ist nicht die Lösung. Immerhin, heute bin ich wieder früher aufgestanden und bemerke: es wird schon sehr viel früher hell. Gerade ist die Sonne aufgegangen, es ist kalt und klar.
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