Seit gestern haben wir 10 braune, gackernde, scheißende, Eier-legende Hühner!!! Nachdem der Hühnerstall fertig geworden war, dachten wir darüber nach, wo die Insassen herkommen könnten. Schließlich gibt es lebende Hühner nicht im Supermarkt. Doch das Problem hat sich von selbst erledigt: ein Tierhalter aus der Umgebung mußte seine Hühner loswerden und so bekamen wir die 10 Junghühner umsonst. Ein Hahn ist auch dabei, der jetzt in Abwechslung mit dem Nachbarhahn sein „Hallo-hier-ist-MEIN-Platz-Geschrei“ von sich gibt.
Heute ist ein wunderschöner Tag, endlich mal wieder in diesem stets feucht-regnerischen Klima, das offensichtlich richtige Winter nicht mehr kennt. Das Schloß kommt mir jetzt noch ein Stück ländlicher vor als bisher, es gibt jetzt insgesamt schon 16 Tiere: 3 Hunde, 3 Katzen und die Hühner. Starke Kontraste zum Blick in den Monitor und ein Teil von mir bedauert, daß ich heute lebe, mitten in der Info-Gesellschaft und nicht in einer Zeit, wo Hühner noch lebenswichtig waren.
Immer „zwischen“ verschiedenen Kräften zu stehen, nicht richtig zufrieden mit dem, was hier und heute ist, aber auch weit davon entfernt, zu glauben, es sei früher besser gewesen (im Gegenteil!) – das scheint meine Existenzform für dieses Leben zu sein und zu bleiben. Wenn mir Freunde von der CEBIT erzählen, wo gerade der Mobilitäts-Hype gefeiert wird, kann ich nur den Kopf schütteln über die seltsame Entwicklung: Menschen werden wieder zu Nomaden, heute hier, morgen dort und immer verbunden über das Netz, wie ein Vogelschwarm Stimmfühlungslaute austauschend: „Hallo, ich bin hier, wo bist Du?“
Meine Fantasie und Einfühlung reicht vielleicht gerade noch dazu aus, mir Produkte und Dienstleistungen einfallen zu lassen, die sie brauchen könnten – doch selber zum Nomaden werden, ist nicht mehr drin. Als mich vor zwei Tagen das Goethe-Institut Tokyo zu einer Flusser-Tagung im Mai einlud, kam mir das ganz schön absurd vor: um die halbe Welt fliegen, nur um ein bißchen zu reden? Ich reiße doch auch nicht das Haus ab, bloss weil der Mülleimer voll ist oder baue ein neues AKW, um ein Ei zu kochen.
Immer seltsamer mutet mich der rasende Stillstand an, in den die „entwickelte“ Welt derzeit gerät. Was ich heute binnen zwei Wochen alleine von zuhause aus schaffe, dazu hätte ich noch Anfang der 90ger zwei Monate, ein Büro und ein Team gebraucht. Dem entsprechend wird gerade die gesamte Wirtschaft umgebaut und wer nicht eiligst mithält, umschult, flexibel wird, bleibt gnadenlos zurück und wird zum Problem. Aufbruchstimmung, Ruck-Mentalität, Gründerboom, steigende Aktienkurse – Deutschland holt auf. Da mir zementierte Verhältnisse immer schon recht langweilig waren, kann ich mich partiell damit anfreunden, es als ein spannendes Spiel begreifen. Andrerseits ist mir klar, daß ich keine Lust habe, IMMER weiter so mitzuspielen.
Für die letzte Lebensphase hätte ich ganz gern einen Ort der Ruhe, nicht unbedingt im physischen Raum, den habe ich ja jetzt schon, sondern vor allem in der Zeit. Eines Tages nicht mehr mitspielen müssen, sondern mich abwenden können und vielleicht neue Hühnerrassen züchten – dieser Gedanke ist mir nicht mehr fremd, da mag das aktuelle Spiel so spannend und abwechslungsreich sein, wie es mag.
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