Wow, was für ein Film! Noch heute beim Aufwachen standen mir die spektakulären Bilder vor Augen, anscheinend hab‘ ich gleich noch davon geträumt. Von der irrsinnig übersteigerten „Natur“ auf Pandora, wo die Berge in der Luft schweben, Blätter und Bodenpflanzen geheimnisvoll leuchten, Bäume kilometerhoch wachsen und die schlanken, ranken, starken und hübschen Einwohner so mystisch-naturverbunden auf ihren Drachen reiten.
Dazu der aufs Schärfste ausgewalzte Kontrast zu den „Himmelsmenschen“ der technischen Zivilisation, die für irgend ein teures Gestein die ganze Schönheit in Schutt und Asche legen wollen, weil die Gesetze nun mal so sind (der Börsenzyklus, Rendite binnen 3 Monaten etc. – wir kennen es!). Und zwar mit wahrlich martialischen Flug- und Kampfmaschinen, die alles übersteigen, was ich in älteren Filmen je zu Gesicht bekam!
Die immerselbe Sündengeschichte „Gute Wilde, die im Einklang mit der Natur leben, werden von bösen Ausbeutern mit Herzen aus Stein angegriffen“ hämmert Hollywood hier ein weiteres Mal meisterlich in die Seelen der Zuschauer. Da stört es nicht besonders, dass die Gegenwehr mit Pfeil und Bogen gegen vielfach gepanzerte Kampfhubschrauber zuerst lächerlich scheitert, später aber mit genau denselben Bögen das Panzerglas der Angreifer locker durchdrungen wird. Und die schönen Humanoiden und Avatare: mit Bäumen und Drachen verbinden sie sich mittels ihres wundersamen Haarschopfes, wenns aber um die Liebe geht, ist auf einmal wieder KÜSSEN und die „klassische“ Vereinigung angesagt – wirkt hier seltsam spießig.
Egal – ich war hin und weg! Die Brille störte nicht und das Auge gewöhnte sich alsbald an 3D: anfänglich waren schnelle Sequenzen eher stressig, Schriften auf mehreren Entfernungsebenen nervten, doch ging das schnell vorüber und ich tauchte ein in die bunte Pandora-Welt, fast als stünde ich drin. Weiter vorne wäre es noch drastischer, da „randloser“ gewesen, das wollte ich mir aber nicht gleich zumuten und hatte einen Platz in der hinteren Hälfte gewählt.
In der Pause empfand ich angesichts der bombastisch übersteigerten und unglaublich detailreich ausgemalten „Natur“ auf Pandora eine Art liebevolle Solidarität zu unserer alten, so viel weniger spektakulären Erde. Wie sollen sich Kinder und Jugendliche, die solche irrwitzigen Bilder sehen, noch an einer realen Landschaft, an weniger mystisch-leuchtenden Pflanzen und normal hohen Bäumen freuen?
Wie in den meisten Geschichten dieser Art gibt es im „Aufbruch nach Pandora“ keine Zwischentöne: Gut und Böse sind eindeutig zugeordnet, unsere Sympathie gehört den hübschen Pandora-Bewohnern, die als Davids gegen den modernen Techno-Goliath antreten müssen. Und während deren Stammes-Leben gezeigt wird, frage ich mich, wie viele der Zuschauer, die das jetzt toll finden, wohl wirklich Lust hätten auf soviel eingebundene Gemeinschaft? Mit dem Volk, dem Clan, mit Vater, Häuptling, Schamanin und der „großen Mutter“, deren Anbetungsritual alle Arm in Arm in Massenmeditation versammelt?
Mit mir bitte nicht! Ich, die real existierende post-postmoderne Berlinerin, bin in diesem Film nicht repräsentiert. Denn ich bin nicht Fisch, nicht Fleisch, will weder zerstören um des Profits willen, noch will ich dauernd nackt durch wundersame Wälder streifen, in denen mich von allen Seiten ständig irgend etwas anfallen kann. Ich sitze gern im mittelwarmen Arbeitszimmer und schaue in meinen Monitor, der mir zeigt, was vorgeht – genau wie die „Himmelsmenschen“ (die bösen, unzweifelhaft amerikanischen Marines) an ihren transparenten Halbrundmonitoren und Tablet-PCs. Und ebenso gern verbinde ich mich im vom Bundeskleingartengesetz vor Usurpatoren geschützten Garten mit den Bäumen, allerdings nicht mittels meiner Haare, sondern durch tätiges Pflegen, Mulchen, Erde lockern und bewundern.
Für eine zweieinhalbstündige Kino-Erfahrung ist „Avatar 3D“ jedoch ein Erlebnis, das ich gerne empfehle. Dass die Story ziemlich platt ist, hat mein Vergnügen kein bisschen gestört. Mensch besteht ja nicht nur aus Großhirnrinde…
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Siehe auch:
Avatar in 3d – Glutreste zwischen den Sitzen;
Avatar: Der zweiterfolgreichste Film aller Zeiten in nur 20 Tagen;
James Cameron stellt das Universum auf den Kopf – und wie!;
Verriss: AVATAR – langweiliger kann Kino kaum sein;
When Will White People Stop Making Movies Like „Avatar“?
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8 Kommentare zu „Kino-Erfahrung: AVATAR 3D“.