Die Fotos, die bei der Session vor über einer Woche entstanden sind, hab‘ ich noch nicht gesehen. Der äußere Anlaß für dieses „mich fotografieren lassen“ war ein aktueller Bildbedarf in einem Webprojekt – und meine Neugier, mich mit den eigenen inneren Widerständen beim „abgelichtet werden“ zu konfrontieren, einmal ausführlich auszuprobieren, was es damit eigentlich auf sich hat. Doch ohne das spontane Angebot eines Künstlers, der sowieso viele Leute aus eigenem Interesse fotografiert (mit f neuerdings? Oder doch ph in der Mitte?), hätte ich das nie veranstaltet, sondern wieder eine schreckliche Passbild-Automaten-Erfahrung gemacht.
Wir sind durch Wald und Wiesen spaziert, durchs Gelände der alten Schweineställe gestiefelt – und immer wieder schaute er mich durch’s Objektiv an: KLACK!
Es ist besser, von einem weitgehend Fremden fotografiert zu werden, als von einem Nahestehenden – und besser, wenn jemand daran eigene Interessen hat (Arbeit, Hobby, Kunst…), als wenn es aus reiner Gefälligkeit geschieht. Dann stört die Beziehungsebene den Ablauf nicht, im Grunde macht jeder sein Ding, obwohl man äußerlich etwas zusammen tut.
Ich konnte also gut dieses komische Empfinden beobachten, diesen Wust irgendwie unangenehmer Gefühle, die für mich mit dem Fotografiert-werden verbunden sind. Und es hat auch lange genug gedauert, um unbewußte Ebenen zu erreichen – anders wäre es nicht erklärlich, daß mir seither so viel dazu einfällt. Nach und nach stellt sich nämlich heraus: es sind Abschiedsfotos. Die Person, die da abgelichtet wurde, ist ein Auslaufmodell, schon jetzt gibt es sie nicht mehr. Ohne die Bilder gesehen zu haben, kann ich jetzt klar sehen: SO will ich nicht mehr sein. Diese Person ist mir zu unsymphatisch. Sicher, sie macht nette Webseiten und kann Wörter zu ansprechenden Sätzen reihen. Aber das kann vieles andere nicht aufwiegen, was ich an ihr feststellen muß, Defizite, die sich in den letzten Jahren fast unmerklich entwickelt und verfestigt haben bis hin zu einem drastischen persönlichen „Reformstau“.
Nein, er kommt jetzt nicht, der Seelenstriptease. Das Webdiary, wie ich es schreibe, ist dafür nicht das richtige „Format“. Wollte nur von der Fotosession erzählen: dass sie wie ein Brennglas für das Bewußtsein wirken kann, wenn man sie „in Reinform“ erlebt und ihre Symbolgehalte mitbekommt. Schon allein das Wort „Objektiv“ wirft so viele Fragen auf – und Angeblickt-werden durch ein solches bringt ein Double-Bind-Gefühl ans Licht: Einerseits WILL ich gesehen werden, sehne mich nach dem Blick, der Aufmerksamkeit des Anderen, andrerseits FÜRCHTE ich diesen Blick, will nicht be- und dann verurteilt werden (nicht mal Lob kann ich ganz stressfrei ertragen). Die Bilder schließlich, die entstehen, sind tote Artefakte, eingefrorene Momente und Aspekte eines lebendigen Wesens, das sich auf dem Bild nie einfangen läßt – dennoch erheben gerade Fotos den Anspruch, eine Wahrheit zu zeigen. Schließlich hat ein Apparat sie gemacht, ganz objektiv. Durch die ganze Veranstaltung werde ich darauf gestossen, mich versuchsweise selber „objektiv“ zu sehen – und das Äußere ist dabei nur ein minder-wichtiger Aspekt, ein Nebenthema.
Und wenn das mal angefangen hat, gibt es kein Halten mehr. Im Lauf der letzten Tage hat mir das Reale Leben einige Anstöße geboten, den Prozess ernst zu nehmen, Warnungen, die deutlich sagen: versacke nicht wieder in Routine, löse gefälligst deinen „Reformstau“ auf. Sonst wird dir nämlich schon bald der Himmel auf den Kopf fallen….
Na gut. Das Leben ist halt keine gemütliche Couch. Ich werde meine Mauern, Zäune, Stützen und Gerüste nach innen und außen einfallen lassen, keine Kraft mehr in sie investieren, mich verändern lassen, auch wenn es nicht immer gut tut. Vom alten Zustand hab ich ja bald ein paar Erinnerungsfotos.
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