Für den 14.Juli bin ich nach Nürnberg eingeladen, zu einem „öffentlichen Gespräch“ zum Thema Arbeit. (Das ist die Website des Projekts – eine nette Flash-Orgie!). Ich hab‘ die Einladung angenommen, weil es eines meiner bevorzugten Themen ist. Und wenn die meinen, ich könne da ‚was beitragen, warum nicht?
Die „Einheit von Leben & Arbeiten“ ist für Leute meiner Generation ein Ideal gewesen. Nicht in zwei verschiedenen Welten leben: von 9 bis 5 Büro-kompatibel gekleidet, mit entsprechender Sprache und einem angepaßten Verhaltensrepertoire, der Rest dann „Freizeit“, in der man „abhängt“ oder sich irgendwie auslebt, meist durch reine Konsum-Aktivitäten. „Tu nichts, wofür du andere Kleider anziehen mußt!“ war seit je mein Leitspruch und mit Ausnahme einiger Kurzjobs in Behörden rund ums Abi und Studium hab‘ ich das auch durchgezogen.
Nichts ist so lehrreich, wie kompromißlos die eigenen Vorstellungen zu verwirklichen. Am Ziel meiner Wünsche mußte ich schmerzhaft erfahren, daß ich praktisch auf dem Zahnfleisch ging. Nicht gleich, (die Begeisterung trägt Mitte 20 weit), aber nach ein paar Jahren. Rund um die Uhr „in meinen Funktionen“ tätig, hatte ich gar kein eigenes Leben mehr, keine Freunde jenseits der Arbeit und auch nichts, was mir Ausgleich & Entspannung ermöglicht hätte. (Dafür war alles wahnsinnig SPANNEND! Und ich fühlte mich ja so WICHTIG, geradezu UNERSETZLICH!) Mitte 30 war ich am Ende. Mein Ideal war durch seine Verwirklichung in Grund und Boden gestampft worden – und ich mit.
Ein paar Jahre Nichts-Tun folgten. Während der letzten Aktivität hatte ich mir durch eine halbjährige Festanstellung vorausschauend „unbefristete Arbeitslosenhilfe“ gesichert. Damit ging ich praktisch in Rente, ratlos, wie ich die Arbeitswelt noch einmal betreten sollte, ohne mir derart die Finger zu verbrennen. „Entfremdete Arbeit“ kam natürlich nach wie vor nicht in Frage.
Das Herumhängen und In-die-Toscana-fahren ist nun auch kein Leben, das sich auf Dauer leben läßt, nicht für mich, die ich eher an zuviel als zuwenig Tatendrang „leide“. Auf einmal entdeckte ich, dass COMPUTER plötzlich in aller Munde waren und begann, neugierig das Fachblatt CHIP zu lesen. Und ein Jahr später, als ich schon dauernd überlegte, wie ich der Sache näher treten könnte, bot sich die Möglichkeit einer Umschulung/Weiterbildung zur „EDV-Fachkraft“. Das war’s!
Ab jetzt lebte ich „in Symbiose“ mit dem Gerät und entdeckte jeden Tag neue Welten der Kreativität. Das Arbeitsamt zitierte mich nach Abschluß der Umschulung eiligst an die ABM-Front: Umweltprojekte managen. Und, tatendurstig wie ich war, wurde ich schon bald als Projektleiterin „fest angestellt“. Himmel, das war es doch, was ich nie wollte! Von 9 bis 5 war es jetzt mein Job, den seltenen Funken des Engagements in meinen Kollegen zu entzünden. Und daneben die Kampagnen zu organisieren, an den Anträgen auf Förderungsgelder mitzuschreiben – naja, war eine Zeit lang richtig spannend, aber nach zweieinhalb Jahren gab es auf dieser Schiene nichts mehr Neues.
1995 dann, als im Berliner Haus der Kulturen für 4 Wochen ein „Internet-Cafe“ eröffnete, war ich zum ersten mal mit einem ans Netz angeschlossenen PC alleine. 10 Minuten, und es war um mich geschehen. Zwar zeigte der Bildschirm Seiten zur Reichstagsverpackung durch Christo, die gerade lief – doch ein paar Mausklicks brachten mich ins weite Web: Ich war erschüttert! Es war das, was ich nie für möglich gehalten hätte: das finale Fenster zur Welt, die Lizenz zum Kontakt, die Möglichkeit, ohne jede Einschränkung den eigenen Impulsen zu folgen, weit hinaus über alles, was bisher als „Arbeit“ oder „Freizeit“ möglich & machbar gewesen war.
Ich verließ meinen BAT-2-Job. Das Arbeitslosengeld hat gut gereicht, um mir eine intensive Zeit des Lernens im Netz zu gestatten. Schon bald konnte ich der „Stütze“ ade sagen und von Aufträgen leben, für die ich mich jetzt erst recht nicht ‚anders kleide‘. Mit Leuten arbeiten, die mir symphatisch sind und die ich nicht erst „motivieren“ muß! Fast meine sämtlichen Arbeitskontakte sind aus nonkommerziellen Netz-Aktivitäten entstanden und das entwickle ich jetzt selber weiter, binde auch gern Freunde, die ich „nur so“ kennen & schätzen lerne, in Brot-Projekte ein. Es ermöglicht eine optimale Verbindung des Angenehmen mit dem Nützlichen, denn das menschliche Bedürfnis nach Kontinuität, Berechenbarkeit und „Historie“ bekommt so seinen korrekten Ort: Im „Reich der Notwendigkeit“ und nicht in dem der Freiheit, in dem allein das Treffen mit dem ANDEREN sein Faszinosum behält.
Freizeit? Hätte ich früher nicht mal dran gedacht, doch jetzt gewinnt sie zunehmend Bedeutung. Oberstes Gebot meines „Wohnens am Arbeitsplatz“ ist sowieso, psychisch-mental nicht mehr in echten Stress zu geraten. Stress ist, zu glauben, die Welt falle ein, wenn ein Gif auf der Website flackert oder wenn der Auftraggeber etwas nicht schön findet und Änderungen vorschlägt, die jedem NetKnowHow widersprechen. Stress ist, sich die Angelegenheiten anderer weit über den konkreten Auftrag hinaus zu eigen zu machen und vor allem das Bedürfnis, überall als die Kompetente und auch mit 40 Fieber noch als Immer-Zuverlässige da stehen zu wollen. Stress bringt auch das Unvermögen, die eigenen Gedanken dem aktuell gewählten Verhalten anzupassen: wenn ich „Freizeit“ lebe, dann bringt es niemandem etwas, wenn ich dabei ein schlechtes Gewissen schiebe, im Gegenteil, ich mindere dadurch ihren Erholungswert und schade mir und meinen Auftraggebern.
Yoga hat mir unendlich geholfen, die automatische Verschränkung von Gedanken, Gefühlen und körperlichem Befinden zu durchblicken, und diesen Automatismus, der z.B. Stress fühlen läßt, durchbrechen zu lernen. Aber das ist eine andere Geschichte…. (siehe auch: Entspannung – mein Gott, hab‘ ich damals noch viele Worte gemacht..! Heute würde ich das anders schreiben).
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