Claudia am 31. Mai 2000 —

Endlichkeit

Auf dem abschüssigen Pfad, der zum Garten führt, zertrete ich beiläufig eine Nacktschnecke. Der Kampf gegen dieses Getier ist derzeit ein sinnlicher Pausenfüller: weg vom PC, raus in die feucht glänzende Vegetation, mit Adleraugen umschreite ich meine zwei „Versuchsanplanzungen“, zwei mal zwei Quadratmeter mit Salat und Mangold, und die drei kleinen Erdbeerbeete. Zu mehr hat es zeitlich nicht gereicht, aber irgend etwas muß ich einfach wachsen sehen, etwas SELBST angepflanztes mitten im Dschungel.

Der Salat, aus Samen gezogen, ist schon fast ganz den Schnecken zum Opfer gefallen, der Mangold hält sich besser und die Erdbeeren sind tatsächlich gut zu verteidigen. Sie waren auch schon groß, als die Schnecken gerade mal ihren schleimigen Körper aus den Erdverstecken schoben.

Nach jedem Regen gehe ich also auf die ‚Jagd‘ und sammle ein bis zwei gehäufte Hände voll Schnecken ein. Nein, es ekelt mich nicht, ich hebe sie mit der rechten Hand auf und häufe sie in der Linken, bis der Haufen nicht mehr zu balancieren ist. Dann ein paar Schritte zum Sumpf (ehemaliger Schloßweiher), wo sie im stehenden Wasser ein hoffentlich nicht allzu schlimmes Ende finden. Dann „wasche“ ich die Hände in Erde und suche weiter.

Immerhin ist es mir letztes Jahr gelungen, auf diese Weise die Erdbeeren noch zu einer späten Blüte mit Früchten bis in den November hinein zu motivieren. Als ich im Juli herkam, waren sie total abgefressen, Schnecken wohin man sah!

Manchmal denke ich: vielleicht schnippst ein großes Wesen in einer anderen Dimension auch mal mit dem Finger und zerdrückt so ganz beiläufig das uns bekannte Universum. Punkt, Schluß. Oder ein Meteor trifft die Erde – oder ich fahre gegen einen Baum, eine in Mecklenburg häufige Art spontanen Ablebens (allerdings eher eine männliche…:-).

Solche Gedanken deprimieren mich nicht, im Gegenteil. Sie stoßen mich immer wieder auf die Notwendigkeit, aus dem Augenblick das Maximale zu machen. Was war gestern? Was ist morgen? Was ist Zukunft? Immer nur ein Gedanke im Kopf! Ich danke dem Himmel (irgend einen Adressaten braucht man ja), daß mir das heute bewußt ist. Kann mir kaum noch vorstellen, wie ich früher gelebt habe: immer in Angst, etwas nicht zu schaffen, etwas zu verpassen oder irgend jemandem nicht gerecht zu werden. Oder voller Ehrgeiz, etwas in der Zukunft zu erreichen, mich abzusichern gegen vieles, was ich mir an „möglichen Katastrophen“ so ausdachte – und diese unglaubliche psychische Abhängigkeit von vielen Mitmenschen, durch deren Bewertung ich glaubte, erst richtig DA zu sein. Und die damit einhergehende Erpressbarkeit!

Älter werden macht frei! (Vielleicht ist es deshalb gesellschaftlich so diskriminiert) Je mehr das Leben sich als eine endliche Veranstaltung zeigt, desto klarer wird, daß es das EIGENE LEBEN sein muß, das ich von Tag zu Tag und Augenblick zu Augenblick führen muß, nicht eines, das andere von mir erwarten.

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