Claudia am 28. Februar 2024 —

Sie sagt – er sagt: Schwierige Wahrheitsfindung im Strafgericht

Wenn Aussage gegen Aussage steht, ist keineswegs gesagt, dass das Gericht „in Dubio pro Reo“, also im Zweifel für den Angeklagten entscheiden muss. Das und vieles mehr über die Wahrheitsfindung im Gerichtssaal lernt man im neuesten Werk von  Ferdinand von Schirach: Sie sagt, er sagt.

Das als „Film der Woche“ im ZDF beworbene Justizdrama im Stil eines Kammerspiel haben immerhin 4,9 Millionen Menschen im linearen TV gesehen, vermutlich werden dank der Mediathek weitere hinzukommen. Im Prozess wirft die erfolgreiche TV-Moderatorin Katharina Schlüter ihrem als Industrieboss ebenso erfolgreichen Ex-Geliebten Christian Thiede vor, sie bei Gelegenheit eines Wiedertreffens vergewaltigt zu haben – und zwar während des zunächst einvernehmlichen Sex.

Das von ihr behauptete Geschehen weicht also weitestmöglich ab von der Vorstellung einer Vergewaltigung a la „Fremder springt aus dem Gebüsch und vergewaltigt Joggerin“, das noch immer den herrschenden „Vergewaltigungsmythos“ darstellt. Katharina berichtet, ihr wäre plötzlich klar geworden, wie krass falsch es sei, noch einmal miteinander Sex zu haben. Woraufhin sie ihn aufgefordert habe, von ihr abzulassen, sogar mehrfach, jedoch habe er sich nicht darum gekümmert. Der Fall illustriert, wie schwierig die Wahrheitsfindung in diesem Fall ist, denn zwar gilt „Nein heißt nein„, jedoch muss das Gericht der Frau erst einmal glauben können, dass sie wirklich „nein“ gesagt hat.

Der Angeklagte äußert sich zunächst nicht, erst als er zu einem Schlusswort aufgefordert wird, berichtet er seine Sicht der Dinge. Wie bereits durch seine Verteidigerin vorgetragen, sei die Trennung von ihm ausgegangen und mit Frau Schlüter habe es beim Wiedertreffen ausschließlich einvernehmlichen Sex gegeben. Er wirkt dabei ebenso authentisch wie das (vermeintliche?) Opfer, so dass man denkt: Das war es jetzt! Der ist kein Vergewaltiger! Allerdings hält sich auch dieses Ende nicht, denn kurzfristig meldet sich die Frau des (vermeintlichen?) Täters schriftlich und bestätigt, dass ihr Mann die Vergewaltigung zugegeben habe. Tja… ist das nun wahr oder nur ein Schachzug in einem Rosenkrieg? Das bleibt im Film offen, denn das Gericht vertagt sich, um neu in die Beweisaufnahme einzutreten.

Das ZDF schreibt dazu:

„Die Geschichte einer Verhandlung will die Regeln der deutschen Strafgesetzgebung sichtbar machen und thematisiert ein juristisch wie menschlich scheinbar unauflösbares Dilemma, das eine ungeheure Sprengkraft entfaltet. Denn über die berufliche und private Zukunft zweier Menschen hinaus geht es um nichts weniger als um die Werte und Vorurteile, die uns als Gesellschaft ausmachen.“

Ich empfand den Film als großartig gemachtes Lehrstück über die Methoden der Wahrheitsfindung bei Gericht und die Problematik, die Glaubwürdigkeit der Beteiligten zu beurteilen. Natürlich ging die Handlung nicht ganz so spröde voran, wie es in realer Gerichtspraxis der Fall gewesen wäre. Statistiken über Vergewaltigungen wurden in Gutachten eingeflochten und Erfahrungen über das mehr oder weniger emotionale Verhalten betroffener Frauen bei Gericht (müssen sie immer weinen, wenn sie die Wahrheit sagen?) kamen zur Sprache. Der Anwalt der Nebenklägerin und die Verteidigerin verhielten sich auch nicht immer exakt so, wie sie es im Normalfall tun müssten. Aber hey, man möchte ja nicht, dass das Publikum komplett einschläft!

Zur Geschichte der Katharina Schlüter (mal angenommen, sie sagt die Wahrheit)

Im Film wird ausführlich herausgearbeitet, wie schwer Frau Schlüter vom Verhalten ihres Ex-Geliebten betroffen ist. „Es ging ihm nicht um mich! Ich wurde nur benutzt!“ Das ist das Erleben, das sie so erschüttert, dass ihr bisheriges Selbstbild zusammenbricht. Sie fährt mit dem Taxi nachhause, geht unter die Dusche, meldet sich am nächsten Tag krank und ist erstmal fertig mit der Welt. Erst durch den Zuspruch einer Freundin fasst sie drei Tage nach der Tat den Mut, ihren Ex anzuzeigen, der immerhin ihre „große Liebe“ war. Seitdem ist sie arbeitsunfähig, kann ihre Sendung nicht moderieren, bekommt massensweise Hass-Mails und Morddrohungen und geht dreimal pro Woche in Therapie. Auch ihre Ehe ist natürlich im Eimer (genau wie die ihres Ex).

Ich will keineswegs bestreiten, dass dies alles so stimmen kann und in der Realität gewiss auch so vorkommt. Die zusätzlichen Belastungen durch verschiedene Vernehmungen und die detailgenauen Schilderungen, zu denen Opfer im Verfahren genötigt werden, sind schon heftig! Opferschutz scheint in der Praxis keine große Rolle zu spielen, wie in der auch sehenswerten Doku nach dem Film deutlich gemacht wurde. Ein Berliner Staatsanwalt sagte dazu öffentlich, er würde in einem solchen Fall seiner Tochter raten, nicht anzuzeigen!

Auch ich hätte übrigens NICHT ANGEZEIGT. Nicht so sehr wegen des dann anstehenden Verfahrens, sondern weil ich mit über 50 nicht so betroffen gewesen wäre wie Frau Schlüter. (50plus ist die Schauspielerin Ida Weiß, also auch die Rolle). Die Erfahrung „er meint gar nicht mich, hat mich nur sexuell benutzt“ hab‘ ich in meinen Teeny- und Twenty-Jahren nicht nur einmal gemacht, auch schon einschließlich des „nicht gehört werdens“ durch den Partner. In der Situation hab‘ ich mich dazu entschieden, kein Drama draus zu machen, denn immerhin hat es sich um einen Mann gehandelt, mit dem ich „zunächst“ einvernehmlichen Sex hatte, den ich dann aber gerne abgebrochen hätte. Warum, erinnere ich nicht mehr, was immerhin für die gute „Verarbeitung“ des Vorfalls spricht.

In anderen Fällen hab ich gar nicht erst versucht, abzubrechen, sondern „ausgehalten“ bis zum Ende. Schlechter Sex kommt nun mal vor und das erschien mir in der jeweiligen Situation als die drama-ärmste Variante. Schließlich tat es mir nicht weh, ich wurde nicht verletzt, allenfalls verdunkelte die wahrgenommene „Triebgesteuertheit“ und mangelnde Sensibilität meiner Partner zeitweise mein Männerbild. Die Konsequenzen im Einzelfall richteten sich nach der Art der Beziehung: Von „nie wieder“ über „drüber reden“ bis „verzeihen und vergessen“ war alles dabei!

Auch dazu:

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Diskussion

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4 Kommentare zu „Sie sagt – er sagt: Schwierige Wahrheitsfindung im Strafgericht“.

  1. Vorab, @Claudia, die email Benachrichtigung über einen neuen Beitrag auf deiem blog funktioniert sehr gut.

    Auch ich fand den Film bemerkenswert. Er hat mir tiefere Einblicke in ein Metier gegeben, in welchem ich mich nur sehr, sehr oberflächlich auskenne. Ich bin ganz froh darüber das ich nie einen Job hatte, bei dem ich mit heftigen Gewissenskonflikten abends in Bett gehen muss.

    Andererseits zeigt es aber auch, wie nah und verwechselbar Recht und Unrecht in diesen speziellen Einzelfällen sein kann. Auch das Tagesform, Gutdünken und Vorteile der Richtenden darüber entscheiden kann, wer einfährt oder einfach nur „Glück“ hatte. Das Vorurteil, das derjenige Recht bekommt, der den besseren Anwalt hat, wird damit verständlicher.

    Deine Offenheit in deiner eigenen Bewertung erweitert das Spektrum in der Draufsicht. Respekt.

  2. Das mit der Wahrheitsfindung ist so eine Sache. Wir mussten kürzlich erst mit ansehen, wie ein guter Freund fälschlich beschuldigt wurde. Da konnte er allerdings seine Unschuld beweisen (warum muss er das selbst machen?!). Frauen, die solche Anschuldigungen aus Rache oder sonstigen Motiven machen, schaden damit allen „echten“ Opfern. Denn dann zweifelt am Ende jeder alles an.
    Wobei ich es schon krass finde, dass man sich als Außenstehender auf die eine oder andere Seite schlagen soll. Als der Sänger von Rammstein so im Fokus stand, bin ich auch gefragt worden, was ich denke, wo ich doch auch Metal hören würde. Das ist doch keine Wahl sondern Rechtsprechung, für die sich dafür ausgebildete Menschen beide Seiten anhören. Und für die ist es oft schon schwierig, objektiv zu entscheiden.
    Aber trotzdem ein spannendes Thema, das zeigt, wie unterschiedlich auch die Wahrnehmung sein kann und wie schwierig dadurch Gerechtigkeit ist.
    LG
    Vanessa

  3. Ich mag Ferdinand von Schirach. Dieser Film hat uns gefesselt und wir haben noch währenddessen diskutiert. Die minutiöse und äußerst authentische Schilderung aus Sicht der Klägerin dürfte in der Realität eher die Ausnahme sein, glaube ich. Interessant war, dass die Aussage des Angeklagten mich nicht weniger überzeugt hat. Ja, man möchte nicht Richter sein.

    Interessant war auch, wie gut die normale Voreingenommenheit von Menschen gespiegelt wurde. Ich fühlte mich ertappt. Ich empfand es so, dass der detaillierten Schilderung der Klägerin folgend, in diesem Fall nur schwer von einer „klassischen“ Vergewaltigung gesprochen werden könnte. Kann man während des Geschlechtsverkehrs den Aus-Schalter drücken, wenn Frau oder Mann plötzlich der Gedanke in den Kopf schießt, dass dieser Akt besser nicht stattfände? Der Film hat einige Oberflächlichkeiten im Denken geradegerückt. Ich habe mit einem Freund darüber diskutiert. Wir sind oft unterschiedlicher Ansicht, gerade auch, wenn es um Filme geht. In diesem Fall waren wir total einig: von Schirach hat wieder mal ein eindrucksvolles Meisterstück abgeliefert.

  4. Herzlichen Dank für Eure Kommentare! Ja, ein wahres Meisterstück, dass uns Zuschauer mit den eigenen schnellen Vorurteilen konfrontiert und – hoffentlich! – mehr Verständnis für die Problematik der Wahrheitsfindung in einem solchen Fall schafft.