Jetzt ist tatsächlich das Paradies ausgebrochen. Das Schloß mit Wald, Wiese und Gärten, das Dorf, die ganze Umgebung, der nahe gelegene Dümmer See mit dem klarem badefreundlichen Wasser zeigen sich als perfekte Idylle. Wenn ich Mittags die fünf Minuten zum kleinen Sandstrand im Wald fahre, eine Runde schwimme und dann in der Sonne brate, mutet es mich noch immer seltsam an: als Ex-Städterin bin ich noch aus der Kinderzeit gewohnt, solche Freuden nur im URLAUB zu ewarten. Ein Urlaub, auf den hin man lange plant, wie es meine Eltern taten, die das ganze Jahr über für vier Wochen Italien sparten. Und wie es die Leute tun, die jetzt die paar verborgen gelegenen Campingplätze füllen.
Was auffällt: Das Land ist leer! Nordwestmecklenburg ist extrem dünn besiedelt und hat seit der Wende nochmal viele Menschen verloren, die in den Westen gezogen sind. Die Einwohnerzahl der Hauptstadt Schwerin ist letzten Herbst sogar unter die Hundertausender-Grenze gefallen, die eine Stadt verwaltungstechnisch zur Großstadt macht. Fährt man auf den kleinen Straßen rund um den Schweriner See (immerhin der drittgrößte in Deutschland), so fällt auf, wie entlegen, wie verlassen, wie ungenutzt das ganze Gebiet ist. Landwirtschaft mit den mecklenburg-typischen riesigen Feldern, Dörfer, in denen sich wahrhaftig Fuchs & Hase gute Nacht sagen, ab und an eine Datschen-Siedlung und auch mal ein stilistisch korrekt der Umgebung angepaßter Hotelneubau mit Restaurant: auch recht leer, jedenfalls weit entfernt vom touristischen Reisebus-Trubel, den man z.B. aus Bayern kennt.
Was ist hier nur los? Bzw. warum ist NICHTS los? Mecklenburg war schon immer „unterentwickelt“, heißt es, hier komme eben alles 50 Jahre später, auch der Weltuntergang. Ich denke mir, daß es auch immer weniger Menschen gibt, die mit sich selber etwas anfangen können. Der Bedarf an Außenreizen, an Events und Veranstaltungen aller Art wächst ständig, entsprechend stark ist der Drang in die Städte, vor allem bei den Jüngeren. Unverplante Zeit ist immer weniger erträglich, mensch erlebt sich nur als Mensch, wenn da jede Menge andere sind, wenn „der Bär tobt“. Junge Männer rasen mit dem Auto verzweifelt durch die Mecklenburger Allen und enden allzu oft im finalen Crash am Baum, wissen einfach nicht, wohin mit dem Testosterondrang. Für Under40s ist Mecklenburg eine Zumutung.
Es fehlt hier auch die „alternative“ Infrastruktur, die im Westen in den 70ern entstanden ist, als der Drang raus aus den Städten, hin zu einer „natürlicheren“ Lebensweise breite Kreise erfaßte, die von Politik die Nase voll hatten. Daraus ist der ökologische Landbau entstanden, wie auch viele Projekte zur Weiterbildung & Selbstverwirklichung im psychotherapeutischen und spirituellen Rahmen. All das fehlt hier. Das Land gehört praktisch den Rentnern, die Gärten sind liebevoll gepflegt, kein Grashalm tanzt aus der Reihe. Wogegen der öffentliche Raum diese romatische Unaufgeräumtheit ausstrahlt, die ich so schätze, weit entfernt von der fabrikartig durchgestalteten Kulturlandchaft des Südens (wo jeder Feldweg und jede Hofzufahrt asphaltiert ist).
Ich muß jetzt aufhören, einer meiner Auftraggeber hat angerufen: bis MORGEN soll eine Demoseite für einen potenziellen Kunden stehen, mit Design und Inhalten, mit interaktiven Elementen und diesem & jenem. Mehrfach hab‘ ich ihm zu vermitteln versucht, daß es unmöglich ist, was er verlangt. Doch das ficht ihn offensichtlich nicht weiter an. Gut, soll er machen, es ist definitiv das letzte Mal, dass ich „auf Zuruf springe“. Mein Auftrag endet mit dem Juni und ich wünsche alles Glück dabei, jemanden zu finden, der an meine Stelle tritt.
Diesem Blog per E-Mail folgen…