Als im letzten Jahr Peter Sloterdijk in seinen „Regeln für den Menschenpark“ vorschlug, zumindest einmal darüber nachzudenken, inwiefern die künftigen Errungenschaften der Gentechnologie zur Veränderung der Menschen genutzt oder nicht genutzt werden sollten, war die Freude groß. Endlich mal wieder ein richtiger, ein GEISTVOLLER Skandal! Die Sache wurde monatelang durch die verschiedenen Medien gezogen, der Schlagabtausch zwischen Sloterdijk und Habermas unterhielt die Leser aufs Beste. Seit Botho Strauss‘ „anschwellendem Bocksgesang“ hatte es so eine fetzige Kontroverse nicht mehr gegeben.
Was mir in der Rückschau auffällt: In solchen ‚gesellschaftlichen Diskussionen‘ kommt es selten dazu, daß die beteiligten Großintellektuellen, ihre Kontrahenten und Kommentatoren so richtig zur Sache kommen. Nicht das Thema, sondern der Tabu-Bruch steht im Vordergrund: DARF man in diese Richtung überhaupt denken und auch noch darüber schreiben? Wer sich profilieren will, muß das Tabu ein bißchen ankratzen, aber gerade soweit, daß die Aufmerksamkeit focussiert wird, der Autor jedoch nicht aus der Gemeinschaft derer herausfällt, denen ein politisch korrekter Mensch zuzuhören bereit ist. (Ich habe ja NUR gemeint, dass….)
Im Gegensatz dazu verläuft ein ganz normales Gespräch zwischen X und Y vergleichsweise kreativ. Öfter schon hab‘ ich mich mit Freunden und Bekannten ganz entspannt darüber unterhalten können, WIE DENN eigentlich der Mensch zu verändern wäre, nur mal angenommen, es wäre irgendwann möglich.
Wie hätten wir uns denn gern?
Gesund, frei von Krankheit und Behinderung, intelligent und schön – das sind kurz gesagt die Basics, auf die Menschen schon immer hingearbeitet haben. Und so wundert es nicht, daß von der Gentechnologie und den Fortpflanzungstechniken vor allem DIESE Leistungen erwartet werden – zu Nebenwirkungen fragen wir wie üblich den Arzt oder Apotheker. Der nächste Schritt ist die individuelle Konkretisierung dieser Wunscheigenschaften: blaue oder grüne Augen, bestimmte Haarfarben und natürlich Geschlecht auf Bestellung. Ein weiteres Feld wäre die OPTIMIERUNG spezifischer menschlicher Eigenschaften, die die Natur nicht zum Standard gemacht hat. So kann heute schon operativ die Sehschärfe auf 120 Prozent gesteigert werden und das „Adlerauge“ (200%!) liegt in greifbarer Nähe. Warum das nicht gleich „einbauen“?
All das sind vergleichsweise oberflächliche Änderungen, Mensch 1.1, 1.2 bis 1.9 wird ein verbessertes Modell sein, aber nicht grundstürzend ANDERS. Wäre denn darüber hinaus eine Veränderung denkbar (ich frage nicht nach „machbar“), die auf einen Schlag alles verändert? Die ein Wesen hervorbringt, das ganz bestimmte Formen menschlichen Leidens einfach nicht mehr kennt?
Das Leiden schlechthin kann man nicht abschaffen, das ist mir völlig klar. Jede „Verbesserung“ wird an einer unvermuteten Stelle eine Nebenwirkung mit sich bringen, die sich als neues Leiden herausstellt. Ein Leben ohne Leiden ist schlicht undenkbar, denn es wäre auch ohne Freuden und Engagement. Dieses Wissen hat uns jedoch noch nie davon abgehalten, das Leid zu bekämpfen und nach Freude und Glück zu streben – was also müßte abgeschafft oder hinzugefügt werden, um wirklich einen ‚Sprung nach vorne‘ zu machen?
Den Affenfelsen verlassen?
Wie wäre es zum Beispiel mit der Abschaffung des Herdentriebs? Menschen sind Primaten und dadurch gefangen in der Sucht nach dem ANDEREN. Ich sage SUCHT, denn da ist keine Freiheit und keine Autonomie. Von der Wiege bis zur Bahre verlangen wir nach Aufmerksamkeit, sehnen uns nach dem Blick des anderen und fürchten ihn zugleich, weil er uns verurteilt. Seit die Mediengesellschaft ihre letzten Entwicklungsschübe vollzogen hat (Privtfernsehen, Internet…), ist das noch dominanter spürbar als je zuvor, endlich kann jeder „rein“ und sein Bestes versuchen, gesehen, bewundert, als etwas „ganz besonderes“ erkannt zu werden – in dieser Hinsicht sind wir alle dumpfe Masse. Ist dieses ganze Buhlen um die Aufmerksamkeit der Herde nicht einfach nur eine peinliche Veranstaltung?
Man kann die Sache auch im ganz Privaten ansehen: Liebesbeziehungen und nahe Freundschaften geraten schon bald zum Kampf um die gegenseitige Umerziehung. Du sollst werden wie ich, denn ICH bin schließlich der Gipfel meiner bisherigen Bemühungen – bist du anders, kann ich dich nicht so lassen, denn das würde ja MICH und mein So-Sein in Frage stellen. Statistiken bestätigen zwar den Satz „Gegensätze ziehen sich an“, doch belegen sie auch, daß dauerhafte Beziehungen normalerweise nur nach dem Prinzip „gleich und gleich“ funktionieren.
Ist das alles nicht ein Elend? Schauen wir die Kinder an: als ich klein war, dominierten Werte die Erziehung, die den Herdentrieb einschränken wollten. So war es z.B. selbstverständlich, daß Kinder in Anwesenheit von Erwachsenen schweigen, sich jedenfalls nicht in deren Gespräche einmischen und in den Mittelpunkt drängen sollen. Heute wird es dagegen allgemein als „ganz normal“ empfunden, daß die Gören schon aus den Pampers heraus das Im-Rampenlicht-stehen als einzig erträgliche Existenzform begreifen.
Mit Erwachsenen reden, die ihr Kind dabei haben? Unmöglich! Man muß stattdessen das eigene innere Kind reaktivieren und sich gemeinsam mit den Eltern ganz den Bedürfnissen des Nachwuchses widmen. Das ist mal ganz schön, aber nicht abendfüllend. Und weil auch Eltern noch eine Sehnsucht nach eigenem Leben haben, werden die Kids halt mit Events versorgt. Für die Besser-Verdienenden steht eine Armada bezahlter Animateure bereit, damit keiner unter vierzehn je die Langeweile erlebt oder sich mit der Forderung konfrontiert sieht, mit sich selbst und sonst garnichts ein paar Stunden verbringen zu lernen. Arme und minder ‚Gebildete‘ delegieren die Angelegenheit an Geräte & Programme (PC. Playstation, TV), die bereitwillig in die Erziehungslücke springen, vorausgesetzt, Papi & Mami zahlen brav und regelmäßig für Diddelmaus und Teletubbies.
Man stelle sich einen Menschen vor, der keinen Herdentrieb in sich trägt! Der nicht gierig wie ein Affe nach den anderen fingert, nicht nach Herrchen oder Frauchen hechelt wie ein Hund, der gar nicht mehr weiß, was die früheren Menschen eigentlich angetrieben hat in ihrem ewigen Strampeln um Anerkennung und Beachtung, um Dabei-Sein, In-Sein und Drin-Sein. Eine souveräne Gestalt, die aus rein vernüftigen Gründen mit anderen zu Zwecken kooperiert, die ebenso vernünftig und für den ganzen Planeten vertretbar sind. Ein Mensch, der nicht von Maschinen und Programmen gezwungen werden muß, sich sinnvoll zu verhalten, weil er dazu „als Mensch“ schlicht nicht in der Lage ist, seine Chemie es nicht zuläßt.
Mehr und mehr werden wir derzeit von der Notwendigkeit entlastet, uns mit anderen auseinanderzusetzen (wer streitet schon mit einem Multiple-Choice-Fragebogen?). Offenbar deshalb, weil es in der mittlerweile erreichten Komplexität der Zivilisation einfach nicht mehr vertretbar ist, die alte Wetware einfach so machen zu lassen, adrenalingesteuert, wie sie nun mal ist. Das System ist noch bei weitem nicht vollendet, noch immer haben unzählige Personen nicht unerhebliche Macht, die mehr an ihren Kontostand (=Joker im Kampf um Anerkennung) und an Ruhm & Ehre denken, als an die jeweilige Sache. Doch die Rationalisierung schreitet unablässig voran und bald werden alle, die noch zur Organisation der Wirtschaft gebraucht werden, perfekt voreinaner und vor sich selbst geschützt arbeiten: hinter Monitoren sitzend und zwischen vernüftigen Programm-Alternativen wählend.
Das ist die „technische Lösung“ des Herdentriebs und all seiner problematischen Auswüchse. Und genau wie beim Gen-Mais stellt sich die Frage: Warum nicht gleich die Anfälligkeit beseitigen, anstatt dauernd Gegenmittel zu spritzen?
Vielleicht lassen sich die einschlägigen Primaten-Gene dereinst erkennen und durch andere ersetzen, zum Beispiel durch solche von Katzen. Eine Katze läßt sich durchaus verführen, doch ist sie niemals auf Dauer durch Streichel- oder Fress-Angebote korrumpierbar – ist das nicht wundervoll? Ist das nicht eine Souvereinität, die auch dem Menschen gut stünde? Insbesondere in der heutigen Welt, wo das Hauen & Stechen doch so langsam kontraproduktiv wird.
Nebenbei: Wäre so ein Mensch eigentlich noch erotisch? Für seinesgleichen nicht – wohl aber für uns, die wir begehren, was wir nicht haben. Mit uns würde die Erotik also aussterben – und das läßt mich dann doch zögern….
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