„Reiss Dich zusammen!“, ermahnte mich meine Mutter vor vielen Jahren, wenn ich ihr wütend erzählte, warum der Deutschunterricht völlig öde, der Lehrer doof und die aufgegebene Hausarbeit wirklich DAS LETZTE sei. Ihre Worte waren in den Wind gesprochen, „zusammenreissen“ war definitiv nicht mein Ding, ich sah es einfach nicht ein, absurde Aufgaben erledigen zu sollen, weil sie der Lehrplan nun mal forderte. Statt dessen versammelte ich den Unmut der ganzen Klasse und gemeinsam brachten wir unsere Kritik zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort vor – ach ja, wir waren kein Spaß für die damaligen Lehrer, es war Anfang der 70ger und ihre „Macht“ seit ’68 deutlich geschrumpft.
Nach dem Abi tourte ich durch verschiedene Jobs, vor allem bei Behörden, wo mir mein Vater, Angestellter im Statistischen Bundesamt, Eingang verschaffte. In der Zentralkartei des Bundeskriminalamts verbrachte ich vier Monate zwischen alten Männern, die seit 20 Jahren nichts anderes taten, als ihre Karteimaschinen rotieren zu lassen, Namen aus Akten zu suchen und Nummern in Akten zu schreiben: wie erfüllend! In der „Funktstörungsmeßstelle“ genehmigte ich Mikrowellenherde und CB-Funk-Anlagen und brach vor lauter Langeweile einen ordentlichen Geschlechterkampf ums Geschirrspülen vom Zaun (Mann dachte, das sei ein reiner Frauenjob). All diese Jobs waren relativ gut bezahlt, doch so öde, daß ich einfach nicht begreifen konnte, wie die Leute das Jahre und Jahrzehnte aushielten! Und daß sie mich allen Ernstes noch aufforderten: „Kommen Sie doch zu uns, hier können Sie gleich mit BAT 2a anfangen!“ schlug dem Faß den Boden aus. Ich fühlte mich wie von Irren umgeben, nicht für alles Geld der Welt wäre ich bereit gewesen, mich derart lebendig begraben zu lassen.
Die Hoffnungen meines Vaters („Geh zu Vater Staat, da bist du sicher und bekommst eine ordentliche Rente!“) erfüllten sich nicht. Ich studierte, jobbte nur, wenn es sich nicht vermeiden liess, und meine Verachtung gegenüber der Arbeitswelt war riesig.
Erst in Berlin, Anfang der 80ger, lernte ich selbstbestimmte Arbeit kennen und lieben. Fast rund um die Uhr managte ich mit anderen einen Mieterladen, eine Stadttteilzeitung und ein Jugend- und Kulturzentrum. Geld war dabei ganz unwichtig, der Spaß und die „Freude am Kampf“ ließ sowieso keine Zeit für ein ordentliches Konsumentenleben mit Urlaub, Weihnachstgeld und Feierabend.
Meine „selbstausbeuterische Phase“ konnte natürlich nicht ewig dauern, sondern führte mich Mitte dreissig in eine heftige Midlife-Crisis. Ich mußte lernen, daß es auch noch eine „Claudia, ganz privat“ gibt, und dass das GELD, das man verdient, auch eine Art Schmerzensgeld dafür ist, nicht immer nur das tun zu können, was einem gerade Spaß macht.
Und doch: Ich bin noch immer die Alte, zwar mit gebremstem Schaum, sehr viel kompromißfähiger – aber letztlich schaffe ich es noch immer nicht, Dinge zu tun, von denen ich nicht überzeugt bin. WILL es auch garnicht schaffen, solange nicht gerade das Verhungern droht.
Im Networking hatte ich das Problem bisher nicht. Es gibt so unendlich viel zu tun, man muß sich ja nicht gerade etwas aussuchen, wofür man sich „zusammenreißen“ müßte. Doch aktuell sitze ich an einer Website, deren Zielsetzung ich derart daneben finde, daß sich mir die Fußnägel kräuseln. Ich konnte nicht voraussehen, daß es so kommen würde, denn ursprünglich bezog sich mein Auftrag auf ein recht hübsches Projekt, hinter dem ich auch stehen konnte. Mittlerweile aber – in Netzzeiten ändert sich alles im Handumdrehen – hat das Projekt völlig andere Perspektiven bekommen, getrieben von den VC-Kapitalgebern, denen das WAS völlig egal ist, Hauptsache, da ist eine „Verkaufsplattform“ in Sicht, ob die nun sinnvoll oder auch nur erfolgversprechend ist, mal dahingestellt.
Wie öde, genau DAS hab‘ ich nie gewollt!!! Ich habe mich wirklich beeilt, meinen Vertrag zu kündigen, um wieder Dinge mit Hand & Fuß (und Freude!) tun zu können, doch im Juni bin ich noch in der Pflicht, muß mich also „zusammenreißen“ und zähneknirschend inhaltlichen Schrott produzieren.
Ich sitze also da, starre auf den Webeditor und bekomme kaum etwas zustande – wie soll mensch auch kreativ sein, wenn „das Werk“ , das entstehen soll, meines Erachtens ohne Umweg in den Müll gehört? Man kann sich locker zusammenreissen, um Zahlen in irgendwelche Akten zu schreiben, aber etwas Neues & Schönes schaffen gelingt mir unter diesen Bedingungen einfach nicht. Kreativität ist an Engagement für die Sache gebunden – für mich zumindest. Wobei ich durchaus Freude an entlegenen Themen finden kann, wie zum Beispiel an Baustoffen oder Immobilien, Zahnarztpraxen und Seminarhäusern. Die Grenze ist aber erreicht, wenn das, was ich tun soll, von der Art ist, daß ich dagegen antreten würde, mal angenommen, ich gehörte zur „Zielgruppe“.
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