Es ist kurz vor zehn. Ich bin spät aufgestanden und lese – wie immer – erstmal die neuesten Nachrichten. Es folgen Mails und Blog-Kommentare, die ich auch gleich beantworte. Manch‘ einer verführt mich, zu schauen, wer der Autor ist: ich klicke mich weiter auf fremde Blogs, scanne schnell ein paar Einträge, zappe dann wieder zu den „meist erwähnten“ Beiträgen, die Rivva versammelt: Westerwelle, Paid Content, German Privacy und die Hegemann-Debatte treiben „die Welt“ gerade um. Aha.
All das geht ungeheuer schnell, genauer gesagt: fast so schnell, wie ich denken kann. Und: ICH bin die Macht, die all das heran und wieder weg klickt, genauso dynamisch, wie ich es mir gerade zumuten will, nicht mehr, nicht weniger. Niemand pfuscht mir rein in meine virtuellen Bewegungen, die so herrlich leicht von statten gehen: noch ein Mausklick mehr kostet keine Kraft, geistige Ermüdung wird erst nach Stunden spürbar, wenn überhaupt.
Was für eine wunderbare Welt: Information at your fingertipps, gedankenschnelle Interaktionen, Leichtigkeit des Seins, Schöpfen aus unendlicher Fülle, ganz nach eigenem Belieben. Mein Übergang vom Konsumieren zum Produzieren ändert wenig an diesem Gefühl: ich bereichere die Vielfalt, wähle dabei aus unzähligen Möglichkeiten, gebe dem Text, dem Bild, der Webseite, dem Blogbeitrag Gestalt – für meine Auftraggeber, für mich, doch immer auch für „potenziell alle“.
Dann stockt der Fluss, ich bremse. Rufe mich zur Ordnung, zum Ausstieg bzw. zum Umstieg in die physische Welt. Muss mich losreißen aus der Welt der Leichtigkeit und eintreten in die Zone der Schwere. Muss mich einmummeln, um die warme Wohnung zu verlassen. Draußen ist strenger Winter, die Gehwege sind 10 cm hoch vereist, unregelmäßig, so dass jeder Schritt Konzentration erfordert. Hier folgen die Taten nicht den Gedanken, sondern die Wahrnehmung mit allen Sinnen steht an erster Stelle. Der Kopf muss frei von Überlegungen sein, wenn ich nicht stürzen will. Alle Kapazitäten fließen ins Gewahrsein dessen, was als „Info“ über die Sinne herein kommt. Blitzgeschwind muss ich KÖRPERLICH reagieren, balancieren, voran schreiten, ausweichen, drüber steigen. Und nein, es ist nicht leicht, mein Körper wiegt ja was – derzeit sogar ein paar Kilo mehr als noch im Sommer. Ich spüre die Schwere, die so ganz anders ist als bloß mal eine Hand über der Tastatur schweben zu lassen.
Die physische Welt kostet Kraft, reale Muskelkraft. Genau deshalb suche ich sie auch gerade auf: um mir die Kraft zu erhalten, die der altmodische Körper braucht, um gesund zu bleiben. Damit das nicht zuviel Zeit kostet, gehe ich zu Kieser, ein sehr spezielles Fitness-Center nur zwei Straßen weiter. Die haben das Kraft-Gewinnen konzentriert und optimiert: keine Laufbänder und Fahrräder, keine Hüpfkurse, keine Bar, keine Sauna, keine Musik. Nur eine Fabrikhalle, eine spartanische Umkleide, die Kraftmaschinen und ich. Früher hätte ich über diesen Purismus gelästern, heute weiß ich, wofür das gut ist. Minimaler Aufwand, maximaler Kraftzuwachs – was will man mehr? An zehn Maschinen vollführe ich jeweils zwölf mal eine einzige Bewegung, mehr ist nicht angesagt. Hinzu kommen bis zu vier Voreinstellungen pro Maschine. Da bin ich noch ein wenig langsam, denn ich fange erst an. Bald aber wird mich das Ganze nicht mehr als zweimal die Woche 40 Minuten kosten – und schon kann ich wieder zurück ans heimische Gerät!
Zurück dahin, wo alles so leicht ist, dass die Muskeln schwinden. Wo Arbeit wie Spiel ist und die Macht, etwas zu machen, schier unendlich – bis zum nächsten Transfer.
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