Der Zeitpunkt könnte nicht unpassender sein, mag man denken: die Wirtschaft schwächelt, das BIP schrumpft, Exporte sinken, Firmenpleiten häufen sich, manche verlagern ins Ausland, die Infrastruktur ist marode und vor allem fehlen überall Arbeitskräfte. Aber trotz alledem setzt sich ein Trend fort, der schon seit Jahren nicht zu übersehen ist: Die Menschen wollen nicht mehr, sondern weniger arbeiten, und nicht nur das: Sie wollen im Job auch gut bezahlt werden und sich wohl fühlen – na sowas!
Seit Monaten wird für dieses Ziel so viel gestreikt wie noch nie. Aktuell streiken die Lokführer in der GDL zum 5.Mal und Luisa Jakobs (DIE ZEIT) schreibt unter dem ermunternden Titel „Bitte durchhalten“:
„Die GDL will mit der 35-Stunden-Woche genau das, was sich die meisten Menschen in Deutschland wünschen: weniger Arbeit bei gleichem Lohn. Rund drei Viertel aller Befragten einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung hätten gerne eine Viertagewoche. Wenn die GDL nun dazu beiträgt, dass diese Arbeitszeitreduzierung kommt, macht sie genau das Richtige – im Sinne der Angestellten.“
Fakt ist: Das Gesetz von Angebot und Nachfrage gilt auch auf dem Arbeitsmarkt, was dazu führt, dass die Arbeitnehmenden zur Zeit mehr Macht haben, ihre Forderungen durchzusetzen. Dass die Löhne und Gehälter mit der hohen Inflation der letzten Jahre nicht mitgehalten haben, während die Gewinne das durchaus hergeben würden (z.B. Lufthansa hat Netto-Gewinn auf 1,7 Milliarden Euro verdoppelt), kommt zu den Wünschen nach Arbeitszeitverkürzungen noch hinzu.
Teilzeitarbeit steigt und Generation Z hat keinen Bock auf Stress
Horst Schulte zitiert in seinem Blogpost zum Thema „Weniger Arbeiten“ aus Capital.de:
„Vor 30 Jahren arbeiteten 70 Prozent der angestellten Frauen Vollzeit, 30 Prozent Teilzeit. Heute sind wir bei 50 Prozent zu 50 Prozent. Die Teilzeitquote bleibt bei Frauen bis zum Ende des Erwebslebens dabei konstant hoch. Männer arbeiten weiterhin mehrheitlich Vollzeit, wenngleich auch hier die Teilzeitquote anzog auf zwölf Prozent.“
Pro Kopf wird also weniger gearbeitet, nicht etwa mehr, wie sicher nicht nur Horst fordert. Und Susanne Nickel (Expertin für Arbeit und Wandel) hat gleich ein ganzes Buch über die Generation Z geschrieben mit dem provokanten Titel „Verzogen, verweichlicht, verletzt“. Im FOCUS beklagt sie, dass die Gen Z sich verhält, als ginge sie die ganze Misere im Land nichts an:
„Junge Leute strömen nicht auf den Stellenmarkt, sondern schlendern, bleiben dabei gerne stehen, schnuppern mal hier, dann wieder dort, um am Ende zu sagen: Ach nö, heute doch lieber nicht. Arbeit kann warten. Denn Mama und Papa zahlen weiter die Wohnung, das neue Smartphone und die Reise nach Thailand oder Indonesien.“
Und wenn sie dann arbeiten, haben sie hohe Ansprüche:
„Die Jahrgänge von 1995 bis 2010 lieben das Homeoffice. Sie wollen „remote“ arbeiten, was heißt: möglichst da, wo der Chef nicht plötzlich auftauchen, kritisieren und Anweisungen geben kann. Und bloß nicht zu viel und zu schwer…. “. In der Generation Z werden nämlich die drei großen F’s gefeiert: Freizeit, Freiheit und Flexibilität. Das sind die „Werte“, die zählen – und nicht etwa Fleiß, Leistung und Karrierestreben.“
So ganz kann das allerdings nicht stimmen, denn Nickel schreibt weiter:
„Ganz oben auf ihrer To-do-Liste steht die Rettung des blauen Planeten vor dem Untergang durch den Klimakollaps. Tief verwurzelt ist der Glaube, dass der einzige Zweck eines Unternehmens der sei, einen Beitrag zu leisten, die Welt besser zu machen – und nicht etwa, dass es Familien den Lebensunterhalt und allgemein Wohlstand sichert.“
Eigentlich keine so schlechte Einstellung! Ist es nicht ein Fehler unseres Wirtschaftssystems, dass Unternehmungen eben oft NICHT „die Welt besser machen“, sondern immer noch weitere ressourcen-fressende Produkte auf den Markt werfen und Unsummen ins Marketing stecken, um uns einzureden, ihr neues Zeug hätte uns gerade noch gefehlt? Ja, ja, ich weiß, es muss Geld verdient werden, aber ist es wirklich unser aller Untergang, wenn die deutsche Wirtschaft mal nicht mehr „vorn dran“ ist?
Wann, wenn nicht jetzt?
Gäbe es genügend Arbeitskräfte, hätten alle, die für sich eine bessere Arbeitswelt fordern, keine Chance! Work-Life-Balance, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Zeit für andere Lebensinhalte – all das kann nur durchgesetzt werden, wenn die Arbeitgeber keine andere Wahl haben als diese Forderungen Ernst zu nehmen. Sogar Nickels hat Verständnis für den Wertewandel:
„Früher hieß es: erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Heute verkehren das Motto junge Leute ins Gegenteil. Was ich sehr wohl verstehe, denn die Generation Z ist aufgewachsen unter Eltern und Großeltern, die für den Job ihre Gesundheit ruinierten, manchmal – im wahrsten Sinne des Wortes – bis zum Umfallen schufteten und wochen- oder monatelang mit Burnout ausgeknockt waren. Wer das erlebt hat, wird versuchen, nicht in diese Falle zu tapsen.“
Und sie haben damit Erfolg, denn die Unternehmen gehen auf die Forderungen ein:
„Vier-Tage-Woche? Na klar! Sabbatical? Gerne! Home-Office? Selbstverständlich! Nachhaltiges Produzieren? Logisch! Klimaschutz? Ganz unser Ding! Die Anliegen dahinter sind sicher ehrlich und kein reiner Selbstzweck. Aber die Unternehmen wissen eben auch: Die Generation Z hat Macht. Denn junge Leute müssen keinen Arbeitsvertrag unterschreiben, wenn ihnen was nicht passt. Es gibt genug Firmen, die händeringend Personal suchen.“
Wie habe ich es gemacht? (Autobio Arbeitsleben)
Als ich ins Arbeitsleben hätte hineinwachsen sollen, hab‘ ich mich dem, was ich in diversen Schüler- und Studi-Jobs erlebte, durchweg verweigert. Mein Vater hätte es gerne gesehen, wenn ich wie er eine Lebensstellung „beim Staat“ angestrebt hätte. Sein Beispiel war allerdings extrem abschreckend, ich hatte nie den Eindruck, dass er sich für seine Arbeitsinhalte (statistisches Bundesamt) interessiert hätte. Er lebte für den Urlaub und machte häufig und lange krank.
In Behörden und kleinen Unternehmen erlebte ich dasselbe: Die Leute redeten wesentlich davon, was sie sich kaufen würden und wohin sie dieses Jahr in Urlaub fahren. Gerne feierten sie während der Arbeitszeit feuchtfröhlich (!) Geburtstage, Jubiläen und das Ausscheiden in die Rente (mit Reden, als würde der künftige Rentner gerade begraben!). Als ich nach einem vergeblichen Versuch, in das Studium „Kunsterziehung“ zu kommen „was Vernünftiges“, nämlich Jura studierte, sagten mir die Chefs im BKA, wo ich zweimal kurz jobbte: „Kommen Sie zu uns, wenn Sie fertig sind! Sie können gleich mit BAT 2A anfangen!“ Ich dachte mir: Nicht für alles Geld der Welt mach ich das! Denn auch hier waren sie hauptsächlich damit beschäftigt, untereinander Fehden auszutragen und eine möglichst ruhige Kugel zu schieben. BAT 2A konnte mich nicht locken, obwohl mein Vater es in seinem Arbeitsleben nur von BAT 9D bis 4A gebracht hatte!
Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, so viele Stunden jeden Tages mit Arbeiten zuzubringen, die mich inhaltlich nicht interessierten. Das aber schien der Standard in der Arbeitswelt zu sein, wie ich sie nach dem Abi kennen lernte. Als ich im Jura-Studium „alle Scheine“ hatte, rückte das nach dem 1.Examen anstehende Refrendariat in mein Blickfeld: Zwei Jahre durch Behörden und Gerichte turnen – meine Einstiegsidee für Jura war „Rechtsanwältin“ gewesen, aber das wollte ich mir nun nach diversen Erfahrungen in dieser Welt nicht mehr antun!
Ab nach Berlin
Ich brach das Studium ohne Examen ab und zog mit meinem Freund nach Berlin (wo die Verrückten sind), der dadurch Bundeswehr und Zivildienst entkommen konnte. Das war die beste Entscheidung meines Lebens, denn fortan tat ich vieles, das mir Freude machte und mich faszinierte, studierte Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation, wurde Aktivistin (Mieten, Sanierung, Hausbesetzungen), arbeitete gelegentlich kurzzeitig in prekären Jobs, dann zunehmend in selbst geschaffenen Arbeitsverhältnissen (mieterfreundliche Sanierungsbegleitungen etc.), führte ein Jahr lang eine Kneipe, verbrachte Zeiten bei einem Freund in der Toskana, machte schließlich eine Umschulung zur EDV-Fachkraft, wurde Projektleiterin in einem Träger für Klimakampagnen – und entdeckte in den 90gern das Internet. Die Selbstständigkeit kam wie von selbst, indem Leute meine autodidaktisch gelernten Fähigkeiten nachfragten. Seitdem ist Homebüro mein Ding – Flexibilität und Freizeit inklusive.
Wie könnte ich mich also über die jungen Leute aufregen, denen es an der „richtigen Einstellung zur Arbeit“ mangeln soll? Ganz im Gegenteil freut es mich, dass bei ihnen jetzt Mainstream ist, was ich „in den Nischen“ immer schon lebte.
Und die deutsche Wirtschaft? Die wird es überleben, denke ich. Vielleicht nicht auf dem gewohnten Top-Niveau, aber warum sollten wir darauf eigentlich ein Abo haben? Immerhin kommen viele Menschen ins Land, die ehrgeizig und äußerst arbeitswillig sind. Da müssen Staat und Wirtschaft eben auch mal flexibler werden, um ihnen den Einstieg zu erleichtern, wo immer es geht!
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18 Kommentare zu „Auch eine Zeitenwende: Weniger arbeiten, angenehmer arbeiten – ausgerechnet jetzt?“.