Zum Thema „Gute Online-Texte. Schreiben für das Internet“ hat mich Tillmann Scheele auf seinem Blog Maclites befragt. Obwohl das Interview ein Format ist, das unter Bloggern und auch schon in den 90gern gang und gäbe ist, mutet es mich doch immer noch seltsam an, so zum „Gegenstand“ eines langen Artikels zu werden.
Nun, in Wahrheit ist es ja gar nicht so: es geht um die Texte, um Tipps für Blogger und um allerlei Rahmenbedingungen „rund ums Webben“ – eigentlich genau das, was zu meinem Webwriting-Magazin, das Tillmann als Ausgangspunkt wählte, gut passt. Und doch beschlich mich während der Beantwortung der Fragen ein wenig das Gefühl, dass wir da ein Thema besprechen, das in dieser Form gerade dabei ist, Richtung Vergangenheit abzudriften: Geht es wirklich noch um TEXTE? Führen wir nicht mehr und mehr GESPRÄCHE?
Natürlich waren Texte immer schon Gespräche: die Leitartikel der Printmedien zu aktuellen Fragen, die wissenschaftlichen, politischen und philosophischen „Gespräche“, die seit Gutenberg in Buchform und in Magazinen geführt wurden: hier sprachen Autoren als Autoritäten über ihr Thema, das Publikum durfte lesen und bewundern, doch mitdiskutieren wurde nicht unterstützt. Ok, in den Zeitungen gab es den Leserbrief, doch von „gleicher Augenhöhe“ konnte da nicht die Rede sein. Der Text war eben nicht bloß Gesprächsbeitrag im Rahmen eines Wissens- oder Politikfeldes, sondern vor allem Ware: als knappes Gut in recht langen Produktionszyklen von den Verlegern aufbereitet und vermarktet.
Text als Ware? Vorbei!
Nun sind Texte heute alles mögliche, aber nicht mehr knapp! Ihr Warencharakter verschwindet, da es die Produktionsmittel nun „jedem“ gestatten, die eigenen Beiträge mit geringstem Aufwand ins „große Gespräch“ einzuspeisen. Und weil es ein großes menschliches Bedürfnis ist, wahrgenommen zu werden und „den eigenen Senf“ zu allem, was einem wichtig erscheint, dazu zu geben, ergießt sich ein Ozean unterschiedlichster Texte ins Netz und spühlt beiläufig die alte Idee „Text als Ware“ auf den Müllhaufen der Geschichte.
Ob wir mit unseren Texten wahrgenommen werden, zeigt uns die Resonanz: liest es jemand? Gibt es Kommentare oder Zitate und Verlinkungen anderswo? Wer mit seiner Rede gehört und gelesen werden will, wird nicht im Traum daran denken, potenzielle Leser mit einer „Bezahlschranke“ auszuschließen. Das wäre ja, als würde jemand, der in einer Gesprächsrunde sitzt, darauf warten, dass ihm jemand ein paar Cent oder Euro zusteckt, damit er sich beteiligt – ein absurder Gedanke!
Von der Homepage zum Blog zum Webgespräch
Zur Zeit leiden auch viele sehr „netz-affine“ Menschen an der Zersplitterung der Gespräche in den „sozialen Medien“. Ein Beitrag wird nicht mehr unbedingt am „Ort“ seines Erscheinens diskutiert, sondern vielleicht auf Twitter, Facebook, Buzz und sonstnochwo. Der Versuch, „überall“ präsent zu sein, um keine Gespräche zu verpassen, löst zunehmend das Bemühen ab, auf der eigenen Website möglichst viele Besucher zu begrüßen. Damit verändert sich der Stellenwert des Blogs, bzw. des Webprojekts, auf dessen Ausgestaltung und „Branding“ noch kürzlich die meiste Energie verwendet wurde. Das ist es, was mir als untergründiges Gefühl während des Maclite-Interviews aufgefallen war, ohne dass ich es schon in Worte hätte fassen können.
Wenn sich die Dinge ändern, erleben wir das oft als Zumutung, bzw. sehen zunächst eine Verschlechterung: du lieber Himmel, nun muss ich nicht mehr „nur“ mein Blog pflegen und interessant halten, sondern auch noch auf allerlei „fremden Hochzeiten“ tanzen, damit ich nicht in der Versenkung verschwinde! Und allzu gerne ruht man auf alten Lorbeeren aus und beurteilt das Neue von oben herab als überflüssig: eitler Tand für aufmerksamkeitsgeile Spinner, die allüberall ihre Stimmfühlungslaute verteilen müssen im Stil eines „hallo, es gibt mich auch!“
Personen führen Gespräche, nicht Texte
Falsch! Wer sich einlässt und mit demselben Herzblut, das kürzlich noch allein in die Ausgestaltung der eigenen „Web-Heimat“ floss, den neuen „verteilten Gesprächen“ widmet, wird auch die neuen Qualitäten erkennen, die erstmal weder besser noch schlechter sind, jedoch gewöhnungsbedürftig anders. In den SocialMedia bin ich nämlich nicht mehr „Digital Diary“ oder „WebwritingMag“, sondern zuvorderst Claudia Klinger, manchmal auch ClaudiaBerlin und „HumanVoice“.
Es stört bei dieser Veränderung überhaupt nicht, auf Blogs „gute Texte für das Internet“ zum Besten zu geben – im Gegenteil! ABER diese Texte alleine sind es eben nicht mehr, die „Bedeutung“ transportieren. Mehr und mehr sind es Personen, die uns etwas bedeuten, erkennbare Individuen, die mit authentischer Stimme sprechen, ganz egal, auf welcher Plattform man sie trifft.
Neu? War es nicht „eigentlich“ immer schon so? :-)
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11 Kommentare zu „Über Texte als Ware und Gespräch“.