Ja, das ist eine beeindruckende Sampling-Arbeit: Der Amerikaner Eric Whitacre hat aus rund 185 Sängern einen „virtuellen Chor“ erschaffen. Die beteiligten Sänger und Sängerinnen haben ihren jeweiligen Part alleine aufgenommen und in Gestalt eines Videos beigetragen, die dann von Whitacre „zusammen gebastelt“ wurden. Das gesungene Stück ist – wen wundert’s! – kein bekanntes Chorwerk, sondern von ihm selber nach einem Gedicht von Edward Esch komponiert. Lux Aurumque heißt es („goldenes Licht“, wenn mich mein Latein nicht im Stich lässt).
Interessant als Projekt, ja – aber musikalisch lässt das Ergebnis des Zusammenschnitts schwer zu wünschen übrig. Ungemein „verhallt“ nähert sich das doch ursprünglich aus menschlichen Stimmen bestehende Computat dem Eindruck sphärischer elektronischer Musik, so in Richtung wabernder mystischer Klangteppich. Und wer mal selber mit einer entsprechenden Software gespielt hat, weiß, wie einfach es ist, aus einer einzelnen Stimme ALLES zu machen, was man haben will! Nur verspielt man dabei eben die Besonderheit der menschlichen Stimme, die zu nichts als einem beliebig malträtierbaren Datenstrom degradiert wird.
Ein Chor ist mehr als das, was gesungen wird
Ganz zu schweigen vom sozialen und emotionalen Aspekt, der gemeinsames Chorsingen erst zu dem macht, was es ist. Dabei ist wohl definiertes verständliches Singen der Texte (!) das eine, das intuitive Mitgehen und Mitfühlen das Andere. Die große Freude, mit vielen zu einem „Klangkörper“ zu verschmelzen – und zwar hier und jetzt (neudeutsch „Echtzeit“), mit der Möglichkeit, in jedem Augenblick zu scheitern und das Ganze mit einer Dissonanz auseinander fallen zu lassen – das kann kein virtueller Chor auch nur ansatzweise vermitteln.
Ein Chor ist eine wunderbar aktive und kreative Art, zusammen zu kommen und Gemeinsamkeit zu erleben. Das musikalische Ergebnis ist dabei wichtig, doch ebenso wichtig ist das Erleben selbst – nämlich eines, in dem die aufeinander eingespielten Teilnehmer sich als nicht ohne weiteres ersetzbar erleben. Es hat schon was Bedrückendes, wieviel Herzblut und Hirnschmalz Menschen heute darauf verwenden, solche urmenschlichen sozialen Formate mittels Computer und Internet (vermeintlich) überflüssig zu machen.
Auch zum Thema:
Eric Whitacre und sein etwas anderer Chor;
Eric Whitacre dirigiert den Chor der Zukunft;
“Lux Aurumque”, ein virtueller Chor aus 185 Sänger/innen;
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15 Kommentare zu „Warum ich keinen virtuellen Chor brauche“.