Wolfgang v. Sulecki bricht auf seinem Blog RELAtief eine Lanze für die Wehrpflicht, deren Wiedereinführung laut einer Umfrage der Meinungsplattform YouGov aktuell von einer Mehrheit der Bundesbürger gewünscht wird. Er schreibt dazu:
„Wie sich herausstellt war die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht schon zur Zeit des dafür notwendigen Beschlusses ein Fehler. Der allgemine *Erziehungsfaktor* zur staatsbürgerlichen Verantwortung der Generationen wurde durch ein *laissez-faire*-System ersetzt. Der Beliebigkeit des Staatsverständnisses, ja des Demokratieverständnisses wurde abrupt Tür und Tor geöffnet.“
Wirklich? Hat denn die zwangsweise Einberufung großer Teile der männlichen (!) Jugend wirklich mehr „staatsbürgerliche Verantwortung“ gebracht? Und was war mit den Frauen? Die durften ganz ungestört einem beliebigen Staatsverständnis frönen und niemand hat sich dran gestört!
Mich wundert dieser Blogpost! Ich bin uralt genug, um mich gut an die Zeiten der Wehrpflicht zu erinnern: Es war eine leidige Pflicht, der man gerne entkommen wollte: Durch Zivildienst oder Umzug nach Berlin. Und jene, die Wehrdienst leisteten, machten es, weil der kürzer war als Zivildienst, nicht aufgrund toller Motive wie „Demokratie durch Dienst an der Waffe stützen“ oder dergleichen!
„Es geht also nicht um das WOLLEN,
sondern Erfüllung einer (bitteren) NOTWENDIGKEIT
wenn das Staatswesen und bürgerliche Freiheiten erhalten bleiben sollen!“
Von „bitterer Notwendigkeit“, die jeder einsehen konnte, war zu Zeiten des kalten Kriegs unter dem Schutz der USA keine Rede. Der Wehrdienst wurde als Zeit sinnlosen Herumhängens in Kasernen erlebt, wenn die Zeit der drastischen (und viele körperlich überfordernden) Grundausbildung vorbei war. Artikel 5 und die atomare Abschreckung erschien als völlig ausreichend, warum also Hunderttausende als Fußvolk halten – wozu? Deshalb war es sinnvoll und kein „Fehler“, die Wehrpflicht auszusetzen, sie sogar faktisch abzuschaffen, denn die Infrastruktur dazu wurde auch nicht weiter erhalten.
Heute sieht das wegen Trump und Putin wieder anders aus, das sehe ich auch so. Ob es aber eine WehrPFLICHT braucht, um Europa ohne die USA wieder verteidigungsfähig zu machen (oder auch nur das neue Soll der NATO zu erfüllen), da bin ich mir nicht so sicher!
In der YouGov-Umfrage fanden insgesamt 56% der Befragten die Wiedereinführung der Wehrpflich „eher sinnvoll“ óder „voll und ganz sinnvoll“. 12% hatte noch keine Meinung dazu. Bei den potenziell Betroffenen zwischen 18 und 25 fanden das Vorhaben 26 % „eher sinnvoll“, 8 % standen „voll und ganz“ dahinter, 16 % wussten noch nicht, was sie davon halten sollen. Das wird meist hämich kommentiert: Aha, die Älteren wollen also die Jugend in den Wehrdienst schicken, die das aber zu 51% ablehnen! Man könnte es aber auch positiv sehen: Immerhin 34 % finden die Wehrpflicht sinnvoll – das ist doch ein ordentliches Potenzial, aus dem man vielleicht genügend Freiwillige gewinnen könnte.
Freiwillige vor!
Sechs Millionen Bundesbürger/innen sind zwischen 18 und 24 Jahre alt, grob geschätzt sind die Hälfte davon männlich. Das sind doch recht viele! Und weiter: Zum freiwilligen Dienst können auch Ältere gewonnen werden und seit 2001 stehen auch Frauen alle Laufbahnen einschließlich der Kampftruppen offen. Auf bundeswehr.de wird zur aktuellen Lage gemeldet:
„Nach Jahren des Schrumpfens ist die Bundeswehr seit dem Jahr 2016 personell wieder auf Wachstumskurs…. Derzeit sichern über 260.000 Menschen – 182.857 in Uniform und 80.973 in Zivil – die personelle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr.“
Braucht es da wirklich die Wehrpflicht? Oder sollte man nicht eher die Anreize, die Bezahlung und die Rahmenbedingungen für die Freiwilligen verbessern? Ich hab‘ kürzlich gelesen, die Schwierigkeiten, mehr Freiwillige zu gewinnen, läge nicht grundsätzlich an mangelnder Bereichtschaft, sondern wesentlich daran, dass sich die Leute im freiwilligen Wehrdienst langweilen! Auch das mangelhafte Euqipment spielt dabei eine Rolle – und das sollte jetzt – mit so viel Geldregen – doch eigentlich besser werden. Wenn die Realität des Dienstes den Action-intensiven Werbevideos („wir sind modern und schlagkräftig, wir arbeiten im Team und mit neuester Technik„) mehr ähneln würde, hätten vielleicht mehr junge Menschen Bock drauf.
Und warum eigentlich nicht von den USA lernen? Über den den Wehrdienst zur Staatsbürgerschaft:
„Die Zahl der aktiven Soldaten in den USA nimmt seit Jahren ab. Deshalb werden rund 8000 Ausländer jedes Jahr ins US-Militär aufgenommen, die meisten kommen aus Mexiko oder den Philippinen. Im Gegenzug können sie die amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten.“
Ich glaube nicht an die Wiedereinführung der Wehrpflicht, auch weil das bedeuten würde, jede Menge Unwillige in den Dienst zu zwingen – bei riesigem organisatorischem Aufwand! Der Beschluss der letzten Bundesregierung, alle anzuschreiben, die 2025 volljährig werden und das Interesse abzufragen, um Freiwillige zu gewinnen, geht dagegen in die richtige Richtung.
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24 Kommentare zu „Wieder Wehrpflicht: Brauchen wir die wirklich?“.