„EXIT“ steht in großen roten Lettern auf dem Umschlag des Buchs von Meinhard Miegel, mit dem „einer der renomierstesten Sozialwissenschaftler Deutschlands“ (Klappentext) antritt, Wege aus dem Dilemma unserer Zeit zu weisen. Er widmet sein neuestes Werk „denen, die über den Tag und Tellerrand hinaus schauen“, womit ich mich durchaus gemeint fühle. Zudem bewegt mich das Wachstumsproblem schon länger, erscheint der Zwang zum ständigen „Mehr von allem“ doch schier unlösbar, ähnlich einem ZEN-KOAN, das auch nicht mit dem Mitteln des Intellekts gelöst werden kann.
Miegel schrieb sein Buch 2009 inmitten der Finanz- und Wirtschaftskrise, die ihm für sein Thema eine Steilvorlage bot. Im Einleitungskapitel „Wachstum Wachstum über alles“ geht er mit einer Politik ins Gericht, die mit Rettungsschirmen, Abwrackprämien und riesigen Konjunkturprogrammen den Karren noch weiter in den Dreck schiebt und sämtliche hehren Ziele (Haushaltskonsolidierung, Umweltpolitik, Generationengerechtigkeit, Ordnungspolitik etc.) in die Tonne tritt, sobald das Wachstum mal ein wenig schrumpft. Und zwar im Konsens von rechts bis links, national und international, im Konsens auch von Unternehmern und Gewerkschaften, die allesamt wie Süchtige am Tropf des Wachstums und seiner Finanzierung aus immer mehr Schulden hängen.
Mit gewaltigen Worten beschreibt Miegel die Krise nicht als Ausnahme, sondern als Regel – und sogar als „überfällig“, denn wäre sie später gekommen, wären die Folgen drastischer gewesen. Folgen, die er insgesamt als recht geringfügig ansieht, denn weltweit sei das Wachstum nur um ein Prozent gesunken, und:
„Die meisten haben nichts verloren, was sie jemals wirklich besessen haben….Was heißt es schon, wenn russische Oligarchen ein Drittel ihrer Milliarden einbüßen, sich die Aktienwerte halbieren und die Preise für Immobilien um ein Fünftel sinken. Damit sind diese Vermögen immer noch sehr viel mehr wert als vor sieben oder acht Jahren. Und die verloren gegangenen Arbeitsplätze? Selbst auf die Gefahr hin, abermals zynisch zu klingen: Die Krise hat im Wesentlichen nur ARbeitsplätze vernichtet, die auf Sand gebaut waren. Das ist für die Betroffenen kein Trost und sie haben Anspruch auf die Solidarität der Gemeinschaft. Aber halbwegs sicher waren diese Arbeitsplätze eben nicht. Sie waren errichtet auf einem großen Schuldenberg. Mit dem Ende der schuldenfinanzierten Wohlstandsillusion tritt wieder die Wirklichkeit zutage – die keineswegs trostlos ist, sondern nur weniger gleißend“.
Als „im Rausch“ beschreibt er in einem weiteren Kapitel das Verhalten sämtlicher Akteure, die auf durchaus vorhandene Crash-Warnungen nicht gehört, sondern die Party des exzessiven Schuldenmachens gerne mitgefeiert hätten – und zwar vom Banker über Politiker und Unternehmer bis hin zu vielen Einzelnen, die es heutzutage als selbstverständlich ansehen, sich jedweden Luxus auf Pump zu gönnen. Abgekoppelt von jeglicher realen Wertschöpfung entwickelte sich auf der exzessiven Party ein „Geldschaum“, der allen die Sinne und den Verstand umnebelte. Im einem Kettenbrief ähnlichen System ging das so lange gut, so lange sich noch Menschen und Institutionen fanden, die sich die zweifelhaften Finanzpapiere andrehen ließen – bis die Frage virulent wurde, wer denn das alles mal bezahlen sollte. Dann folgte der bekannte Absturz mit der drastischen Ernüchterung, die – wie wir heute sehen – schon wieder neuer „Schaum-Schlägerei“ gewichen ist.
Dem fulminanten Einstieg ins Thema über eine fetzige und ausführliche Krisenbeschreibung folgt im Buch dann die Analyse zum Stellenwert des Wachstums in den letzten Jahrzehnten. Darauf werde ich vielleicht in einem zweiten Teil eingehen – demnächst in diesem Theater!
Update: eine wirkliche Antwort bringt das Buch nicht. Es bleibt bei Klage und Analyse stehen und setzt im letzten Teil ein klein wenig auf freiwillige Life-Style-Veränderungen in gesättigen Industrienationen. Zu wenig Lösung für ein allzu großes Problem.
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Siehe dazu auch:
- Wahnsinnige Wachstumsbeschleunigung
- Nachhaltigkeit: Nicht die Armut, das Wachstum muss bekämpft werden (ZEIT/Meinung)
- Grüne kämpfen gegen die Wunderwaffe Wachstum (SPIEGEL)
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4 Kommentare zu „Gelesen: Meinhard Miegel – Wohlstand ohne Wachstum“.