„Wenn Ihr an der Schwelle zum Einschlafen konzentriert den Atem beobachtet, werdet Ihr erstaunliche Entdeckungen machen!“ Diese, nicht weiter erläuterte Bemerkung meines Yogalehrers fällt mir immer wieder ein, wenn ich an eben dieser Schwelle Zustände erlebe, die „weder wach noch Schlaf“, jedoch höchst seltsam sind.
Jeder kennt den Wachzustand und das Träumen, manche erleben gelegentlich luzide Träume jener Art, in der uns bewusst wird, dass wir träumen. Davon unterschieden sind die sogenannten „Out-of-Body-Erlebnisse“ (OOBE), in denen man sich außerhalb des Körpers wähnt, zum Beispiel „an der Decke schwebend“ mit Blick nach unten auf den eigenen, schlafenden Körper. Dieses Phänomen wirkt sehr spektakulär, gleichzeitig beängstigend und beglückend: legt es doch den Schluss nahe, dass wir „nicht nur der Körper sind“, sondern zumindest temporär „außerhalb“ existieren können. Klingt völlig irre, ich weiß, ist aber ein weltweit bekanntes Erleben, das Menschen aller Zeiten auf verschiedenste Weise deuteten: von der Konstruktion besonderer Jenseitswelten bis hin zur Etikettierung als spontane „psychische Dissoziation“ unserer nüchternen Wissenschaften.
Diese OOBEs hab‘ ich vor zwei Jahrzehnten mehrfach erlebt, was mich zu einigem Forschen und Experimentieren veranlasste, bis ich die Sache zu den Akten legte: ich will ja nicht RAUS aus meinem Körper und wo auch immer nutzlos herum schweben, sondern hierjetzt mit meiner ganzen Leiblichkeit in größtmöglicher Wachheit mein Leben leben.
Wenn der Körper schläft und der Geist noch wach ist
Gleichwohl muss ich die OOBE-Erfahrung erwähnen, denn sie hat mit dem, was ich heute als „Merkwürdigkeiten“ erlebe, etwas gemeinsam: Die Starre des Körpers, die dem noch wachen Geist als Lähmung erscheint. Der Zustand tritt beim Einschlafen auf, das zunächst „ganz normal“ verläuft, jedoch ohne Eintreten in eine Traumhandlung. Ich liege dann auf dem Bett, wähne mich eben noch am „hinüber gleiten“, doch plötzlich verändert sich das Befinden drastisch: zwar weiß ich, dass ich zuhause im Bett liege, doch sind die damit verbundenen Sinneseindrücke seltsam bis verstörend – sowohl, was den eigenen Körper angeht als auch bezüglich der Wahrnehmung der Umgebung. Obwohl ich die Augen nicht öffnen und mich nicht rühren kann (!), meine ich Details des Zimmers zu erkennen, die sich jedoch auf seltsame, manchmal verstörende Art verändern. Z.B. lärmt der zwei Meter entfernte Fernseher und sendet eine laute Kakaphonie nicht interpretierbarer Töne, der Bildschirm zeigt monströse, zersplitterte Formen, zu denen mir jetzt auch nichts einfällt außer dass der Gesamteindruck beängstigend ist. Oder der Schrank rückt näher, schillert in seltsamem Licht, im Raum ist ein Getöse, das ich nicht in erkennbare Komponenten zerlegen kann. Nicht immer ist es so laut, manchmal beschränkt sich alles auf optische Seltsamkeiten, begleitet von leiseren, jedoch immer uninterpretierbaren Geräuschen – alles unglaublich absurd!
Der Körper als Gefängnis
Weil ich mich dabei aber als „wach“ empfinde und das Phänomen bereits kenne, bleibt meine Erregung in erträglichen Grenzen. Zwar klopft mir das Herz bis zum Hals, doch besinne ich mich dann auf den Körper, die Sinnesempfindungen des „auf dem Bett liegens“, um so in die gewöhnliche Wachrealität zurück zu finden. Das aber ist nicht ganz leicht: der Körper ist wie ein Gefängnis und zunächst absolut nicht steuerbar: es ist, als würde ich innerhalb der Körpergrenzen eine zweite Existenz führen, die die Verbindung zu jenem normalen physischen Körper gekappt hat. Ich nenne es „die Starre“, die im übrigen auch Anderen, die ähnliches erleben, nicht unbekannt ist.
Je nachdem wie beängstigend die Erfahrung gerade ist, schwanke ich dann ein wenig zwischen der Idee, wieder ins Experimentieren einzutreten, mich „hinaus zu schwingen“ bzw. es mal wieder zu versuchen – oder einfach alles seinen Gang gehen zu lassen, ohne mich dem Komme-was-da-wolle zu entziehen. Da die Empfindungen aber auch körperlich beängstigend sind (es ist nicht nur ein „Film“, auch kein übliches Traumerleben, in dem man sich ja körperlich ganz normal fühlt), versuche ich alsbald, zu „erwachen“, indem ich in die starren Gliedmaßen hinein spüre und versuche, mich zu bewegen. Mal ist es mir in diesem Zustand passiert, dass ich die Arme hob, meine Hände zusammen führte, so dass sich die Finger berührten – ich spürte die Berührung, sah aber die Hände nicht. Weil die physischen Arme immer noch starr und reglos auf dem Bett lagen!
Nach einiger Zeit geht es dann doch wieder: das „normale“ Körpergefühl kommt in der gleichen Langsamkeit zurück, wie etwa ein eingeschlafener Fuß wieder erwacht, von dem man nichts mehr spürte. Manchmal erlebe ich die ersten erfolgreichen Bewegungsversuche als unendlich schwer: viel Kraftaufwand für millimeterweises Bewegen! Dann wird es besser, ich erreiche mein volles Körpergefühl, bin wieder ganz „angekommen“ und nun endlich „normal wach“. Der Kreislauf tut, als läge tatsächlich eine Anstrengung hinter mir, das Herz klopft, ich fühl mich wie nach einem Albtraum, doch ohne die dafür typischen Handlungsfetzen in der Erinnerung. Insgesamt erlebe ich bei alledem ein kontinuierliches, reflektionsfähiges Bewusstsein ohne jeden Bruch, was die ganze Sache umso seltsamer macht.
Wenn ich Pech habe, gleite ich beim nächsten Entspannen erneut in den Zustand. Dann aber riskiere ich es nach „zurück finden“ nicht noch einmal, sonder lese oder schalte das TV an.
Meine Interpretation
Ich vermute, das ganze Phänomen gründet tatsächlich im zufälligen Wachbleiben des Geistes bei gleichzeitigem Einschlafen des Körpers. Auch normales Träumen ist ja eine geistige Aktivität, die allerdings erst nach vollständigem Einschlafen bzw. beim Herauskommen aus der ersten Tiefschlafphase einsetzt. Im Tiefschlaf selber gibts normalerweise kein Träumen. Mein Körper versackt also während dieses „Zustands X“ in den Tiefschlaf, während das Bewusstsein ausnahmsweise ungebrochen wach bleibt. Die Wahrnehmungen, die nun gemacht werden, vor allem die des schlafenden, nicht mehr bewegbaren Körpers, sind dermaßen außerhalb des Gewohnten und Gekannten, dass das Gehirn eben „frei assoziiert“ und mir die seltsamsten Bilder und Interpretationen vorspielt. Was dann zu entsprechenden Gefühlreaktionen führt, da ich mich mit völlig abnormen, nicht ins normale Weltbild passenden Eindrücken konfrontiert sehe. Der Verlust der Kontrolle über die physische Ebene in Kombination mit diesen Seltsamkeiten ist es dann, was der Erfahrung ihren verstörenden und beängstigenden Charakter gibt.
Ich vermute, dass ein großer Teil der Märchen und Mythen, wie auch der Anderland- und Jenseits-Geschichten der Menschheit in diesem Zustand und seinen Varianten gründen. Hält man nämlich nicht so sehr wie ich es tue am Gewahrsein der realen Situation fest, sodern „lässt es laufen“, dann mischen sich durchaus eigendynamischere, normalen Träumen ähnelnde Inhalte ins Erleben – bis hin zu Reisen in „andere Welten“ und Begegnungen mit Geistern und Göttern, Heiligen und Gnomen (oder was immer der persönliche magische „Überbau“ hergibt).
Ein Sizilianer erzählte mir mal, dass in seinem Heimatdorf alle den kleinen bärtigen Geist kennen, dem er auch selbst schon begegnet sei. Es heiße, wer es schafft, ihn am Bart zu packen, dürfe sich etwas wünschen – allerdings sei ihm das leider nicht gelungen! Ich fragte ihn, warum er es nicht geschafft habe, worauf er meinte: Weil ich mich nicht bewegen konnte, als er in der Ecke des Zimmers stand und zu mir herüber sah. Ich lag da und war wie gelähmt…
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9 Kommentare zu „Merkwürdigkeiten am Rande des Tiefschlafs“.