Zwischen 15 und 25 fand um mich herum der große Umbruch statt. 1968 war ich 14 und mein Vater sorgte sich, weil ich „Gammler“ (und bald darauf Hippies) spannend fand. Die saßen im Stadtpark, wo Rasen betreten eigentlich verboten war, spielten Gitarre, sahen wild aus und ließen den Joint kreisen. Wir Gymnasium-Girlies gesellten uns manchmal dazu, träumten von einem schulfreien Leben, von Reisen nach Indien und – tja, Freiheit halt, es war gar nicht nötig, so ganz genau zu wissen, was man wollte. Die alte Welt war in Bewegung geraten und wir wollten einfach mit.
Studentenproteste, APO, SDS und all das „Politische“ jener Zeit berührte mich nur am Rande – ich verstand es noch nicht wirklich, fand den Wirbel aber toll, denn es war offensichtlich etwas, worüber die Eltern sich aufregten. Ich machte brav Abi (immerhin mit Hauptfach Kunst!), studierte ein wenig suchend herum, wohnte endlich alleine, bezog BAFÖG und interessierte mich weit mehr fürs andere Geschlecht als für Politik.
Politik rund um die Uhr
Mit 26 änderte sich das drastisch: Der Umzug nach Berlin katapultierte mich in eine neue, spannende Welt, in der es plötzlich um reale Dinge ging. Wohnungsmangel und Kahlschlagsanierung erzeugten massiven Widerstand gegen die „herrschende Politk“. Ein Senat stürzte über Bauskandale, eine neue alternative Partei zog ins Abgeordnetenhaus ein. Binnen einem Jahr wurde ich aktive Hausbesetzerin, war rund um die Uhr engagiert und erlebte zum ersten Mal in meinem Leben, dass meine Fähigkeiten gebraucht wurden und auch etwas bewirken konnten. Zudem war das Leben in „befreiten Räumen“ total spannend – man konnte diverse andere Lebensweisen erproben, das übliche anonyme Stadtleben in abgeschlossenen Mietwohnungen war aufgehoben. Wir konnten machen, was wir wollten und so zum ersten Mal erfahren, was das konkret bedeutet. Meist war es wirklich toll, doch es stellte sich auch heraus, dass nicht alles, was man sich so vorgestellt hatte, tatsächlich „das Gelbe vom Ei“ war.
Während die einen in dieser „Bewegung“ zunehmend die Systemfrage stellten, wollten die anderen, zu denen ich mich gesellte, ganz konkrete Veränderungen im Stadtteil. Ich wurde Multi-Funktionärin mit vielerlei Posten und Aufgaben, war fast rund um die Uhr aktiv, kannte kein Privatleben mehr (was sollte das auch sein?) und trieb es so bis zum Burnout mit 38. Dann war Schluss mit lustig, ich erlebte einen krassen Tiefpunkt, stieg aus allem aus und begann ein neues Leben. Eines, in dem nicht mehr Einfluss, Wirkung und Leistung, Erfolg und Machtspiele wichtig waren, sondern wie ich mich fühlte bei dem, was ich grade tat. Mein innerer Sklaventreiber war im Burnout gestorben – und es war wirklich kein Verlust!!
Kreatives Netzleben und punktuelles Engagement
Das ist nun auch schon wieder 18 Jahre her. Eine glückliche Zeit, in der ich nur punktuell am politischen Geschehen teilnahm: ein bisschen Netzpolitik hier, mal was Karitatives da – schließlich war ich ein gebranntes Kind und wollte mich nie, nie wieder so verstricken, dass ich alles Andere und mich selbst darüber vergessen könnte. Mitte der 90ger erfasste mich die Begeisterung für die plötzlich in Reichweite gerückte Internet-Welt. Ich gab‘ meinen damaligen Job auf und wurde als Webdesignerin selbständig. Das aber eher beiläufig, denn hauptsächlich widmete ich mich immer neuen eigenen Projekten: Netzliteratur, WebArt, Cyberzines, Webtagebücher – und heute eben „Blogs“.
Nun liegen 15 Jahre Internet hinter mir und vielerlei Kräfte versuchen, das Netz für ihre Zwecke umzugestalten. Die Weltprobleme haben sich verschärft, man taumelt von Krise zu Krise. Unsere ganze Art, zu produzieren und zu konsumieren stößt lange schon an Grenzen, ohne dass dies irgendwelche wesentlichen Änderungen anzustoßen scheint. Die große Mehrheit versucht, weiter zu machen wie bisher – und es ist schwer bis unmöglich, fassbare Alternativen im Voraus zu formulieren.
Wohin des Wegs?
Wo stehe ich in Bezug auf all diese Problematiken – bzw. wo stelle ich mich hin? Seit einiger Zeit reicht es mir nicht mehr, bloß ab und zu einen Artikel zu dieser oder jener Sauerei zu verfassen, dazu ein schönes Kommentargespräch zu erleben – und zapp, das nächste Thema bitte! Und schon gar nicht stellt es mich zufrieden, wenn eines meiner Blogs plötzlich bei einem im Grunde marginalen Nebenthema von 2500 Lesern/Tag überrannt wird, die es mal eben als weitere Arena zum Schlagabtausch nutzen: ich weiß verdammt genau, dass dieser „Sport“ niemandem nutzt und keine Meinung oder Haltung ändert. Es geht dabei allein um Erregungszustände, mit denen man sich Pausen aufpeppt – und das ist mir zu wenig!
Was will ich? Noch weiß ich das nicht so genau, doch spüre ich seit einiger Zeit eine Art Innovations-Sehnsucht. Ich will NÜTZLICH SEIN und nicht nur ein wenig herumbloggen. Möchte Teil der Lösungen sein und nicht aus Trägheit immer mehr zum Teil der Probleme werden. Dass sich etwas verändert, merke ich an zunehmender Anteilnahme, an aufwallender Wut und Aktionsbereitschaft, z.B. jetzt gerade wieder angesichts der widerlichen Expansionsbestrebungen der Hähnchenmast-Mafia. Klar, ich hab‘ die Protest-Aktion unterstützt und rühre keinen Gummi-Adler mehr an. Aber wie lange wird Letzteres anhalten und ist Ersteres schon alles, was man tun kann?
Ich kann nicht in allen Bereichen ‚was tun, in denen mich die herrschenden Übel wütend oder traurig machen. Und ich bemerke mit Sorge die Tendenz zum Wegschauen, die mit der zunehmenden Sensibilität einher geht. Manche Artikel lese ich gar nicht erst, weil ich schon weiß, was drin steht, ich aber auch weiß, dass ich nichts dagegen tun kann. Jedenfalls nicht als Einzelne. Also erspare ich mir das Frust-Erlebnis durch Ignoranz.
Um etwas zu bewirken, braucht es in jedem einzelnen zur Debatte stehenden Punkt eine Massenbewegung. Und nie waren die kommunikationstechnischen Voraussetzungen dafür so günstig wie heute! Gleichzeitig verliere ich mich im Vielerlei der möglichen Engagement-Themen: heute dies, morgen das – und nichts richtig, nichts nachhaltig.
Ist das eine Frage des Alters? Der Gedanke kommt mir in letzter Zeit öfter. Es sind ja meist Jüngere, die sich gegen bestehende Missstände voll einsetzen. Andere dagegen werden erst im Alter richtig kantig und radikal. Wohin werde ich mich selbst bewegen?
Mich einfach nur „bewegen zu lassen“ funktioniert jedenfalls nicht, bzw. ist im Ergebnis zu volatil und somit alles andere als nützlich. Blumen Gießen im eigenen Garten reicht mir Mitte 50 auch noch nicht, um mich über die Übel der Welt hinweg sehen zu lassen (zumal die auch vor dem Gartenzaun nicht halt machen!).
Als kleine Standortbestimmung soll das für heute reichen. Der Weg zeigt sich, wenn man ihn geht, heißt es. Trotzdem bleibt die Frage nach der Richtung der ersten Schritte.
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53 Kommentare zu „Engagement und Alter: eine persönliche Geschichte“.