Antje Schrupp hat wieder mal einen wunderbaren Artikel geschrieben: In „Scheinlösung Monogamie“ bespricht sie das Buch „Lob der offenen Beziehung – über Liebe, Sex, Vernunft und Glück“ von Oliver Schott. Um dann zu eigenen Überlegungen zu kommen, aus denen ich hier mal zitiere:
„Ich vermute, das fast schon verzweifelte und durchaus irrationale Festhalten am Konzept der Monogamie liegt auch daran, dass man sich davon genau diese Sicherheit erhofft, selbst wenn die auf sehr wackeligen Beinen steht. Wahrscheinlich hat Schott durchaus recht, wenn er argumentiert, dass offene Beziehungen letztlich nicht weniger, sondern sogar mehr Stabilität bieten, weil nicht jede neue Verliebtheit zwangsläufig dazu führt, dass die alte Beziehung beendet werden muss.
Aber: Das reicht nicht. Das Unbehagen an der Einsamkeit, die Furcht, jede „Familie“, jedes Beziehungsgefüge einfach so wieder verlieren zu können, wenn die anderen gerade keine Lust mehr haben, ist zu groß. Und eine Philosophie der offenen Beziehung gibt auf die Sehnsucht nach Verbindlichkeit keine Antwort – sie macht lediglich das, was uns fehlt, offensichtlicher. Wie aber zu verbindlichen Beziehungen finden, wenn wir die alten Verhältnisse der Unfreiheit, des Zwangs, den die exklusive Monogamie bedeutet hat, nicht mehr zurück haben wollen? Woraus gewinnen wir die Zuverlässigkeit und Kontinuität in unseren Beziehungen und retten gleichzeitig unsere Freiheit?“
Verbindlichkeit? Selbstverständlichkeit? Es wird zu wenig verhandelt.
Ich glaube, frei gewählte Beziehungen sind so zuverlässig und verbindlich, wie die beteiligten Personen es eben zustande bringen. Und die allerwenigsten trennen sich, weil sie „grade keine Lust mehr haben“, sondern doch eher dann, wenn die Gemeinsamkeiten wahrhaftig „aufgebraucht“ sind. Wenn die Beziehung zur „Beziehungskiste“ geworden ist und innere Nähe und echtes Miteinander nicht mehr wirklich statt findet. Wenn man sich nichts mehr zu sagen hat und nur noch mies gelaunt aufeinander hockt, sich gegenseitig vorwerfend, was für ein ödes Leben man führt. Dann ist der oder die Andere eben oft die scheinbare „Lösung“ bzw. eine Art Ausstiegshilfe.
Im Kommentargespräch bei Antje wird dann auch angesprochen, dass Beziehungen heute zu wenig verhandelt werden: man geht unausgesprochen davon aus, dass sie selbstverständlich „monogam“ bzw. erotisch exklusiv sein soll, ohne je zu definieren, bei welcher Art Miteinander mit Anderen das „fremd gehen“ nun eigentlich anfängt. Viele haben ja nicht mal je eigene Freundschaften, sondern verkehren bald nur noch in einer Welt aus Paaren (aus der man bei Trennung dann heraus fällt, weil die anderen Paare Singles als potenzielle Gefahr ansehen).
Eine/r für alles und ewig?
Gegen die potenzielle Einsamkeit ist eine gezwungene Monogamie kein Bollwerk, auch wenn sie noch so heftig beschworen und romantisch beweihräuchert wird. Man kann auch in einer (innerlich zerrütteten) Beziehung sehr einsam sein, sogar mehr als wenn man wirklich alleine wäre. Und gerade die extreme Konzentration auf nur einen Menschen, der ALLES sein soll, von dem man also das komplette Glück für immer und ewig erwartet, birgt die große Gefahr, dann wirklich tief zu fallen, wenn dieser Eine auf einmal seiner (anderen) Wege geht. Und das tut er umso wahrscheinlicher, je mehr er die Beziehung als Begrenzung und Einschränkung erlebt, anstatt als Bereicherung und Freude.
Das Thema treibt viele Menschen um, hier im Digital Diary ist immer noch der Artikel „Vertrauen und Beziehung“ mit Abstand der meist gelesene. Mich nervt es in diesem Zusammenhang ziemlich an, wie sehr die „Mainstream-Medien“ eine „Normalität“ kolportieren, die tatsächlich gar nicht mehr SO normal ist, wenn man die Zahlen bezüglich des Seitensprung-Verhaltens ernst nimmt. Auch wächst die Zahl derjenigen, die sich zwar „als Paar“ verstehen, sich gegenseitig aber durchaus erotische Abenteuer zugestehen. Und trotzdem: im TATORT fällt die Ehefrau aus allen Wolken, als aufgrund polizeilicher Ermittlungen klar wird, dass ihr Mann kürzlich „fremd gegangen“ ist. Zur Rede gestellt, sagt er „Mein Gott, es waren grade mal zwei, drei Treffen – nach 17 Jahren Ehe…“ und will damit ausdrücken, dass sie so ein Sex-Abenteuer doch nicht so hoch hängen möge. Dass es eigentlich normal ist, nach so langer Zeit auch mal wieder andere zu begehren… Aber SIE verharrt natürlich in ihrem verurteilenden Entsetzen und verlangt sofort DIE SCHEIDUNG.
Vom Stellenwert des „Anderen“
Ich frage mich bei all diesen (erfundenen und realen) Geschichten, in denen man sich „wegen Untreue“ trennt, immer: ist denn dieser Mensch, mit dem man viele Jahr verbracht hat, auf einmal ein Anderer, bloß weil er mal „aushäusig“ Sex hatte? Ist dann alles Gemeinsame, aufgrund dessen man doch zusammen war, nichts mehr wert? Warum ist die „unverletzte Monogamie“ so viel wichtiger als der reale Partner, den man doch angeblich so sehr liebt?
Natürlich ist „heimlich fremd gehen“ ein Vertrauensbruch. Wäre aber gar nicht erst verboten, worauf man da vertraut, gäbe es auch keinen Grund zur Heimlichkeit. Ich will, dass mein Partner bei mir ist, weil er eben gern mit MIR zusammen ist. Und ich liebe ihn, weil er er selber ist, nicht weil er Andere ewiglich meidet. Sollte es sich ergeben, dass er sich anderweitig verliebt und dann lieber öfter mit dieser „Anderen“ zusammen ist, würde ich ihn deshalb nicht plötzlich aufhören zu lieben. Die Beziehung würde sich entlang an den gewandelten Bedürfnissen verändern, würde vielleicht zu einer liebevollen Freundschaft werden, wie sie mich mit einem anderen „Ex“ verbindet, der mein „liebster Wahlverwandter“ wurde, nachdem wir unser zu eng gewordenes Zusammenleben beendeten. Auf jeden Fall würde ich das, was an Gemeinsamkeit noch da ist, nicht in die Tonne treten, bloß weil er so böse böse ist, sich neu zu verlieben! Und wegen bloß erotischen Abenteuern steht es schon gar nicht dafür, einen Aufstand zu machen.
So fühle ich mich weniger einsam als jemand, der stets Exklusivität in jeder Hinsicht einfordert – und dann im Fall des Falles auch knallhart „Schluss machen“ muss. Beziehungen dürfen sich verändern, mal mehr, mal weniger Nähe und Intimität beinhalten. „Verlassen“ ist eine Dimension, in der ich nicht mehr lebe und denke.
Dass aber der Mensch letztlich alleine stirbt, darüber hilft kein noch so monogamer Partner hinweg. Die Vergänglichkeit aller Dinge und Wesen, die Endlichkeit unseres Lebens, die Unmöglichkeit einer „Rettung“ wird durch Verleugnung und krampfhaftes aneinander festhalten nicht aus der Welt geschafft. In mir selbst bin ich mit mir und diesem Wissen alleine. Beglückende Zweisamkeit und größtmögliche Nähe entsteht für mich genau daraus: Wir sind Wanderer auf dem Weg ins Nichts – wie schön, dass wir uns treffen können und einander zuwinken.
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56 Kommentare zu „Monogamie und das Unbehagen an der Einsamkeit“.