Kürzlich erschien im FREITAG ein lesenswerter Artikel mit dem Titel „Jenseits der Illusionen“. Knapp drei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl (also wahrlich RECHTZEITIG!) macht sich Jürgen Trittin da Gedanken, was eigentlich werden soll, wenn die konservativ-neoliberale CDU/FDP-Regierung abgelöst wird – bzw. WIE das gehen könnte:
Fundamentale Bedingung linker Regierungspolitik ist zunächst, dass man regieren will. Das klingt trivial, ist aber nicht in allen Parteien links der Mitte Konsens. Eine glaubhafte Botschaft der Gerechtigkeit muss mit seriösen und realistischen Konzepten verbunden werden. Nur dann gibt es eine Chance auf eine Mehrheit links von der Mitte. Über die zentralen Themen wird man sich schnell einig werden – dazu gehören Energiekonzept, Klimaschutz, Mindestlohn, höhere Transferleistungen, eine Bürgerversicherung im Gesundheitssystem, massive Investitionen in die Bildungsinfrastruktur, gerechte Besteuerung von Gutverdienenden und Vermögenden.
Was ihn bewegt, ist das Dilemma des gewöhnlichen Politik-Geschäfts: Die Opposition kritisiert üblicherweise fast alles konkrete Regierungshandeln und setzt andere WÜNSCHE dagegen, verbunden mit Vorwürfen bezüglich mangelnder Gerechtigkeit, Unwilligkeit, Klientel-Politik, Lobby-Hörigkeit und und und.
Kommt die Opposition dann tatsächlich an die Macht, sieht sie sich plötzlich im Gefängnis der real existierenden Sachzwänge. Z.B. zuvorderst dem der Finanzierbarkeit: Woher soll das Geld kommen, um all die gewünschten (und vom Wähler GEWÄHLTEN) Wohltaten zu bezahlen? Man muss es anderen wegnehmen ODER sich weiter verschulden.
Der letztere Weg ist durch die ins Grundgesetz geschriebene Schuldenbremse verbaut, bzw. zumindest SEHR erschwert (man kann evtl. noch einiges mit „Schattenhaushalten“ machen, aber eben nicht alles). Zudem ist die weitere Verschuldung ja ein Fehlweg, der auch von links/rot/grün immer wieder abgelehnt wird. Wer also 2013 eine Regierungsmehrheit bildet, wird weiter einsparen müssen, um der Schuldenbremse zu genügen – allein im ersten Jahr ca. 10 Milliarden.
Trittin:
„Egal, wie man die Schuldenbremse findet, man wird sie einhalten müssen. Wer 2013 die Regierung übernehmen will, der muss sich darauf vorbereiten. Man wird sonst riesige Enttäuschungen produzieren, die im derzeitigen Stimmungsgemisch von Rechtspopulismus, Abstiegsangst und Politikverdrossenheit katastrophale Auswirkungen haben könnten.“
Und er wir dann auch sehr konkret:
Wer 2013 die Rücknahme der Sozialkürzungen (9,9 Milliarden Euro) und die genannten Maßnahmen zur sozialen Gerechtigkeit finanzieren will, muss zeigen, wie das geht. Die Umgestaltung des Ehegattensplittings kann 2,7 Milliarden Euro bringen, der Abbau ökologisch schädlicher Subventionen realistischerweise rund 8 Milliarden Euro, und eine höhere Brennelementesteuer noch einmal rund eine Milliarde Euro. Die Abschmelzung des Dienstwagenprivilegs würde 1,2 Milliarden bringen, die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent rund eine weitere Milliarde.
All das würde bereits massive Widerstände produzieren, es wäre aber bei weitem noch zu wenig, um all das zu finanzieren, was links der Mitte in Deutschland für sinnvoll gehalten wird. Investitionen in den Green New Deal sind hierbei noch gar nicht berücksichtigt.
Trittin führt dann weiter aus, was GRÜNE zu alledem denken und vorhaben. Was mich dann unendlich anödet ist die Kommentardiskussion, die über lange Strecken auf die vorgebrachten Fragen gar nicht eingeht. Sondern statt dessen Trittin angreift, parteipolitisches Hickhack pflegt, die Nettikette diskutiert und dergleichen Nebenthemen – genau wie bei Anne Will die Dinge oft vom Sachgespräch in bloßen kindergartenhaften Schlagabtausch übergehen (weshalb ich das nur noch selten gucke).
Die Systemfrage stellen?
Davon abgesehen bringt ein Kommentierer namens „Lethe“ die Dinge SO auf den Punkt:
„das eigentliche Problem besteht darin, dass es mittlerweile und schon seit geraumer Zeit völlig gleichgültig geworden ist, wer gerade herrscht. Ob es den Leuten unter einer schwarz-gelben, schwarz-grünen, gelb-roten, grün-roten oder Jamaica-farbenen Regierung beschissen geht, spielt nicht mehr wirklich die große Rolle. Eine Politik, die wieder ernstgenommen werden will, müsste weitaus mehr tun, als mit parteispezifisch eingefärbten Almosen das grundliegende gesellschaftliche Syndrom zu retten. Die Systemfrage ist längst gestellt, selbst wenn sie öffentlich nicht gehört werden darf.“
Wie soll denn bittschön eine Bundesregierung (!) „die Systemfrage stellen“??? Die wird doch sofort weggejagt, wenn sie das täte! Die Systemfrage kann nur „das Volk“ stellen. Und heute auch nicht mehr nur national, sondern zumindest europäisch, so richtig erfolgreich nur international. Es ist also nichts als eine Träumerei, der ich wenig abgewinnen kann, so lange keine konkrete Alternative zum „System“ in Sicht ist – wohlgemerkt eine, die von großen Mehrheiten auch GEWOLLT werden kann!
Abgesehen davon ist es eine grundsätzlich falsche Vorstellung, dass es alleine an den gerade an der „Macht“ befindlichen Politikern liegt, ob es „den Leuten beschissen geht“. Das ist geradezu eine vormoderne Denke, die dem Kaiser (oder dem Pharao) alle Macht zuordnet. Etwas, was durch ein bisschen politische Bildung behoben werden könnte, sofern man es denn will.
Machtlosigkeit zugeben und das Volk befragen!
Im Grunde sind Trittins Überlegungen darauf gerichtet, wie man mit realer Machtlosigkeit umgeht. Weder kann eine Regierung Geld drucken, noch kann sie „ein anderes System“ einführen. Sie wird im Gegenteil gewählt, um als Regierung genau die Themen möglichst weitgehend umzusetzen, mit denen sie zur Wahl angetreten ist. Aber: Solange alle Politiker so tun, als wäre das „mal eben so“ auch leicht möglich, verdummen und betrügen sie das Volk – und produzieren dann die nächte Welle der Enttäuschung und Politikverdrossenheit.
Wenn ich mir allerdings viele Kommentare so durchlese, dann wundert mich kein bisschen, dass es „immer nur so“ abgeht. Wer will sich denn wirklich mit den realen Machbarkeiten auseinandersetzen?
Wäre ich in der aktiven Politik beteiligt, würde ich genauso ‚ran gehen wie Trittin: schon weit vorab ansagen, wo die Probleme liegen und dass nicht alles so easy ist, wie man das gerne hätte. Zusätzlich würde ich allerdings darum kämpfen, unserem System Volksentscheide zu den „gewünschten Veränderungen“ hinzuzufügen. Und dann pro Thema im Prozess offen legen, WAS DROHT.
Also:
WAS DROHT, wenn wir die AKWs recht schnell abschalten?
WAS DROHT, wenn wir eine Bürgerversicherung einführen?
WAS DROHT, wenn wir diese oder jene Subvention abschaffen?
Das jeweilige Drohpotenzial wird das sein, was die jeweilig „Betroffenen“ so als Kampfpotenzial aufführen. Z.B. könnte ein Konzern sagen: Dann ziehen wir uns aus Deutschland zurück und verlegen nach anderswo. Oder eine mächtige Berufsgruppe könnte mit Streik-artigen Verhaltensweisen drohen (Ärzte z.B.). Oder – bewahre! – der Strompreis könnte deutlich steigen. Etc. usw.
Und DANN soll das Volk entscheiden – wohl wissend um Nutzen und mögliche Kosten.
Auch solche Fragen wie die vom derzeitigen Finanzminister betriebene Einführung einer kommunalen Einkommenssteuer sollte das Volk entscheiden. NACH einer längeren Diskussionsphase, während der allen Interessierten klar würde, was das im Einzelnen bedeuten kann.
Warum eigentlich nicht?
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11 Kommentare zu „Können Politiker auch anders? Was kommt nach Schwarz-Gelb?“.