Eigentlich seltsam, dass sich diese Frage im Lauf meiner nun über zehnjährigen Selbständigkeit noch nie gestellt hat. Erst jetzt, seit ich einen Garten habe und mit viel Freude und Entdeckerlust dort viele Stunden verbringe, erkenne ich, dass es ein Leben neben der Arbeit gibt, das mindestens genauso befriedigend ist wie das Navigieren, Produzieren und Kommunizieren am Monitor.
Gefragt, wie viel und wie lange ich üblicherweise arbeite, musste ich mir immer erst überlegen, zu welchen Zeiten ich NICHT arbeite, um dann im Umkehrschluss die Antwort geben zu können. Genau wie Programme einen „Default-Status“ haben, eine Grundeinstellung, die sie bei der Installation mitbringen, so war der Sitzplatz vor dem PC, Hand an Maus und Tastatur, meine „Grundeinstellung“. Nur zu den allernötigsten Reproduktionszwecken und bei Besuchen bewegte ich mich weg vom „Ort der Macht“, von dem aus ich meine Welt weitgehend steuere.
Natürlich ist nicht alles „Brotarbeit“, was ich da mache, doch bildet diese den Rahmen und bietet gute Gründe für allerlei Nebenaktivitäten: kommunizieren, mich informieren, eigene Projekte betreiben, die einfach Spass machen – so bin ich immer schon zu meinen Kunden und Klienten gekommen, nicht etwa durch so unangenehme Dinge wie „Kaltaquise“ (igitt!! Schon allein das Wort…!!) oder Werbebriefe. Zu meiner großen Freude hat sich gezeigt, dass die Welt der Wirtschaft, die ich als in den 70gern Sozialisierte früher als feindlich, unpersönlich, an Formalien hängend und komplett „entfremdet“ empfand, zumindest im kleinen Rahmen nicht ZWINGEND die Arbeitsbedingungen vorschreibt: es geht auch anders, ich muss mich keinesfalls verbiegen, um mir ein Einkommen zu erwerben – wie schön! Muss das aber heißen, dass ich für alle Zeit und viel zu viele Stunden pro Tag vor dem Monitor kleben bleibe? So langsam wird mir bewusst, dass es Alternativen gibt!
Da ich meine Befriedigungen und Bestätigungen immer schon IN der Arbeit fand, war ich nie konsum-orientiert: einkaufen müssen ist mir lästig, wenn möglich, mache ich es übers Netz (mein über Ebay gekauftes Fahrrad ist noch immer nicht da, fällt mir da ein!). Wenn genug Geld rein kommt, um die laufenden Kosten ohne Probleme zu decken, denke ich gar nicht über mehr oder weniger arbeiten und Geld verdienen nach – und die allermeiste Zeit war das so. Es reichte mir, dass es weiter ging, an Rücklagen und Sicherheiten dachte ich gar nicht, sondern schaute sogar ein wenig herab auf diejenigen, die auf derlei Spießigkeiten Wert legen und dafür die Freude des Augenblicks auf die eine oder andere Weise opfern.
Nun erkenne ich, dass es auch Freude macht, mal NICHT zu arbeiten, auch nicht „für mich selbst“. Und bemerke gleichzeitig, dass kaum ein Freiberufler, den ich kenne, je an so etwas wie „Arbeitszeitverkürzung“ als erstrebenswertes Ziel denkt. Es geht immer nur darum, „im Geschäft zu bleiben“ und es zu verbessern. Zwar lese ich viel von den Bemühungen, das Arbeiten zu effektivieren, doch geschieht das üblicherweise nicht, um mehr Freizeit zu haben, sondern um mehr Geld zu verdienen. Die ersparten Stunden werden nahtlos mit weiterer „effektiver“ Arbeit gefüllt: Verdichtung statt Befreiung ist das (nicht unbedingt bewusst gewählte) Ziel. Von den Freuden des Lebens mit nur wenig Arbeit sprechen meist nur diejenigen, die bisher nicht wirklich „eingestiegen“ sind, die noch nicht das gefunden haben, womit sie sich selbst verwirklichen und gleichzeitig auch den Lebensunterhalt bestreiten können.
Halbtags arbeiten?
Zur Zeit nähere ich mich unverhofft dem lange abgelegten Traum meiner Jugend, nämlich der „Halbtagsarbeit“. Denn nachmittags gehe ich in den Garten und ob danach noch etwas zustande kommt, steht in den Sternen und fällt in diesen Frühlingstagen auch mal ganz aus.
Zuerst hat mich das irritiert: wird mir der Himmel auf den Kopf fallen, wenn ich die volle Identifikation mit der Arbeit verliere? Werde ich Kunden verlieren oder keine neuen mehr gewinnen, wenn ich „andere Götter neben ihnen“ habe?
Keine Rede! Der Garten macht müde, also schlafe ich früh ein und bin entsprechend früh wach. Heute war es halb fünf, meistens sitze ich ab 7 Uhr am PC. Der Garten lockt mich so ab 13 Uhr, das sind also 6 Stunden – mal sechs (inkl. Samstag) gerechnet, komme ich auf eine 36-Stunden-Woche, mal abgesehen von der einen oder anderen Spätschicht, die doch noch anfällt. Wenn „der Kunde ruft“ erreicht er mich auch nachmittags übers Handy, doch ist das die Ausnahme, denn meine Kunden mailen lieber und rechnen mit Antwort binnen 24 Stunden, genau wie ich.
Im Winter wird es wieder anders aussehen, doch jetzt genieße ich einfach den Frühling – etwas, das am Monitor so nicht geht. Und so wahnsinnig viele Frühlinge, dass mir das egal sein könnte, hab‘ ich ja gar nicht mehr, das ist mir heute bewusster als noch vor zehn Jahren. Grund genug, in die Sonne zu blinzeln, den Duft der Blüten zu riechen, ihre erstaunlichen Formen zu bewundern und mit Lust in der Erde zu wühlen – nur so werde ich vom Leben satt und kann eines Tages sagen: ja, es ist genug!
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12 Kommentare zu „Arbeitszeit verkürzen oder mehr Geld verdienen?“.