Um diese Zeit schreibe ich gern mal was Besinnliches zum Jahreswechsel. Dieses Jahr hab‘ ich erstmal geschaut, was denn in den letzten 10 Jahren mein Thema war. Hier das Ergebnis, in aller gebotenen Kürze:
Ganz darauf gefaßt, in stillen Tagen & Nächten schwer besinnlich zu werden und das Jahr angesichts des Todes zu bilanzieren (Was war? Was bleibt? Was bedeutet das?) stelle ich fest: Die Muse küsst mich nicht. Die Götter lassen mich alleine wursteln, kein Engel streift mich mit den Flügeln, keine bedeutungsschwangeren Träume stören den Schlaf. Große Worte vermögen es derzeit nicht, mein Herz zu ergreifen; eher denke ich daran, nachher den Hühnerstall auszumisten, weil es mittlerweile wieder stinkt. Offensichtlich schiebt die Eksistenz Dienst nach Vorschrift, schickt mir keine Visionen und nicht den allerkleinsten Hinweis, dass da irgendwo MEHR sei, als das, was eben IST.
Und weil das Schreiben eine gewisse Eigendynamik entwickelt, kann ich mich nur mit Mühe zurückhalten, jetzt das Lob dessen, was ist, anzustimmen. Das würde hier nämlich gut passen, es folgt eigentlich immer an dieser Stelle: Man schreibt dann getragene Sätze über DAS WUNDER des ganz banalen und normalen Da- und So-Seins bis man selber dran glaubt, bis Schreiber und Leser ausreichend gerührt und ergriffen sind von der Tatsache des Etwas im Großen Schwarzen Nichts…. ABER wenn dieses Etwas dann in Gestalt der zuständigen Sachbearbeiterin im Finanzamt Schwerin mich am Tag nach Weihnachten morgens um zehn anruft und mit erhobener Stimme fragt, WANN ich denn bittschön die Rechnungen vom 2. und 30. Juni versteuert hätte – tja, dann wird die Liebe zum Wunder des Daseins auf eine harte Probe gestellt!
26.12.01 Weihnachten, ein Opferfest
Geld ist nicht alles, das darf jetzt mal gesagt, geschrieben, gesendet und gesehen werden. Sind ja nur ein paar Tage, dann ist wieder das große kollektive „Speicher löschen“ per Silvesterfete angesagt, mit anschließender kraftvoller Neuprogrammierung auf neue Wünsche, Ziele und Vorhaben im neuen Jahr. Die kurze Auszeit muß rituell gebrochen werden, sonst könnten ja Spuren in den Psychen zurückbleiben, die Freude am Helfen, Schenken und Teilen könnte um sich greifen – mit unabsehbaren Folgen! (Man sieht ja, was diese „Tradition“ z.B. im Internet angerichtet hat, wo sie die ersten Jahre des neuen Mediums kulturell dominierte: kein Geschäft nirgends, E-Commerce ein Milliardengrab!)
Bald ist sie vorbei, die „freie“ Zeit, das Opfer ist aufgezehrt und hungrig erwacht der Gott unserer Tage zu neuem gefräßigen Leben. Wir werden das Visir herunterklappen, die Samthandschuhe ausziehen, das Herz wieder als bloße Pumpe ansehen und tun, was wir tun müssen. (Wem der Übergang zu hart ist, der wird vielleicht im Januar krank -> Zeit des höchsten Krankenstandes in diesem Land).
25.12.2002 Vom Mausarm – ein Leiden mit Sinn
Auf der Suche nach Inspirationen hab ich gerade in der Vergangenheit „geblättert“ und den Beitrag vom 26. Dezember 2001 gelesen: „Weihnachten, ein Opferfest“. Wie seltsam! Zwar ist die Beschreibung des ausgestorbenen Stadtteils fast wörtlich identisch, doch ansonsten ist es ein Artikel, wie ich ihn jetzt ganz bestimmt nicht mehr schreiben würde. Was für eine deprimierende Stimmung: verhaltene Verbitterung, Klage und Anklage, weise Entsagung, unterschwellig agressiv, und dann doch wieder dieser in Melancholie auslaufende Sound gepflegter, um Haltung bemühter Hoffnungslosigkeit: „Tote Götter plastern unsern Weg“ – ach je! Dabei ist das gar kein schlechter Spruch, kommt nur drauf an, wie man ihn ausspricht – eher klagend oder als Erfolgsmeldung. Ich finde, Götter, die sich von Menschen zu Tode bringen lassen, sind doch nicht wirklich der Rede wert, oder?
Seit über zehn Tagen liegt übrigens meine PC-Maus nun schon links von mir – und ich kann alles machen!
Ballast abwerfen, alles Unnötige, Zerstreuende, Ablenkende aussortieren, mich ganz neu auf das Wesentliche konzentrieren. Was aber ist „das Wesentliche“ ? Ein für allemal lässt es sich gewiss nicht bestimmen – ja, es lässt sich überhaupt nicht BESTIMMEN! Es funktioniert jedenfalls nicht, die einzelnen Aktivitäten vors geistige Auge zu stellen und sie dann nach „vernünftigen“ Kriterien zu bewerten: Das hier hat keinen sichtbaren Nutzen für irgend jemanden, es bringt auch kein Geld, also wird es gestrichen. Dieses hier hat mir immer mehr Ärger als Freude gebracht, also weg damit! Und jenes sollte eigentlich ein bisschen Welt-retten, ich seh‘ aber keinen Erfolg: hau weg den Scheiß!
25.12.2004 Lass dich weiterleiten!
Anstatt Texte über Sein und Selbst zu verfassen, genieße ich einfach diese Tage und Nächte, die so wunderbar „undefiniert“ sind, wenn man am allgemeinen Umtrieb keinen Anteil hat.
25.12.2006: Einfach so herumlungern
Keine Termine, keine Telefonate, keine E-Mails, die mich zum Reagieren zwingen. Ich sitze mit dem ersten Milchkaffee vor dem Monitor, schaue nach links aus dem Fenster und sehe den Nebel, der alle Konturen milchig weiß verschwimmen lässt. Weihnachten hat die kollektive Aufmerksamkeit komplett auf sich gezogen und mich braucht es dazu nicht. Ich bewohne die entstandene Leere und fülle sie auch selber nicht mit Sinn: kein Abarbeiten anstehender Aufgaben, kein Eintauchen in einen kreativen Schub, nicht mal ein Wellness-Programm mit ich-tu-mir-jetzt-was-Gutes-Vorsätzen. Die Zeit vergeht und ich nutze sie nicht. Wie lange ist es eigentlich her, dass ich das mal so erlebt habe? Ich weiß es nicht.
30.12.2007: Auch ein Jahresrückblick
Abschied vom wilden Garten: In den fünf Monaten seit der Kündigung machte ich die lehrreiche Erfahrung, dass der Ausblick auf eine Zukunft doch wesentlich das JETZT mitbestimmt – zumindest, wenn es sich um einen Garten handelt, in dem ein Großteil des gärtnerischen Tuns zwangsläufig auf Wachsen und Werden ausgerichtet ist: Warum noch Bäume beschneiden, wenn sie doch bald gefällt werden? Ich setzte keine Pflanzen mehr und ließ die, die schon da waren, wachsen wie sie wollten, bzw. verdorren, ohne noch irgend etwas abzuräumen. Kompost sieben? Wozu denn? … Mein eigenes Gerede vom Leben im Augenblick erschien auf einmal als spiritueller Hochmut und bloßes Geschwätz: Solange die Zukunft OFFEN ist, der Raum der Hoffnungen und Planungen also zur (potenziellen) Nutzung bereit steht, lässt sich locker im “Hier und Jetzt” sinnvoll agieren – wenn ich aber weiß, dass es keine Zukunft gibt, sieht das anders aus. Wenn ich also mal erfahren sollte, dass ich noch sechs Monate zu leben habe, werde ich mir nicht noch den zusätzlichen Stress machen, weiter “Apfelbäumchen zu pflanzen”!
Genau dieses gegen das Altern Anstrampeln ist es aber, das die Sicht auf die Früchte verstellt, die man im Alter ernten könnte. Nämlich die Freiheit, nicht mehr überall “dabei sein” zu müssen, die wachsende Unabhängigkeit vom Urteil anderer, das sich abzeichnende Austreten aus dem “Stress des Werdens” – und vor allem die Gelassenheit, von sich absehen und den Blick auf Andere richten zu können: nicht mehr als Objekte des Begehrens, deren Begehren man begehrt, sondern als Suchende, die noch angestrengt nach Dingen streben, die man selber gar nicht mehr braucht.
So wünsche ich mir fürs neue Jahr, immer mehr von mir absehen zu können. Und wenn ich den Jungen etwas raten sollte, was sie “zur Altersvorsorge” jenseits des Materiellen tun können, wäre es immer derselbe Rat: Tut, wonach Euer Herz sich sehnt und verschiebt es nicht auf “irgendwann später”! Dann habt Ihr “später” den Kopf frei und müsst nicht fürchten, Euer EIGENES Leben versäumt zu haben.
…die politische Dimension deprimiert ja nicht nur, sie ist auch sehr spannend! In diesem Jahr hat sich dank “Zensursula” endlich mal wieder richtig was bewegt. Die dilettantischen Herangehensweisen eher netzferner Politiker haben junge (und auch ein paar ältere) Menschen motiviert, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen. Der Auftritt der Piratenpartei auf der politischen Bühne hat weit mehr bewirkt, als die 0,9% Stimmen vermuten lassen. Mittlerweile sind viele Netzthemen auf der Agenda, die alten Mächte, denen ihre traditionellen Geschäftsmodelle wegbröckeln, entfalten ihre Kampfkraft, treffen aber auch auf breiten Widerstand. Überwachung, Datennutzung, Urheberrecht, “Kultur des Kostenlosen” und vieles mehr werden breit diskutiert – und es ist nicht mehr ganz einfach, so “von oben” mal eben etwas aufzuzwingen. Ich bin gespannt, wie all diese Themen sich weiter entwickeln werden, wobei ich aufs Schärfste hoffe, dass sich die Unvernunft, die das freie Verlinken und Zitieren mittels eines “Leistungsschutzrechts” unterbinden will, NICHT durchsetzt.
Und dieses Jahr? Mal sehen….
Diesem Blog per E-Mail folgen…
Diskussion
Kommentare abonnieren (RSS)
Ein Kommentar zu „Jahresendgedanken-Recycling“.