Sicher kennt Ihr das Bild vom Eisberg, von dem nur ein kleiner Zipfel als rationales Wachbewusstsein aus dem großen Ozean des Unbewussten ragt. Genau dieses Verhältnis stellt sich in den digitalen Medien seit Jahren immer spürbarer her: Was von mir wo, wann und in welchen Kontexten versammelt, bewertet und weiter ge-shared wird, überblicke ich lange schon nicht mehr. Es ist „abgesunken“ ins kollektive Unbewusste des Netzes, das nun hochwahrscheinlich schon mehr über mich weiß als ich selbst.
An diesem für mich weitgehend unsichtbaren Dateneisberg kann sich jeder bedienen, denn all diese Daten sind ja „im Prinzip“ öffentlich. Der Privacy-Aspekt ist es auch gar nicht, auf den ich jetzt hinaus will, sondern das fortwährende Verwurstet-werden von irgendwelchen fremden Interessen. Die nicht mal „böse“ sind, sondern einfach nur lästig, verwirrend – und manchmal auch ein bisschen unverschämt.
Grade hab‘ ich zum Beispiel einen Artikel von Marcel Weiss auf Neunetz.com kommentiert („Nicht jedes Geschäftsmodell funktioniert bei jedem Kreativen“).
Anstatt einer schlichten Eingabemaske für den Kommentartext, Name, E-Mail und URL zum eigenen Blog bot mir die immer häufiger anzutreffende, durchaus unterschiedlich ausgestaltete „Leiste der Möglichkeiten“ folgende Login-Optionen:
Klar, es ist einfacher, sich mit einem vorhandenen Social-Media-Zugang auszuweisen, anstatt erst Name, E-Mail und URL einzutippen. Allerdings ist damit auch die Möglichkeit, Leser meines Kommentars auf eines meiner Blogs einzuladen, unterbunden. „Traffic“ wird dorthin geschaufelt, wo er eh schon massenhaft ist: auf Facebook, Twitter et al… (dass sich bei genauem Studium aller Optionen evtl. doch noch irgendwo diese Möglichkeit findet, ändert daran fast nichts).
Da auf Blogs aber nun mal gilt „Vogel, friss oder stirb!“ und ich den Kommentar ja bereits geschrieben hatte, wählte ich das Twitter-Icon fürs Login. In der Meinung, nun werde eben mein Twittername HumanVoice mit dem Kommentar verlinkt. Ein Klick auf Foto oder Name und der Leser wäre immerhin auf meinem Twitter-Profil. Zwar ist das noch nicht mein Blog, aber doch ziemlich “eigen” – zumindest in dem reduzierten und marginalisierten Sinne, wie uns in den sozialen Medien noch irgend etwas “eigen” ist.
Aber weit gefehlt! Nachdem die „App“ mich um meinen Twitter-Zugang gebeten und ihn auch bekommen hatte, erschien mein Realname plus Foto neben dem Kommentar. Uups… aber egal, das hatte ich ja schon öfter erlebt: es ist vorab selten klar, welchen Namen so eine „App“ verwenden wird. Da ich aber nicht anonym twittere, ist das nicht wirklich ein Problem. Nur ein bisschen blöd, wenn ich nicht will, dass meine aus dem Gesamtzusammenhang gerissenen Kommentare in den Google-Suchergebnissen vorne erscheinen, wenn jemand nach „Claudia Klinger“ sucht.
Also weiter: ich klicke nun auf mein aus dem Twitter-Account stammendes Profil-Foto und… – wie? was? Anstatt auf Twitter zu landen, öffnet sich ein weiteres Fenster, das mir „Claudia Klinger“ erneut in einem ANDEREN KONTEXT zeigt:
Himmel nochmal: was immer das ist, dort erscheine ich als ausschließlich Welt-Online-affine Figur, die in der WELT-„Community“ zwei Kommentare abgegeben hat. Unter „Activity“ finden sich dann immerhin ganze fünf Kommentare, drei davon auf Blogs, also mir sehr viel sympathischeren Medien. Aber dahin muss man ja erstmal klicken! Nur die WELT-Kommentare erscheinen im Profil, ich könnte ‚rumspekulieren, woran das liegen mag, vermutlich wurden sie nur dort „ge-liked“ – ach, egal, ES NERVT EINFACH NUR!!!
Ich als Datensteinbruch für XYZ
Jeder Hinz und Kunz versucht, sein vom End-Nutzer in aller Regel nicht gerade herbei gesehntes Feature auch noch irgendwo rein zu drücken. Alle sammeln meine Daten und packen die Bruchstücke, die sie kriegen können, in immer neue Zwischenschichten zwischen die Leser und mich. Dass sich so ganz falsche Eindrücke einer Person ergeben, ist systemimmanent, denn je weniger Daten die viel zu vielen Sammler jeweils abbekommen, desto blödsinniger, beliebiger und irreführender ist die daraus entstehende „Computation“.
Zur Zeit wird schreiben, kommunizieren und kommentieren, verlinken und verlinkt werden im Netz immer komplizierter, unübersichtlicher und in vieler Hinsicht problematisch. Dass sich da viele nicht-so-Netz-Affine gerade noch trauen, die Möglichkeiten ihrer ersten Community (= immer öfter Facebook) zu benutzen und den Rest als „viel zu gefährlich und wirr“ links liegen zu lassen, wundert überhaupt nicht!
Ich fühl mich zunehmend als weithin verteiltes System, an dem vielerlei Kräfte zerren, um es immer noch mehr zu zerstreuen, zu verschütteln, zu benutzen. Für Interessen, die in aller Regel NICHT die meinen sind, so „social“ das alles auch daher kommt.
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25 Kommentare zu „Verstrickt, vernetzt, verwurstet? Ich als verteiltes System“.