„Wie bist Du zum Bloggen gekommen?“ lautet das Thema eines Blogger-Projekts, zu dem René Krist auf seiner Probloggerworld eingeladen hat. Mich erinnern diese Veranstaltungen an die Mitschreibprojekte, die ich in den Kindertagen des Webs unter der Überschrift „Netzliteratur“ gerne vom Zaun brach und auch heute noch in den Schreibimpulsen weiter pflege. Schön, dass es solche kollaborativen Schreib-Events noch bzw. wieder gibt – also ran an die Tasten: Wie bin ich zum „bloggen“ gekommen?
Was ist bloggen?
Versteht man „bloggen“ als „sich ins Web schreiben“, dann blogge ich schon weit länger, als es dieses Wort gibt. Meine allerersten Webprojekte hatten sich noch an traditionellen Medien orientiert: „Human Voices – Menschenstimmen aus Nirgendwo“ (1996) war eine Textsammlung aus Gedichten und lyrischer Prosa, das in der ersten Fassung aus eigenen, später mehrheitlich aus Einsendungen der übers Web angesprochenen Mitschreiber/innen bestand. Kurz darauf folgte das „Cyberzine Missing Link„, in dem ich zum Besten gab, was ich von der neuen „Cyberwelt“ dachte – und zwar so, wie es gedruckte Magazine immer schon taten: verschiedene Essays, sortiert in ordentliche Themen-Rubriken.
Das Neue an diesem Schreiben und Publizieren war die Art, wie es zustande kam, und wie sich rund um die Projekte eine Art Community entwickelte: noch ganz ohne Community-Software, doch fehlte uns das damals nicht. HTML war noch sehr einfach, jeder, der sich ein wenig damit befasste, konnte Webseiten nach eigenen Wünschen gestalten. Es gab noch keine eingefahrenen Nutzungserwartungen und man konnte seiner Kreativität freien Lauf lassen, was zu webdesignerischen Rauscherlebnissen führte, die heute (im Web des dreispaltigen „Hosenträger-Designs“) keine Entsprechung mehr haben. Der E-Mail-Tag ermöglichte auch damals schon schnelle Reaktionen und Beiträge anderer: zwar erschien die Einsendung nicht gleich auf Mausklick, doch waren wir recht schnell im „händischen webben“ und mit SPAM hatten wir naturgemäß kein Problem.
Sperrige Weblandschaften…
Bald merkte ich, dass ich zur Angestellten meiner eigenen Web-Projekte wurde: was für eine Arbeit, eine neue Rubrik zu schaffen, wenn ich mal was schreiben wollte, das nicht in die vorhandenen Schubladen passte! Manchmal musste es sogar eine ganz neue Website sein, die den neuen Inhalt transportieren konnte, und alle Projekte wollten bekannt gemacht und gehalten werden. (Auch damals gab es schon Top-100-Listen und eine Szene, die sich aufgeregt und begeistert um diese Rankings kümmerte).
Bezüglich der Projektnamen musste man sich ab 1998 langsam Sorgen machen, niemandem auf die namens- und markenrechtlichen Füße zu treten. All meine Projekte einzeln zu promoten, wurde mir zu sperrig und so meldete ich 1998 die Domain claudia-klinger.de an. (Den Namen kann mir ja keiner nehmen!). Ich begann damit, ein Nichtrauchertagebuch (The Power of Now) zu führen, das erste seiner Art im deutschsprachigen Web. Zwar rauchte ich nach drei Monaten wieder weiter, als sich das Thema schreiberisch für mich erschöpft hatte, doch hatte ich eine neue Art des Publizierens entdeckt: Keine Rubriken mehr, sondern Beiträge in chronologischer Ordnung, das Neueste immer zuoberst – wie entspannend!
Digital Diary startet
Nach dem Ende des Nichtraucherdiarys startete also im März 1999 das Digital Diary, das damals den Untertitel „Vom Leben auf dem Land und in den Netzen“ trug. Ich war gerade dabei, meinen Traum vom Landleben durch einen Umzug nach Mecklenburg zu verwirklichen. Das Netz hatte mich von der Notwendigkeit befreit, aus Arbeitsgründen an einem bestimmten physischen Ort zu sein, denn ich lebte seit 1997 von Webdesign-Aufträgen. Ich landete auf Schloss Gottesgabe, wo ich erstmal eine Hompage für meine Vermieter baute und viel Zeit und Muße fand, im neuen Diary zu publizieren. Technisch war es schlichtes HTML, anfänglich sogar noch mit den damals üblichen „Frames“ (Rahmen), die ich 2002 durch die SSI-Technik endlich überflüssig machte: jeder Eintrag bekam jetzt eine eigene Seite, die wiederkehrenden Elemente wurden „bei Aufruf“ in die Webseite eingesetzt. Das machte weniger Arbeit und war suchmaschinenfreudlicher, ein Aspekt, der im Lauf der Zeit immer wichtiger wurde.
Nun war ich technisch schon gut aufgerüstet, doch musste ich immer noch über zehn Minuten „Idiotenarbeit“ leisten, um einen neuen Artikel einzusetzen. Mal abgesehen davon, dass ich immer schon zu längerem Schreiben neigte, verführte diese Tatsache nicht gerade zu kurzen Postings: ich musste schon was „Gewichtiges“ zu sagen haben, was diese Arbeit auch sinnvoll erscheinen ließ.
Alles bleibt, wie es war – versprochen!
Mittlerweile war das Digital Diary mehrere Jahre alt und ich bemerkte, wie wichtig es den Leserinnen und Lesern war, dass sich nichts Wesentliches änderte: im schnelllebigen Web hat es etwas Beruhigendes, wenn es wenigstens ein paar Orte gibt, die sich NICHT ändern. Zwar wechseln die Inhalte, doch das Design bleibt im wesentlichen gleich. Auch auf den Stil der Artikel kann man sich verlassen: umgerechnet ca. zwei bis drei A4-Seiten lang, zehn Minuten Lesezeit, eintauchen in ein längeres Gedankenspiel zu EINEM Thema – das ist das Digital Diary, so wird es von Stammlesern gewollt und geschätzt.
Und sie bloggen es an…
So ab 2005 bemerkte ich dann den Hype um das „Bloggen“: Aha, man schreibt jetzt kleine Text-Häppchen mit ein paar Links drin und macht darum jede Menge Wind! Die neue Web-Begeisterung, die Begriffe wie „Weblogs“, „Blogs“ und „Web 2.0“ in den Himmel hob, verblüffte mich mit ihrer Anspruchslosigkeit: die Technik drumrum und das „Community-Geschwurbel“ schien die Frage nach dem Inhalt, nach dem, was einer zu sagen hat, komplett in den Hintergrund zu drängen. Und zu allem, was da gefeiert wurde, stellte ich kopfschüttelnd fest: das hatten wir doch auch schon, damals 1997…
Ich fühlte mich eine ganze Zeit lang als Web-Oma, die die Jugend nicht mehr versteht, weil früher ja doch alles besser war. Dabei stimmte das nicht, denn „damals“ hatten wir tatsächlich auch schon all das, was man heute an der Blogosphere kritisieren kann: das Kreisen um sich selbst, die Dominanz des Technischen, das Gieren nach Zugriffen, die Konzentration auf „Szene-Größen“ – dazu die Streitereien um die ethisch korrekte Linie (= Thema „Kommerz“, Werbung auf Webseiten) und der Glaube, die Welt werde sich grundstürzend ändern, weil nun jeder „einfach so“ ins Web schreiben kann. Der erste Hype war nicht viel anders als der Hype um die Blogs, nur dass es eben um DAS GANZE WEB ging, das zumindest „gefühltermaßen“ noch uns gehörte, nicht den üblichen gesellschaftlichen Kräften, die erst langsam merkten, dass sich da was Wichtiges abspielte.
WordPress – die Leichtigkeit des Webbens
Seit Mai 2006 läuft das Digital Diary nun auf dem Blogscript WordPress, womit ich zumindest technisch in der Blogger-Welt angekommen war. Endlich nur noch schreiben, abschicken, fertig! Jetzt hätte ich auch „Text-Häppchen“ in die Welt schicken können, doch kam das fürs Digital Diary nicht wirklich in Frage: es reicht, dass es kein festes Thema hat. Wenn auch noch die Textform wechselte, gäbe es nichts mehr Konstantes, was die Leser zum Wiederkommen lockt. Und immer noch erschien mir das „Kurzbloggen“ wenig attraktiv: Aufmerksamkeit ist eine Währung, die man nicht für Banales und Unwichtiges verschwenden und verbrauchen sollte. „Hallo, hier bin ich, und gestern hab‘ ich diesen Link entdeckt“ ist mir immer noch kein Posting wert.
Ansatzweise änderte sich dieser eingefleischte Purismus erst, als ich den Auftrag annahm, für ein Hotel an der Mosel ein „Wellness-Blog“ zu schreiben: wöchentlich drei Artikel zu Wellness, Beauty und TCM (traditionelle chinesische Medizin), unter dem selbst gewählten Pseudonym Christiane Bach. Ich tat es mit der professionellen Sorgfalt, mit der ich all‘ meine Aufträge abwickle, und – ohne es zunächst zu bemerken – übte ich so meine eigene Art des „Kurzbloggens“ ein: nicht ganz so kurz, wie es die Szene liebt, aber doch mehr „Häppchen“ als langer Artikel. Und siehe da: auf einmal bekam ich Lust, auch mal Kürzeres ins Web zu schreiben: die eigene Meinung unter eigenem Namen, ohne Rücksichten auf die Rahmenbedingungen eines Auftraggebers. Ausdrücken, was Eindruck macht – das muss tatsächlich nicht immer ellenlang sein!
Um ein Demo für potenzielle Blog-Design-Kunden zu haben, erschuf ich als nächstes das Modersohn-Magazin, das eigentlich Modersohnbrücken-Magazin heißen müsste: kurze Postings zu Berlin-Friedrichshain, zu Grafitti, Streat-Art, unaufgeräumten Orten – und immer wieder die Modersohnbrücke, der „Ort der Kraft“, an dem sich abends Menschen versammeln, um den Sonnenuntergang zu sehen.
Der wilde Garten trägt neue Früchte
Von der Spielerei zum engagierten Bloggen kam ich dann mit dem wilden Gartenblog: ich erlebte, wie anders es ist, ein konkretes, klar umrissenes Thema zu haben: der wilde Garten und alles, was mir dazu so einfällt. Binnen kurzem durchschaute ich die Gartenblog-Szene und nahm über diesen Kanal dann auch die gesamte Blogosphäre in ihrer Vielfalt und Verrücktheit wahr: Auf einmal macht das „webben“, das jetzt „bloggen“ heißt, wieder genau soviel Spass wie damals in den Kindertagen des Webs! Nur dass jetzt nicht mehr mein Seelenheil von der Zahl der Zugriffe abhängt, sondern (toi,toi,toi!) ein Teil meines Einkommens, der hoffentlich in den nächsten Jahren deutlich wächst.
Schreiben, was ich mag, in einem Umfeld, das ich selbst gestalte, und DAMIT auch noch beiläufig (!) Geld verdienen: davon hab‘ ich schon 1997 geträumt und konkrete Vorschläge für die Umsetzung gemacht. Diese Ideen sind heute Web-Wirklichkeit – ist das nicht wunderbar??
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29 Kommentare zu „Von der Homepage zum Blog: meine Netzgeschichte“.