Diese Woche werde ich nach Wiesbaden fahren, in meine alte Heimat. Meine Mutter wird nicht mehr lange leben und so nehme ich die Gelegenheit eines Klassentreffens war, noch einmal hinzufahren.
Ein Klassentreffen nach 34 Jahren! Bisher hat es keines gegeben und ich hatte auch kein Bedürfnis danach, wie auch die anderen „Ehemaligen“ nicht. Dass es doch zustande kommt, verdankt sich dem Engagement einer Frau, die sich sehr ins Zeug gelegt hat, dass es stattfindet. Eine Frau? Als Frau kenne ich sie nicht, nur als Teenager – jetzt sind wir alle deutlich über 50, es wird gewiss komisch, die Mitschüler zu sehen. Ob ich sie überhaupt erkenne???
Am Mittwoch oder Donnerstag geht es los. Noch weiß ich nicht, ob ich mit dem Zug fahre oder mit einem Klassenkameraden, der ebenfalls in Berlin wohnt. Solche Reisen verdränge ich gerne bis kurz vor Los, sie reißen mich aus meiner Routine, meiner gewohnten Umgebung, entfernen mich vom „Cockpit der Macht“, als das ich den Platz am PC empfinde.
Mit meiner Mutter bin ich im Reinen, doch ist die Situation meiner pflegenden Schwester, die ich sehr bewundere, recht bedrückend. Aus der Ferne kann ich ihr kaum helfen, und vermutlich auch nicht aus der Nähe.
Leben und Tod sind so nah beisammen. Ulla schreibt, dass sie heute in die Palliativstation eines Münchner Krankenhauses kommt, denn ihre Schmerzen sind anders nicht in die Griff zu bekommen. Sie schreibt von letzten Wegen durch die Stadt und wie auf einmal der ganze Reiz der Umgebung weg ist: kein Appetit mehr auf die vielfältigen Verführungen, nur noch Schmerzen und der Versuch, weiter zu kommen ohne zu fallen. Ich denke oft an sie.
Fast hab‘ ich ein schlechtes Gewissen, dass es mir so gut geht. Die Arbeit, der Garten, meine Projekte – alles flutscht und ich frage mich manchmal: hab‘ ich das verdient? Und: wie wird es mir gehen, wenn ich die „finale Diagnose“ bekomme?? Letzte Woche ist Georg Danzer mit 60 an Lungenkrebs gestorben. So ein Ende halte ich auch bei mir für wahrscheinlich. Ob ich es dann schaffe, „im aufrechten Gang“ abzutreten? Also ohne Hadern mit irgendwem und irgendwas? Wenn ich mich da hinein denke, fällt mir tatsächlich nichts ein, was einen letzten Stolperstein darstellen könnte – außer natürlich das Klammern am Leben, das immer noch MEHR wollen, das wir uns so schlecht abgewöhnen können.
Mein Garten hat eine 14-tägige Kündigungsfrist, die ich mir immer im Bewusstsein halte, wenn ich zu sehr auf „das Paradies“ abfahre, das mir da im letzten Sommer zugefallen ist. Mit dem Leben ist es nicht anders, wir wissen nicht mal, ob die Kündigungsfrist 14 Tage betragen wird. Oder Jahre, wie bei meiner Mutter.
Diesem Blog per E-Mail folgen…
Diskussion
Kommentare abonnieren (RSS)
5 Kommentare zu „Leben und Tod – so nahe beisammen“.