Ein persönlicher Bericht über meine Ernährungsumstellung unter besonderer Berücksichtigung der Lust auf Fleisch.
„…flexitarisch, vegetarisch, vegan? Hauptsache, die Richtung stimmt!“ – so hatte ich im Oktober 2010 mein funkelnagelneues Blog „Unverbissen-vegetarisch“ untertitelt. Das Buch Tiere essen von Jonathan Safran Foer hatte mir den letzten Kick gegeben, nun mal Nägel mit Köpfen zu machen und mich vom Fleischverzehr zu verabschieden. Und zwar ganz ohne militantes Sektierertum, ohne lustfeindliche Selbstkasteiung und nerviges Missionieren jener, die im Jargon der Szene „Omnivoren“ heißen. Eben UNVERBISSEN!
Dass es nicht nur eine private Ernährungsumstellung, sondern gleich ein neues Blog wurde, sollte der Sache Nachhaltigkeit verleihen. Damit ich nicht nach ein paar Monaten wieder im Normalesser-Alltag versacke, wenn die Anfangsbegeisterung, der Reiz des Neuen sich verbraucht hat, genau wie die Empörung über die widerlichen Zustände in der Massentierhaltung sich ja abschleift. Schließlich gibts so viele Übel in der Welt, dass es – mir zumindest – schwer fällt, an einem Thema dran zu bleiben.
Ein Veggie-Blog erreicht allerdings hauptsächlich Menschen, die bereits vegetarisch oder vegan leben, bzw. damit liebäugeln. Meine Diary-Leser wollte ich mit ständigen Beiträgen rund ums vegetarische Leben & Kochen doch lieber verschonen. Jetzt aber – nach ca. 18 Monaten mit „anderem Essen“ – ist mal ein persönlicher Bericht fällig: ich hab‘ da nämlich Dinge entdeckt, die auch für kritische Fleischesser interessant sind, die noch keinen Bock haben, auf ihr Steak zu verzichten.
Vom Omnivoren zum „unverbissenen“ Vegetarier
Ich war auch früher schon kein morgens-Wurst-mittags-Döner-abends Schnitzel-Verzehrer, also fiel es mir nicht schwer, die gelegentlichen „Fleischlappen“ einfach mal wegzulassen. Und doch taten sich in meiner gewohnten Kost schmerzliche Lücken auf: keine Leberwurst mehr aufs Brot, keine Schinkenwürfel in der Gemüsepfanne, kein Würstchen im Linseneintopf, keine Bolognese mehr, die über Tage immer besser wird und deren Rest auch als schneller Brotaufstrich mundet.
Tja, was macht man da als Vegetarier? Ganz einfach: Käse wurde mein Fleisch, der Kühlschrank bot jetzt immer gleich mehrere Sorten, gerne nutzte ich auch „Bratkäse“, so als deftigen Hauptdarsteller eines Abendessens. Mit Käse im Ofen überbackene Brote wurden mein „fauler“ Standardimbiss, es gab Käse-Soßen zu Nudeln, Gemüse IN Käsesoße, Käse-überbackene Aufläufe – man schlage nur ein x-beliebiges vegetarisches Kochbuch auf: alles Käse! Und natürlich Kräuterquark, Joghurt, Sahne, Milch, Eier – Vegetarier essen nichts vom toten Tier, wohl aber vom Lebenden.
Lange dauerte es nicht, bis ich diese Entwicklung als kontraproduktiv empfand. Schließlich war ich nicht aus Gesundheitsgründen vom Fleisch abgefallen, sondern weil ich keinen Anteil mehr daran haben wollte, wie hierzulange Tiere „vernutzt“ werden. Das aber geschieht auch mit den Milchkühen und Lege-Hühnern: Kühe, die 25 Jahre alt werden könnten, werden nach 3 Jahren geschlachtet. Ihre Kälber werden ihnen genommen (und alsbald geschlachtet), ihre Haltungsbedingungen sind, vorsichtig gesagt, auch nicht gerade „glücklich“. Und Jahr für Jahr werden 45 Millionen männliche Küken geschreddert oder vergast, weil es sich nicht lohnen würde, aufs Legen optimierte Rassen zum Fleischhähnchen heran zu ziehen.
Was also? Was bliebe denn übrig, wenn ich auch noch die Milchprodukte von meinem Speisezettel streichen würde? Wäre ich denn bereit, nurmehr von Körnern und Gemüse zu leben? (Neiiiiinnnn!!!) Allein schon der tägliche Milchkaffee bedeutete ja den Verbrauch von bis zu 30 Litern Milch im Monat. Und ein Leben OHNE Käse – ernsthaft?
Unverbissen vegan: die Entdeckung einer neuen Welt
Wie viele hatte ich eine Vorstellung von „veganer Ernährung“, die auf den ersten Blick „noch mehr Verzicht“ mit sich bringt. Im Artikel „Warum nicht gleich vegan?“ setzte ich mich mit diesen abschreckenden (und wie ich später merkte, ziemlich falschen) Vorstellungen auseinander und befand mich für zu alt für derlei drastische Veränderungen. Schließlich trägt mich kein jugendlich-moralischer Furor mehr und ich kann es ganz gut verkraften, nicht an jeder Front hundertprozentig „bei den Guten“ zu sein. Aber mal dies und das ausprobieren, der Sache eine Chance geben, so ganz „unverbissen“ – das sollte schon sein!
Ich begann mit der Milch im Milchkaffe und probierte Sojamilch aus (die nicht so heißen darf, sondern „Drink“). Zu meiner Verwunderung gab es ein breites Sortiment der Geschmacksrichtung „natur“, die aber bei weitem nicht alle gleich schmeckten. Es reicht von „bohnig herb“ (99 Cent) bis fast wie Vanille-Soße (2,30 Euro). Ich ersetzte nicht gleich ALLE Milch, sondern gab erstmal 50% Sojadrink dazu, gestattete mir Rückfälle ins bequeme Billig-H-Milch-kaufen (54 Cent), aber im Lauf der 15 Monate bin ich mittlerweile doch bei fast nur noch Sojadrinks gelandet. OHNE Verzichtsgefühl, denn das Schleimige der Normalmilch kann man sich recht GUT abgewöhnen! (Auch mein Yogalehrer hatte deshalb immer von Milch abgeraten, aus einer ganz anderen Tradition). Wer Soja ablehnt, kann auch Hafer- oder Reismilch nehmen – alles Produkte, von denen ich früher keinen Schimmer hatte!
Weiter gings mit Räuchertofu, den ich als sehr befriedigenden Ersatz für Speck und Schinkenwürfel schätzen lernte. Was für ein Unterschied zur geschmacklosen Natur-Variante, vor der es viele Normalesser zu Recht graust! Zwar wusste ich, dass man auch daran mittels Marinieren viel ändern kann, aber mein Vorurteil ließ mich Naturtofu erstmal überspringen. Ich lernte etwa VIEL BESSERES kennen, das auf meiner Reise in Richtung einer Tierprodukt-freieren Ernährung den großen Sprung nach vorne bedeutete: Weizeneiweis, bzw. SEITAN.
Fleisch-Alternativen, die auch den Käse-Hunger vergessen lassen
Seitan ist eine (einfache!) Zubereitung aus Weizengluten, das traditionell im Bäckereihandwerk Verwendung findet. Man kann es aus Mehl „auswaschen“, aber auch fertig kaufen. Ich bestellte mir ein Probekilo und begann, Seitan selbst herzustellen. Wow, vom Erfolg war ich gleich hin und weg! Ich lernte, dass aus Weizen „Steaks“ werden können und dass meine konkurrenzlos günstige Selbermach-Variante mir besser schmeckt als das (deutlich teurere) Fertigprodukt. Es war, als hätte ich das Rezept entdeckt, Stroh zu Gold zu spinnen! Endlich hatte ich etwas gefunden, das mir Fleisch ersetzte: in der Bolognese, als Gulasch, als Burger, als Alltags-Fleischlappen, der zwar nicht mit Steakhaus-Steaks konkurrieren kann, jedoch das, was ich früher als „Schnitzel mit Pilzen“ gemocht hatte, gültig ersetzt.
Mit dieser Entdeckung sank auf einmal mein Käse-Verbrauch in den Keller. Schließlich hatte ich damit im Grunde Fleisch ersetzt – und dafür wusste ich jetzt etwas besseres, viel näher dran am Original!
Von Moral und Geschmack
Meiner Begeisterung ließ ich im neuen Blog freien Lauf, womit ich dann auch gleich auf für mich einigermaßen ver-rückte Vorbehalte bei manchen Lesern stieß: Offenbar galt es einigen als „Sünde“, anderen als komplett überflüssig, traditionelle Fleischgerichte nachempfinden zu wollen. Ich schrieb also über Moral und Geschmack und ließ mich von dieser seltsamen Sicht der Dinge nicht beirren. Es ist nicht mein Interesse, ein gutes Gulasch nurmehr als „Leichenteil-Suppe“ mit Ekel zu betrachten – muss ich auch nicht, wenn ich eine Pflanzeneiweiß-Variante hinkriege, die sogar Fleischesser überzeugt.
Ein 5-Kilo-Sack Weizengluten (13, 50 Euro) ist seitdem Bestandteil meiner Vorräte und entspricht, zubereitet mit Würzbrühe, der drei bis vierfachen Menge an Fleisch – ein Preis-Leistungesverhältnis, das nicht mal Gammelfleisch toppen kann.
Da der Mensch nicht vom Fleischersatz alleine lebt, erschloss ich mir nebenbei auch noch manch andere Neuerungen des Speisezettels, ich entwickelte pflanzlichen Brotaufstrich, lernte beim Kochen und Backen Eier zu ersetzen und fand auch Gefallen an manchem Körnergericht, das zigmal besser schmeckt als traditionelle „Sättigungsbeilagen“.
Noch näher dran: Sojafleisch
Ich dachte, das wäre es nun im Prinzip gewesen mit der Umstellung auf „mehr pflanzliche Ernährung“. Doch eine weitere Entdeckung belehrte mich eines Besseren: All meinen Zubereitungen aus Seitan fehlte es zwar nicht am Geschmack, wohl aber am richtigen Kaugefühl. Weizengluten hat keine Faserstruktur, allenfalls kommt eine „Fleischkäse-Anmutung“ zustande. Ich dachte, damit müsste ich mich abfinden. Aber nein, auch hier verblüffte mich die Reichhaltigkeit des veganen Universums: Texturiertes Sojafleisch, dass ich anfänglich aufgrund einer falschen Zubereitung als „zu faserig/strohig“ verworfen hatte, erwies sich in einem zweiten Versuch als dem Seitan um Welten überlegen!
Das Video „Sensationelle Schnitzel selbst gemacht“ brachte mich auf die Spur. Ich kochte das einfache Rezept nach und veranstaltete mit meinem Liebsten sogleich ein Test-Essen: wir waren völlig perplex, wie sehr nun auch die Faserstruktur stimmte. Jemand, der nicht weiß, dass es Sojaschnitzel sind, würde es nicht erkennen (allenfalls würden ältere Menschen es toll finden, dass es sich leichter kaut!) Und man kann deutlich MEHR davon essen, was wir auch begeistert taten. Natürlich probierte ich dann gleich auch Bolognese, Gulasch und Schnitzel ohne Pannade – alles mit großem Erfolg. DAS ist nun wirklich die Alternative der Wahl, mit der alles geht, was ich in der Welt traditioneller Fleischgerichte geschätzt hatte. Mit Ausnahme des halb blutigen Steaks vom „hochwertigen“ frei laufenden Rind, klar!
Vom Ende des Elends: Wir könnten, wenn wir wollten!
Wenn aber NUR DAS bleibt als pflanzlich nicht zu ersetzender Fleisch-Genuss – ja um Himmels Willen, wozu braucht es da den ganzen widerlichen und unsäglich grausamen Umtrieb der Massentierhaltung? Mein Appetit auf so ein Steak war auch zu meinen Normalesser-Zeiten eher selten. Diese Art „natur-naher“ Fleisch-Genuss macht bei den meisten „Omnivoren“ ja nur einen winzigen Teil aus. Und der könnte durchaus bleiben und von Bio-Bauern befriedigt werden, die ihre Tiere so gut wie möglich behandeln. Das mit dem Massenfleisch- und Milchproduktkonsum verbundene Elend für Tier, Mensch (Gesundheit!) und Umwelt (!) ist ENTBEHRLICH – und das ganz ohne Askese und Verzichtsgefühle.
Vom Käse ist mir übrigend der Parmesan geblieben, da hat mich die „vegane Variante“ noch nicht überzeugt. Auch Kräuterquark aus Sojaghurt mundet mir nicht, so dass ich auch weiterhin ganz „unverbissen“ gelegentlich ein Milchprodukt verwende. Allerdings viel viel weniger als zu Zeiten, da ich noch keine stimmigen Fleisch-Alternativen kannte. Sahne und Creme-Fraiche-ähnliches hab‘ ich verlustfrei ersetzen können – man muss halt in der Anfangszeit ein wenig forschen, was ja dank des Internets ganz einfach ist.
Ab jetzt gehts um die Wurst
Im Moment befasse ich mich mit der Frage, was aus dem noch unverbrauchten 5-Kilo-Sack mit Gluten werden soll, das ich für klassische Fleisch-Gerichte ja nun nicht mehr brauche. Ich sage nur: WURST! Für Würstchen und Aufschnitt ist die „fleischkäseartige“ Substanz genial – auf die anstehenden Koch-Experimente bin ich schon sehr gespannt, das vegane Universum bietet dafür vielerlei spannende Rezepte.
Wer sich für meine weiteren Forschungen interessiert, kann ja gelegentlich mal auf „Unverbissen vegetarisch“ schauen. Und wer von meinen Stammlesern bzw. Kommentierer/innen mal nach Berlin kommt: Wenn Ihr Euch rechtzeitig anmeldet, ist durchaus mal ein „Demo-Essen“ drin! Nur selbst erlebte Fakten sind ja wirklich überzeugend. :-)
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7 Kommentare zu „Meine Reise ins vegetarisch-vegane Universum“.