Claudia am 18. März 2012 —

Daten sichern – warum eigentlich?

Gleich werde ich wieder einmal Windows neu installieren und bin gerade dabei, ca. 170 GB Daten zu sichern. Daten bis zurück in die Internet-Steinzeit, Texte, Fotos, Webprojekte, Design-Experimente, natürlich auch eine Menge Verwaltungstechnisches, Rechnungen, Kontoauszüge und ähnlicher leider unentbehrlicher Krempel. Noch 22 Minuten, meldet das Kopierprogramm, etwa eine Stunde ist es schon am Werkeln – warum zum Teufel lösche ich nicht einfach mal das, was ich vermutlich niemals mehr brauchen werde?

Im richtigen Leben hab‘ ich seit Jahren eine Menge Zeugs entsorgt. Alte Texte aus Vor-Internet-Zeiten, den Großteil der Fotos, sogar „Werke“ aus diversen Arbeits- und Hobby-Zusammenhängen – und ich fühlte mich erleichtert!

Warum schaffe ich das auf der eigenen Festplatte nicht? Nun, allein schon das Sichten und Entscheiden würde mich Tage beschäftigen. Und: Kann ich wissen, was ich morgen vielleicht doch noch brauchen werde?

Unbeliebte Blogartikel löschen?

Kürzlich landete ich auf einem Blog, das ich gerne lese, doch der Artikel war bereits gelöscht. Ich fragte per Mail nach, wohin er verschwunden sei. Und bekam vom Autor die Antwort, der Beitrag habe „keinen Anklang gefunden“, deshalb habe er ihn gelöscht.

Beeindruckend! Den letzten Eintrag hier könnte ich mit gutem Recht ebenfalls löschen – so eine Rückschau interessiert niemanden, was ich auch gut verstehe. Wäre es da nicht sinnvoll, Texte nur „überleben“ zu lassen, wenn sie auch Resonanz finden?

Das Festhalten an alten Daten und Texten füttert die Illusion, es gäbe etwas Bleibendes. Die Wahrheit ist, dass meine ganze Weblandschaft ersatzlos verschwinden könnte und kaum jemand würde etwas vermissen. Es steht ja sowieso „viel zu viel“ im Web.. :-)

Wow, meine Datensicherung ist fertig – 10 Minuten früher als verlautbart.

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Diskussion

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21 Kommentare zu „Daten sichern – warum eigentlich?“.

  1. Ja, so ähnlich geht es mir auch. Ich frag mich auch bei meinen EMails, wieso ich die letzten Jahrzehnte behalte, obwohl ich nicht mal mehr genau weiß, wer mancher noch mal war. Ich hab mich da etwas für die Schicksalslösung entschieden. Ich sichere extern nur meine Fotos, Bücher, Musik und aktuelle Kundenprojekte in die Cloud. Bei einer gesteuerten Neuinstallation, wie bei Dir, versuche ich auch den Rest zu retten. Kommt aber mal der Gau, war das Schicksal… vielleicht gnädig und der Rest ist weg.

  2. Ich hebe vieles aus ähnlichen Gründen auf wie von dir erwähnt: das Sichten und Aussortieren würde weitaus mehr Zeit fressen als das Mitsichern – Daten fressen ja kein Brot, anders als greifbare Speichermedien wie Fotos, Fotoalben, Kassetten, Bücher etc.

    Und es passiert mir doch immer wieder, dass ich eine 10 Jahre alte Mail suche, oder alte Daten – leider habe ich aus meinen Netz-Anfängen vieles nicht gesichert, und manches davon habe ich schon gesucht.

    Ich habe aber die abgeschlossenen Sachen alle in einen Archivordner befördert, den muss ich dann nicht jedesmal mitsichern, das spart einiges an Zeit bei der Datensicherung.

  3. Für ältere Projekte und Dateien ist auf meiner Datenpartition ein Wurzelordner „Obsolet“. In diesen verschiebe ich Verzeichnisse mit Projekten, die ich nicht mehr verfolge. Rechnungen und anderer „Papierkram“ des vergangenen Jahres landet ebenso dort strukturiert abgelegt, z.B. „Rechnungen/2010“.

    So ist der Rest auf der Festplatte, wie sie ein Dateimanager etc. anzeigt, nicht „überfüllt“ und aktuelles finde ich schneller.

    Obsoletes schaue ich so gut wie nie an, kann aber bei Bedarf darauf zugreifen und ob/wann dieser besteht, kann ich nicht vorhersagen. Fehlt später etwas wichtiges, ist dies ärgerlicher, als ein zusätzliches Wurzelverzeichnis auf der Festplatte, das im Gegensatz zu Schränken, Büchern etc. keinen zusätzlichen Platz belegt, sofern die Festplatte eine ausreichende Speicherkapazität hat (keine zusätzliche Festplatte extra für obsolete Daten benötigt wird, selbst dann ist der physikalische Platzbedarf etwa jener eines Taschenbuchs).

  4. Ich nehme an (oder hoffe), daß du mit deinem Satz: “Im richtigen Leben hab’ ich seit Jahren eine Menge Zeugs entsorgt. Alte Texte aus Vor-Internet-Zeiten, den Großteil der Fotos, sogar “Werke” aus diversen Arbeits- und Hobby-Zusammenhängen – und ich fühlte mich erleichtert!“ eher den physikalischen Aspekt (endlich kann ich in meinen Zimmern wieder einen Fuß auf den Boden setzen, ohne daß… usw.) gemeint hast, denn alte Hefte/Kladden/Fotos wegzuschmeißen kommt bei mir gleich nach alte Freunde nicht mehr zu kennen. Wenn es etwas gibt, das ich (gerade in miesen Momenten) liebe, dann ist es, in Dingen herum zu kramen, die aus vergangener Zeit auf mich gekommen sind und sich dann heftig mit meinen Gedanken und Erinnerungen balgen.

    Diese Dinge ’sichern‘ jedoch nichts, oder genauer, sie aufzuheben, sichert nichts, denn unverdrossen und nicht zu beeindrucken von jeder empirischen Faktizität regiert mein Denken selbstherrlich über solche altehrwürdigen Zeugenaussagen. Doch just die Diskrepanz dazwischen reizt mich manchmal sehr.

    Auch dieser Behauptung ( „Das Festhalten an alten Daten und Texten füttert die Illusion, es gäbe etwas Bleibendes.“) leuchtet mir nicht ganz ein, da letztlich dein Dasein und du selbst das Bleibende (auch) der alten Daten und Texte dar stellen. Diese Tatsache steht nur nicht auf dir drauf oder wird andauernd laut mitgedacht. Es bleibt natürlich nur, solange du bleibst, i.e. lebst, und erst danach beginnt ein langsames Verblassen deiner Geschichte.

    Ich habe einmal versucht, durch Wegwerfen und Zerstören mit der in einigen Teilen meiner Familie fast wie eine Karikatur betriebenen Bewahrung von Vergangenheit (die an ‚Vergangenheitsanbetung‘ heran reicht) zu brechen. Mich hat es angewidert, wie Geschichte zur Anhäufung von Anekdoten wurde und diese durch Wiederholung, Überhöhung und Festschreibung zu leblosen Korsetts toter Menschen und Verhältnisse wurden. Ich habe dabei eben das gespürt, was ich natürlich vorher schon wußte, aber ohne lebendiges Fühlen dieses Sachverhaltes, nämlich wie sehr ich meine Geschichte immer neu erfinde und umschreibe, je nach meinen momentanen Bedürfnissen, selbst wenn ich bewußt versuche, diese Falle zu vermeiden. Und vor allem fiel mir auf, daß ich mich sogar vom Beweis des Gegenteils nicht von einer aktuell geliebten Behauptung abbringen lasse, vorausgesetzt, diese Liebe ist intensiv genug.

    Datensicherung, das ist mein Punkt (um zum Ende zu kommen), geht also (in einem inhaltlichen Sinne) gar nicht.

    Jeder noch so detailliert aufbewahrte Berg an Monstranzen, Remineszensen und stummen oder beredten Zeitzeugen ist willfähriges Opfer meiner jetzigen Interpretationsgelüste. Einzig der Spaß dabei, sich etwaige Differenzen ab und zu um die Ohren zu schlagen, ist eine Konstante und für mich Grund genug, solche Berge nicht wegzuräumen und sie hin und wieder tapfer zu besteigen. Und da macht das Gucken auf einen Bildschirm (egal ob Text, Foto oder Video) mir deutlich wenige Vergnügen als in knittrigen Papieren, staubigen oder naß gewordenen Kladden und Heften, ramponierten Schätzen wie Stofftieren und Kleidungsstücken oder unscharfen Fotos mit meinen Fingern handfest ins Gewesene zu greifen.

  5. Ich weiß nicht, @Susanne, ob ich das so radikal für mich formulieren würde: „…ist willfähriges Opfer meiner jetzigen Interpretationsgelüste“. Ich denke, gerade bei meinen biographischen Notizen etwas wiederfinden zu können, das es wert ist, anzuschauen. In der Regel weiß man oft sehr genau, wann und wieso man diese Dinge geschrieben hat.
    Damit schliesse ich auch an an den Vorgängerartikel von Dir, @Claudia, an. Ich hatte vor ein paar Tagen etwas zum Wert alten Materials geschrieben und dann wie so oft es nicht abgeschickt. Das liegt oft daran, daß mir meine „Meinung“ „austauschbar“ vorkommt, wie ein Chatbeitrag eben. Anstatt solche Dinge wie @ Susanne zu benennen, schweige ich dann lieber.

  6. -Auch dieser Behauptung ( „Das Festhalten an alten
    -Daten und Texten füttert die Illusion, es gäbe etwas
    -Bleibendes.“) leuchtet mir nicht ganz ein, da letztlich -dein Dasein und du selbst das Bleibende (auch) der
    -alten Daten und Texte dar stellen.

    -Diese Tatsache steht nur nicht auf dir drauf oder wird
    -andauernd laut mitgedacht.

    -Es bleibt natürlich nur, solange du bleibst,
    -i.e. lebst, und erst danach beginnt ein
    -langsames Verblassen deiner Geschichte.

    Hallo Ihrs:)
    ich habe im laufe von 9 Jahren (1987-1996 ca)
    „im Internet“ (angefangen in foren der guten alten btx
    vergangenheit, über webseiten, eigenen und fremden,
    bis hin zu den -auch- schon fast vergessenen use-net
    literaturforen) unzählige schriftzeichen für die
    -eingebildete- historische Ewigkeit im raum und zeitlosen
    nirgendwo hinterlassen. alles in allem sehe ich diese
    nur noch rudimentär vorhandenen Hinterlassenschaften als
    Gespräche (selbstgespräche und unterhaltungen) die mir-
    just zu der Zeit als ich sie geschrieben/entwickelt/erfunden
    hatte- jede menge Spass bereitet haben.

    nun, die Zeit der „naiven“ Freude am Gespräch scheint mir
    vorbei; alles ver-öffentlichte kann (und wird:) gegen oder
    für mich verwendet werden, ohne dass ich jedweden Einfluß
    darauf nehmen könnte.

    mir ist dies heute (2012) nicht mehr so wichtig,
    konkrete-für mich bedrohliche dinge- können damit
    eh nicht angestellt werden, und die paar lacher
    oder erfreuten gesichter ob meiner texte kann ich
    schon noch ab.

    zu meiner „aktiven“ tastaturschinderlingszeit habe ich
    so gut wie alles natürlich abgespeichert, für mich
    zur orientierung, zum selbstbeweis meiner existenz,
    zum weiss der geier warum.

    dann kamen ettliche Rechner-crashs, neue Rechner,
    neue provider und bei jedem Umrüstvorgang verschwand
    so manches geschriebene unwiederbringlich im datenhimmel
    (stabile umlaufbahn Uranus:)
    ist besser so, ich lese eh nicht mehr so viel, die augen
    wollen nicht mehr so lange etc:)

    ich sichere nur noch „arbeitsrelevante Daten“ steuer,
    Betriebsdinge (konstruktionen etc) Sachen die tatsächlich
    für Kunden,das Finanzamt und mich wichtige Informationen
    enthalten. alles andere kann und ist weg. Fort wie
    verklungene Unterhaltungen. Ein gespräch lebt nur in
    dem Moment der Zusammenkunft, später hat sich das grosse
    rad weitergedreht und die Bewertung der Inhalte wäre
    eh völlig anders als zu der tatsächlichen zeitnahen
    Eindrücke. Lässt sich ein Gespräch tatsächlich fortlaufend
    speichern? eher nicht, wir verändern uns alle, ständig,
    ohne wiederkehr und das ist wohl auch gut so.

    Geschichte ist was für Geschichtsbücher, gedrucktes, ISBN
    vernageltes und dazu reicht wohl nur sehr selten die
    „erfinderhöhe“ der getippten Zeichen.

    gruss ingo

  7. Doch, jemand fand die Rückschau interessant. Ich. Für ca. sieben Sekunden. Aber ist damit etwas gesagt? Was bedeutet das? Was bedeutet das? Soll es etwas bedeuten? Und wenn ich tot bin – ist es noch von Bedeutung? Oder etwas anderes? Oder das Gegenteil von allem? Was bedeutet interessieren? Wozu interessieren? Wozu Interesse? Warum ist Pikasso interessant und Muriello ein Niemand? Es ist unklar, es ist unklar, was wollen will, was sollen soll … Was soll das sollen? Verdammtes Sollen, und noch verdammteres Wollen, das verdammteste von allem – ach, es muss am Wetter liegen

  8. @alle: Danke Euch, dass Ihr die Zeit und Laune für einen Kommentar hattet!

    @Chräcker: interessant, diese „Schicksalslösung“! Statt Schicksal hat bei mir die Technik und diverse Umzüge von altem auf neuen PC dafür gesorgt, dass zumindest die Mails der ersten Jahre verschwunden sind: Exportiert als Archiv, eine Zeit lang noch mitgeschleppt, nie wieder importiert.. und irgendwann dann doch gelöscht.

    @limone @Elmar: was für eine schlichte und nützliche Idee, diese „Archivordner“ – und wirklich seltsam, dass ich nicht drauf gekommen bin, das auch so zu machen! (Jetzt aber!)

    @Susanne: genau DAS, was du beschreibst, wollte ich durch „Entsorgen“ vermeiden: dass ich (womöglich im Alter zunehmend) Lebenszeit darauf verwende, in uralten Schriften und Bildern zu wühlen – ok, ein einziges Fotoalbum, bis 28 „ordentlich“ bestückt und einer Prospekthülle mit losen Fotos, hab ich aus sentimentalen Gründen behalten. Es aber in den letzten 10 Jahren gerade EINMAL angeschaut (zusammen mit einem neuen Liebsten: guck mal, das war ich mit 5, 10, 25…).

    Aber alles Schriftliche, sämtliche alten Briefe, dazu die Ergebnisse unzähliger Schreib-Events, sentimentale Geschenke ohne Nutzwert, Notizbücher, „Kladden“ – es war mir ein Fest, als ich endlich im Stande war, mich von alledem zu trennen. Anders als du es von dir berichtest, hat es mich nämlich NIE gelockt, in diesem Kram zu stöbern – es war einfach nur eine Last von Umzug zu Umzug.

    Auch die Vorstellung, dass ich dann womöglich als Greisin in diesen Dingen wühle, weil ich es nicht mehr fertig bringe, mich für die Gegenwart zu interessieren, fand ich eher erschreckend als angenehm. Die Vernichtung war insofern auch eine klare „Order an mich selbst“: Bleib lebendig im Hier & Jetzt, so lange du noch atmen kannst!

    Dass ich meine Vergangenheit aus der jeweiligen Gegenwart heraus immer wieder neu interpretiere bzw. „erfinde“, war eine frühe Einsicht im Zuge vergangener Kreativ-Schreiben-Kurse. Warum also diese – für jetzt ja stimmige – Neuerfindung durch Altmaterial stören? :-)

    Die Materialien und jede Menge Fotos aus meinen politisch aktiven Jahren hab ich einem Historiker überlassen, da ist das alles in den richtigen Händen (und ein altes Original-Care-Paket, das ich einst im Keller fand, ging an ein Museum).

    @Gerhard: deine Meinung ist ja nicht nur „Meinung“, wenn du vom eigenen Erleben ausgehst und das einfließen lässt – gerne hätte ich deinen Text zum „Wert des Altmaterials“ gelesen! :-) Ganz besonders unter dem letzten Artikel, denn da hatte ich mir die Freiheit genommen, kaum darauf zu achten, ob das Geschriebene jetzt „spannend für die Welt“ ist – und prompt gab es auch NULL Kommentare! :-) Was mich darin bestätigte, dass persönliche Rückschau zum Uninteressantesten gehört, was man so ins Web stellen kann! Die Rückschaufunktion (vor einem Jahr, vor 5 Jahren, vor zehn Jahren, 2014 – to toi toi – dann auch „vor 15 Jahren) werd ich trotzdem einbauen. Mal schauen, ob ich sie dann selber auch benutze..

    @Ingo:

    „mir ist dies heute (2012) nicht mehr so wichtig,
    konkrete-für mich bedrohliche dinge- können damit
    eh nicht angestellt werden“

    Kann ich daraus schließen, dass ich die Hommage „Der mit der Trennwand tanzt“ wieder ins Web stellen könnte? :-) Deinen Realnamen könnte man ja weglassen und ein altes Pseudo nehmen…

    ***

    Nun, alles in allem hat die Digitalisierung es mit sich gebracht, dass mein Leben „ab 42“ auf der eigenen Festplatte (und ab 99 auch im Diary) recht zugänglich ist. Das auch mal zu nutzen, mutete mich so seltsam an, dass ich den letzten (langweiligen) Artikel schrieb – es aber wohl nicht vermochte, meine massive Irritation so richtig rüber zu bringen.

    Auch deshalb nochmal herzlichen Dank für Eure Einlassungen!!

  9. @Jovan: genau das sind auch die Fragen, die mich umtreiben, wenn ich mich frage, ob und warum es sinnvoll sein könnte, Geschriebenes von früher zu erhalten oder auch nur zu sichten!

  10. @Claudia, es kann schon sein, dass „persönliche Rückschau zum Uninteressantesten gehört, was man so INS WEB stellen kann“.
    Die persönliche Rückschau halte ich privat, für mich selbst, aber durchaus für spannend – wenn auch nicht „alleine glücklich machend“.
    Ich hatte mir mal in 2 aufeinanderfolgenden Jahren die Mühe gemacht, meine Aufzeichnungen des zurückliegenden Jahres durchzusehen und auszumachen, welche „Schwerpunkte“ in dieser Zeit anzutreffen waren. Welche Gedanken hatte ich immerzu gehegt? Vielleicht welche, die mir garnicht mehr geläufig waren. Die abgelöst worden sind und nicht mehr gedankliche Realität.
    Die Aufzeichnungen anzuschauen kann dazu führen, so manchen Irrglauben aufzudecken, einen hartnäckigen Gedanken auszumachen, der, genau besehen, keine echte Substanz hat. Man schaut sich sozusagen über die Schulter und teilt einem mit, was man wahrnimmt.
    Mit etwas Abstand mag das einfacher sein.

  11. Danke, Gerhard!

    Wenn ich meine alten Texte anschaue, bemerke ich eher „Schreibtechnisches“, wie etwa die Unart, zu viele Sätze mittels Bindestrich zu unterbrechen – so in der Art. Oder zu viele Ausrufezeichen etc.

    Davon abgesehen ist es mir irgendwie seltsam, „mir selbst zuzuhören“! Zum Beispiel im Text „Kommunikativer Burnout“ von 2005 (mit „Rückschau“ auf vergangene Netzjahre). Das bin ICH, es klingt, als hätte ich es letzte Woche geschrieben – und doch ist es fast 7 Jahre her.

    Wahrscheinlich gruselt mich einfach der Zeitablauf, das schnelle Verinnen des Lebens…

  12. Mich irritiert an Deiner Aussage: “Auch die Vorstellung, dass ich dann womöglich als Greisin in diesen Dingen wühle, weil ich es nicht mehr fertig bringe, mich für die Gegenwart zu interessieren, fand ich eher erschreckend als angenehm.“, daß diese anzudeuten scheint, es gäbe einen Gegensatz zwischen der einen Zuwendung zum Jetzt und der anderen zu materiellen Zeugnissen der (eigenen) Vergangenheit. Vielleicht ziehst Du diesen Schluß gar nicht, aber der Tenor Deiner Replik legte ihn mir nahe.

    Ich habe gelegentlich mit einigen (älteren) Damen und Herren zu tun, die leidenschaftlich gerne in solchen ‚Dingen wühlen‘, wobei sie sowohl in ihrer Vergangenheit ‚leben‘ als auch in unserer (ihrer und meiner) Gegenwart. Ich bilde mir sogar ein, daß sie mittels des Berührens von Gegenständen des Damals leichtherziger einen Zugang zum Jetzt finden, zumindest aber habe ich bei wenigen von ihnen den Eindruck, sie brächten es nicht (mehr) fertig, sich für die Gegenwart zu interessieren.

    Im Gegenteil stimuliert dieses ‚Wühlen‘ ihr Interesse an ihrer Umgebung und ihre Urteilskraft über diese, und es macht, zumindest für mich, viele ihrer Aussagen, Beschreibungen und Andeutungen auf eine mir wertvolle Weise ‚fühlbar‘ und ‚begreifbar‘.

    Bevor ich Dir persönlich jetzt unterschiebe, was mich hier gleich in Grund und Boden zu verdammen reizt – nämlich wenn Menschen die Künstlichkeit des Momentes plus einer oft dann rasch extrapolierten Ewigkeit des Jetzt auf Kosten des Bewahrens und Beachtens einer sachlichen (was dingliche wie menschliche Zeugen umfassen kann) Kontinuität des Vergangenen hochhalten – warte ich lieber ab, ob und falls, wie Du den von mir ja nur vermuteten Hintergrund Deiner o.a. Aussage bestätigst oder auch abänderst.

    Im Übrigen empfinde ich solch eine Diskussion bzw. ein Thema wie dieses hier keineswegs als obsolet (etwas, das ich aus einem anderen Posting hier zur Kandidaten-Brautschau bei den Grünen entnehme) angesichts anderer (aktueller) Themen, deren Behandlung durch diverse Kommentatoren bei Verwendung von ein wenig materialeren und langfristiger angelegten Hinweisen als jenen, die so fix aus dem Internet auf uns kommen, erheblich an Qualität, Aussagekraft und Nachhaltigkeit gewönne.

  13. @Susanne, das Wort und die Verwendung des „Jetzt“ reizt Dich schon sehr. Dabei steckt nichts anderes dahinter, als „innezuhalten“,sich öfters zu fühlen und sich wahrzunehmen. Auch SOGENANNTE spirituell ausgerichtete Menschen achten ihre Vergangenheit und reflektieren sie. Es geht ihnen aber darum, nicht ENDLOS Vergangenes umzugraben und sich von ihm mental und gefühlsmässig immer wieder beherrschen zu lassen – zuungunsten der Gegenwart, in deren Gegenwart dann evtl. dieses Endlosschauspiel einnehmend im Kopf stattfindet.

  14. @Susanne: wie man das so sieht, hängt vermutlich sehr davon ab, was für alte Leute man persönlich gekannt hat! Bei mir waren das eben vornehmlich Menschen, die dauernd von „damals nach dem Krieg“ erzählten, wenn mir mal eine Leberwurst nicht schmeckte. (DAMALS wären wir froh gewesen..etc. usw.) Auch mit Erinnerungsmaterialien voll behangene Wände und Glasschränke voller lebenslang gesammelter „Andenken“ finde ich eher bedrückend als interessant.

    Für mich hoffe und wünsche ich, am aktuellen Geschehen (sowohl politisch-gesellschaftlich, als auch persönlich) interessiert zu bleiben. Wach genug, um mich für den Menschen, der gerade vor mir steht, zu interessieren – anstatt komplett ignorant wieder und wieder aus der eigenen lang vergangenen (!) Vergangenheit zu berichten, ob das nun gerade passt oder nicht.

    Was übrigens die wirklich wichtigen Einsichten angeht, die man im Lauf des älter werdens gewinnt, so halte ich diese für nicht wirklich durch Worte vermittelbar. Aber das ist wieder ein anderes Thema…

  15. […] zum Kommentargespräch über mentales Versinken alter Menschen in der Vergangenheit hier eine kurze Rede der Philosophin Hannah Arendt (7 Minuten über “Staunen”). Es […]

  16. @Gerhard+Claudia: Natürlich wird niemand, die ihren Verstand beieinander hat oder nicht beruflich damit befaßt ist, endlos mit Dingen der Vergangenheit sich herum plagen oder sich (mental bzw. gefühlsmäßig) beherrschen lassen oder die Umwelt mit Geschichten aka ‚Wie ich damals den Krieg gewann resp. verlor‘ nerven. Das ist sicherlich nicht der Gegensatz, gegen den ich oben andeutungsweise polemisieren wollte, und mein Ärger richtet sich absolut nicht gegen jeden Versuch, sich der Zukunft (was anderes ist für mich der Moment ja nicht als die Schwelle der Zukunft) an Stelle der Vergangenheit zuzuwenden.

    Vielmehr sehe ich den einen Pol des Gegensatzes – der andere ist selbstverständlich das rührselige Kramen mit großen Augen in alten Fotos ;-) – in dem Versuch, dem Moment, dem Jetzt eine Eigenschaft beizumessen, die meiner Auffassung nach gar nicht darin liegen kann. Nämlich den einer originären Existenz, einer besonderen (spirituellen oder analytischen oder emotionalen) Bedeutung für mich, das Leben, Denken, Fühlen und solchen Krams halt.

    Ich kann mir ‚den Moment‘ nur denken innerhalb einer Mannigfaltigkeit von Momenten, die ich mittels solcher Begriffe wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mir anzuordnen versuche, und in dieser oktroierten Ordnung eines stetigen Zeitstromes sind alle Seiten zugleich beteiligt.

    Es gibt viele Hilfsmittel, mit denen ich das bewerkstellige. Mein Gedächtnis, der angelernte Begriffsapparat, kluge oder weniger kluge Modelle, alberne oder verzweifelte Hoffnungen, auf mich gekommene Ängste, liebe Gewohnheiten und noch tausend andere Mittel mehr. Richtige, handfeste Dinge, Denkmäler, Andenken, geliebte Erinnerungsstücke, Fotos, Aufzeichnungen, also all der sachlich dinghafte, bleischwere Ballast, sind auch ein solches Mittel.

    Mich verwirrt weniger, wenn jemand sagt, daß sie/er sich von dem in den Zimmern herum liegenden Krempel befreit hat (sonst lauerte ja der Messi schon gleich um die Ecke). Das tun wir alle irgendwann allein schon aus hygienischen und haushaltstechnischen Gründen. Sondern mich stört es ganz gewaltig, wird diese Befreiung fast schon zum Programm erhoben, so als wäre eine (auch) sachliche Verbundenheit mit der (auch eigenen) Vergangenheit per se irgendwie ‚hinderlich‘ oder ‚hemmend‘, geht es um so wichtige Dinge wie Selbsterkenntnis, Zufriedenheit, Weltzugewandtheit, Lebendigkeit usw.

    Das halte ich nämlich gelinde gesagt für großen Quatsch! Und die manchmal so vehement propagierte Lebendigkeit aus dem Moment heraus halte ich für einen plumpen Abklatsch, eine nicht eingestandene und deswegen zwar attraktive, aber flüchtige und verlogene Imitation jener Momente von Lebendigkeit, die etwa fröhlich im Sandkasten spielende Kinder erleben, welche Kasten und Sand für etwas stets Gegebenes voraussetzen (dürfen und können und sollen, dafür sind sie Kinder!) und ihre Förmchen und Schaufeln für die eigentlichen Werkzeuge einer Welt aus Glückseligkeit halten.

    Oder, um es etwas polemischer und angreifbarer zu sagen: die gedankliche Isolation und Überhöhung des Momentes aus Vergangenheit und Zukunft heraus ist für mich eine Form von Bewußtsein, die sich gezielt außerhalb der Lebendigkeit jedes menschlichen Reproduktionszuammenhanges stellt, welcher intensiv mit Dingen und ihren womöglich extrem langfristigen Lebensdauern und aus der Vergangenheit in die Zukunft reichenden Herstellungszyklen zu tun hat. Es – das o.a. Bewußtsein – tut das gerne, indem es diesen – den o.a. Zusammenhang – zwar voraussetzen muß, ihn aber in seinen Selbsterklärungen dann meistens schamhaft verschweigt.

    Typischerweise findet dieses Bewußtsein sich daher auch oft dort, wo Menschen sich (gewollt oder erzwungen) aus solchem Zusammenhang entfernen, in der Abgeschiedenheit von Klöstern, Klausen, Kaderschulen, Kleinfamilien und ähnlich klaustrophoben Veranstaltungen, und es paart sich trotz der angeblichen Weltverbundenheit seltsamerweise nach und nach nicht nur mit einer an sich harmlosen Weltabgeschiedenheit, sondern gerne mit einer anfangs stillen, dann aber gar nicht harmlosen Weltverachtung, was manchmal sogar zu elitären und rasch autoritären Denkmustern führt, in denen sich exklusives Superwissen oder nur Eingeweihten verliehene Realitätszugänge tummeln.

    Vielleicht hilft es dann ein wenig, sich selbst als Teil eines ganz dinglichen Lebenszusammenhanges aus Füttern, Saubermachen, Pflegen usw. zu sehen, sich durch das Betrachten oder Anfassen daran erinnernder Dinge dessen zu vergewissern und damit den Kopf ein wenig aus den Wolken heraus zu bekommen.

    So!

    Bevor ich jetzt noch alle anderen Übel dieser Welt daran aufhänge, keine alten Texte in Heften im Schrank aufbewahren und ab und zu heraus holen zu dürfen, mache ich lieber Schluß mit meiner Suada, wünsche allen ein sonniges und fröhliches Wochenende und gestehe (zu meiner Entschuldigung, wie es in Neusprech so schön selbstgerecht lautet) ein, daß solche Brandreden auch mit dem aktuell sehr heftigen Pollenflug zu tun haben könnten…

  17. @Susanne: vermutlich kann ich deinem GANZEN Text jetzt nicht umfassend gerecht werden, greife mir also etwas heraus, um mal aus meiner Sicht zu beschreiben, was es mit dem „Jetzt“ auf sich hat:

    „Ich kann mir ‘den Moment’ nur denken innerhalb einer Mannigfaltigkeit von Momenten, die ich mittels solcher Begriffe wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mir anzuordnen versuche, und in dieser oktroierten Ordnung eines stetigen Zeitstromes sind alle Seiten zugleich beteiligt.“

    Den Moment kann man nicht DENKEN, sondern nur ERLEBEN. Das ist es auch, was Hannah Arendt in dem grade geposteten Beitrag sagt: dass sich das Denken nämlich wie eine Glaswand zwischen mich und den Anderen schiebt, sobald ich „an ihn denke“, während er doch vor mir steht.

    Die Alternative zum Denken ist nicht zwangsläufig „flüchtige und verlogene Imitation jener Momente von Lebendigkeit, die etwa fröhlich im Sandkasten spielende Kinder erleben“, sondern das Verstummen des Denkens im bloßen Wahrnehmen und FÜHLEN – was bei uns „Denk-Süchtigen“ dann im besten Fall das „Wahrnehmen der Gedanken“ einschließt, jedoch ohne dass man ihnen engagiert folgt.

    Im Grunde also die innere Haltung der Meditation (die nicht nur in Klöstern einen Sinn hat), deren Übung ja als ÜBUNG der Umgang mit einem Defizit ist, bzw. der Versuch, die vielen anderen Weisen des in-der-Welt-Seins – neben dem Denken – auch noch / wieder wahrnehmen zu lernen.

    Im Garten kann ich eine Pflanze anschauen und ihren Wachstumsfortschritt bewerten, darüber spekulieren, ob sie dieses Jahr trotz Frost-Erfahrung blühen und fruchten wird – oder ich kann sie einfach anschauen, bei den Details der Wahrnehmung bleiben… und SO eröffnet sich oft eine ganz andere Welt des Erlebens. DAS ist es ja gerade, was am Gärtnern oder auch an Hobbys wie „Töpfern“ als so wohltuend und ausgleichend empfunden wird: das Aufgehen im Augenblick, im konkreten Wahrnehmen und Tun. Die meisten Menschen erleben es wenigstens noch im Orgasmus.

    „…die gedankliche Isolation und Überhöhung des Momentes aus Vergangenheit und Zukunft heraus ist für mich eine Form von Bewußtsein, die sich gezielt außerhalb der Lebendigkeit jedes menschlichen Reproduktionszuammenhanges stellt“

    Wie gesagt gehts nicht um „gedanklich“, sondern ums DA SEIN – aber interessant in dem Zusammenhang ist wiederum die Rede der Ahrend, die mit guten Gründen darauf hinweist, dass gerade das DENKEN selbst nicht in den menschlichen Machenschaften zuhause sei, sondern im „Staunen“ beheimatet, also durch ein Erleben erst angestoßen wird.

    Auch ich wünsch dir ein super Wochenende und finde deine Polemik gar nicht schlimm! :-)

  18. @Susanne, das Sich endlos mit Dingen „der Vergangenheit“ zu beschäftigen, enthält m.E. auch und GERADE Selbstzweifel, innere Selbstbeschränkungen, Gehemmtheiten u.ä., die ihr Unwesen allezeit und gerade in Momenten, in denen Aufmerksamkeit und Achtsamkeit möglich wäre, treiben. Diese inneren Gebetsmühlen bereitwillig laufen zu lassen als nahezu „allein seligmachendes Gut“ und darüber womöglich zahlreiche Momente der Gewahrsamkeit zu versäumen, darum geht es bei der „Beschwörung“ des Moments, dem Jetzt.
    Der Moment hat natürlich keine originäre Existenz. Das Erleben des wie auch gearteten Augenblicks möglichst ohne Gedankenmühle, die sich um das Gerade rein garnicht schert, das ist es, was den Moment besonders macht. Es wird nicht viele Momente am Tag geben, aber bitte im Verhältnis zur Sorgenmühle ein vernünftiges Maß.
    Unlängst habe ich Fotos einer Geburtstagsparty ausgewertet. Die Party war sehr gelungen und bot Anlass echter Freude über diese Stunden. Dennoch waren sehr viele Gesichter versteinert. Die Leute waren irgendwo, nur nicht hier und dort. Statt einzutauchen in die Möglichkeiten dieser Stunden, waren sie unterwegs, auf ihrem ganz persönlichen Trip. Und ich glaube, relativ oft.
    Und auch von mir hier nichts gegen Vergangenheit. Ich habe in diesem Artikel von Claudia ja Vergangenheitsbetrachtung gewürdigt.
    Aus Vergangenheit bin ich gemacht, sie hat ihre Spuren hinterlassen. Durchaus lohnt sich der Blick aufs Gestern, auch und gerade, wenn man eigene Aufzeichnungen durchforstet.
    Schönes Wochenende auch Dir und Claudia!

  19. @Claudia,
    Dein Satz „Die Alternative zum Denken ist…das Verstummen des Denkens im bloßen Wahrnehmen und FÜHLEN – was bei uns “Denk-Süchtigen” dann im besten Fall das “Wahrnehmen der Gedanken” einschließt, jedoch ohne dass man ihnen engagiert folgt“, beinhaltet im Grunde alles, was mit dem Fast-Mainstreamwort Moment gemeint ist.

    Meinen letzten Beitrag habe ich für eine gewisse Zeit nicht im Digital Diary gesehen. Ich dachte schon, er wäre technisch nicht gepostet worden.

    Nochmal schöne Zeit!

  20. @Gerhard: das ist mi unerklärlich! Entweder es bleibt in der Moderation, ODER es wird veröffentlicht… vom Blogscript aus ist technisch eigentlich nichts anderes möglich. Aber man staunt ja immer wieder, was DOCH passiert… :-)

  21. @Nein, er blieb nicht in der Moderation, tauchte aber nach etwa 20 Minuten im Digidiary auf. Und zugleich war der Artikel dann plötzlich noch 9 Minuten editierbar, so wie es von Anfang an hätte sein sollen.
    Das passiert ab und an einmal.