Sicher habt Ihr es mitbekommen: Der Entwurf eines „Leistungsschutzrechts“ für Presseverlage liegt nun vor und enthält Regelungen, die geeignet sind, das Netz, wie wir es kennen, grundstürzend zu verändern.
Die derzeit üblichen Verlinkungen von Presseartikeln mit kurzem Anreisser werden dann nicht mehr möglich sein, denn man müsste zuvor die Erlaubnis des Verlags einholen und evtl. dafür zahlen. Da selbst „kleinste Textschnipsel“ unter den Schutz fallen sollen, ist vermutlich nicht einmal mehr der Titel verlinkbar/zitierbar.
Dass nicht-kommerzielle Postings ausgenommen werden sollen, ist nur scheinbar eine Einschränkung, denn schon eine einzige Anzeige und sogar ein Flattr-Button machen laut dem Entwurf die Publikation „kommerziell“. Mehr noch: auch wenn keinerlei Einnahmemöglichkeiten vorhanden sind, wird das Publizieren dann als kommerziell eingestuft, wenn der Autor/die Autorin im Rahmen der Themen des eigenen beruflichen Spektrums schreibt, kommuniziert, veröffentlicht.
Zwar soll das Zitatrecht angeblich nicht angekratz werden, doch wer sich im Netz bewegt, weiß, dass kaum eine Link-Weitergabe den Erfordernissen des Zitatrechts entspricht, das lediglich Zitate im Rahmen einer eigenen geistigen Auseinandersetzung mit dem Thema erlaubt.
Eine „Verwertungsgesellschaft“ analog der GEMA, wie ursprünglich angedacht, enthält der Entwurf nicht. Damit wird die Regelung zu einem Verbotsgesetz mit Erlaubnismöglichkeit: Vor jeder Verlinkung müsste man fragen bzw. einen Vertrag mit dem Verlag schließen.
Rechtsunsicherheit auch unter Bloggern
Was ist nun ein dann geschütztes „Presseerzeugnis“? Das ist so schwammig formuliert, dass durchaus auch Blogs darunter fallen können, die mit journalistischem Anspruch bloggen. Ein geschickter Schachzug, denn damit besteht die Rechtsunsicherheit auch dann, wenn man Blogs verlinkt: Wer will denn wissen, ob das verlinkte Blog nicht ebenfalls ein paar Euro per Leistungsschutzrecht machen will? Man müsste also auch dann fragen, will man auf der sicheren Seite sein.
In der Begründung zum Entwurf steht dazu recht deutlich:
“Bei Internet-Blogs ist zu differenzieren. Sie gibt es in zahlreichen Varianten. Wenn ein Blog sich als eine redaktionell ausgewählte Sammlung journalistischer Beiträge darstellt, die fortlaufend unter einem Titel erscheint, wird auch ein Blogger durch das neue Leistungsschutzrecht geschützt und ist damit vergütungsberechtigt, wenn andere seinen Blog nutzen.“
Keine Lex Google, sondern breitflächige Einschränkung der Kommunikation
Viele glaubten, das Leistungsschutzrecht, wenn es denn kommen sollte, träfe vor allem Google und andere große „Player“. Wie der Entwurf jetzt zeigt, ist das nicht der Fall: das LSR betrifft JEDEN, der im Rahmen seiner beruflichen Themen irgendwo öffentlich Links verstreut – auch auf Twitter, Facebook, Google+, die derzeit automatisch „Snippets“ der verlinkten Seiten generieren, auch wenn man nur die URL postet. Und natürlich auch in Foren, Bookmark-Sammlungen und jeder anderen öffentlich sichtbaren Seite. Meine Friendfeed-Sammlung mit täglichem Lese-Futter wäre nicht mehr möglich – auch das Einbinden der Fundsachen über Widgets in Blogs, wie ich es auf unverbissen-vegetarisch mache: vorbei!
Nicht zu vernachlässigen sind auch die kleinen Aggregatoren: All die vielen „generiere deine Startseite“-Angebote, die themenzentrierten, auf Newsfeeds basierenden Linksammlungen würden verschwinden oder kostenpflichtig.
Wenn dann noch Google (wie schon einmal in Belgien) die Konsequenzen zieht und seinen News-Dienst in DE abstellt, sowie die Erzeugnisse der Verlage aus dem Index nimmt, dann gibt es faktisch keine Möglichkeit mehr, sich „auf einen Blick“ über das Tagesgeschehen zu informieren. Man müsste wieder die Heimseiten der Mainstream-Presse absurfen, um einen Überblick zu bekommen. Ich liege sicher nicht falsch, wenn ich annehme, dass dann nur ein paar große Adressen übrig bleiben würden, denn niemand hätte Zeit und Lust, kleinere Zeitungsseiten abzuklappern.
Vermutlich stellen sich jene Verlage, die das LSR voran treiben, genau das als paradiesischen Zustand vor. Ein Internet wie in den 90gern, nur ohne dessen nonkommerziellen Charme – mit ihnen als Gatekeeper, die dann endlich Zahlschranken errichten könnten, um so endgültig wieder Vor-Internet-Verhältnisse in Sachen Information und Berichterstattung zu etablieren.
Wird das so kommen?
Ich hoffe nicht. Es ist erst ein Referentenentwurf, die Verabschiedung als Gesetz noch in dieser Legislaturperiode dürfte schwierig sein, allein aus Zeitgründen (und dann wird Schwarz-Gelb vermutlich abgewählt). Weiter hoffe ich, dass im Laufe der weiteren Beratungen vielen Beteiligten doch klar werden dürfte, dass die Kollateralschäden dieses Vorhabens fürs deutsche Internet und seine Nutzer (einschließlich der Wirtschaft) weit größer wären als die paar Euro mehr, die sich einige Großverlage auf diesem Weg meinen ergattern zu können.
Dass sie sich auch großkalibrig ins eigene Knie schießen, wenn sie Verlinkungen zu Verlagserzeugnissen kostenpflichtig machen, müssten die Verlage eigentlich auch bemerken. Schließlich gibts noch eine Auslandspresse und die Akteure aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft würden unter diesen Umständen bald lieber selber publizieren. Warum einer Presse Interviews geben, wenn diese Presse die Verbreitung der Infos nicht fördert, sondern mutwillig verhindert?
Mehr zum aktuellen LSR-Entwurf:
- IGEL soll jetzt die Stacheln ausfahren (nochmal ein kurzer Überblick von RA Sebastian Dosch über das, was uns droht: „Damit kommt das Internet, wie wir es kennen, fast zum Erliegen.“
- Referentenentwurf zum Leistungsschutzrecht: Eine rechtspolitische Analyse
- Der Fehler liegt in der Idee selbst Till Kreutzer im Interview
- Wikimedia warnt: Wikipedia demnächst ohne Weblinks?
- Leistungsschutzrecht – Die selbstverordnete Insolvenz?
- Leistungsschutzrecht: Von Pressetexten sollten künftig besser alle die Finger lassen | Digital | ZEIT ONLINE
- Leistungsschutzrecht: Diesen Text bitte zitieren und verlinken (SPIEGEL ONLINE)
- Das neue Leistungsschutzrecht: Schizophrene Verleger – und ein Geschenk für PR-Berater | Wiegold zwo
- Internet-Law » Kurzanalyse des Gesetzesentwurfs zum Leistungsschutzrecht
- Digital kastriert: ein Kniefall vor der Verlegerlobby – law blog
- Kuhjournalistenschutzgeldgesetz
- Nachrichtenverbreitungsverhinderungsgesetz aka Leistungsschutzrecht für Presseverleger – Benjamin Stöcker
Diesem Blog per E-Mail folgen…
Diskussion
Kommentare abonnieren (RSS)
5 Kommentare zu „Leistungschutzrecht: die Kollateralschäden – Rechtsunsicherheit auch unter Bloggern“.