Um zu erfahren, was meine Leser hier suchen, verwende ich ein nützliches Tool, das mir die Suchbegriffe und Fragen anzeigt, die über Google kommende Surfer/innen eingeben, bevor sie hier landen. Mal sind diese Anliegen erheiternd, mal erschreckend, manchmal inspirieren sie mich auch zum schreiben. So fragte heute jemand: „selbstständig wann reichts zum leben?“
Eine seltsame Frage. Weiß denn nicht jeder, wann das Geld zum Leben reicht? Das ergibt sich doch ganz einfach aus den Festkosten plus dem Betrag, den man im Schnitt pro Monat für die Lebenshaltung ausgibt. Warum wird da noch Google gefragt?
Und doch: wenn ich über die möglichen Motive der Frage nachsinne, erinnere ich mich an eigene Irritationen: Wann verdiene ich eigentlich GENUG? Solange das Einkommen immer nur knapp oder auch mal gar nicht reicht, solange der Dispo-Kredit exzessiv genutzt werden muss, um Lücken zu überbrücken, solange stellt sich diese Frage nicht. Als es mir noch so gegangen ist, dachte ich oft darüber nach
- was ich wohl falsch mache,
- wie ich mehr Geld verdienen könnte,
- wie ich es vor allem hinbekommen könnte, meinen „Hang zur Selbstausbeutung“ im Zaum zu halten und für meine Leistungen auch marktübliche Preise zu nehmen.
Ohne Selbst-Wertschätzung geht’s nicht
Da ich das Webseiten bauen 1996 aus reiner Begeisterung begonnen hatte und es sich dann schleichend zum Beruf entwickelte, neigte ich lange dazu, zu denken: das kann doch eigentlich jeder, man muss sich nur hinsetzen, lernen, ausprobieren – kein Problem! Es dauerte, bis ich begriff, dass das nicht unbedingt jeder will und aufgrund der immer komplexer werdenden Webtechniken auch nicht mal eben so KANN. Entsprechend langsam wuchs die Wertschätzung meiner eigenen Arbeit – eine erste Voraussetzung, um mit gutem Gewissen das angemessene Honorar fordern zu können.
Als es dann besser lief, lebte ich mit einem finanziellen Horizont von sechs bis acht Wochen: von der übernächsten Miete wusste ich nie im voraus, wo sie herkommen würde, doch störte mich das nicht. Es klappte ja allermeist: irgendwie ging es weiter, der nächste Kunde fand sich ein, ich hatte sogar das Gefühl, recht erfolgreich zu sein. Immerhin musste ich nie um Aufträge werben, über meine Weblandschaft und die Empfehlungen der Altkunden kamen (und kommen) die Aufträge ohne besondere „Akquise-Anstrengungen“, die mir immer schon verhasst waren.
Die Rücklage
Die Reise nach Kambodscha Anfang 2006, zu der mich ein dort lebender Freund einlud, und die Krankheit danach, die meine Auszeit zwangsweise verlängerte, ließ dann zum ersten Mal den Wunsch aufkommen, über eine gewisse Rücklage zu verfügen: für selbst bezahlte Reisen (ich war auf den Geschmack gekommen!) und für den Fall, dass ich mal wieder krank werde. Es war nämlich keine schöne Erfahrung, fiebrig und stinke erkältet die Maus zu schieben und Kundenaufträge abzuarbeiten!
Zu dieser Rücklage kam ich auf einem Umweg (auf direktem Weg hätte ich die Idee gewiss wieder vertagt!): in einer wieder mal schwierigen Finanzlage bot mir ein Freund einen Privatkredit über 3000 Euro an, zinslos und rückzahlbar in bequemen Raten. Zwar bin ich gegen das Schulden machen, doch hier griff ich dankbar zu. Es rettete mich aus der aktuellen Sorge um die nächste Miete und gab mir mehr innere Ruhe, sowie die Gelegenheit, meine Finanzen mal grundsätzlich zu analysieren: Wie viel brauche ich für die Festkosten und zum Leben? Woher soll das Geld kommen? Wie viel sollen meine verschiedenen Einkommenssäulen bringen? Webdesign, Schreibimpulse-Kurse, Coaching – was käme noch in Frage?
Angekommen im Plus
In der nächsten Zeit liefen die Geschäfte besser und ich musste den Kredit bei weitem nicht ausgeben. Ja, ich merkte, dass ich trotz der Rückzahlungsraten das Polster, über das ich nun verfügte, nicht mehr missen wollte. So trat der „Sparbeitrag“ in mein Leben, etwas, das ich früher total spießig gefunden hatte (Geld horten! Igitt, wie raffgierig!). Jetzt legte ich regelmäßig Geld zur Seite, um die so freundlich geliehene Summe jederzeit im Ganzen zurück zahlen zu können: ich befürchtete Abhängigkeit und Unfreiheit gegenüber dem „Gönner“ und sorgte also dafür, rückzahlungsfähig zu sein und zu bleiben.
Zu Anfang gelang das nur unter rechnerischer Einbeziehung des Dispokredits, doch das änderte sich bald, genau wie dessen tatsächliche Nutzung: früher pendelten meine Finanzen zwischen Plus und Minus, nun nur noch zwischen Plus und Null – ein weiterer Fortschritt in meiner ganz persönlichen „Geld-Kultur“, zu der mich auch mein Liebster anhaltend motivierte, der es hasst, den Banken Geld in den Rachen zu werfen. Witzigerweise hat mir die Bank den Dispo, den ich nun nicht mehr brauchte, unverlangt verdreifacht – wohl um mich zu verführen, mal wieder zuzuschlagen!
Eine neue Friedlichkeit
Nun hatte ich also einen neuen Level in Sachen Finanzen erreicht: nicht mehr ganz so prekär wie gewohnt. Keine Sorge mehr um die übernächste Miete, ich könnte auch jederzeit zwei Monate aussetzen mit der Arbeit. Mit Staunen bemerkte ich, was das für mein Arbeitsleben bedeutete:
- Ich fühlte mich nun nicht mehr in der Pflicht, alles machen zu müssen, was mir so angetragen wird,
- hatte auf einmal weniger Bedenken, angemessene Kostenvoranschläge zu machen,
- und traute mich auch, mehr tatsächlich anfallende Arbeiten in meine Rechnungen aufzunehmen, die ich früher „so nebenbei“ miterledigt hatte, um bloß nicht „zu teuer“ zu werden.
Die Befürchtung war überflüssig, geboren aus der eigenen Psychomacke in Sachen Geld einfordern, aufrecht erhalten durch die stets prekäre Finanzlage. Nicht nur störte sich niemand an meinem geänderten Verhalten, es geschah sogar, dass mir eine alte Kundin von sich aus die Honorierung von Beratungsstunden anbot, die ich bisher ohne Berechnung geleistet hatte. Eine seltsame Koinzidenz, die mir zeigte: ich bin auf dem richtigen Weg!
Eine neue Friedlichkeit ist nun in mein Leben eingekehrt. Ich erfahre die Wahrheit des alten Spruchs: „Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt“. Interessant, dass ich auf dem prekären Level gar nicht wahrgenommen hatte, wie sehr mich die „gewohnte Sorge ums Geld“ doch tatsächlich einschränkt und auch psychisch belastet! Es war unter meiner Würde gewesen, dem schnöden Mammon eine solche Bedeutung zuzumessen, also haperte es mit der Selbstwahrnehmung.
Wieviel Geld ist GENUG?
Mein „Auskommen“ empfinde ich also seit einiger Zeit als gesichert, einerseits durch das nun kontinuierlichere Einkommen (ich hab mir eine weitere „Säule“ erschaffen, wie meine Stammleser sicher bemerkt haben), andrerseits durch die Existenz einer Rücklage.
Diese zu mehren (durch Sparbeiträge und mehr Disziplin beim Geld verdienen), bin ich nun plötzlich gewohnt und begegne so der für mich neuen Frage: Wann ist es genug? Will ich MEHR als ein paar Monate „Sicherheit“?
Ja wozu denn? Neben „der schönsten Sache der Welt“ ist mir meine Arbeit nach wie vor der liebste Zeitvertreib – und jetzt macht es sogar noch MEHR Spaß, denn endlich kommt ein Teil meines Einkommens durch „ins Web schreiben“ zustande. Ich muss mir nicht mehr die Zeit abknapsen mit dem schlechten Gewissen im Hintergrund, das mir ständig einflüstert: Kümmere dich lieber um die Auftragslage, anstatt einen Diary-Beitrag zu schreiben oder Bilder ins Gartenblog zu stellen!
Es verlangt mich also nicht danach, weniger zu arbeiten (über das hinaus, was ich für den Garten frei geschaufelt habe). Also einfach weiter sparen – oder mehr Geld ausgeben? Mal die Wohnung renovieren? Kurse besuchen, die mich physisch in Bewegung versetzen, weil ich es alleine nicht hinbekomme, „nachhaltig“ meine Fitness zu trainieren? Oder mehr geben? Seit 2006 sponsere ich ein Kambodschanisches Kind mit im Grunde lächerlichen 20 Euro/Monat – da wäre ja noch einiges denkbar.
Mich bremsen und „mehr Muße“ üben? Konsumieren? Sparen? Spenden? Investieren?
Für mich sind das neue Fragen, ich wurzele da in keiner Tradition, an die ich anknüpfen könnte. Das verbreitete bewusstlose Geld vermehren ist mir genauso fremd wie Status-Käufe oder ein teurer hedonistischer Lebensstil. Hinzu kommt, dass „man über Geld nicht spricht“, höchstens darüber, dass es fehlt. Ein kommunikatives Vakuum tut sich vor mir auf, während die Fragen im Leben ihre Anwort suchen.
Ich bleibe dran und werde auch andere fragen: Wieviel Geld ist für dich genug?
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9 Kommentare zu „Selbständigkeit: Vom Einkommen und Auskommen“.