Seit gestern wissen es nun alle, die es interessiert: ein bloßes „Nein, ich will das nicht!“ reicht nicht aus, um jemanden wegen Vergewaltigung zu verurteilen. Der einschlägige Paragraph 177 StGb kennt nur drei konkret benannte Voraussetzungenm, die das ermöglichen: Gewalt, Drohung mit Gefahr für Leib und Leben, Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
Der Freispruch eines 31-Jährigen, der mit einer 15-Jährigen nach durchzechter Nacht gegen ihren Willen Sex hatte, erzeugt einen gewaltigen „Shitstorm“ im Web. Udo Vetter begründet im Law Blog, warum das ein unverständlicher, aber richtiger Freispruch gewesen sein.
Soweit die Kritiker in den Kommentaren inhaltlich argumentieren, werden im wesentlichen drei Punkte angeführt:
- Das Mädchen sei sehr wohl in einer „hilflosen Lage“ gewesen, da sie sich aus Angst vor dem bekannt „gewaltbereiten“ Täter nicht zu wehren oder zu flüchten getraut habe.
- Der Mann hätte, wenn schon nicht wegen Vergewaltigung, so doch wegen Verführung Minderjähriger (§182) verurteilt werden müssen;
- Das Gesetz sei unzureichend, es müsse so geändert werden, dass auch das Ignorieren eines einfachen „Neins“ ausreicht, um den Tatbestand der Vergewaltigung zu erfüllen.
Eine „hilflose Lage“ im Sinne des Gesetzes hat die Richterin nicht gesehen: das Mädchen hätte im Mietshaus schreien, sich körperlich wehren und Fluchtversuche unternehmen können. Da auch die Staatsanwältin letztlich Freispruch forderte, kann man annehmen, dass diese Sicht der Dinge den bisher geltenden Interpretationen des Gesetzes entspricht.
Zur „Verführung Minderjähriger“ wird eingewendet, dass der Paragraph nur bei bis zu 14-Jährigen Kindern eine absolute Schranke aufstellt, wogegen bei über 14-Jährigen die Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung im allgemeinen angenommen wird und nicht einfach so abgeleugnert werden kann. Zur Unklarheit in diesem Punkt trägt die schlechte Informationslage bei: der Mann wurde gar nicht erst wegen Verführung Minderjähriger angeklagt. Warum nicht, ist unbekannt. Ebenso bleibt unklar, ob man das noch „nachschieben“ hätte können oder in der Zukunft könnte.
Was die mögliche Unzulänglichkeit des Vergewaltigungsparagraphens angeht, wird eingewendet, dass ein bloßes „Nein“ sich durchaus im weiteren in ein „Ja“ verwandeln kann: Die sexuelle Praxis zwischen den Geschlechtern zeige das. Würde schon das Ignorieren einer verbal geäußerten Ablehnung als Vergewaltigung gesehen, wäre dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet: Frau könnte immer im Nachhinein den Mann anzeigen, auch wenn sie selbst im weiteren Verlauf doch „mitgemacht“ hätte. Ein Gesetz müsse immer eine Balance zwischen Opferschutz und „Schutz vor Willkür“ herstellen.
Soweit die inhaltliche Debatte. Ich verstehe die Empörung gut, hab‘ sie auch spontan geteilt, als ich vom Urteil las. Angesichts der vielfältigen Diskusson bin ich nun durchaus im Zweifel, ob es richtig wäre, hier entgegen der Entscheidung der Richterin und Staatsanwältin die „hilflose Lage“ anzunehmen. Und ob ein Verzicht auf die drei Voraussetzungen im Vergewaltigungsparagraphen hilfreich wäre, bin ich noch am überlegen.
Eine (vermeintliche?) Frau fordert im Lawblog:
„Ich möchte als Frau die Möglichkeit haben, „nein“ zu sagen, aber „ja“ zu meinen.“
Ich finde das blödsinnig, aber es GIBT nun mal diese Art, in zunächst kontroversem Hin- und Her zum Sex zu kommen, der dann in aller Regel doch einvernehmlich stattfindet. Und selbst im Fall, dass Frau es nur „über sich ergehen lässt“ – ist das Fehlverhalten des Mannes, der sich vielleicht wirklich im Irrtum über den „wahren Willen“ der Frau befindet, tatsächlich „Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr“ wert?
Eigene Erfahrungen mit nicht-einvernehmlichem Sex
Um das zu beantworten, versetze ich mich zurück im meine Teeny-Jahre. 1968 hatte ich mit 14 zum ersten Mal Sex: einvernehmlich im Rahmen einer längeren Beziehung (10 Monate, welche Ewigkeit in dem Alter!), wie ich es mir gewünscht hatte. Lust empfand ich dabei allerdings nicht, es war mehr ein Event, der in meiner Mädchen-Peergroup STATUS verlieh. Um uns her brach sich die 68er-Kulturrevolution Bahn, Sex war gleichzeitig Befreiung, Protest, Teilhabe an etwas GROSSEM, dass sich „irgendwie“ gegen alles richtete, wogegen man als tradierte Verbote der Elterngeneration angehen wollte. So wie heutige Jugendliche evtl. versuchen, den Ansprüchen des allgegenwärtigen Porno-Sex zu entsprechen, gab es damals einen Sog, fast einen Druck, bei der „freien Liebe“ mitzumachen. Wer da die Schüchterne rauskehrte, hatte schlechte Karten – und das mit der Lust war ja offenbar lernbar, wie die damals vielfach erscheinende Aufklärungsliteratur uns vermittelte.
So hatte mein 35-Jähriger Kunstlehrer leichtes Spiel, mich zu verführen, als ich 16 war. Warum immer diese althergebrachten Schranken zwischen Lehrer und Schüler? Er „befreite“ mich vom Englischunterricht, ging mit mir in die Kneipe, trank mit mir Bier und lud mich „in sein Atelier“ ein, um mir seine neuesten Werke zu zeigen. Ich war geschmeichelt, umso mehr, da ich mit 13 richtig in ihn verknallt gewesen war. Abends, als er mich abholte, meinte er, die Heizung im Atelier sei kaputt und wir fuhren zu ihm. Dort war ich mit der gesamten Klasse schon gewesen, doch ahnte ich durchaus, welche Wendung das Date nun nehmen würde. Fand das aber zunächst nicht falsch, immer noch war ich ja begeistert von ihm!
In seiner großzügigen Wohnung angekommen, spielte er mir Platten von seiner Frau vor, die eine berühmte Sängerin war, und erzählte allerlei Geschichten aus dem bewegten Leben mit ihr. Dann legte er unvermittelt seinen Arm um mich, sah mir tief in die Augen und fragte: „Was fangen wir zwei beiden nun miteinander an?“ Ohne auf Antwort zu warten, begann er, zu Taten zu schreiten – und ich war perplex! Geradezu innerlich erstarrt angesichts der Situation, die ich mir offenbar ganz anders gewünscht hatte: langsamer, romantischer, mehr auf mich als Person eingehend…
Du willst es doch!
Was folgte, war knallharter, pornografischer Sex, wie ihn ein Mittdreißiger halt kennt und gerne durchzieht. „Du willst es doch“, sagte er des öfteren – und ich ließ es über mich ergehen, komplett verwirrt angesichts des Unterschieds zwischen dem, was ich erträumt hatte und dem, was tatsächlich geschah. Wie hätte ich JETZT NOCH sagen können, dass ich es – eigentlich – nicht will? Danach gab er mir einen 20-Mark-Schein für ein Taxi. Das nachhause-bringen war ich ihm schon nicht mehr wert.
Nein, ich hatte nicht „nein gesagt“ – aber NEIN, NEIN, NEIN gefühlt! Und dennoch war ich nicht im Stande, zu meinem Gefühl zu stehen und rechtzeitig die Situation zu beenden. Immerhin war ich soweit klar, dass ich mich missbraucht fühlte, empfand mich aber als selber schuld! Schließlich hatte ich seine Avancen anfänglich toll gefunden und war mit in seine Wohnung gegangen…
Wenn kein Argument greift…
Fall 2: Ich weiß nicht mehr, wie ich ihn kennen lernte, doch war es eine gefühlte Ehre für mich als 19-Jährige, dass sich ein 38-jähriger Mann für mich interessierte. Er spielte wunderbar Gitarre und warb zunächst „auf die Romantische“ um mich. Das dauerte allerdings nur kurz, dann wollte er mich nachhause fahren und mit mir schlafen. Es hatte was, dass er das so deutlich sagte – doch ebenso deutlich sagte ich NEIN! Es ging mir zu schnell, ich war mir nicht sicher, ob und was ich von ihm wollte, wollte ihn vielleicht erst mehr kennen lernen – jedenfalls wollte ich nicht schon gleich jetzt mit ihm Sex.
Trotzdem ließ ich mich von ihm nachhause fahren – wir waren irgendwo weit draußen in einem Lokal gewesen, fernab öffentlicher Verkehrsmittel. Mit meinem NEIN wollte er sich nicht abfinden, er argumentierte und fand 10.000 Gründe, warum es jetzt das einzig Richtige sei, mit ihm zu schlafen. Eloquent, dominant und selbstsicher schaffte er es, alles, was ich dagegen einzuwenden hatte, rational in der Luft zu zerreissen. Fragt mich nicht, wie ich so blöd sein konnte, zu denken, dass so ein NEIN eine Begründung braucht!
Bei mir angekommen, stieg er aus und machte Anstalten, mit mir in meine Wohnung zu gehen (grade war ich zuhause ausgezogen und mega-stolz auf meine Freiheit!). Ich hielt aber noch einmal inne und sagte zu ihm:
Du hast Recht, es gibt keinen Grund, nicht mit dir zu schlafen – aber Lust dazu hab ich trotzdem nicht!
Zu meiner echten Verwunderung beeindruckte ihn das gar nicht. Er machte irgendwelche lockeren Sprüche und es kam, wie er es wollte: ich ließ es über mich ergehen, war einfach nicht in der Lage, seinem Vorgehen mehr als das bereits Gesagte entgegen zu setzen. Dabei hatte ich die ganze Zeit ein mieses Gefühl: auch dieser Mann war ja EIGENTLICH einer, den ich durchaus „in Betracht gezogen“ hatte – aber doch nicht SO! Wieder verwirrte mich der Unterschied zwischen meinen romantischen Hoffnungen und der krassen, bloß sexuellen Realität. Ich funktionierte wie eine Puppe und monologisierte gleichzeitig innerlich: Wie kann der bloß DARAN Spaß haben? Und fühlte mich obermies, dass ich nicht anders konnte, als das alles mitzumachen. Freiheit war das NICHT!
Schluss mit romantischem Sehnen…
Diese und noch andere ähnliche Erlebnisse zerstörten mein zunächst sehnsüchtig-positives Bild von Männern im allgemeinen. Wie viele Frauen stellte ich fest, dass es „den meisten nur um das eine“ gehe – und langsam verschwand mein Schuldgefühl, meine Scham und meine Schwäche, Situationen selbst zu bestimmen. Die in jenen Jahren sehr aktive und erfolgreiche Frauenbewegung half dabei sehr!
Zu leiden hatten darunter nun die „lieben“ Männer: Jene, mit denen ich längere Liebesbeziehungen einging, die mich auch zurück liebten und deren Seelenfrieden ich ernsthaft in Gefahr bringen konnte. Bald nach der ersten Verliebtheit verweigerte ich mich sexuell, denn niemals mehr wollte ich DAS nur deshalb tun, weil ER es so will. Weil ER es offenbar BRAUCHT, ganz anders als ich. Und für dieses „Brauchen“ wollte ich nicht zur Verfügung stehen müssen, bloß weil ich ihn liebte. Nie, nie wieder!
Es dauerte sehr lange, bis ich zu einem entspannteren und wirklich lustvollen Verhältnis zum Sex fand. Das aber ist eine andere Geschichte.
Ein erweiterter Vergewaltigungsparagraph hätte mir in diesen und anderen, nicht erzählten Situationen mit noch deutlicherem und wiederholtem „NEIN“ nicht wirklich geholfen. In keinem Fall fand ich die Männer so beschissen und böse, dass ich sie angezeigt hätte.
Ich erzähle das alles, um den „Graubereich“ zu verdeutlichen, der zwischen klarem NEIN und „vielleicht doch“ existiert. Wenn Mädchen nicht psychisch stark genug sind, zu ihren Gefühlen zu stehen und sich entsprechend zu verhalten, helfen Gesetze kaum. Eine Einwilligung, die im Grunde keine ist, kann Mann auf viele Arten bekommen. Was fehlt, ist vielleicht eine „Liebesschule“ für Jugendliche, die den Namen verdient und nicht bloß Sexualkunde-Unterricht ist. Denn von den Eltern will man in der Regel in diesen Jahren nicht lernen, was richtig und was falsch ist.
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Andere Blogs zum selben Thema:
Ein unverständlicher, aber richtiger Freispruch (Law Blog);
Man kann schließlich von keinem Mann erwarten, dass er „Nein ich will keinen Sex“ versteht! (Mädchenmannschaft);
Nur Nein sagen reicht nicht (Gedankensalat…);
NEIN (Karnele.de);
Mädchen hat sich nicht genug gewehrt (indexexpurgatorius.wordpress.com);
Vergewaltigung: „Mädchen hat sich nicht genug gewehrt“ (ZESM);
Es macht mich traurig … (Haascore);
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33 Kommentare zu „Vom nicht-einvernehmlichen Sex“.