Thema: Alltag

Claudia am 30. Juli 2004 — Kommentare deaktiviert für Vom kreativen Leerlauf

Vom kreativen Leerlauf

In meinen Schreibkursen gebe ich manchmal die Aufgabe, den „inneren Kritiker“ zu Wort kommen zu lassen. Es entstehen dann lustige Texte, in denen sich diese „Teilwesenheit“, die nichts im Sinn hat außer Nörgeln und Niedermachen, voll ausleben darf. Besonders für Anfänger ist es eine tolle Übung, sie befreit von der Dominanz dieses Kritikers und zeigt, dass niemand anders als der Autor bzw. die Autorin in den inneren Welten letztlich das Sagen hat. Der Kritiker ist Dienstpersonal, man kann ihn rufen, wenn man ihn braucht, ihm aber auch für eine gewisse Zeit den Mund verbieten.

Für mich ist dieses spezielle „Gespenst“ kein Problem mehr, dafür kann mich eine andere Teilwesenheit aus dem inneren Kosmos zur Weißglut treiben: die „Kreative“. Ich sollte sie vielleicht besser die „Kreativ-Maschine“ nennen, eine, die sich selber einschalten kann und nur mit größter Mühe zum Stoppen zu bringen ist.

Ideen haben, womöglich ganz neue, Konzepte und Projekte entwerfen, die einigermaßen Hand und Fuß haben, all das gilt in der Infogesellschaft als hoher Wert. Ist ja auch schön, wenn einem leicht „was einfällt“, etwas, das tatsächlich „umsetzbar“ erscheint und gleich auch Spass, Spannung, ja sogar Möglichkeiten, Geld zu verdienen in Aussicht stellt.

Was aber, wenn sich solche Ideen und Projekte „am laufenden Band“ ins Bewusstsein drängen? Wie soll ich damit umgehen? Kaum ein lockeres Gespräch, zu zweit oder zu mehreren, in dem meine Ideenmaschine nicht anspringt: man könnte doch auch… wie wäre es denn mit… mal angenommen, man würde… – und schon bin ich mitten drin, im Kopf entsteht ein tolles „Projekt“, fächert sich auf in schillernde, verführerische Möglichkeiten. Je nachdem, wer gerade mein „Kreativpartner“ ist, entwickeln sich in Windeseile ganze Jahresprogramme möglicher Aktivitäten, die sich, wenn ich sie einzeln bedenke, durchaus weiter auffächern in noch mehr „interessante Projekte“. Im Kopf hab‘ ich so schon jede Menge Arbeitsplätze geschaffen – warum zum Teufel wird davon sowenig Wirklichkeit?

Können? Wollen?

Es liegt nicht an mangelnden Fähigkeiten. Ich KANN umsetzen, wenn ich… ja WAS???? Was ist es, das aus Ideen und Plänen Wirklichkeit schafft? Ich beobachte das schon lange, versuche, heraus zu spüren, was es ist, das mich zu Taten treibt oder, wie in den meisten Fällen, einfach zur Tagesordnung übergehen lässt, bis zum nächsten „Anfall“.

Erfolge kann ich bei dieser Beobachtung noch kaum vorweisen. Es ist, als stocherte ich in einer Nebelbank herum, die mir die Sicht vertellt. Wenn ich nichts sehe, kann ich nur denken, nur spekulieren, und das ist ein sehr begrenztes Instrument in Sachen Selbsterkenntnis.

Immer wieder erlebe ich, dass meine Ideen nur wenig später von anderen verwirklicht werden. Klar, es gibt viele kreative Geister und die Themen liegen quasi „in der Luft“. Einerseits fühle ich mich dadurch bestätigt: Ich spinne nicht nur wild herum, meine Ideen sind tatsächlich „machbar“. Andrerseits frag ich mich: Warum machen es Andere, während ich weiter hier herum sitze, meine üblichen Aufgaben abarbeite und zeitweise lieber nicht auf den Kontostand gucke?

Bin ich schlicht zu faul? Was ist Faulheit? Ich gehöre zu denen, die lieber arbeiten als ausspannen, denen der reine Müßiggang nur kurze Zeit Freude macht. Gelegentlich muss ich mich geradezu zwingen, mich vom Computer zu entfernen und mir mal die Beine zu vertreten. Vor dem Monitor bin ich „im Cockpit der Macht“ – aber was MACHE ich wirklich? Jetzt zum Beispiel schreibe ich Diary, zuvor war der morgendliche Mail-Check dran, eine kurze Antwort an jemanden, der vielleicht demnächst seine Website umgebaut haben will. Mehr „Arbeit“ war da fürs erste nicht. Nachher werde ich die Texte meiner Kursteilnehmer kommentieren und neue Schreibaufgaben stellen. Meinen alten PC muss ich heut‘ auch noch verpacken, denn mittags holt ihn ein befreundeter Familienvater ab, der ihn dringlich für seine Kinder braucht. Wie schön: ich kann einer Familie nützen, ein bisschen Stress abbauen helfen mit einem Gerät, das bei mir nur sinnlos Platz wegnimmt.

Und dann? Das ist für heute das „Minimum“. Jeder Tag beinhaltet so ein Minimum absolut zwingender „To-Dos“, die ich auf jeden Fall abarbeite. Jenseits dieser unaufschiebbaren Dinge liegt dann das Feld der „auch noch anstehenden“ Aufgaben: weniger dringliche, aber doch klar definierte Arbeiten: ein Update auf Schreibimpulse.de, ein bisschen Pflege für eine Kunden-Website, ein Brief ans Finanzamt (ihhhh!) – wenn ich länger überlege, kommt da einiges zusammen, teils sind es reine Idiotenarbeiten, teils Dinge, die mich kreativ fordern und auch Freude machen, wenn ich erst mal „drin“ bin. WENN….

Heute ist Freitag, sagt eine innere Stimme. Wochenende! Gönn dir einen frühen Schluss, geh‘ raus und genieße den Sommer! Richtig ranklotzen reicht auch ab Montag noch gut – und wenn’s dir danach ist, kannst du ja auch Samstag mittag oder Sonntag früh was tun, in diesen wunderbar stillen Stunden, in denen niemand aus der Arbeitswelt mit Recht etwas von dir wollen kann!

Je nachdem, wie erfolgreich diese Schluss-für-heut-Stimme ist, komme ich an einem ganz normalen Tag von den unaufschiebbaren Arbeiten zu mehr oder weniger „anstehenden“ Aufgaben. Und dann gelüstet es mich nach „Freizeit“, wobei es mir meistens reicht, mal kurz einkaufen zu gehen, mir was zu kochen oder draußen zu essen. Wenn ich dann nicht verabredet bin, lande ich schon bald wieder vor dem PC, auch mal vor der Glotze, oder ich leg mich mit einem Buch ins Bett. Ah, endlich nicht mehr sitzen!

So sind meine „ganz normalen Tage“.. Sie haben ihre eigene Schwerkraft, ihre beflügelten und eher langweiligen Phasen. Ich schaffe mehr oder weniger, bin entsprechend zufrieden oder unzufrieden mit mir – aber dahinein nun allein aus mir heraus ein neues Projekt zu platzieren, scheint so entlegen, wie zwischendurch mal eben auf den Teufelsberg zu steigen. Ja, der Teufelsberg ist tatsächlich näher, denn er bietet immerhin körperliche Abwechslung.

Begeisterung und innere Filter

Für ein neues Projekt brauche ich auch fürs Umsetzen den inneren Kontakt zur Begeisterung, die ich beim „Ausspinnen“ empfinde. Zumindest, um damit zu beginnen. Bin ich mal drin, entfaltet sich die Freude am kreativen Tun von selber, da muss ich mich dann nicht mehr groß kümmern. Aber wie gelange ich dahin, zu diesem ernsthaften „Beginnen“?

In vielen Fällen zeigt mir ein nüchterner Blick auf das neulich noch so begeistert entwickelte Ideen-Werk: Ja, das ist gar nicht schlecht, sogar durchaus realisierbar – aber will ich das? Will ich tatsächlich im Rahmen dieses Vorhabens monatelang arbeiten und Verantwortung tragen? Wird mir das Tun als solches wirklich Freude machen? Will ich die Menschen, die ich dafür treffen muss, wirklich sehen und für sie arbeiten? Es ist eine Sache, eine „Zielgruppe“ ins Auge zu fassen, die vielleicht diese oder jene Dienstleistung gut brauchen könnte – eine andere Frage ist, ob ich mit dieser Zielgruppe persönlich etwas zu tun haben will.

Oder, das kommt auch vor, die Idee führt mich zu weit weg von den Arbeitsfeldern, die ich gut kenne. Luxuswohnungen an reich gewordene Chinesen zu verkaufen ist gewiss eine gute Idee, zum Marketing fällt mir auch jede Menge ein – aber meine Erfahrungen und Kompetenzen als Immobilienhändlerin sind nun wahrlich nicht groß! Klar, ich könnte mit meinen Ideen zu einem Makler gehen, der solche Wohnungen anbietet – aber es ist erst mal eine „Hürde“, ein neues Feld, auf das ich mich innerlich einstellen müsste. Und meistens liegt es dann weit näher, „das Übliche“ zu tun und nicht das Neue.

Der Druck, Geld zu verdienen, motiviert mich nicht dazu, mit neuen Projekten anzufangen, sondern drückt mich eher dahin, die schon vorhandenen Dienstleistungen auszubauen: neue Webdesign-Kunden finden, wenn man eine lange Latte Referenzen zeigen kann, erscheint sehr viel erfolgversprechender als das mit den Chinesen! :-) Endlich die Schreibkurse für den Herbst ins Web stellen liegt weit näher, als einen „Gedicht-Shop“ zu realisieren (nein, nicht einfach Gedichte verkaufen, das läuft nicht – aber…. das verrat ich jetzt nicht, vielleicht mach‘ ich’s ja doch noch mal!).

Träge Sommertage

Entweder, die Ideen scheitern aus solchen Gründen, oder aber – meistens! – versacken sie einfach im Alltag. Sobald ich morgens Mail abrufe, bin ich mitten drin im Business as usual, und damit auch in einem Bewusstseinszustand „wie gewöhnlich“.

Aber im Gewöhnlichen erschafft sich das Neue nicht! Wenn ich das will, muss ich mir nicht nur „einen Ruck geben“, sondern dafür sorgen, mir den Zustand der Begeisterung zu erhalten, bzw. ihn neu zu erzeugen, wenn ich mit der Arbeit beginne.

Einmal hat das schon gut geklappt. Ein lieber Freund hat mich als Coach dazu bewegt, morgens nicht mit „dem Üblichen“ zu beginnen, sondern mit dem Neuen: Frech das eigene, gerade mal als Ideensammlung vorliegende Vorhaben mitten in die Hauptarbeitszeit legen. Das hat es gebracht! So ist im Sommer 2003 das Kursprojekt schreibimpulse.de entstanden, das ich auch tatsächlich als „zweites Bein“ in meiner Arbeitswelt etablieren konnte. Es macht wirklich Freude und ich entwickle es weiter, aber ich kann es zeitlich nicht so verdichten, dass es mehr Einkommen bringt. Mein inneres Potenzial, mit Gruppen zu arbeiten, ist begrenzt, ich kann mich nicht vervielfachen, brauche Pausen und Phasen „ohne Gruppe“.

Also wär‘ eigentlich das nächste Projekt dran. Ein „drittes Bein“ – aber welches? Unermüdlich arbeitet die innere Kreativ-Maschine, nutzt jeden inspirierenden Dialog, um ihre Einfälle in die Welt zu bringen, die dann auf die beschriebene Weise an den persönlichen „Filtern“ scheitern oder im Alltag versacken.

Der Sommer ist eine Zeit allgemeiner Verlangsamung. Das Draußen lockt, viele sind in Urlaub, alles Organisatorische zieht sich länger hin als sonst – es ist, als hätte die Welt auf einmal einen längeren, entspannteren Atem. Eine schöne Zeit! Aber gleich danach, das kenn ich schon gut, folgt eine Phase verstärkter Aktivität. Im frühen Herbst geht es wieder richtig los. Und ja, ich würde gerne mitgehen, zu neuen Ufern aufbrechen, eines meiner Projekte umsetzen – aber WIE überwinde ich nur dieses innere „Hängertum“?

Es beobachten ist das erste, drüber schreiben das zweite. Schon viele Male hat sich dann „etwas ergeben“, als gäbe es eine innere Instanz, die man nur genug in den Hintern treten muss – oder sie anbetteln: Nun mach doch bitte mal!!! Und irgendwann passiert er dann ganz plötzlich: der „Ruck“, der erste Schritt in die Verwirklichung, der die nachfolgenden leicht macht.

Na, ich arbeite dran und hoffe das Beste. Noch ist ja Sommer…

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Claudia am 11. Juni 2004 — Kommentare deaktiviert für Fordern ist Fördern: Dem Schmerz begegnen

Fordern ist Fördern: Dem Schmerz begegnen

Gestern bin ich also wieder losgelaufen. Zweiter Versuch, vom „zügigen Gehen“ über korrektes Walken nun endlich mal ins Joggen zu kommen. Ich HASSE Joggen, immer schon. Nirgends schien mir der Spruch „Sport ist Mord“ so gut zu passen wie zu den verzerrten Gesichtern der Leidenden, die mir auf meinen Spaziergängen in immer größerer Zahl begegnen. Warum tun sie sich das nur an? Selten nur sehe ich einen Läufer, der harmonisch in der Bewegung aufgeht. Die meisten schleppen sich eher dahin, schwitzend und verbissen vor sich auf den Boden starrend – ein Elend!

Dachte ich mir so, ganze Jahrzehnte lang. Doch genau wie der Feige sich abfällig über jegliches Hervortreten aus der Masse äußert und mutige Taten zynisch belächelt, speiste sich meine Ablehnung aus eigenem Unvermögen. Alle paar Jahre hatte ich es mal ausprobiert und immer war ich kläglich gescheitert. Keine 300 Meter konnte ich laufen! Binnen kürzester Zeit geriet ich völlig außer Atem, der ganze Körper ein einziger Schmerz, das Herz raste und mit hochrotem Kopf gab ich entnervt auf. Brauchte dann zehn Minuten, um mich von diesem „Wahnsinn“ wieder zu erholen. Ob mit zwölf, zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren: Joggen war und blieb mein sportlicher Mega-Flop, die beste Methode, mich als Totalversagerin zu erleben – und wer mag das schon?

Mal gucken…

Jetzt also, mit fast fünfzig, ein neuer Versuch. Mittlerweile bin ich belehrt, dass Joggen für sportliche Anfänger nicht das Richtige ist. Ein bisschen Fitness sollte schon sein, damit der Kraftaufwand, um die Füße im Laufschritt vom Boden abzuheben, für kurze Zeit geleistet werden kann ohne in das verhasste Gefühl „gleich sterbe ich“ zu verfallen. Das lässt hoffen, denn mittlerweile bin ich fitter denn je. Die vielen Spaziergänge, die sonntäglichen Wanderungen und das in letzter Zeit wieder forcierte Training im Center sind nicht spurlos an mir vorüber gegangen. Locker steige ich mehrmals am Tag die drei Treppen zu meiner Wohnung hoch, ignoriere auch mal die U-Bahn und gehe zu Fuß den Weg nach Kreuzberg: Bewegung fühlt sich gut an!

Ein lieber Freund, der sichtlich nicht „gut zu Fuß“ ist und auch für kleine Strecken lieber ein Taxi ruft, gab mir den letzten Anstoß, dem Joggen mal wieder eine Chance zu geben. Er läuft seit Jahren täglich eine halbe Stunde und schwärmte mir vor, wie schnell sich sein Empfinden von „ätzend“ zu „ekstatisch“ gewandelt habe – ja, er wäre eine Zeit lang geradezu süchtig danach gewesen! Da er immer kräftig, fröhlich und voller Energie ist, wenn ich ihn treffe, kann ich ihm das glauben, auch ohne dass er meine Freude am „zügigen Gehen“ teilt.

Süchtig auf Joggen? Das hab‘ ich schon öfter gehört, immer ein bisschen neidisch, denn selber neige ich zu deutlich weniger gesunden Suchtmitteln. Die Hürde vom Leiden zur Lust erschien jedoch unüberwindlich, bisher jedenfalls.

Letzten Samstag lief ich dann los. Bloß nicht nachdenken, einfach machen! Rechts raus aus der Haustür, den Rudolfplatz entlang, vorbei am Tante-Emma-Laden bis zur nächsten Kreuzung, wo ich schon gleich von der roten Ampel gestoppt wurde – BEVOR ich außer Atem gekommen war! Also weiter. In langsamem Laufschritt schaffte ich es noch zwei Häuserblöcke weiter, dann begann das eklige Gefühl, nicht mehr genug Luft zu bekommen. Anstatt das auszuhalten bis an unerträgliche Grenzen, verfiel ich ins Walken, erholte mich dabei ein wenig, bis ich mich wieder fähig fühlte, erneut eine Strecke zu versuchen: vielleicht bis zur nächsten Ampel da vorne???

An diesem Tag lief ich so ohne Pause einmal rund um die Halbinsel Stralau. Meistens walkend, doch immer mal wieder eine kurze Strecke im Laufschritt. Mehrfach geriet ich ins Schwitzen, was sich sogar angenehm anfühlte – als Sauna-Gängerin hab‘ ich nichts gegen Schwitzen, erlebe es nicht mehr als Anzeichen des nahenden Kreislaufkollapses, wie früher.

Und dann das große Wunder: die jeweils ersten Momente der „Laufphasen“ empfand ich tatsächlich nicht mehr als extreme Anstrengung. Kurzzeitig fühlte es sich sogar richtig gut an! Doch schon gleich wurde es mühsamer, gerade noch ohne inneres Jammern und Schimpfen leistbar, solange ich mich weiterhin auf einen ruhigen Atem konzentrierte. Komm, noch bis da vorne hin! Auf den letzten paar Metern der insgesamt lächerlich kurzen Strecke erreichte ich dann das Reich des Leidens, das mich bisher von allem derartigen Tun so erfolgreich abgeschreckt hatte. Die Beine wogen plötzlich fünfmal soviel, wenn ich sie noch vom Boden abheben wollte, Füße, Waden, Schenkel und Schienbeine schmerzten – und dieser (für sich allein betrachtet gar nicht so furchtbar schlimme) Schmerz breitete sich von innen her über den ganzen Körper aus – bis in die Arme, in den Kopf, ins Herz. Ich hörte auf zu laufen, fiel schwer atmend zurück ins Walken. Intuitiv merkte ich, dass es wichtig ist, nicht zu STOPPEN, wie ich es früher immer tat, wenn es unerträglich wurde. Einfach weiter gehen, erleben, dass es geht, dass die Schmerzen gleich wieder verschwinden und ich es dann einfach noch mal versuchen kann.

Energie!

AnglerStralau ist eine wunderbare Lauflandschaft, grad mal zehn Minuten vom Rudolfplatz. Eine in die Spree hinein ragende Halbinsel fast ohne Autoverkehr. Interessante Fabrikruinen und architektonisch reizvolle Neubauten, Wanderwege am Wasser entlang, viel Grün, alte Bäume, blühende Gärten und Wiesen, noch brachliegende, wild überwucherte Grundstücke, die auf den Investor warten und ein idyllischer Friedhof. Zum Glück kein richtiger Park, denn der wäre in dieser zentralen Lage gleich überlaufen und zu Tode genutzt, wie praktisch alle Parks inmitten von Berlin. Hier aber bin ich jedes Mal fast alleine, genieße den frischen Duft, den Blick auf den Fluss, an dem hier und da ein paar Angler ihre Ruten ins Wasser hängen lassen. Was für eine Idylle!

Nach einer guten Stunde war ich wieder zuhause, aufs Angenehmste erschöpft. Ich spürte jede einzelne Faser meines Körpers, ruhte mich im Liegen aus und fasste den Entschluss, das jetzt öfter zu machen. Später dann, im weiteren Verlauf des Samstags, fühlte ich mich noch einige Stunden wie auf Wolken, leichter als sonst, voller Energie und Kraft. Ich staunte, denn es unterschied sich deutlich vom – auch angenehmen – Empfinden nach einem „zügigen Spaziergang“, war weit intensiver, lustvoller, deutlich länger anhaltend.

An die Grenzen gehen

Wie es so geht mit spontanen Beschlüssen, dauerte es dann doch ein paar Tage bis zum nächsten Lauf. Gestern Mittag erst sah mich Stralau wieder. Erneut lief ich kurzzeitig in den Bereich des schier Unerträglichen hinein – aber nur für ein paar Momente, so für ein kurzes Sightseeing: Was ist hier eigentlich los? Was IST das Unerträgliche, mal genau hingesehen? Seltsamerweise erwies sich keine einzige Körperempfindung, wenn ich sie isoliert betrachtete, als extrem schmerzhaft. Also ist es wohl die Psyche, die das Geschehen insgesamt von alters her derart negativ bewertet, dass aus lauter an sich erträglichen Einzelempfindungen ein kaum auszuhaltender Gesamteindruck entsteht.

Es erinnerte mich an das, was ich neuerdings im Fitness-Center erlebe, seit ich auch dort an die Grenzen meiner Kraft gehe. Den letzten Satz an jedem Gerät übe ich jeweils mit einem Gewicht, das mir gerade noch sechs bis acht Wiederholungen erlaubt – und dann ist Schluss, nichts geht mehr! Auch da erreiche ich für ein paar Momente diesen Bereich des vermeintlich Unerträglichen. Eine innere Stimme schreit dann alarmiert „sofort aufhören!“ – aber wenn man genau hinguckt, was eigentlich das Schreckliche ist, findet sich nichts Konkretes. Der Muskel weiß von ganz alleine, wann Schluss ist, und wenn ich die Bewegungen sorgfältig, ruhig und korrekt durchführe, bis es nicht mehr geht, gibt es nichts zu fürchten.

Doch auch hier derselbe spektakuläre Unterschied wie beim Laufen im Vergleich zum Walken! Eine Übungsphase, in der ich diesen zunächst beängstigenden „Schmerzbereich“ betrete, hat gänzlich andere Nachwirkungen als eine, in der ich nur mit locker handhabbaren Gewichten ein bisschen herumturne. Gleich danach spüre ich das Blut in jede Muskelfaser einschießen, ich atme besser, bin wunderbar entspannt und ein Gefühl der Euphorie breitet sich aus, das noch am nächsten mit dem Empfinden nach einem Orgasmus vergleichbar ist.

Und all das hab ich ein halbes Jahrhundert gemieden als drohe die Pest! Schon zu Zeiten meiner Kinderbande war ich die Kleinste, Jüngste und Schwächste, konnte körperlich mit den Anderen nicht mithalten und wurde dafür gehänselt und gedemütigt. In der Schule ging es dann genauso weiter. Mich wählte man als eine der letzten aus, wenn Mannschaften aufgestellt wurden, und manchmal zog ich es vor, absichtlich hinzufallen und mir das Knie aufzuschürfen, anstatt dieses ganze Herumgehetze weiter zu ertragen.
Schwimmen hatte mir anfangs noch gefallen, mein Vater nahm mich immer Samstags mit ins Hallenbad. Die ersten paar Male war es ein wunderbares Abenteuer – bis er mich seinen Kollegen „vorführen“ wollte, zeigen, was seine Tochter alles schon kann. Auf einmal MUSSTE ich vom Ein-Meter-Brett springen – oder vom Rand des Beckens einen Kopfsprung wagen, zu dem er mich zwang, indem er mir die Beine nach hinten wegzog. Prompt landete ich mit einem schmerzhaften Bauchplatscher auf der harten Wasseroberfläche und hatte fortan auch vom Schwimmen die Nase voll. Wie blöde Eltern doch sein können – und wie idiotisch ein Turnunterricht, der allein auf Wettbewerb setzt!

Wachsen oder verkümmern

Als ich dann gestern unter einem riesigen alten Weidenbaum eine Pause einlegte, ging mir all das durch den Kopf. Vielleicht, weil auch die kleinen grauen Zellen außergewöhnlich gut durchblutet waren, erlebte ich eine ganze Reihe kleiner Erleuchtungen. Nicht nur im Sport hatte ich mein Leben lang das „Reich des Schmerzes“ gemieden, sondern eigentlich auf jedem Gebiet: Solange ich nicht von außen zu neuen, vielleicht anstrengenden oder sonstwie unangenehm wirkenden Aktivitäten motiviert werde, ziehe ich das bequeme „Weiter so!“ vor. Bewege mich auf ausgetretenen Pfaden, gehe der Angst und dem Unbekannten lieber aus dem Weg. Eine Herausforderung einfach annehmen, weil sie da ist, wäre mir nie in den Sinn gekommen! Allenfalls Zwang, Ehrgeiz, oder das Ziel, durch Anstrengung und Wagnis einem größeren Übel auszuweichen, konnte mich in Bewegung versetzen. Mutig etwas tun, wovor sich Andere scheuen – ich hab‘ es allermeist nicht um meiner selbst willen getan, sondern immer, um dadurch meinen Status zu heben, um in einer Gruppe etwas zu gelten, um zu gefallen. Augen zu und durch – aber niemals: Augen auf und vorsichtig mitten hinein! Mal sehen, was da ist…

Auf einmal ist mir klar, wie man im schlechten Sinne altert. Im Lauf des Lebens wächst die Klugheit und Weltgewandtheit: man lernt, die eigenen Fähigkeiten ökonomisch einzusetzen und mit ganz gut erträglichem Einsatz ein halbwegs gemütliches Leben zu fristen. Wo man als junger Mensch noch 1000 Ängste spürt und sich überwinden muss, um zu wachsen, um einen eigenen Platz in der Welt zu finden, herrscht bald schon unaufgeregte Routine. Alles im grünen Bereich, den Spruch hör ich zur Zeit oft.

Aber das Leben ist dynamisch: wo kein Mehr-wollen und Neues-Wagen mehr geschieht, wo keine Bereitschaft mehr besteht, der Angst und dem Schmerz zu begegnen, beginnt ein subtiler Schrumpfungsprozess. Ein guter Musiker, der nicht ständig übt, verliert schon binnen weniger Tage einen Teil seiner Fähigkeiten. Das ist nicht „natürliches Altern“, sondern faules, freiwilliges Verkümmern.

Deshalb sehen die Alten in den noch naturnäheren Kulturen oft so viel besser aus, sind beweglich und fröhlich, arbeiten noch auf den Feldern mit und haben auch etwas zu sagen. Sie können sich den Herausforderungen der täglichen Mühsal nicht entziehen, sich körperlich und psychisch frühzeitig auf Bürostuhl und Bäderliege absetzen, um chronische Krankheiten und miese Launen zu entwickeln. So bleiben sie in Übung, bleiben auch als Alte in vieler Hinsicht jung.

Wir haben es „besser“. Auch ich wünsche mich nicht zurück ins vorindustrielle Zeitalter, bewahre – es ist gut, dass wir mehr denn je die Wahl haben, ob und in welcher Richtung wir uns anstrengen: beim Joggen, am Trainingsgerät, beim Yoga, Wandern oder Bergsteigen. Auf der körperlichen Ebene ist es jedenfalls am einfachsten, den Zusammenhang zwischen Anstrengung, Angst und Schmerz einerseits, Entspannung, Wohlbefinden und Lust andrerseits zu erleben.

Komisch, dass ich solange brauchte, um es zu bemerken. Und vielleicht daraus zu lernen.

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Claudia am 27. Mai 2004 — Kommentare deaktiviert für Blockiert und ratlos: Warten auf den Ruck

Blockiert und ratlos: Warten auf den Ruck

Gestern morgen funktionierten zwei meiner Mailboxen nicht mehr, ich konnte zwar Nachrichten empfangen, aber nicht mehr versenden. „Unerwarteter Verbindungsabbruch“ war alles, was ich darüber in Erfahrung bringen konnte. Anstatt groß rumzuforschen, benutzte ich zum Senden eine andere Mailbox, und siehe da: heute geht es wieder. Aussitzen ist eben manchmal doch die beste Lösung!

Nicht länger „aussitzen“ kann ich die Frage, wie ich jetzt möglichst schnell wieder Geld verdiene – auf neuen und alten Wegen. Nach den ersten fünf, sehr gut gelaufenen Schreibimpulse-Kursen war eine kreative Pause angesagt. Die hab‘ ich mir auch gegönnt, locker darauf vertrauend, dass meine sonstigen Einkünfte die Lücke überbrücken werden. Dann aber begann es auch hier zu „stottern“: ein Hauptkunde balanciert am Rande der Insolvenz und zahlt nur Mini-Beträge ab, ein anderer, von dem einige Aufträge zu erwarten sind, hat ausgesprochen lange Entscheidungsfindungszeiten – und prompt steh‘ ich finanziell vor dem Nichts!

Was tun? Diese Frage ist mir im Alltag weit näher als das meditative „Wer bin ich?“ – und doch hat das eine mit dem Anderen viel zu tun. Seit 1996 arbeite ich „im Internet“, und zunächst dachte ich, ich hätte ein neues Paradies gefunden. Ich erschuf Netz-Magazine, knüpfte unzählige Kontakte, moderierte eine große Mailingliste, die einzig der „Webkultur“ gewidmet war – und ich machte Kunst, spielte mit den Möglichkeiten der neuen Technik, drückte mich in ihnen aus, entwickelte schließlich meine persönliche „Schreibe“, die die Jahre überdauert hat und in diesem Webdiary zu besichtigen ist.

Um den Gelderwerb musste ich mich zu Beginn nicht kümmern. Mein befristeter Arbeitsplatz als Projektleiterin bei einem ABM-Träger war gerade weggekürzt worden und – ausgehend von BAT 3a Vollzeit – hatte ich mittels Arbeitslosengeld ein recht bequemes Auskommen. Ich suchte NICHT nach einem neuen, ähnlichen Job, sondern warf mich mit aller Begeisterung, neugierig, lernwillig und schier unendlich belastbar auf das neue Medium. Und tatsächlich: Das Vertrauen, dass sich in Sachen Geld verdienen schon irgend etwas ergeben werde, hat nicht getrogen. Schon sehr bald kamen die ersten Interessenten, die sich von mir eine Website bauen ließen, zudem schrieb ich für Printmedien über Internet-Themen und dann sogar ein „Netzlexikon“ – erschienen im MIDAS-Verlag, leider ein wenig der Zeit voraus.

Über die Jahre ist es dann immer so weiter gegangen. Nie musste ich „akquirieren“, um zu Aufträgen zu kommen – immer fanden sich rechtzeitig neue Auftraggeber ein: Menschen, die mich aufgrund meiner nonkommerziellen Aktivitäten bemerkt hatten und Gefallen fanden an dem, was ich so mache. Und sie empfahlen mich weiter, gaben Folgeprojekte in Auftrag – bis heute funktioniert diese „Schiene“, doch kann sie mich nicht mehr vollständig finanzieren. Schließlich hat mittlerweile jeder eine Website, der sie wirklich braucht. Und wer macht in diesen schwierigen Zeiten schon Geld für ein Update locker, wenn es nicht unumgänglich ist?

Zudem hat sich die Netzwelt grundstürzend geändert. Manchmal staune ich, wie effektiv mittlerweile alles durchkommerzialisiert ist. Sucht man irgend eine kleine Hilfe bei ganz alltäglichen Bedürfnissen, landet man auf intelligent gestalteten Angebotsseiten: winzige Basic-Infos gibt es kostenlos, doch sobald auch nur der geringste echte Nutzen gefragt ist, ist die Registrierung und das Abo fällig. Und all das funktioniert mittlerweile auch. Die Leute ZAHLEN wirklich!

Ich bin keine Nostalgikern und stehe hier nicht an, über „den Kommerz“ zu klagen. Klar müssen alle Geld verdienen und warum zum Teufel soll irgend jemand seine hart erarbeiteten Werte fortlaufend kostenlos unters Volk werfen? Ja wo leben wir denn? Ganz gewiss nicht im Paradies!

Ich frag mich nur: was bedeutet das für MICH? Die Tatsache, dass das Netz zum großen kommerziellen Nutz-Medium geworden ist, heisst auch, dass es als „Kultur-Medium“ kaum mehr wahrgenommen wird. Zwar gibt es immer noch Menschen, die auf ihren Homepages und Blogs wundervolle Inhalte bieten, aber sie werden kaum mehr gefunden. Für Erwähnungen in Newslettern und auf gut besuchten Websites muss man lange schon zahlen, in den Suchmaschinen erscheinen fast nur noch kommerzielle Anbieter, die es sich leisten können, viel Arbeit in die „Optimierung“ ihrer Webseiten für Google et al zu investieren – mit allen Tricks.

Diese Entwicklung entzieht meiner bisherigen Art und Weise, zu Aufträgen zu kommen, den Boden. Das ist lange schon spürbar, aber ich hatte, solange es noch irgendwie ging, nicht wirklich Lust, mich dem Problem zu stellen. Ein Schritt in die richtige Richtung sind immerhin schon die Online-Schreibkurse – aber davon alleine werde ich nie leben können, wenn sie GUT bleiben sollen und nicht zu einem anonymen Massenbetrieb werden, bei dem ich dann nur noch das Organisatorische abwickle.

Das klingt so „mächtig“, so als könnte ich es tun, wenn ich nur wollte – aber so ist es nicht. Im Rahmen eines Jobs bin ich auch mal eine ganz ordentliche Verwaltungs- und Organisationskraft, aber wenn ein Projekt ganz „aus mir heraus“ entstehen und blühen soll, dann muss ich an meiner Arbeit auch richtig Freude haben. Und zwar nicht nur am Erfolg, sondern am konkreten Tun von Tag zu Tag.

Unter Druck..

Wie beneide ich doch gelegentlich die Menschen, die immer schon wissen, was sie arbeiten und womit sie nützlich sein können! So ein handfester, klar definierter Beruf, Arzt, Schornsteinfeger oder Steuerfachgehilfin – muss doch toll sein! Man weiß, wann die Arbeit zu Ende ist und muss sich keine Gedanken machen, wovon man demnächst leben wird. Und man hat „richtige“ Freizeit, sogar Urlaub. Das „ganzheitliche“ Leben und Arbeiten, in dem alles mit allem zusammen hängt, ist nicht wirklich die glückbringendere Wahl. So zumindest erlebe ich das zur Zeit, nach acht Jahren Selbständigkeit als „multi-dimensionale“ Webworkerin.

Was also tun? Tagtäglich gehe ich mit dieser Frage um, wohl wissend, dass sie nicht rein grüblerisch zu lösen ist. Es gibt ja doch etliches, was ich tun könnte – immer wieder mal schreib ich eine neue To-Do-Liste, um mir die Möglichkeiten neu vor Augen zu halten, aber es bedarf zumindest eines kleinen Funkens heller Begeisterung, um so richtig mit etwas Neuem loszulegen. Statt dessen wächst nur der Druck, der von meinem Kontostand ausgeht. Noch nie hab‘ ich mich so blockiert gefühlt wie in den letzten Wochen.

Darüber schreiben ist immer eine gute Möglichkeit gewesen, mir klar zu machen, was eigentlich los ist. Im Moment scheint auch diese „Methode“ wenig Erhellung zu bringen. Ich kann die Situation beschreiben, aber der „Ruck“, der irgendwie kommen muss, geschieht nicht, indem ich Sätze aneinander reihe. Meine innere Bereitschaft, auch radikale Lösungen anzunehmen, ist mittlerweile groß – nichts dagegen, wieder mal „angestellt“ zu arbeiten oder als „feste Freie“ kommerzielle Projekte zu pflegen, Communities zu bedienen, PR- und Werbetexte zu schreiben, Newsletter zu betreuen, was immer halt gebraucht wird. Auch außerhalb des Netzes würde ich arbeiten, wenn sich etwas anböte – aber all das führt nur mitten hinein ins Heer der Arbeitslosen, die genau solche Jobs suchen.

Kühe hüten?

Kürzlich sah ich mal eine Website, die sich auf die Vermittlung von Kühe-Hüterinnen spezialisiert hatte. Auf der Alm sitzen und aufpassen, dass keine Kuh abhaut oder abstürzt – Monate lang! Was für ein Leben das wohl sein mag? Selbst das würde ich vielleicht probieren – aber natürlich wäre ich dafür „überqualifiziert“ und würde nicht genommen. Und meine Festkosten könnte ich damit auch nicht erwirtschaften.

Ja verdammt noch mal, was soll ich also tun? Einen Kredit aufnehmen, um drei Monate zu überbrücken? Bis dahin hat mich der „Ruck“ gewiss dreimal ereilt und die Zeit würde reichen, etwas Neues zu entwickeln, das mich finanziell wieder ausreichend trägt. 5000 Euro wären genug, meine materiellen Bedürfnisse sind schließlich minimal und die Festkosten hab‘ ich sicherheitshalber immer so niedrig wie möglich gehalten. Aber auch das ist keine echte Möglichkeit – einer Freiberuflerin ohne Sicherheiten gibt niemand Kredit, heutzutage weniger denn je.

Im Moment versuche ich, die eigene Blockade durch „Körperarbeit“ aufzulockern. Alle zwei Tage bin ich im Fitness-Center – die 40 Euro pro Monat hab‘ ich noch nicht eingespart, da die Kündigungszeiträume eh viel zu lange sind. Ich übe jetzt Krafttraining, in der Hoffnung, dass mir nicht nur körperliche Kraft zuwächst. Und danach dann immer die Rishikesch-Reihe – Yoga als Dehnungsübung im Anschluss an die Geräte.

Tatsache, ich fühl‘ mich dann besser, optimistischer, gelassener – aber auf den „Ruck“ warte ich immer noch.

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Claudia am 19. Mai 2004 — Kommentare deaktiviert für Zwischen Sein und Sollen

Zwischen Sein und Sollen

16 Tage kein Diary-Eintrag. Ich glaub‘, das war die längste Pause, die es je gegeben hat. Ein Teil von mir ist regelrecht in Streik getreten, leider nicht nur in Sachen „Webdiary“. Alles Tun und Machen am PC zeigte sich auf einmal als etwas, das ich lieber vermeiden würde – und ich hab‘ es vermieden bis an die Grenze des Möglichen, sprich: bis das Konto auf Null war. Acht Jahre „am Netz“ – an sowas wie Urlaub dachte ich nie. Ob es daran liegt? Ich weiß es nicht, so richtig „in die Ferne“ hat es mich ja auch nicht gezogen, nur vom Monitor wollte ich mich entfernen, ein paar Meter reichten schon aus.

Putzen, aufräumen, das Klein-Chaos in allerlei Ablage-Ecken beseitigen, Staub saugen – nie zuvor hat all das solchen Spaß gemacht. Noch lieber gehe ich spazieren, ohne Ziel, einfach den Körper in Bewegung spürend, den Duft der blühenden Bäume riechend, die Berliner Skyline mit Fernsehturm Ost bewundernd, die von den nahen Brücken über die Spree und über die S-Bahn so gut zu sehen ist. Auch Blumen gießen auf dem Balkon macht Freude – hätte mir jemand prophezeit, dass ich eines Tages spießige Stiefmütterchen und ähnliche Ex-und-Hopp-Pflanzen erwerbe, um „Frühling, ganz nah“ zu erleben, hätte ich mir an die Stirn getippt. Tja, sag niemals nie!

Auch das Fitness-Center sieht mich wieder jeden zweiten Tag. Monatelang war ich nur zahlende Karteileiche. Die große Langeweile hatte mich überkommen, damals im Januar. Immer dieselben Bewegungen, ein blödes Herumturnen an komischen Apparaten. Also dachte ich mir: Packs mal anders an! Warum nicht mal ein bisschen mehr anstrengen? Nicht nur fit bleiben und dafür eine öde gewordene Routine abziehen, sondern ein Ziel anstreben, Muskeln aufbauen, mal wirklich STÄRKER werden, so dass mir der Kasten Wasser locker in der linken Hand liegt bis hinauf in den dritten Stock. Einen Klimmzug machen können, und nicht wie ein schlaffer Sack hilflos an der Stange hängen…

Gedacht, getan. Bei jedem der Geräte legte ich ein paar „Kohlen“ auf und übte mit deutlich höherem Gewicht. Ging auch ganz gut, doch bemerkte ich erst zwei Tage später, dass der Schmerz am linken Oberschenkel nicht Teil des allgemeinen Muskelkaters war, sondern ein Muskelfaserriss: eine richtige Delle, daneben eine Schwellung. Das war´s erst mal in Sachen Fitness-Center! Erschreckend, wie leicht man sich verletzen kann – und ich hatte es nicht mal bemerkt, während es geschah.

Jetzt trau ich mich wieder, vorsichtig, langsam, und spüre, wie sich der Körper freut. Wir sind nicht dafür gebaut, unsere Tage Tasten klickend vor einem Bildschirm zu verbringen. Auch ein bisschen „zügig Gehen“ zwischendurch reicht keinesfalls aus, um allen Muskeln mal wieder das Gefühl zu geben, am Leben beteiligt zu sein. Nach einer Stunde Training fühl ich mich wie neu, könnte Bäume ausreißen! Aber leider: das braucht es halt nicht, Konto auffüllen ist angesagt, und das geht nun mal nur hinter dem Monitor.

Da sitze ich jetzt wieder und versuche, den Ehrgeiz wieder zu erwecken, den ich brauche, um etwas Neues zu erschaffen. Zum reinen Selbstausdruck reicht mir das Schreiben, mal im Web, mal in einem privaten Mail-Dialog. Könnte ich dem einfach folgen, käme gelegentlich ein künstlerisches Webprojekt hinzu – es gibt so einiges, was ich gerne zeigen, in Form bringen, in die Web-Welt setzen würde, wenn ich es mir leisten könnte. Vielleicht sollte ich diese „Herz-Projekte“ einfach mal beschreiben und Sponsoren suchen?

Zuvorderst stehen jedoch andere Dinge an, neue Schreibimpuls-Kurse zum Beispiel. Es macht Freude, mit einer Gruppe zu arbeiten, Menschen zum Schreiben zu motivieren, Resonanz zu geben, zu kommentieren und zu kommunizieren. Aber Non-Stop kann ich das nicht durchziehen, so einen Kurs nach dem Anderen, dass ich davon alleine leben könnte. Es ist, als verbrauchte ich dabei eine Energie, die ich anderwo auftanken muss: Im Allein-Sein, alleine arbeiten, OHNE dabei ans Geld denken zu müssen. Wie ich mir DAS finanziere, ist im Grunde die Frage, die ansteht.

Grad rief mich ein lieber Freund an, unterbrach mein „Ringen um die richtige Arbeitslaune“, entführte mich für kurze Zeit in seine Welt, die für wenige Minuten eine gemeinsame wurde. Meistens mag ich es nicht, telefonisch unterbrochen zu werden, und sage das auch allen, die das Telefon gern zu mehr als zum bloßen Info-Austausch benutzen. Aber nichts, was ich mir so denke, gilt ja absolut, es gibt Ausnahme-Momente – und das war jetzt so einer. Der Text war ja just in diesem Augenblick zu Ende.

Immer wieder in den Augenblick kommen, das JETZT wahrnehmen und darüber staunen, dass ICH da auf seltsame Weise verschwinde – das ist eine „Übung“, an der ich soviel Geschmack gefunden habe, dass es oft schwer fällt, ins zukunftsorientierte Planen und Arbeiten zurück zu kommen. Ich kenne viele Menschen, die offensichtlich gar keinen Zugang zu diesem immer vorhandenen Paradies haben, sie sind fortlaufend am Denken und Grübeln, am Planen und Fürchten, am Analysieren und Hinterfragen, nehmen ihre Umwelt und auch ihren Körper kaum noch wahr, bis irgend eine Katastrophe unabweisbar dazu auffordert, mal wieder ein wenig wach zu werden, wach für das, was ist.

Nun, egal, wo und wie man sich befindet: es scheint immer die passende Art Katastrophe zu geben! Bei mir ist es halt grad der Kontostand, der mich aufs Heftigste aus dem Augenblick in die virtuelle Welt zurück zieht – in die Welt des rationalen Sorgens um Zukunft und Fortkommen. Dabei will ich gar nicht FORT kommen, verdammt noch mal. Sondern einfach DA sein!

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Claudia am 04. Mai 2004 — Kommentare deaktiviert für Verschwinden

Verschwinden

Wie viele Angler doch mitten in Berlin aktiv sind! An jeder dafür in Frage kommenden Stelle sitzt einer und lauert auf den Fisch. Es ist ein lauer Frühlingsabend, ich wandere rund um die Halbinsel Stralau und genieße die Stille. Nun ja, ganz still ist es nicht, vom anderen Ufer der Rummelsburger Bucht erschallt ein Froschkonzert, in weiter Ferne fahren Autos, auch die S-Bahn ist gelegentlich zu hören. Aber kein Mensch kreuzt meinen Weg, die Angler verschwimmen fast mit dem Hintergrund und langsam kommt die Nacht herauf. Die Luft riecht nach Blüten, es ist sommerlich warm, der Körper entspannt. Langsam ergreift die äußere Ruhe Besitz von mir: Denken an gestern und morgen verstummt, ich sehe, höre, rieche, schau in die Lichter der futuristisch wirkenden Neubauten, die mit manch altem Backsteingemäuer wundervoll kontrastieren, beobachte die kleinen Fische bei der Jagd nach den Schnaken, die dicht über dem Wasser fliegen – warum geh ich hier nur so selten spazieren? Ist doch fast wie Urlaub. Weiter → (Verschwinden)

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Claudia am 16. Oktober 2003 — Kommentare deaktiviert für Der Neue

Der Neue

Gestern ist er angekommen. Schwitzend wuchtete der Postbote die beiden Pakete zu mir in den dritten Stock. Ich kritzelte meinen Namen auf das rutschige Display, das er mir hinhielt, und schon war ich allein mit ihm: ein Dell Dimension 8300 Premium Class-PC mit 1024 MB RAM Arbeitsspeicher und zwei 128 Gigabyte-Festplatten. Ein Quantensprung! Mein letzter Rechner, auf dem ich diesen Text noch immer tippe, ist schon über vier Jahre alt, begnügt sich mit Windows 98 (zu alt für die meisten Viren) und zwei 18-GB-Platten. Er stürzt gelegentlich ab, tut aber ansonsten seinen Dienst klaglos. Vor ihm hatte ich mir jeweils alle zweieinhalb Jahre die „Next Generation“ zugelegt, doch für die Arbeit für und übers Netz reicht der Jetzige völlig aus, ich spürte keinen „Upgrade-Bedarf“: weder spiele ich grafikintensiven Spiele, noch schneide ich Filme, ich gucke keine DVDs, und auch für die Bildbearbeitung tut’s ein Pentium 3 gut. Bilder fürs Web können nun mal keine Daten-Monster sein, sonst würden sie nicht durch die Leitung passen.

Trotzdem, die Zeit war reif! Schon lange hatte ich keine Lust mehr, neue Programme auszuprobieren oder Dinge, mit denen ich früher mal spielte, wie z.B. Soundbearbeitung, wieder ins Laufen zu bringen. Never touch a running system! Die Bilder, die meine neue Digicam mit den 5 Mio Pixel macht, kann ich ohne Wartezeiten nicht bearbeiten, zudem steht zu befürchten, dass zeitgemäße Programme Windows 98 bald nicht mehr unterstützen. Aber das wichtigste: Computertechnisch zu veralten bedeutet auch, sich vom Mainstream der Anwender abzukoppeln: nicht mehr zu erleben, was sie erleben, und sei es die neueste trickreiche Attacke irgendwelcher bösen Würmer. Wenn ich ein Uralt-System fahre, kann ich irgendwann meinen Kunden keinen Rat mehr geben, weil ich keinen Schimmer habe, was auf ihrem System abläuft. Es gibt viele Gründe für einen zeitgemäßen PC, Gründe, die ich allerdings nicht mal abwägen musste, denn „der Neue“ ist ein Geschenk: Lob und Dank dem großzügigen Spender, der damit meine Kreativ-Arbeit unterstützen will!.

Nun steht er also da, noch immer unausgepackt. Die Größe der Aufgabe schreckt mich erstmal: ein unbekanntes Betriebssystem, das schon „sehr anders“ sein soll, wie eine Kollegin sagte, das Installieren der Programme, ohne die ich nicht arbeiten kann, das Umschaufeln der Daten, das „Reparieren“ von XP, das erst mal eine Reihe mittlerweile erschienener Sicherheits-Patches von Microsoft braucht, bevor man sich damit ins Netz wagen kann; das Einrichten der Norten Internet Security-Tools – jede Menge Arbeit! Und allerlei Gefahren: Noch unwissend und unkundig im Umgang, muss ich mit diesem System mitten in den Krieg der Viren-Programmierer gegen die Anti-Viren-Programm-Entwickler treten. Bisher lebte meine alte Gurke ohne Schutzprogramme, Böses kam nur über Anhänge von E-Mails herein, und nicht „irgendwie“ über die Leitung. Da ich kein Microsoft-Mailprogramm benutze, war ich weitgehend geschützt, wenn ich diese Anhänge nur einfach ignorierte, bzw. die Mails löschte. Ein einziges mal hatte ich versehentlich auf einen Virus geklickt, merkliche Probleme gab das aber erst in dem Moment, als ich ein Virenschutzprogramm installiert hatte und den Feind loswerden wollte. Aufgrund dieser Erfahrung hatte ich es dann wieder deinstalliert: Wenn der Virus den Feind nicht sichtet, schloss ich, hat er keinen Grund, aktiv zu werden. Ich verweigerte mich den Fronten und lebte friedlich und ungestört.

Gott sieht’s

Damit ist es jetzt zu Ende. Mit XP kann man sich ohne hochgefahrene Schutzschilde gar nicht erst ins Netz wagen, sagen mir kundige User, man wäre sofort „verwurmt“. Zu Ende auch die Zeit, in der mich das Betriebssystem FRAGT, ob es ein Problem an Microsoft melden soll – XP fragt nicht mehr, sondern steht in fortlaufendem Kontakt mit dem Imperium. Mehr noch: es bedeutet die technische Ermöglichung totaler Überwachung, denn XP sendet immer wieder eine Identifikationsnummer übers Netz, die meinen Computer kenntlich macht. Was immer ich tue, Microsoft weiß, WER es war. Wenn man dazu noch bedenkt, dass Google die Suchvorgänge aller Nutzer open end speichert, mit IP-Nummer natürlich, so dass zumindest die Telekom nachvollziehen könnte, was ich wann gesucht habe, kommt man sich schon ziemlich beobachtet vor: von Giganten umstellt, die mich bald besser kennen können als ich mich selbst.

Aber ich tue ja nichts, was ich zu verbergen hätte! Der Gedanke liegt nahe, tröstet mich bisher auch ganz gut über die ganze Problematik hinweg, doch ich ahne, dass das nicht ausreicht. Kann nicht morgen schon die Gesellschaft sich so verändern, dass das, was ich bereits getan habe, in den Bereich des Illegalen oder zumindest Unerwünschten fällt? Ist nicht schon bald zu erwarten, dass die Daten, die ich vom alten auf den neuen PC mitnehme, mal eben von irgendwem durchgecheckt werden, ob nicht irgendwelche Copyright-Verletzungen vorliegen? Wobei das Copyright ja immer restriktiver wird: bald sind alle Dateien verdächtig, die alt genug sind, um noch keine Informationen über Nutzungsrechte zu enthalten.

Alles in allem bedeutet der Umstieg auf „den Neuen“ tatsächlich in vieler Hinsicht einen Quantensprung, und zwar einen, der nicht nur Freude macht. Ich werde wieder neu lernen müssen, wie ich das System bändige und zur Not austrickse, um mir ein Minimum an persönlicher Autonomie zu retten. Vielleicht installiere ich auf einer zweiten Partition Linux, damit ich das Netz noch betreten kann, ohne dass alles, was ich installiert habe, anfängt, „nach Hause zu telefonieren“.

Think positiv! Der Neue hat einen Pentium 4 2.80 GHz-Prozessor und 1024 MB Arbeitsspeicher: ich werde riesige Bilddateien bearbeiten können, als wären es kleine Webbildchen! Meine gelegentlich entstehenden Bildkompositionen werden dadurch in hoher Auflösung druckbar und verkäuflich – bald gibt’s hier vielleicht die „Serie Friedrichshain“, ausgedruckt auf Din-A3-Fotopapier, verpackt und zugesendet in den bekannten Papprollen. Könnte ein netter kleiner Nebenerwerb werden und mich motivieren, öfter in die Welt der Bilder einzusteigen.

Morgen werde ich den Neuen auspacken und die Sache in Angriff nehmen. Da ich mir keine Ausfallzeiten leisten kann, muss der alte PC bleiben, und zwar in voll funktionsfähigem Zustand. Bisher hab‘ ich mich immer von der Vergangenheit getrennt, den Alten verschenkt, auch damit ist es vorbei. Genau wie Microsoft mich über XP „am Halsband hält“ und Google und Telekom meine Netzbewegungen erforschbar machen, so hängt auch die neue Hardware am Service von Dell. Vier Jahre Vor-Ort-Service am nächsten Arbeitstag – hört sich gut an, aber bisher war ich gewohnt, meinen Rechner morgens in den Laden zu bringen und ihn abends repariert wieder abzuholen. Und eine „Pflicht zur Mitwirkung bei der telefonischen Fehlerdiagnose“ hatte ich auch noch nicht. Das wird jetzt alles aufwändiger, langwieriger, trotz Vor-Ort-Service. Also muss „der Alte“ bleiben, mein Gerätepark wächst.

Er steht jetzt vor der Tür, immer noch verpackt. Ich genieße die letzten Stunden ohne neue Probleme und Möglichkeiten – und klopfe auf Holz!

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Claudia am 04. Mai 2003 — Kommentare deaktiviert für Bilder der Liebe

Bilder der Liebe

Auf dem Flohmarkt, sonntags, Boxhagener Platz. Kein Antik- oder Kunstmarkt, sondern einer von der ursprünglichen Art, auf dem die Leute alles verkaufen, was sie nicht mehr brauchen – und das, was sich dann so ansammelt, wenn sie das Verkaufen weiter betreiben wollen. Da meine Wände noch immer recht kahl sind, halte ich Ausschau nach Bildern. Unwichtig ob Kunstdrucke, Poster, ÖÖlgemälde, vergrößerte Fotos, zusammengeklebte Collagen oder ausgedruckte Digitalwerke, unwichtig auch, wer wo und wann das Bild geschaffen, abgekupfert, geklaut oder variiert hat. Ich durchwandere den Markt im Uhrzeigersinn und scanne die Stände, die Tapeziertische und die Decken auf dem Boden systematisch nach Content. Inhalt für die bisher weißen Wände, auf die ich täglich mehrmals schaue.

Keine bestimmten Vorstellungen helfen mir beim Suchen. Ich weiß nicht, ob ich ein Abbild der Natur, etwas ganz Abstraktes, eine Stadtansicht, womöglich gar Bilder vom Menschen suche. Nur weiß ich recht schnell, wenn ich ein Bild sehe: DAS will ich NICHT!

So geh‘ ich von Stand zu Stand und erlebe jede Menge „Das nicht!“-Resonanz. Natürlich frag ich mich schon bald, was eigentlich nicht passt, warum mir einfach keines der vielen Fotos, Poster, Drucke und Gemälde gefallen will. Auch solche nicht, die weder stümperhaft noch uninteressant, ja, vielleicht „richtig gute Kunst“ sind. Aber: will ich da täglich drauf schauen? Die innere Probe auf den Ernstfall übersteht bisher keines. Es ist eine ganz andere Situation, als wenn man einfach nur so „Bilder kaufen“ wollte, in einer Hobby-artigen Sammlerhaltung, die bestimmte Vorlieben pflegt und das Beutegut zuhause in Rollen stapelt.

Nein, ich will Bilder für mich, Bilder zum selber ansehen, nicht zum zeigen. Und was ich ständig sehe, beeinflusst mein Sein, malt die Farbe an die Wände meiner Existenz, beeinflusst meine Stimmungen und Gefühle. Es muntert mich auf oder zieht mich herunter, lenkt ab oder unterstützt die Konzentration, stärkt den Willen oder unterminiert ihn.

Ich tue gut daran, sorgfältig zu wählen. Das bedeutet nicht, zu mir selbst in eine therapeutische Haltung zu treten und mir gewisse Bilder zu „verschreiben“. Sondern nur, auf die Regungen zu achten, die der Anblick in mir hervor ruft und zu fragen: will ich DAS? Will ich das jeden Tag, im Fall der weißen Wand gegenüber meinem Arbeitsplatz gar alle paar Sekunden?

Die besten Bilder auf dem Flohmarkt dieses Sonntags hat einer, der polnische Plakatkunst verkauft. Wow, dagegen können unsere gängigen Veranstaltungsplakate einpacken! Ein ganzer Stapel großer Poster wird vor mir auf- und umgeblättert: Plakate zu Opern, Theaterstücken, Lesungen, politischen Veranstaltungen, Symposien und Ausstellungen – und jedes ein echtes Kunstwerk! Es ist mühsam, so einen Stapel großformatiger Bilder, es sind gewiss über 150, eins ums andere zu zeigen und umgedreht abzulegen. Auch deshalb bin ich ausgesprochen kaufbereit, sollte eines darunter sein, dass mich „anspricht“.

Das Schreien der Bilder

Die Bilder sprechen mich tatsächlich fast alle an. Allerdings nicht so, wie ich minütlich von der Wand gegenüber angesprochen werden will, muss ich mit Bedauern feststellen. Die allermeisten dieser wunderbaren Werke der grafischen Kunst stellen in Frage, klagen an, verunsichern oder machen Angst, vermitteln das Gefühl von Ohnmacht und Wut, stimmen aggressiv oder verzweifelt, erheben Forderungen oder machen sich abgründig über etwas lustig. Manche spielen mit dem Ekel, andere mit Gewalt, manche auf verstören-wollende Art mit Sex, wieder andere bleiben so cool, dass man die Wand gleich weiß lassen könnte – oder schwarz.

Ich kaufe schließlich eines, das mir besonders ausdrucksstark erscheint, wohl wissend, dass ich es vermutlich nicht aufhängen werde. Ein schwarzer Vogel im Flug, gemalte Silouette – in ihn hinein rast ein roter Vogel mit riesigem Schnabel und durchdringendem Blick, der das Zentrum des Bildes darstellt. Es macht agressiv, keine Frage. Und damit ist es ein Fehlkauf, einzig dem Verkäufer zuliebe geschehen.

Mit meiner Rolle unterm Arm mach‘ ich mich auf den Heimweg. Immerhin weiß ich jetzt, was ich suchte und nicht fand: Bilder, die etwas feiern und heiligen, nicht angreifen oder in Frage stellen. Bilder der Freude und Dankbarkeit, Bilder des Staunens und Bewunderns – Bilder der Liebe, kurz gesagt.

Gibt es solche Bilder? Ganz bestimmt gibt es sie, der Fundus der Bilder der Menschheit ist riesig. Ich erinnere mich spontan an einige Nähnadeln im Heuhaufen, die mir schon begegnet sind, Landschaften, Frauen, Paare in tantrischer Vereinigung, Götterbilder, erotische Szenen, die über das Erotische hinaus in eine andere Dimension weisen, auch abstrakte Kompositionen mit intensivem Gefühlswert. Es gibt sie im Fundus käuflicher Bilder, wenn man Titel und Autor kennt, doch sicher auch „ohne Titel“ auf vielen Festplatten und in Schubladen, wo alles verbleibt, bzw. verschwindet, von dem man vermutet, es sei unverwertbar. Oder mit dem man sich nicht an die ÖÖffentlichkeit wagt, warum auch immer.

Der Geist, der stets verneint

Ich verstehe, warum es so wenige solcher „Bilder der Liebe“ gibt. Zum einen stehen mir gewisse „spirituelle Kompositionen“ aus dem Eso-Markt vor Augen, die zeigen, wie schnell etwas, das mit aller Kraft harmonisch, schön und auf jeden Fall „positiv“ sein will, zum Kitsch gerät. Und mir fällt die Werbung ein. Dort gibt es eigentlich alles, was fehlt – nur dass es eben nicht um das Gute, Schöne und Wahre, sondern um die Güte und Schönheit der Ware geht. Nicht um Liebe, sondern ums Haben- und Jemand-Sein-wollen.

Es ist kaum möglich, den kritischen Geist mit all seiner Zersetzungskraft einfach zu überspringen und zu naiven Darstellungen aus voraufgeklärten Zeiten zurück zu kehren. Die dunklen Seiten der Welt können und sollen nicht geleugnet werden, doch kann ein „anprangern“ oder beweinen nicht einziger Inhalt eines „Bildes der Liebe“ sein. Noch viel weniger das „reine Spiel mit der Wahrnehmung“, das in der Kunst den Inhalt zeitweise abgelöst hat.

Ich hoffe trotzdem, auf meiner Suche nach dem Content für die blanken Wände noch fündig zu werden, hab‘ ja auch noch kaum geforscht. Wer mir Tipps geben will oder Bilder zeigen, ist herzlich eingeladen, ins Forum zu posten oder zu mailen.

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Claudia am 26. Februar 2003 — Kommentare deaktiviert für Nach dem GAU

Nach dem GAU

Wer glaubt, ich sei vom Erdboden verschwunden, weil mir allzu langes Fasten nicht bekommen wäre, irrt: der gemeine Computer-Gau hat mich ereilt, und zwar am Dienstag, den 18.Februar. Ich schaltete morgens wie immer das Gerät an, nichts Böses vermutend, denn am Vorabend war ja noch alles ok gewesen. Doch ein längerer Blick auf den schwarzen Screen bringt das kalte Grausen: Schutzverletzung!!! Starten im „abgesicherten Modus“ wird empfohlen, und noch während ich überlegte, ob ich das Angebot annehmen soll, versuchte Windows, sich zu laden und brach erneut ab: Schutzverletzung am Modul GDI.EXE. Starten Sie neu!

Tja, der PC ließ sich aber gar nicht normal ausschalten, ich musste ihm echt den Strom abwürgen, um es aufs Neue zu versuchen. Wieder und wieder schaltete ich ihn ein, und ebenso gleichmäßig landete ich in derselben Katastrophe. Nur die Adressen der Schutzverletzungen, die angeblich irgendwie kaputten Dateien und Module, änderten sich ständig. Sah gar nicht gut aus!

Ich rief einen lieben Freund zu Hilfe, ein ausgesprochen kundiger Windows-Experte mit viel Erfahrung in Anwenderschulung, Diagnose und Betreuung ganzer Netzwerke. Zwar stand er gerade selber im Stress und musste EIGENTLICH einen eng terminierten Textauftrag abarbeiten, kam aber zu meiner großen Erleichterung trotzdem nachmittags vorbei, startete den PC, landete bei der Schutzverletzung, wählte „schrittweise Eingabe“ und erlebte selber, wie Windows sich beim Starten immer wieder aufhängte. Mehr noch: Er fand per DOS-Befehl (=alter Betriebssystemkern aus der Vor-Windows-Zeit) auch eine Festplatte mehr als vorher, es gab jetzt C, D UND F!

Aha! Mir war jetzt klar, dass es nicht nur um eine kurze, mit ein paar Mausklicks behebbare Störung ging, sondern um eine großkalibrige Nerverei. die sich zu Stunden und Tagen dehnen würde: in den Monitor starren, immer wieder „etwas Neues probieren“, mit CDs und Disketten herumfuhrwerken – natürlich ohne Netzanschluß, also darauf angewiesen, alles Nötige physisch am Ort zu haben: die Mega-Katastrophe!

Andrerseits: D. war wieder mal da und wir hatten uns viel zu erzählen. Als erstes berichtete er mir, dass er nur dann Zeit habe, diesen Schlamassel zu bereinigen, wenn ich dafür Teile seiner Text-Arbeit übernähme. Aber sicher doch, mal was anderes! Schließlich sollte er wegen mir keine Einkommensverluste erleiden, wenn er schon so lieb war, mein renitentes Gerät wieder befrieden zu wollen. Also textete ich in den nächsten drei Tagen unterhaltsame Quizfragen zum Thema „Männer & Frauen“, und zwar nicht mit Winword, sondern ich schrieb sie mit der Hand auf Papier. Eine echte Erholung vom Alltag, geistig und körperlich! Wen hat der Märchenprinz denn nun wach geküsst? Dornröschen, Rotkäppchen oder Rumpelstilzchen??? Wie entfernen sich die meisten Frauen überflüssige Haare? Wann gilt eine Ehe als zerrüttet? Was war das „Kranzgeld“ und das „Jus primae noctis?“ Und was trug SIE in den 50ern so Auffälliges unterm Rock? Das sind doch mal lebensnahe Fragen, ich hatte richtig Spaß dabei, außerdem musste ich nicht dauernd aufrecht vor einem Monitor sitzen – wie angenehm.

Starten Sie neu!

Drei Tage gingen ins Land und immer werkte D. einige Stunden am Gerät: prüfte und analysierte, scannte und kopierte, vereinigte die softwäremäßig zu mehreren Partitionen zerhackte Festplatte C: wieder zu einer einzigen Platte, rettete meine dort befindlichen Daten, deren Sicherung auf D: leider nicht mehr ganz frisch war; sicherte auch mein Mailprogramm mit sämtlichen Kundenkontakten der letzten Jahre, und mühte sich schließlich redlich, Windows neu zu installieren – leider nur mit geringem Erfolg. Am Abend des zweiten Tages war ich schon alleine geblieben, um den Rest noch selber drauf zu spielen, als der Bildschirm schon nach der zweiten Installation einfror, ohne dass ich irgend etwas „Schlimmes“ getan hätte. Ich startete neu, kam aber nicht mehr weit: „SCHUTZVERLETZUNG am Modul User.exe, starten Sie neu!“.

Aha. Ich vermutete jetzt einen Hardwarefehler. Glücklicherweise war diesmal die Festplatte nicht wieder zerlegt, doch gelang es nun auch meinem unermüdlichen Helfer nicht mehr, Windows zu installieren. Es wollte einfach nicht. Also noch mal ein Virensuchprogramm über die Platten gucken lassen, ob sich vielleicht im Boot-Sektor der Teufel selber verbirgt: kryptische Fehlermeldungen, Speicherprobleme – ich war ja schon zufrieden, dass meine Daten sicher auf D: lagen und schlug nun vor, das Teil jetzt im Laden abzugeben, wo die Hardwarebastler ihre Künste üben. Wenn mal so was ist, gehe ich immer schon zu *INDAT: morgens bringen, abends holen, manchmal geht’s sogar noch viel schneller.

Diesmal war es allerdings Freitagabend – ich könne ihn Samstag ja gern vorbei bringen, meinte der freundliche Servicemensch. aber da würden sie höchstens noch mal von außen drauf gucken, weil Samstags kein Techniker da sei. Es wurde also Montag, meine PC-freie Zeit begann, sich wie ein richtiger Urlaub anzufühlen, ich verzichtete sogar eineinhalb Tage auf den Besuch im Internet-Café, um in die Mailboxen zu sehen. Die drei Kunden, die aktuell etwas von mir wollen, hatten mir gottlob ihr Mitgefühl signalisiert und nicht etwa Stress gemacht – eigentlich war der Ausnahmezustand, in den mich dieser GAU versetzt hatte, gar nicht mal so schlecht.

Montag hatte ich ihn wieder – und mittlerweile verspürte ich sogar wieder LUST auf PC! Ich las freiwillig die letzten drei Nummern Internet World, was ich die letzen Monate kaum mehr getan hatte, amüsierte mich köstlich mit dem Buch von Thomas Wirth „Über gutes Webdesign“, ja, ich freute mich auf ein frisch aufgebautes und aufgeräumtes Equipment, von dem aller Ballast und aller überflüssiger Datenmüll verschwunden sein würde. Tatsache ist, ohne IHN bin ich unvollständig und regelrecht behindert. Wichtige Teile meines Gedächtnisses, und zwar die, die mir das Überleben in dieser Gesellschaft halbwegs angenehm ermöglichen, befinden sich auf Festplatte und nicht etwa in der Wetware meiner Gehirnwindungen. Was meine Kontakte zu Mitmenschen angeht, so falle ich erst mal voll aus dem eigenen Netz, wenn ich vom Internet-Zugang abgeschnitten bin – wer ist heut schon noch mit seinen physischen Nachbarn befreundet! Und arbeitslos bin ich ohne Gerät sowieso, das Schreiben mit der Hand ist ja nicht wirklich eine konkurrenz-fähige Lösung.

All das nahm ich in dieser guten Woche Zwangsurlaub wahr, ohne es positiv oder negativ einzustufen. Bereit, den Ausnahmezustand zu genießen, ging ich in das nette, aber meistens leere Lokal gegenüber und ließ mir vom Macher seine Geschichte erzählen. Es gibt da Pasta und Suppen, Frühstück und Kuchen, Wein und klassische Musik – auf allen Tischen brennen Teelichte, es ist hell und freundlich und die Preise sind beeindruckend niedrig. Ich traute mich in den leeren Raum, denn ich hatte ja mit Peter schon eine Mail über *seine Website gewechselt, bestellte Pasta mit Pesto (3,60) und freute mich, dass sich nun auch andere herein wagten. „So voll ist es sonst nie“, meinte der Gastgeber. Ich wünsche ihm, dass sich das ändert, jedenfalls werd ich die Suppen alle mal probieren.
Aufhellungen

Und noch etwas ist mir aufgefallen: morgens im Treptower Hafen, an der Anlegestelle der weißen Flotte, gibt es ein Stück vermauertes Ufer, wo oft Eltern mit Kindern die Schwäne und Möwen füttern. Auch jetzt war da ein Vater mit einem kleinen Kind, sie packten einen Sack mit gesammelten Brotkrumen und Toast aus und warfen die Stückchen in die Luft und ins Wasser. Ich liebe es, diesem hektischen Treiben zuzusehen, die eher schwerfälligen Schwäne haben Mühe, überhaupt etwas abzubekommen, denn sie sind umgeben von schwarzen Teichhühnern, die ihnen alles wegschnappen und dazu schnalzende Laute ausstoßen. In der Luft wirbeln unzählige Möwen herum, richtige Ellenbogennaturen, die einander noch den letzten Fetzen abjagen, wenn sie können. Sie sind hübsch, aber irgendwie ausdruckslos und deshalb ein wenig gespenstisch. An diesem Morgen nun fielen mir die Stockenten auf, ganz gewöhnliche Stockenten, nur schillerten ihre Köpfe in der Morgensonne in einem nie zuvor gesehenen grellgrünen Neonschein, so dass ich sie nur anstaunen konnte. Es war mir bisher nie aufgefallen, obwohl ich die Enten oft sehe – aber eben nicht in der Morgensonne!

Der Morgen war eher nicht die Zeit der gemeinsamen Spaziergänge mit Manfred, doch jetzt lebe ich allein, war sogar ohne PC, warum also nicht? „Alles verändert sich, wenn du dich veränderst!“, sangen einst Ton, Steine, Scherben – auch die Stockenten, wie man sieht, mit denen es übrigens noch nicht vorbei ist. Nur wahre Dichterinnen und Dichter halten sich an einem besonderen Grün lange fest, und ich gehöre eher nicht zu ihnen. Vater und Tochter hatten mittlerweile ihr Brot weitgehend verteilt, ich trat den Rückweg an, war schon ein paar Meter gegangen, da sah ich die Stockenten im Sonnenlicht VIOLETT schimmern. Verdammt, dachte ich mir, wo sind denn jetzt die grünen hin? Ich blieb stehen und checkte sie alle durch: ihre Köpfe leuchteten eindeutig violett, nicht ein einziger noch grün. Ich ging zurück – und das Rätsel klärte sich auf: unter direktem Sonnelicht schimmern sie grün, auf der verschatteten Seite glänzen sie violett. Und das Ganze changiert ins farblos dunkle, leuchtet also nur sporadisch auf.

Das Wunder sind nicht eigentlich die Stockenten. Sondern dass ich echt 48 Jahre alt werden muss, um zu bemerken, wie sie aussehen. Offensichtlich hab‘ ich nie zuvor hingesehen, es gab immer WICHTIGERES. Meine Vorhaben zum Beispiel, meine Probleme und Befürchtungen, meine Wünsche und Träume – so langsam lichtet sich dieser öde Dschungel ein wenig und ich bin gespannt, was noch alles in Sicht kommt.

Ach ja, fast hätte ich’s vergessen: INDAT hat die Speichermodule gewechselt und das Netzteil. 129 Euro und die Kiste lief wieder. Im Prinzip – Aufbau und Neuinstallation aller Geräte und Programme hat noch bis heute gedauert. Und ab morgen mach ich eine VIEL bessere Datensicherung, ganz bestimmt!

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