Thema: Alltag

Claudia am 06. Mai 2002 — Kommentare deaktiviert für In der langen Weile

In der langen Weile

Alles blüht, auch die Bäume direkt unter meinem Fenster im zweiten Stock. Der Duft der vielen Blüten, der unscheinbaren genauso wie der der in Schönheit auffälligen, hat etwas Verstörendes, Aufrührendes. Er trifft mich in einer Tiefe, die vom Denken nichts weiß. Die unermüdliche Großhirnrinde, die es einfach nicht schafft, sich heraus zu halten, versucht trotzdem, die Botschaft zu übersetzen: Hey, es gibt ein anderes Leben! Das RICHTIGE Leben, von dem das deine nur ein schwacher Abklatsch ist. Der Regenwurm, der sich genießerisch durch die feuchte Erde wühlt – welche Intensität mag er als reines Freß- und Ausscheidungswesen spüren, ungetrübt von Gedanken und Aufgaben, ohne Zukunft? Oder die Krähe, die mit elegantem Schwung auf der Laterne landet und die Passanten beobachtet, ob sie nicht etwas fallen lassen – sie kennt keine Zweifel, keine Bedenken, keine Langeweile, sie weiß, was sie tun muss und es macht ihr sichtlich Spaß.

Die Düfte des Frühlings lassen mich ahnen, wie es wäre, kein Mensch zu sein. Oder ein Meister des DAO, der tut, was kommt, und gewiss nicht frühmorgens die innere To-Do-Liste abklappert, alles „in Erwägung zieht“, nach Dringlichkeit einstuft und Gründe sucht, dies alles noch ein bisschen weg zu schieben – weg? Wohin? Vor allem: wofür?

In diesen Frühlingstagen fühle ich die Absurdität meines Verhaltens mehr als sonst. Freiheit – so scheine ich es mit der Muttermilch eingesogen zu haben – ist die Abwesenheit von Zwang. Zwang ist alles, was man tun MUSS, und letztlich ist fast alles Tun darauf gerichtet, diese Zwänge zu „erledigen“. Dabei ist es letztlich egal, ob ich die einzelnen Aufgaben gerne tue oder nicht. Oft genug ist es mir gelungen, genau das zu „verkaufen“, was mir – als reines Tun betrachtet – die größte Freude macht. Und jedes Mal kann ich sehen, dass die Verbindlichkeit selbst, das Versprechen „Ja, ich werde das tun“ diese seltsame Haltung aufruft, die sich wie eine Hürde vor die Dinge stellt, mich vom Leben „im Fluss“ trennt.

Was ist das? Kann ich irgend etwas tun, um es zu verändern? Bis jetzt sieht es nicht so aus, ja, es wird immer weniger wahrscheinlich, je mehr ich mich in das Geschehen versenke. Ich lerne von den Erfolgen, die mein Herangehen zeitigt, lerne, dass es SO nicht geht. Immer wieder erreiche ich nämlich den „Freiraum“: alles Wichtige ist abgearbeitet, nichts drängt mich – und dann? Dann kann ich zusehen, wie mein innerer Arbeiter sich neue Aufgaben ausdenkt, wunderbare Vorhaben und Projekte, die sogar echte Chancen auf Verwirklichung hätten, wenn… ja, wenn ich nicht erkennen würde, dass hier gerade neues Material für die To-Do-Liste entsteht, das morgen ganz genauso, wie das eben erst „erledigte“, etwas sein wird, das ich ganz gerne noch ein wenig vor mir her schiebe.

Also sitze ich es aus, verharre in der langen Weile, öffne vielleicht mal die Balkontür und schaue in die Welt „da draußen“: Hm, naja, nichts lockt, nichts fordert, nichts ängstigt, ich stehe da, erlebe das Wetter, höre die Geräusche der Stadt – und bald schon sagt eine innere Stimme: Und was jetzt? Ich schließe die Tür also wieder, setze mich vor den Monitor, ein Doppelklick auf die „Netzwerkverbindung“ öffnet das Tor zur virtuellen Welt. E-Mails rieseln herein, Werbung und Viren fallen der Entfernen-Taste zum Opfer, die verbliebenen Nachrichten überfliege ich – da schreibt mir jemand, den ich nicht kenne, etwas, das ich nicht verstehe. Warum sagt er mir das? Was will er? Warum meint er, mir das berichten zu müssen? Ich klicke auf „Antworten“ und beginne, eine halbwegs freundliche Nachfrage zu formulieren – mitten drin erinnere ich mich, dass ich BIN, und dass ich gerade wieder eingeschlafen war. Warum um Himmels Willen tippe ich Mails an unbekannte Menschen, die mir unverständliche Dinge mitteilen? Klick und weg, meine angefangene Botschaft verschwindet im Nichts – und ich sitze ebenfalls wieder in einer Art „Nichts“ fest, in dieser seltsamen Ratlosigkeit, die mir dennoch als persönlich wachste Wachheit erscheint. Unangenehm, ohne „Linie“, das dräuende „ES GIBT“ des Seins, das Gewahrsein der schieren Eksistenz – ach, es in philosophische Worte zu packen ist auch nur ein kurzes Amüsement, das mich keinesfalls rettet.

Also wieder aufgestanden, ein wenig gehe ich im Zimmer umher, schau mal rüber, was mein Lebensgefährte gerade tut. Er liest und hat offensichtlich in der nächsten Zeit auch nichts anderes vor. Oh ja, Bücher sind die schönste Form der „Rettung“. Mangels einer irgend wie gearteten „Lösung“ des zwanglosen Daseins im Nichts verabschiedet man die Aktualität zugunsten einer guten Geschichte, in der man sich ganz verliert. Zumindest das verliert, was sich langweilt, das immer fragt „und jetzt?“ Um aber lesen zu können, bedarf es physischer Ruhe und guten Lesestoffs, durch dessen Zeilen und Seiten der Charakter des „Nur-Zeit-Totschlagens“ nicht allzu deutlich hervorschimmert. Also vielleicht mal ein Spaziergang um den Block – oder das Fitnetss-Center, das Laufband, das mir „Bewegung“ vermittelt, und danach die Sauna, die durch die schiere Hitze den Körper derart belastet, dass ich endlich in der Lage bin, für kurze Zeit am „reinen Gewahrsein“ Genüge zu finden.

Mein Gott, was für ein absurdes Theater! Manchmal nehmen die Gedanken dann den Weg des schlechten Gewissens. Lebe ich hier nicht wie die Made im Speck? Mit Zentralheizung, großen Zimmern, Kachelbad, heißem Wasser aus der Wand und freier Auswahl an guten und sogar gesunden Lebensmitteln? Wieviele Milliarden Menschen auf der Welt würden mich beneiden? Strampeln sich lebenslang ab, ohne auch nur das Nötigste zu haben, kämpfen in den Kriegen und Gulags dieser Welt ums tägliche Überleben? Bin ich nicht der Gipfel der Bosheit und Ignoranz, hier auch nur für Minuten in der Betrachtung der Langeweile zu verharren, anstatt irgend einen Weg zu finden, ihnen zu helfen?

Aber wie? Kann ich mir ein soziales oder politisches Engagement wählen wie einen Song in der Musicbox? Leider nicht, ich kann’s nicht zwingen. Diese Gedanken und Gewissensbisse kulminieren genauso in Ideen und Vorhaben, die mich für dieselbe kurze Zeit aus meinem seltsamen Zustand reißen wie die eher eigennützigen Initiativen. Binnen kurzem verlieren sie ihre Leuchtkraft, ihren schwachen Draht zur Motivation, wenn nämlich offensichtlich wird, dass auch das nur Methoden sind, aus der langen Weile zu entfliehen. Diesmal auf dem Vehikel der Moral.

Was ist schlecht daran, zu flüchten? Kann man das überhaupt „Flucht“ nennen, ist das nicht eher das ganz normale Leben? Schließlich sind wir nicht auf der Welt, um still an die Wand zu starren und zu schauen, wie der Geist damit zu Recht kommt oder auch nicht!

Das ist der letzte Gedanke, der mir dann immer kommt. Agressivität, ein Grundimpuls des Überlebens, Trotzreaktion, Rechtfertigung dessen, was offenbar nicht geändert werden kann, Umdefiniton einer gefühlten Frage in eine schnelle, nach allen Seiten leicht abzusichernde „sinnvolle“ Antwort.

Und dann wende ich mich der To-Do-Liste zu. Wie jetzt.

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Claudia am 20. April 2002 — Kommentare deaktiviert für Aus dem Netzleben

Aus dem Netzleben

Kürzlich hab‘ ich das Diary mal wieder mit dem Netscape 4.7 angesehen – und erschrocken festgestellt, dass aus unerfindlichen Gründen die ganze Optik im Eimer war! Diese mittlere Spalte hier erschien nur noch als meterlange Wortliste – und es hat verdammt lang gedauert, bis ich den Fehler fand (wieder mal ein Bug im NS 4.7). Jetzt ist alles wieder ok. Schade, dass mich niemand darauf aufmerksam gemacht hat.

Die Mailingliste CSS-Design ist ein voller Erfolg. Binnen weniger Tage fanden sich über 300 Leute zusammen, die sich jetzt ausschweifend über die aktuellen und künftigen Methoden des Webcoding austauschen. Dabei wundert mich immer wieder, wie lange es dauert, bis sich die Basiskenntnisse eines erfolgreichen „Netzlebens“ bei allen durchsetzen. Manche melden sich entsetzt wieder ab, wenn sie merken, dass sie pro Tag 30 bis 50 Mails von der Liste bekommen – es ist tatsächlich noch nicht überall bekannt, dass man Listen am besten in eigene Ordner „fließen lässt“ und WIE man das macht. Auch die Möglichkeit, das Ganze als tägliche Zusammenfassung zu beziehen, wird zwar in der Begrüßungsmail mitgeteilt, aber kaum einer macht davon Gebrauch. Dann geschieht es immer wieder, dass ein Dialog plötzlich ins Private kippt – und 300 Leute lesen mit, woher sich zwei kennen und welche Firma sie schon von innen gesehen haben. Verwunderlich auch, dass viele sagen: Genau so eine Liste hat uns gefehlt! Wussten sie nicht, dass jeder eine Mailingliste aufmachen kann? Bin mal gespannt, wie viel Zeit noch vergehen muss, bis die Kulturtechniken des Netzes so verbreitet sind wie Lesen & Schreiben.

Ich staune auch oft darüber, wie groß doch die kriminelle Kreativität sein kann: sogenannte „Hackerbanden“ teilen mir unter dem nicht ignorierbaren Subject „Abmahnung“ mit, endlich sei es ihnen gelungen, „illegale Sexkanäle“ zu knacken: anbei die URL zum kostenlosen Dialer-Download. Wie viele darauf wohl noch reinfallen und – voller Vertrauen zu den „Hackern“ – den teuersten Internet-Zugang ihres Lebens anwählen?? Heut morgen dann zum dritten Mal in dieser Woche die „Nigeria-Masche“: Angeblich braucht ein nigerianischer Stromkonzern für eine Überweisung ein ausländisches Konto, darf aber selber keines eröffnen. Man soll ihnen also hilfreich zur Seite stehen und bekommt dafür 10% von 28 Mio Dollar in Aussicht gestellt – wie großzügig! Ich frag mich, wie verrückt jemand sein muss, um darauf herein zu fallen und brav Konto und persönliche Daten hin zu mailen? Die Masche lief auch schon VOR dem Netz: Wenn einer darauf einsteigt, ergeben sich bald irgendwelche „Schwierigkeiten“ und man soll mal eben kurz ein paar tausend Dollar „auslegen“. Tja, Dummheit und Gier existieren immer schon, aber seit es E-Mail gibt, hat man größere Chancen, damit gewaltig auf die Nase zu fallen.

Schade, daß Politiker meist nur darüber nachdenken, wie sie das Netz reglementieren könnten, anstatt jeden Cent und alles Engagement in die notwendige Volksbildung zu stecken. Unternehmen schotten ihre Intranets lieber ab, SysAdmins ziehen die Firewalls höher und höher. Mitarbeitern wird verboten, Attachements anzunehmen, weil diese auch Viren enthalten könnten, anstatt dass man sie laufend schult oder beim selber lernen unterstützt. Ich bekomme regelmäßig Viren im Anhang ominöser Mails – na und? Sie werden eben gelöscht, wie der andere SPAM auch. Mit jemandem, den ich kenne, tausche ich trotzdem Attachments aus: WENN wir es besprochen haben, nicht einfach mal eben so, weil was dran hängt.

Und wenn ich schon mal am Klagen bin: wirklich schade ist, dass viele Einsteiger zwischen Shopping-Malls und Viren-Angst kaum noch mitbekommen, was das Netz sein kann. Wie gut, dass es immer noch Menschen gibt, die viel Arbeit und Herzblut investieren, um ein anderes Web zu zeigen. Zum Beispiel Iris Bleyer mit ihren RauspfeilBrightsites, die ich zum Schluß einfach im O-ton zitiere:

„Mir geht es in meiner Auswahl der brighsites darum, Interneteinsteiger ohne allzu viel Tamtam auf die hellsten Seiten des Web zu locken. Ich hoffe, wenn sie sich von dort aus weiter bewegen, werden sie sich nie wieder mit weniger zufrieden geben. Denn sie erkennen dann vielleicht, dass das Internet eine Seite hat, die für viele Newbees im wuchernden, grellen, lauten, flashenden Brei vom „Klick mich – Kauf mich“ immer schwerer zu finden ist. Das Netz lebt – es hat eine Seele. Und die ist freundlich, kommunikativ, kreativ, phantasievoll, klug, gefühlvoll, liebenswert… – und unverkäuflich :o).“

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Claudia am 12. März 2002 — Kommentare deaktiviert für Spaziergang zur Spree

Spaziergang zur Spree

Vor ein paar Wochen hat mich kurz das „Heimweh“ überkommen: nicht die Sehnsucht nach Landleben, nach den mecklenburgischen Weiten, deren Leere mich nach zwei knappen Jahren allzu oft in die Supermärkte getrieben hatte, um mal wieder Menschen zu sehen. ach nein, es war die Sehnsucht nach der alten Heimat, nach dem in über 20 Jahren fertig sanierten Gebiet rund um den Chamissoplatz im Südwesten Kreuzbergs.

Allein die wunderschöne Marheineke-Markthalle mit dem Multi-Kulti-Gourmet-Angebot!…. Schon was ganz anderes als die eher karge Verköstigung im Boxhagener Kiez, wo lustlose Verküuferinnen in unrentabel kleinen SPAR-Läden immer noch gern sagen „Ham wa nich“, oder man sich beim einzigen Italiener stundenlang die Beine in den Bauch steht, weil die häufig wechselnde Belegschaft Tag für Tag die Langsamkeit neu entdeckt.

Aber halt, bevor ich jetzt anfange, ausgiebig über den Dreck auf den Straßen zu lästern oder gar die vielen Hundehaufen zähle, die den Fußgänger zwingen, gesenkten Kopfes vor sich auf den Boden zu starren, bevor ich mich über die (fast) durchweg unbequemen Stühle in den Lokalen oder das (meist) bar jeder Kochkunst zubereitete Essen aufrege (Ausnahme: Osteria, Gabriel Max Straße), erinnere ich mich gerade noch, daß ich heute eigentlich ein Loblied auf Friedrichshain anstimmen wollte, keinen Abgesang.

 

Simon-Dach-Straße in Friedrichshain – So sieht es hier ‚rundrum aus – ein typisches Gründerzeitviertel, anheimelnd, chaotisch, weitgehend unsaniert.

Na ja, auch keinen „Gesang“, ich zeig‘ Euch einfach ein paar Bilder vom Morgenspaziergang zur Spree und zurück, die man von hier aus in etwa zwanzig Minuten erreicht – ein Weg durch erstaunliche Stadtlandschaften, weit interessanter als der übernutzte Volkspark Hasenheide, der mir zwanzig Kreuzberger Jahre lang einziger „Auslauf“ war.

Die Halbinsel Stralau beeindruckt mich jedes Mal, besonders das alte Glaswerk im Norden – die verfallenden Gebäude stehen wie Mahnmale in der offenen Brache, Grafitti-geschmückt, nicht weit davon hyper-moderne Nachwende-Bauten.

Glaswerk auf Stralau
Altes Glaswerk Stralau – gerade für Techno-Partys in Betrieb genommen….

 

Durchgang Glaswerk
Durchgang Glaswerk

 

Nochmal Glaswerk – „coole Location“

Diese beiden Häuser – die sogenannten „Knabenhäuser“) stehen direkt gegenüber in der Rummelsburger Bucht und warten – wie so viele andere – auf einen Investor, ein Nutzungskonzept, auf Leute mit Ideen und Elan. Mich wundert es wirklich, dass sich da bis jetzt niemand gefunden hat – wäee ich reich, würd‘ ich mir die einfach als Berliner Wohnsitz zulegen ! :-)

Das ist jetzt nur ein kleiner Ausschnitt der vielfältigen Eindrücke und Anblicke auf dem Weg bis zur Spreee und zurück. Ich komme dabei auch über die Modersonbrücke, wo sich eine riesige Gleislandschaft der U-, Regional- und Fernbahn bis zum Horizont erstreckt. Und wenn ich über die Elsenbrücke nach Kreuzberg laufe, ergeben sich wieder ganz neue, nicht weniger exotische Perspektiven.

Ja, ich lebe wieder gerne in der Stadt! und glücklicherweise hab‘ ich ein Gebiet gefunden, wo „weite Horizonte“ in nächster Nähe zu besichtigen sind.

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Claudia am 21. Februar 2002 — Kommentare deaktiviert für Derselbe Planet? Vom „wirklichen“ Leben

Derselbe Planet? Vom „wirklichen“ Leben

Eine der großen Freuden des Webpublishings ist die schnelle Resonanz. Manchmal vergehen nur wenige Stunden und schon steht ein Kommentar zum neuesten Eintrag im Forum. Ein Kommentar, der wiederum von anderen kommentiert wird, vor allem dann, wenn es sich um Kritik, Einspruch und Widerrede handelt. Und niemand sülzt nur blöde vor sich hin! Zwar geht es gelegentlich auch härter zur Sache, aber der Ton bleibt in der Regel höflich und aggressive Kurzbotschaften fehlen ganz – genau, wie ich es mir wünsche. Weiter → (Derselbe Planet? Vom „wirklichen“ Leben)

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Claudia am 19. Februar 2002 — Kommentare deaktiviert für Vor dem Frühling

Vor dem Frühling

Wie die Zeit rast! Gerade erst war Silvester – und nun ist schon wieder der 19.Februar, Vorfrühling, Krokusse in den Parkanlagen, feucht-stürmische Wärme im Wechsel mit eiskalten Sonnenstunden. Im Fitness-Center schwitzen jetzt mehr Menschen als im Winter, man müht sich eifriger um die bessere Form, schließlich wird es täglich heller. Bald landen die dicken Klamotten im Schrank und wer will sich den interessierter werdenden Blicken des Mitmenschen schon im weihnachtlichen Kampfgewicht aussetzen! Weiter → (Vor dem Frühling)

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Claudia am 25. Januar 2002 — Kommentare deaktiviert für Gemütliche Gewölbe – ein Saunabesuch

Gemütliche Gewölbe – ein Saunabesuch

Zwei Geländer säumen die Treppe hinunter in den Keller, eins für Erwachsene und ein weit niedriger angebrachtes für Kinder. Die „Gewölbesauna“ am Prenzlauer Berg empfängt mich überaus familiär, kein Drehkreuz, keine Automaten, kein Kartenverkauf, ich muss mir den Weg zum Check-In durch die niedrigen Nut-und-Federholz-vertäfelten Räume selber suchen. Ein Mittsechziger im Bademantel sagt freundlich „Guten Tag“, ich bin hier im Osten Berlins, da geht man nicht so wortlos aneinander vorbei wie in den West-Saunas. In Glaskästen sind Massage-Utensilien ausgestellt, an den Wänden hängen Bescheinigungen, dass der Betreiber sich 1993 und ’94 mehrfach weitergebildet hat – na super, aber wo geht’s hier zur Sauna?

Aha, zwei Türen weiter ist das Bistro. „Heute Hackepeter“ steht an der Tafel, es riecht nach Kantine. Das fröhliche Mädel hinterm Tresen informiert mich, dass ich erst beim Gehen zahlen muss. Einen Schrank könne ich mir in der Umkleide (nur „gemischt“) selber aussuchen, den Schlüssel behalten oder bei ihr abgeben – ganz wie’s beliebt. Wer mal in den üblichen hochtechnisierten Saunas drei verschiedene Armbänder mit Schlüsseln und „Chips“ am sonst nackten Leib tragen musste, weiß das zu schätzen. Erstens ist das Schlüsselwesen nervig, und zweitens heizen sich die Metallteile in der Sauna so auf, dass man sich Verbrennungen holen kann, wenn man nicht aufpasst.

Handtuchumhüllt und mit den vorgeschriebenen Badeschlappen an den Füßen erkunde ich die Räume: Finnische Sauna, Kräutersauna, Dampfbad, ein paar Duschen und sogar ein kleines Tauchbecken. Die optische Gestaltung der ganzen Anlage ist gewöhnungsbedürftig – an den Decken verlaufen dicke Heizungsrohre, gelegentlich umschlungen von verstaubtem Plastik-Efeu. Die Holzverkleidung wirkt wie von einem Hobby-Heimwerker ohne jeden Sinn für Feinheiten, Türfüllungen fehlen gelegentlich ganz, ein bisschen Baustellentouch herrscht vor.

Ich beginne mit dem Dampfbad, das zwar einen rauschenden Springbrunnen bietet, aber deutlich nach Moder riecht. (In Dampfbädern muss ich immer an Kohl und Jelzin denken, die ihre Treffen ganz entspannt im Dampf abgerundet haben sollen – tolle Idee!). Nach einer Abkühlungspause wechsle ich kurz vor dem stündlichen Aufguss in die 100 Grad heiße Finnische, nehme die obere Bank, denn da ist noch viel Platz. Die Anwesenden, sechs Männer und zwei Frauen, plaudern über die Klimakatastrophe: „Wenn der Golfstrom umkippt, werden wir erfrieren oder ersaufen und die da unten verdursten. So rottet sich die Menschheit selber aus!“ Die Laune ist trotzdem ungetrübt. Ich mag an den Ost-Saunas, dass es da so viel lockerer zugeht, jedenfalls ist es kein Verstoß gegen ungeschriebene Regeln, fremde Menschen anzusprechen. Wer im Ruheraum Ruhe sucht, kann dafür dann schon mal Pech haben.

Das Mädel vom Tresen erscheint und beginnt mit dem Aufguss, dem rituellen Kern eines jeden ordentlichen Saunagangs: ein mehr oder weniger theatralisch zelebrierter Auftritt des Personals, manchmal untermalt durch „lose Reden“ aus dem Publikum („Nimm doch gleich die Peitsche!“). Oh, ich hätte nicht die obere Bank wählen sollen! Dreimal gießt sie Wasser auf die heißen Steine und wedelt heftig mit dem Handtuch, hier oben ist es der reine Gluthauch, mir bleibt fast der Atem weg, auf der Haut kondensiert der heiße Dampf – und das bei 100 Grad! Kaum ist sie fertig, muss ich SOFORT nach draußen stürzen, womit ich mich für die anderen als hoffnungslose Anfängerin oute. Man geht nämlich frühestens zwei Minuten nach dem Aufguss raus, nicht vorher. Überleben ist mir allerdings wichtiger als der gute Ruf, eine kalte Dusche und das Tauchbecken retten mich vor dem zerkocht werden – paradiesisch! Zwar wackelt das Geländer und beim Blick auf die Becken-Innenbeleuchtung frag‘ ich mich, wie oft das Wasser hier wohl ausgetauscht wird – aber was soll’s, ich werde halt noch mal duschen.

Von heftigen Hitze- und Kältereizen ermüdet, zieht es mich jetzt in die Horizontale. Dazu muss ich den Nassbereich mit den Saunas verlassen und durch den Küchengeruch zurück in die Umkleide, von der die beiden Ruheräume abzweigen. Der eine ist nach draußen offen, gerade gut für einen kurzen Moment im Freien – nackt herumlaufen mitten im Winter, das hat schon was! Im anderen Zimmer stehen sage und schreibe sechs Liegen, komplizierte quietschende Gestelle, Typ Campingstuhl 60er-Jahre, denen ich auch nach längerem Forschen nicht ansehe, wie man sie von der Sitz- in die Liegestellung kippen könnte. Das Licht ist zu hell zum Schlafen und zu dunkel zum Lesen, dafür liegen überall Wolldecken herum, alle verschiedenfarbig mit den unterschiedlichsten Mustern. Der Anblick erinnert ein bisschen an unaufgeräumte Auffanglager für Katastrophenopfer. Immerhin, hier kann ich mich auch ohne Bademantel gut einpacken, es ist nicht gerade sehr warm. Netter Service, denk‘ ich mir, so was hab‘ ich noch in keiner Sauna gesehen – bis ich mich plötzlich frage, wie viele Saunabesucher sich wohl schon vor mir in dieselbe Decke gehüllt haben mögen?

Tja, es ist wirklich nett hier, auch nachher noch, am Tresen, wo ich einen „sauren Teller“ zu mir nehme, Essiggurke, Sol-Ei, Dosenchampignons und eingelegter Blumenkohl. Komme mir vor wie auf einer Zeitreise ins altberliner „Milljöh“. (Mein Wunschgetränk „Cola Light“ haben sie natürlich nicht, typisch ost! Das hat’s früher nicht gegeben und also wird es heute auch nicht angeschafft, sowas mögen eh‘ nur Wessis….)

Für neun Euro bietet das „Gewölbe“ ein Sauna-Erlebnis mit Wohnzimmer-Touch: gewachsenes Kiez-Leben, alteingesessene Schwitzbadkultur statt kommerziell-anonymes Wellness-Ambiente. Die selbstgebastelte und leicht verschmuddelte Anmutung der Räume gehört halt dazu, genau wie die gewöhnungsbedürftigen Gerüche, die offensichtlich sonst niemanden stören. Der Laden scheint zu brummen, trotz oder gerade wegen alledem?

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Claudia am 20. Januar 2002 — Kommentare deaktiviert für Textschnipsel am Sonntag

Textschnipsel am Sonntag

Was mich ärgert:
Da will eine Hausgemeinschaft eine Genossenschaft gründen und ihr Haus der Wohnungsbaugesellschaft abkaufen. Sowas macht Arbeit, braucht Engagement – selbst dann, wenn das „Kaufen“ an sich kein Problem ist. Man muß vielleicht auch mal ein paar Briefe schreiben und Papiere kopieren – wer zahlt dann aber das Porto und die Kopien? Schwierige Frage, denn gleich melden sich ein paar Mieter, die NICHT Genossenschafter werden wollen, und meinen: „WIR wollen aber die Copy-Kosten NICHT mitbezahlen!“ Ihr kleinkarierter Geiz möge ihnen im Halse stecken bleiben! Dumm wie Bohnenstroh sind sie ja schon, denn jeder, der mitdenkt, kann sich leicht ausrechnen, dass die Bedingungen auch für Kaufunwillige besser sind, wenn ihre Wohnung nicht von einem Privatinvestor übernommen wird.

Was mich freut:
Matti! Ein wunderbares Kind, drei Monate alt, hat gestern stundenlang mit mir geflirtet. Dieses unglaublich interessierte Gucken, man kommt sich vor, als sei man ein Karussell oder sonst etwas ganz Spektakuläres. Ein schöner Besuch bei alten Freunden, die gerade Eltern geworden sind. Nicht ganz leicht in einer Welt, in der wirklich jeder der Mutter gute Ratschläge gibt, wie und was und warum dies oder jenes so und nicht anders zu tun sei. Auch Kinderlose halten da nicht an sich: „Kinder machen blöd“, sagte jemand zu C., der jungen Mutter, die gerade ihre Doktorarbeit in Philosophie schreibt. Ich hätte geantwortet: lieber blöd als ausgestorben!
In Wahrheit ist es umgekehrt: Matti hat uns davor bewahrt, dass unser Gespräch in allzu große Blödheiten abgleiten konnte, wie es immer dann geschieht, wenn man nur noch sich und die eigene Meinung immer verbissener vertritt. Das ging gestern nicht, Matti war ja da – und hat gelächelt, gewunken, uns mit großen Augen „bewundert“ – da kann man einfach kein Idiot sein! :-)

Was ich heut‘ allen Schreibenden empfehle:
Auf fernsehn.de schreibt Dirk Schröder einen Literaturwettbewerb aus:
„Gesucht werden literarische Arbeiten zum Thema Leben mit Computer und Internet, „Netzleben.“ Grund für diese Themenvorgabe ist der Mangel an Belletristik, die sich mit solchen Dingen befasst. Gerade die im Usenet und im WWW publizierten Texte deutscher Schriftsteller haben mit dem Internet meist nichts am Hut, täglich am Computer sitzende Autoren erzählen unter Netizens Geschichten vom Pferd, vom Brief, vom Blümelein. Dabei fahren sie selbst Motorrad, schreiben E-Mails, grüßen per SMS. So soll es nicht weitergehen!“
Die Domain fernsehn.de kann man gewinnen und noch einige andere, ein bißchen Literatur-nähere Domains. Tolle Idee!

Was ich heut‘ Abend mache:
Peter Sloterdijks „Philosophisches Quartett“ startet heute um 22.45 im ZDF. Zusammen mit Rüdiger Safranski wird er mehrere Folgen der neuen Sendereihe moderieren, immer mit zwei Gästen. Heute kommen Reinhold Messner und Friedrich Schorlemmer. Das Thema „Angst – Warum es keine Sicherheit gibt“ wird die Runde beswchäftigen. Ich bin gespannt – und finde es einfach zum Kotzen, dass vorab allerlei Journalisten ihr Gift darüber ausschütten, dass die Veranstaltung in der neuen VW-Fabrik in Dresden stattfindet, welch große Sünde! Kaum je ein Wort zu Sloterdijk als Philosoph, allenfalls wird wieder die Mär von den „Züchtungsphantasien“ kolportiert, das geht schnell, da braucht man nicht neu nachlesen. Und: In der Tonne soll er bleiben, der Philosoph, sich nur nicht auf dem Marktplatz herumtreiben, wie weiland Sokrates. Bei praktisch allen derartigen Verlautbarungen spüre ich den Neid auf die Sloterdijksche Sprachgewalt und „Medienkompatibilität“ aus allen Poren triefen.

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Claudia am 18. Januar 2002 — Kommentare deaktiviert für Traum, Tunnel, Tietze-Syndrom

Traum, Tunnel, Tietze-Syndrom

Es ist halb vier. Die Ziffern der Uhr leuchten hämisch herüber, ich kann nicht schlafen. Fließe hin und her zwischen Wachen und Dösen, nicht auf der linken noch auf der rechten Seite halte ich es lange aus, auf dem Rücken schon gar nicht. Nein, ich rege mich nicht auf, wirklich nicht, das nützt nichts sondern macht es nur schlimmer. Das Jucken an der Rippe unter der linken Brust, das mich seit Jahren begleitet, nervig, aber nicht wirklich beängstigend, hält mich wach. „Tietze-Syndrom – möglicherweise“, sagte mal ein Arzt vor ein paar Jahren, „leider nicht erforscht, ich kann Ihnen nur eine Cortison-Depotspritze anbieten. Das ist gar nicht so schlimm, wie man meint“. Hab‘ ich abgelehnt, damals, wie kann er mir nur sowas anbieten, wenn er gar nicht weiß, was ich habe? Keine Arztbesuche mehr seither, ein paar Recherchen im Netz auf eigene Faust, ohne Ergebnis. Weiter → (Traum, Tunnel, Tietze-Syndrom)

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