Thema: Autobiografisches

Claudia am 26. Juli 2001 — Kommentare deaktiviert für Auf dem Meeting

Auf dem Meeting

„Ich heiße Claudia und bin Alkoholikerin“, die rituelle Begrüßungsformel geht mir erstaunlich locker über die Lippen. Über sieben Jahre sind seit meinem letzten AA-Meeting vergangen und jetzt sitze ich wieder „an den Tischen“, kaum zu glauben! Es ist wie ein nach Hause kommen, obwohl ich keinen der Anwesenden kenne. Es braucht keine Bekannten oder gar Freunde, um sich in dieser Runde richtig zu fühlen, das ist ja gerade das Faszinierende an der berühmtesten Selbsthilfegruppe der Welt.

Es beginnt mit dem Lesen der bekannten Texte: Präambel, zwölf Schritte, zwölf Traditionen, dann die Gedanken zum Tag, heute: „Über die, die noch leiden“. Während ich zuhöre und mir dabei einen grünen Tee zubereite, spüre ich, wie das Leiden von mir weicht. Als würde eine Last von meinen Schultern genommen, mit jeder Viertelstunde fühle ich mich leichter.

Welches Leiden? Das wäre eine lange Geschichte, von der eigentlich nur zu sagen ist, daß ich sie für abgeschlossen hielt – und das war ein Irrtum, der gerade begann, gefährlich zu werden. Deshalb sitze ich jetzt hier, Tieckstraße 17, Berlin Mitte, und bin dankbar, dass es AA noch gibt.

Kennen gelernt hab‘ ich die Meetings 1990, als mein allzu aktives Leben mit zunächst beiläufigem Entspannungstrinken in eine hoffnungslose Suff-Phase übergegangen war. Schon damals hätte ich nicht so lange leiden müssen, wenn ich nicht bis zuletzt an dem verrückten Gedanken festgehalten hätte: Ich habe alles im Griff, muss mich nur zusammenreissen, mal richtig ausspannen, vielleicht einen anderen Job finden, neue Leute kennen lernen – doch war ich lange schon jenseits aller Möglichkeit, noch irgend etwas aus eigener Kraft ändern zu können. Mein erster Lebensentwurf war am Ende, wie sollte ich aus den Trümmern denn etwas Neues kreieren? Es hat lange gedauert, bis ich mir überhaupt eingestand, dass ich mittlerweile ein respektables Alkoholproblem am Hals hatte – und selbst dann lag mir der Gedanke noch ferne, jemand anderer als ich selbst könne da irgend etwas ausrichten. Schließlich hielt ich mich für intelligent, belesen, kommunikationsfähig – sah‘ mich aber leider nicht von außen, denn dann hätte ich vielleicht früher bemerkt, daß es jetzt um ganz andere Dinge ging. Zu allererst um das Aufgeben dieser Gedanken: ICH kann, ICH will, ICH muss, ICH werde….

Nein, ich war nicht einsichtig und zu nichts bereit. Meine Welt mußte sich katastrophisch verdüstern, kleine Unfälle sich häufen, das tägliche Kreisen im immerselben Elend richtig lange schmerzen, physisch, psychisch und geistig, bis endlich etwas in mir zerbrach, bis mein ganzer Größenwahn am Alkohol zerschellte.
Endlich konnte ich dann auch in ein Meeting gehen, ohne Bedenken und Besserwisserei, völlig offen, denn in mir war nichts mehr, nur noch dunkle Leere. Ein Vakuum, das sich mit den Texten der AA vollsog, denn was sie sagen, knüpfte direkt an mein Erleben an: Wir gaben zu, daß wir dem Alkohol gegenüber machtlos sind…. Ich hatte angedockt!

Es war ein Wendepunkt in meinem Leben, ab dem sich alles ganz anders anfühlte, als wäre tatsächlich Claudia Vers.1.0 gestorben. Und die 2.0 war erstmal nur ein glückliches Kind, Neues entdeckend, spielerisch der Welt und den Anderen begegnend, ohne das entsetzlich beschränkende Gefängnis eines hypertrophierten Egos. Auch beruflich ging plötzlich alles wie von selbst, anstrengungslos, ich mußte nur immer „JA“ sagen – etwas, was ich ohne „aber“ früher nicht einmal denken konnte.

Mehrere Jahre war ich völlig „trocken“, irgendwann verließ ich AA, Alkohol war einfach kein Thema mehr. Ich hatte mit Yoga angefangen und dachte: Wozu noch mit Leuten um einen Tisch sitzen, die zwar auch Spirituelles vermitteln, wo aber doch immer wieder Alkohol besprochen wird – dieser langweilige Schnee eines abgelegten Gestern. Irgendwann wollte ich dann auch das Thema „Nicht-Alkohol“ abschließen, die Identifikation „Ich, Claudia, Alkoholikerin“ ebenso aufgeben wie alle anderen. Und trank neugierig ein Glas Sekt: Nichts passierte, natürlich nicht. Es schmeckte nicht mal und die Wirkung fand ich störend.

Nichts änderte sich. Außer, daß ich mich jetzt wieder fragen mußte: Soll ich mittrinken? Die Gelegenheiten, zu denen das Hauptschmiermittel unserer Gesellschaft verabreicht wird, sind ja unüberschaubar. Ich trank also gelegentlich wieder mit, nicht oft zwar, aber ich bemerkte schon bald die Richtigkeit eines alten AA-Spruchs: Man macht da weiter, wo man aufgehört hat. Die Geschichte des Alkohols ist ins Gehirn eingraviert, da bildet sich nichts zurück. Genau wie ehedem, so stellte ich fest, konnte ich ab dem dritten Glas das Ende oft nicht finden. Wachte dann am nächsten Morgen auf, erinnerte mich oder auch nicht und war mir furchtbar peinlich! Das wollte ich eigentlich nicht wieder erleben – und so hat der Kampf wieder begonnen. Der Gedanke „das hab ich heute im Griff“ stand wieder da in all seiner Pracht und Gefährlichkeit…

Gestern hatte ich mal wieder in trauter Zweisamkeit dem Wein zugesprochen, zu Hause, also in ganz „ungefährlichem“ Zusammenhang. Dann nahm ich das Glas noch mit an den PC und mailte ein bißchen an liebe Freunde… und heut‘ morgen konnte ich im Sent-Ordner sehen, dass ich gemailt hatte, las verwundert fremd klingende Texte – DAS war dann für mich der Punkt! Wenn ich mich selber lese wie eine Fremde, ist ganz klar: Ich hab es NICHT im Griff! Nicht den Alkohol, nicht mich selbst, von der Welt gar nicht zu reden. Und einen Kampf, den ich ganz gewiß verliere, brauche ich nicht nochmal zu führen, all das hatte ich ja schon, übergenug!

Und deshalb saß ich heut‘ im Meeting. Und lasse jetzt wieder das erste Glas stehen. Weiter → (Auf dem Meeting)

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Claudia am 24. Juli 2001 — Kommentare deaktiviert für Geburtstag

Geburtstag

Gestern hatte ich Geburtstag, wie immer ohne Feier oder besonderes Aufhebens. Ich wüßte gar nicht, was ich da veranstalten sollte, mag sowieso keine Feste und wenn mir jemand gratiuliert – so richtig face to face, mein‘ ich – dann spüre ich Verlegenheit, weiß nicht, was ich sagen soll und komme mir wie ein schlecht programmierter Automat vor.

Mit 18, also ab dem ersten selbstbestimmten Geburtstag, hab‘ ich das alles ersatzlos gestrichen und war einfach unendlich froh, daß mich niemand mehr an den Ohren zieht. Das ist nämlich eine Form des Gratulierens, die in Italien üblich ist, wo ich neun Jahre lang mitten im Familienurlaub zu einem Zwangsfest mit großem Auftrieb verdonnert war. Mein Vater hatte dafür immer Unmengen bayrisches Bier und Würstchen angeliefert, es erschienen bis zu 100 Gäste, mehrere italienische Großfamilien mit unüberschaubarem Anhang – und alle alle alle kamen auf mich zu, überschütteten mich mit ihrem Redeschwall, umarmten mich überschwenglich und zogen mich rituell an beiden Ohren. Nach wenigen Stunden glühten die Ohrläppchen – oh wie gerne wäre ich einfach unsichtbar geworden!

Bin ich ja dann auch, zumindest, was Geburtstage angeht. Dabei hat mich neulich ein guter Freund nochmal nachdenklich gestimmt: Es sei eine Frage der eigenen Wertschätzung, ob und wie man Geburtstage feiert, sich also selber feiert oder eben nicht. Gestern ist mir das dann eingefallen, ich hab‘ mir tatsächlich überlegt: Soll ich ‚was Besonderes machen? Mir richtig ‚was gönnen? Aber wie meistens ist mir nichts eingefallen, ich wollte einfach nur weiter am PC sitzen und am Design einer neuen Website experimentieren.

Das war gerade sehr sehr spannend: Zum ersten Mal nach langer Zeit gelingt mir nämlich ein neuer Stil, eine andere Herangehensweise, eine andere Art, mit Raum, Bild und Farbe umzugehen – und GESTERN war der Durchbruch in diese Richtung! Endlich weicht die Stagnation von mir, die mich lange davon abgehalten hat, meine Ideen und anstehenden Projekte definitiv anzugehen und umzusetzen. Ich war mir selber so unendlich langweilig geworden, wollte mich nicht immer nur wiederholen, so gut das im Einzelfall auch aussehen mag. Jetzt auf einmal geht etwas Anderes und vor mir liegt offene Weite, ein riesiges Spielfeld, auf dem ich das Neue in vielen Gestalten verwirklichen kann. Wie wunderbar! Ist das nicht ein tolles Geburtstagsgeschenk?

With a little help from my friends. Ohne die Inspiration durch andere Webwerker würde ich vermutlich noch lange in der Stagnation gesessen haben: Steffen (digitab.de), Becz (Becz.de) und Mia (Pandora’s Büchse) zeigten mir auf ihren Seiten ganz andere Webwelten – und für Mias Feedback, ihre konkreten Tips und Tricks bin ich ganz besonders dankbar! Nicht zu vergessen Udo, der bereit ist, mit seiner künftigen Homepage das Spielfeld abzugeben, auf dem ich mich in aller Freiheit austoben kann.

Ja, es war ein guter Geburtstag! Zum ansehen gibts erst was, wenn ich weiter bin… Weiter → (Geburtstag)

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Claudia am 22. Juli 2001 — 1 Kommentar

Vom Ziel der Suche

Das ganze Leben ist eine Suchbewegung, man kommt einfach nicht davon weg. Jedes Baby sucht die Nahrungsquelle, Wärme und Berührung, Kinder suchen Erfahrungen, Abenteuer, Wissen von der Welt. In der Pubertät erwacht ein neues Verlangen und wir suchen Erfüllung beim Anderen, in Verliebtheit und Sex. Einige Beziehungserfahrunen weiter fällt uns auf, daß das nicht alles ist, Erfolg und Anerkennung im Beruf oder anderen Formen des Engagements werden enorm wichtig. Sind wir dann endlich erfolgreich, versuchen wir, das Erreichte abzusichern – und suchen schon bald nach Abwechslung, wenn das „abgesicherte“ Leben zur Routine wird.

Zen-KreisIn all diesem Streben gibt es gute und schleche Zeiten. Alles kann flutschen und wir hüpfen leichtfüssig von Gipfel zu Gipfel, das Leben erscheint als Freudentanz. Es kann aber auch schief gehen. Liebesleid und Mißerfolge, Verletzungen und Verluste, Krankheit, Alter und Tod sind unausrottbar und erwischen uns immer auf dem falschen Fuß. In diesen Tiefs rückt dann auf einmal eine andere Suche in den Blick: wenn wir nämlich zu fertig, ausgelaugt und verzweifelt sind, um gleich ans nächste Werk zu gehen, den nächsten Kampf zu wagen oder wieder andere Menschen zu suchen, mit denen vielleicht alles besser geht als mit den Allernächsten.

DANN vernehmen wir auf einmal andere Stimmen, lesen neue Suren, öffnen uns für die spirituellen Lehren, die – auf welche Weise auch immer – versprechen, das Übel an der Wurzel auszurotten. Warum unter größtem Einsatz immer wieder neue Häuser bauen, wenn sie doch früher oder später alle einfallen? Wenn der kalte Hauch der Vergänglichkeit die Grundfesten erzittern läßt, auf denen wir so fest zu stehen meinten, dann dürsten wir nach der „Endlösung“ und sind zu allem bereit. Bis die Lage sich wieder entspannt hat, alles wieder besser läuft, vielleicht sogar mit Hilfe einer kurzzeitig geübten spirituellen Praxis, die uns harmonisiert, beruhigt, konzentriert und zu innerer Distanz verhilft. Der Kampf ums Dasein geht gleich wieder leichter von der Hand, warum hab ich mich nur so aufgeregt? Ist doch alles so schön bunt hier… Und schon sind wir wieder am aufbauen, entwerfen, erobern, verteidigen und absichern, blind dafür, daß all dieses Tun wie in den Sand geschrieben ist.

Ich sehne mich nach einem Zuhause, daß von Menschen und Dingen unabhängig ist, nach einem Ankerpunkt, der logischerweise nur im Nichts liegen kann, etwas Unmögliches also. An diesem Verlangen stelle ich verwundert fest, daß die Suche wieder da ist. Die Suche, von der ich lange glaubte, sie abgelegt zu haben nach dem Motto: Tu, was anliegt und erwarte nichts! Oder wie ZEN sagt: Holz hacken, Wasser holen.

Jetzt stelle ich fest, wie weit ich von solcher Einfachheit entfernt bin. Welches Holz? Welches Wasser? Was immer ich tue, fächert sich auf in ein Feld von Möglichkeiten und die alten Formen, aus den Teilen ein Netz zu knüpfen, haben sich totgelaufen. Ich greife also irgendwie hinein, und versuche vielleicht, Wasser zu hacken – so kann das nicht gehen! Hinzu kommen Anstöße und Irritationen, die mir Fragen stellen: Was bist du, ohne deine Gesundheit, ohne deine Nächsten, ohne dein Bankkonto?

Wer warst du, bevor dein Vater und deine Mutter sich trafen?

Ich weiß es nicht, aber die Frage ist mir nicht mehr egal. Weiter → (Vom Ziel der Suche)

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Claudia am 20. Juli 2001 — Kommentare deaktiviert für Der Bär tobt

Der Bär tobt

Aus der Nebenwohnung Techno, Trance, Sound pur, das Wummern der Maschine, doch in einer erträglichen Form, das Maschinenhafte in mir wohlig ansprechend. Ich wippe auf dem Stuhl vor und zurück wie ein orthodoxer Jude im Gebet. Fühlt sich satt an, heimelig.

Am Prenzlberg lassen sie gleich die Kuh fliegen, aus vierzig Meter Höhe stürzt der Aktionskünstler Flatz eine tote Kuh vom Hubschrauber in eine Baugrube, wo sie dann – pyrotechnisch angereichert – explodiert, während der Künstler „blutüberströmt“ an einem Kran hängt und lacht. Ich bin nicht dabei, stelle es mir aber bildlich vor – igitt! Eigentlich wollte ich ja heut‘ ausgehen und im Dharmakaya e.V. den Vortrag von Lama Dechen hören: „Nirvana, kann ich wirklich Leid beenden?“ – aber auch gestern schon hab ich’s nicht ins Zeit-Los geschafft, zum „Lachen nach Lachübungen des indischen Arztes Dr.Kataria“. Die Möglichkeit, diese Veranstaltungen aufzusuchen, reicht mir meistens völlig aus, ich muß es nicht wirklich machen.

Gestern an der Tankstelle stand da Wolfgang Thierse, schon recht naß, trat von einem Bein auf’s andere und fand kein Dach gegen den heftigen Platzregen. Spontan grüßte ich ihn, war auf dem Weg zur Toilette, deren Schlüssel man nur zusammen mit einer großen leeren Weichspülerflasche bekommt, eine Vorsichtsmaßnahme gegen das Vergessen. Ich wollte ihm schon anbieten, ihn irgendwohin zu fahren, man kann ja selten ‚was für seine Abgeordneten tun, aber als ich aus der Toilette kam, war er weg.

Berliner Abendschau, natürlich wieder Bankgesellschaft, Sparmaßnahmen, dann Entrüstung über die tot Kuh, deren Flug vom Senat gefördert wird. Eine einstweilige Verfügung, die eine 13-Jährige beantragt hatte, ist abgelehnt: Man muß es sich ja nicht ansehen. Ich finde, Kunst darf provozieren, sofern das noch gelingt, darf auch ein Sakrileg begehen – aber nach den Bergen mit zigtausend brennenden Kühen in England ist die Pyro-Kuh völlig überflüssig, reine Flatz-PR.

In der Küche kann man die Stimmen der Nachbarn hören, ganz nah. Die Worte verschwimmen gottlob, doch die Gefühle kommen an. Erst glaubt man, Zeuge eines Streits zu sein, doch bald wird klar, daß das der ganz normale Umgangston ist. Von oben das schon bekannte Stampfen, da tritt jemand seinen Frust in den Boden, daß die Decke zittert. Wie es den Menschen doch zeitlebens gelingt, andere zu finden, um gemeinsam noch schlechter dran zu sein als allein. Warum gehen sie nicht auseinander, warum spielen sie füreinander so bereitwillig den Fußabtreter?

Von rechts das Rollen der Straßenbahn, beim Bremsen quietscht es ein wenig. Autos rollen suchend umher. Parkplätze sind um diese Zeit eine Seltenheit, besetzt von den Gästen der Simon-Dach-Straße, in der jeden Abend der Bär tobt.

Ich lasse ihn toben. Ohne mich viel aus dem Zimmer zu bewegen, sitze ich mitten im Geschehen, umstellt von Möglichkeiten, umgeben von Ereignissen und fühl‘ mich glücklich. Wie sonderbar. Weiter → (Der Bär tobt)

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Claudia am 15. Juli 2001 — Kommentare deaktiviert für Vom Mangel

Vom Mangel

Markus schrieb mir ins Forum: „Lese mal wieder.. 16.7.99, angekommen, Gottesgabe Tag 2.“ Was will er mir damit sagen? Ich lese selber den Beitrag nochmal, eine fast euphorische Schilderung des Neuen, voller Freude an der Natur, an der Landschaft und der großen Wohnung mit Blick ins Grüne. Ich lese es ohne Wehmut, fühle kein „Heimweh“, erst recht keine Reue, diesen Ort nach zwei Jahren wieder verlassen zu haben. Es ist ausgelebt, war die Verwirklichung eines Traums, an dem ich für den Rest meines Lebens fest gehangen hätte, wäre ich nicht aufs Land gezogen. Es ist gut, dort gewesen zu sein und auch gut, den Absprung rechtzeitig wieder geschafft zu haben, bevor sich das Gefühl des Mangels zu äußeren Katastrophen verdichten konnte. Weiter → (Vom Mangel)

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Claudia am 12. Juli 2001 — 1 Kommentar

Was du nicht erfühlen kannst, das wirst du nicht erjagen

Vier Tage ohne Diary. Ohne mich zu verbiegen bzw. „zusammenzureißen“ hätte ich einfach keinen sinnvollen Satz hinschreiben können, also laß ich es lieber ganz. Eine Phase der Leere hat mich im Griff: Der große Umzug ist überstanden, die Stadt wieder ein Stück Normalität geworden – und was kommt jetzt? Weiter → (Was du nicht erfühlen kannst, das wirst du nicht erjagen)

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Claudia am 08. Juli 2001 — Kommentare deaktiviert für Ein Jahr gewonnen… ;-)

Ein Jahr gewonnen… ;-)

Die Hitze ist vorbei, die Tage der Trägheit finden so ihr natürliches Ende. Leider hab‘ ich das Gewitter, nach dem ich mich so gesehnt hatte, heute nacht gar nicht mehr mitbekommen. Jetzt ist es angenehm kühl, richtiges Arbeitswetter!

Arbeiten? Sonntags? Warum nicht, schließlich hat mich auch nichts abgehalten, am Freitag an den Werbelliner See zu fahren. Ein alter Freund hat dort einen Wohnwagen stehen, meine Güte, es ist 31 Jahre her, daß ich einen Campingplatz von innen gesehen habe! Damals – jeden Sommer zwischen 9 und 17 – war Camping-Urlaub DER große Familienevent, auf den das ganze Jahr hingespart und hingesehnt wurde, immer ging es auf denselben italienischen Campingplatz, der uns zur zweiten Heimat wurde. Ich sprach schon bald fliessend italienisch und meine Sozialisation bezüglich des anderen Geschlechts wurde wesentlich von den Jungs auf dem Platz beeinflußt. Die waren schwer romantisch, aber auch sexuell sehr direkt, dauernd mußte ich mich verteidigen, fast war es eine Art Krieg.

Mit 18 hatte sich „Camping“ dann erledigt, ich fand das Ganze schon lange schrecklich spiessig (=uncool), fuhr mit meinen Freunden selbstbestimmt nach Frankreich und Spanien und genoß die Freiheit ohne Family – doch immer auf der Suche nach diesem harzigen Piniengeruch, ohne den die richtige Urlaubsstimmung einfach nicht aufkommen wollte, genauso wenig wie beim Übernachten in Hotels. Solche Konditionierungen sitzen verdammt tief, noch jetzt genieße ich den Duft der Brandenburger Kiefern ganz besonders.

Wie wir so gemütlich beisammen saßen, erwähnte mein Gastgeber sein Alter: „Mit meinen 46 Jahren….“. Ich stutzte, denn mit diesem Mann war ich dereinst nach Berlin gezogen und ich wußte noch genau, daß wir doch mal gleichaltrig waren! Wieso hatte ich auf einmal ein Jahr mehr auf dem Buckel? Ich rechnete nach und – oh wunder! – stellte fest, daß ich wieder mal meiner Zeit ein Jahr voraus gewesen war. Wie bei D-Mark-Beträgen hab‘ ich mir nämlich angewöhnt, ab der Hälfte aufzurunden: Im Winter, mit 46,5 Jahren, antwortete ich auf die Frage nach dem Alter immer schon: 47. Durch meine Vergeßlichkeit war ich dann bald der festen Meinung, mein nächster Geburtstag sei der 48! Tja, so kann man sich irren und jetzt fühle ich mich, wie ein ganzes Jahr zurück versetzt. Schon komisch. :-)

Mir scheint, heut krieg ich die Kurve zu allgemein interessierenden Themen einfach nicht hin! Deshalb hier ein Lese-Tipp von weltwichtiger Bedeutung:

Berliner Zeitung:
Müssen wir uns Bill Gates als einen glücklichen Menschen vorstellen?
Über den reichsten Mann der Welt – von Mathias Greffrath

Sehr lesenswert. Von dem gebotenen Blick auf die Welt kann einem zwar richtig schlecht werden – aber langweilen wird Euch der Artikel sicher nicht! Was mich wirklich beängstigt – neben der Charakterstudie, die wieder mal zeigt, dass die Welt von den gestörtesten Typen beherrscht wird – ist die Aussicht, daß Gates tatsächlich die Macht über die Inhalte dergestalt übernehmen will, daß der gemeine Netz-User einfach keine Seiten mehr aufrufen kann, die nicht von Microsoft (oder anderen Privaten) „zertifiziert“ sind. Das wäre das Ende des privaten und auch allen nonkommerziellen Webworkings. Und weit und breit sehe ich keine Lobby, die unsere Politiker gegen solche Vorhaben einnehmen könnte…. oder was meint Ihr? Weiter → (Ein Jahr gewonnen… ;-))

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Claudia am 16. Juni 2001 — Kommentare deaktiviert für Über das Männliche

Über das Männliche

In jedem Frühling erscheinen neue Bücher und Rezensionen über Männer. Offensichtlich gibt es da immer noch jede Menge zu reflektieren. Mann ist sich selber ein Problem, genau wie Frauen sich lange Zeit mit Geschlechtsrollen auseinander setzten – nur: Mann hat irgendwie schlechtere Karten, zumindest ideologisch betrachtet. Ein paar tausend oder hunderttausend Jahre Patriarchat (über Zeiträume will ich nicht streiten) sind nicht so ganz easy wegzustecken, zumal eine Gleichverteilung von Macht und Einfluss zwischen den Geschlechtern auch heute nicht überall verwirklicht ist.

Ich spüre immer wieder, vor allem bei Männern meiner Generation (Post-68er) und den Älteren, dass sie das Männliche verurteilen: In der Welt, wo es vorgeblich so viel Schaden anrichtet (Krieg, Unterdrückung, Umweltzerstörung…) und natürlich auch in sich selbst. Dass einige – anstatt psychisch stets Trauer zu tragen – dann in einen offensiven Machismo oder resignierten Zynismus verfallen, kommt gelegentlich vor, ist aber auch nur Reaktion. Ganz beiläufig gilt vielen das Männliche als das Böse und Zerstörerische – im Unterschied zum rundum positiv erscheinenden Weiblichen. So schreibt mir zum Beispiel ein guter Freund über Wissenschaft:

„Im Westen ist die Wissenschaft (und Technik) eine männliche Wissenschaft – im Osten ist sie eine weibliche: Mitgefühl, Liebe, Einfühlung, Gewaltlosigkeit, Akzeptanz, Selbstbescheidung – dagegen: Wille, Durchsetzungskraft, Ego, Selbstsucht, Unabhängigkeit, Auflehnung.“

Arme Männer, kann ich da nur sagen! Moralisch völlig unten durch. Ich glaube aber nicht, dass der Geschlechterkampf enden kann, solange Männer und Frauen eine der beiden Seiten in sich diskriminieren.

Früher suchte ich selber immer den „Menschen im Mann“, als wäre der Mann etwas zu Überwindendes, ein archaischer Restbestand, bedauerlicherweise noch wirkungsmächtig. Heut‘ freu‘ ich mich über jedes bißchen „Mann“, das noch in der Packung ist! Und wenn die Männer selber das Männliche an sich mögen, ist es noch besser.

Natürlich ist alles, was man jeweils als männlich oder weiblich zu fassen meint, „nur“ eine Zuschreibung – gefestigt durch Jahrhunderttausende Tradition, oder meinetwegen auch codiert in den Genen… Doch jede und jeder trägt alles in sich und muss – zugunsten des eigenen Seelenheils – die je andere Seite in sich finden und lieben lernen.

Ich brauche mir nur die Urszene vor Augen führen, um zu erkennen, wie diese Traditionen und Zuordnungen entstanden sind, davon ausgehend, dass Menschen „ursprünglich“ (nicht historisch, sondern absolut: bevor je ein Mann und eine Frau einander begegneten und aneinander zu Vater und Mutter wurden) gleich sind, und keine verschiedenen Tierarten, die sich zufällig miteinander paaren können.

Urszene: Frauen werden schwanger und bekommen abhängige, pflegebedürftige Kinder. Wesen, die einige Zeit an ihnen hängen bleiben, das ist ja bei allen Säugetieren so. Dadurch teilt sich automatisch eine Arbeit das aller erste Mal: Die einen kümmern sich um die Kinder, die anderen passen auf, dass kein Angreifer kommt, bzw. bekämpfen die Angreifer, sofern doch welche kommen. (Daß man sich dabei langweilen kann und selber mal losgeht, ‚rüber zur nächsten Horde, wo die anderen Frauen sind, ist auch verständlich..)

Beides ergibt gleich überlebenswichtige, unverzichtbare und moralisch völlig gleich zu bewertende Eigenschaften: das Kämpferische am Mann, Beziehungswerte bei der Frau. Die Grundfrage des Mannes ist immer: „Was droht? Will mir hier einer an den Karren fahren? Wo steht der Feind?“ Und die weibliche Frage heißt: „Schadet das der Beziehung?“ (was immer es ist, das kann gut auch mal der Weltuntergang sein…).

Weil alle Menschen eine Mutter haben und also zunächst von Beziehungswerten existieren, ist es leicht zu erklären, dass dieses Beziehungsverhaftete (=weibliche) als das grundsätzlich Gute, Wahre und Schöne durchgeht, zumindest in der ganz individuellen Erfahrung sich so einprägt. Wogegen das Männliche erst später bemerkt wird. Dazu muß nämlich der Verstand schon erwacht sein, bevor das Kind den väterlichen Anteil am Überleben (=die erfolgreiche Verteidigung, das Siegen im Kampf) überhaupt bemerken kann. Hier ist der „abwesende Vater“ noch der GUTE Vater.

Dazu gibt es auch eine persönliche Geschichte. Rein vom Denken kommt der Friede leider nicht, und deshalb erzähl‘ ich die hier, ganz kurz:

Als älteste Tochter eines Vaters, der Frauen eigentlich hasste, war mir das alles nicht leicht gemacht, der Umgang mit Geschlechtsrollen mehrfach „ver-rückt“. Er behandelte mich eher wie einen Sohn, verlangte vor allem Stärke und – wenn das schon nicht klappte – wenigstens Intellekt. (Wissenschaft ist vom Mann her gesehen also schon zweite Wahl) Er diskriminierte das Weibliche im mir, wollte nicht mal, dass ich mir die Haare wachsen lasse. Ganz spät erst wurde mir klar, dass er so reagieren musste, weil er mit seinen sexuellen Gefühlen gegenüber der Tochter nicht zurecht kam (und sich für diese auch noch verachtete…) .

Im Ergebnis lebte ich in der ersten Lebenshälfte fast nur den männlichen Aspekt, ohne dass ich das als „das Männliche“ hätte anerkennen können: das Zupackende, Aktive, ja, Agressive und Kämpferische, mutiges, gelegentlich selbstzerstörerisches Kriegertum eben. Und ich kämpfte – einig mit der Frauenbewegung – gegen die Zuschreibung, die diese Eigenschaften als männlich betrachtet, sozusagen okkupiert und uns vermeintlich vorenthält. Eine Einstellung, die uns auch noch als „unweiblich“ dastehen lässt, wenn wir uns für eine gute Sache einsetzen… Schließlich ist eine Löwin, die ihre Jungen verteidigt, auch recht kämpferisch!

Als ich mit der „männlichen“ Art dann so Mitte dreißig nur noch an Wände lief und schließlich das Kämpfen erstmal von mir abfiel, änderte sich alles grundstürzend. Ich erkannte die „weibliche“ Seite der Welt, befand mich mitten drin, stellte auf einmal fest, dass ich nun Eigenschaften meiner Mutter lebte, die mir sogar als großer „Fortschritt“ erschienen. Es dauerte allerdings ein paar Jahre, bis ich im neuen Leben die neuen Werte als „weiblich/mütterlich“ erkennen konnte, ich verstand es eher als eine Art Erleuchtungsfortschritt. (ja, lacht nur!).

Erstaunlich war, dass meine „Führungskraft“ in Gruppen und Arbeitszusammenhängen dadurch gewonnen und nicht etwa verloren hatte. Es ging jetzt nicht mehr darum, mich durchzusetzen oder meine Stellung zu behaupten („Wer will mir hier an den Karren fahren?“), sondern ich konnte jetzt anstrengungslos von mir absehen und – ganz unverbissen – einer Sache bzw. einer Gruppe dienen. Auf einmal hatte ich auch keine Angst mehr, womöglich als „autoritär“ angesehen zu werden, was mich vorher immer schreckte, wenn ich mal wieder irgendwo sagte, wo’s denn lang gehen soll. (Seltsamerweise hat mich niemals mehr wieder jemand als autoritär bezeichnet.)

In einer Gestalt-Therapiegruppe hatte ich zu dieser Zeit Erlebnisse, die mich das Männliche in Reinform (bzw. das, was es für mich ist), in mir selbst sehen und spüren ließen. Ich sah mich in einem gefühlsgeladenen inneren Bild als Kriegerin – und fand mich wunderbar! Sah mich gleichzeitig von außen (als moralische Instanz, ganz wach) und spürte das wunderbare Gefühl, das man (und auch frau) haben kann, wenn der Kampf beginnt.

Das ist, wenn man das Visir herunterklappt und es wirklich los geht! Dann ist das Diskutieren nämlich zu Ende, sei es, um sich mit Gruppen abzustimmen, sei es im eigenen inneren Dialog der Rechtfertigungen und Abwägungen. Das Visir klappt zu und jetzt geht es nur noch um eines: Gewinnen, siegen! Und man ist ganz allein, ganz auf sich selbst gestellt, nicht einmal mehr Gott ist da gefragt, wenn die volle Aufmerksamkeit allein auf den Gegner und dessen Niederringen gerichtet ist. (Der meldet sich allenfalls hilfreich zu Wort, wenn man zweifelt und sich nicht traut, wie etwa bei Arjuna in der Baghavadgita)

Durch das Visir sieht man die Welt nur noch durch kleine Schlitze, ein schönes Symbol. Es ist eine spezifische geistige Verengung, die dafür nötig ist, kämpfen zu können. Man gibt dabei sehr viel auf, was den Menschen ausmacht, und wir könnten es gar nicht leisten, würden wir uns dabei nicht auch ein Stück weit selbst erfahren und verwirklichen – indem wir in jedem Kampf neu dem Tod und dem Unbekannten entgegen treten.

Es ist die – schreckliche UND schöne – andere Seite derselben Verengung, für die „das Weibliche“ steht: Beziehung als oberster Wert, also persönliche Liebe, Bindung, Fürsorge, Hingabe. Aspekte, ohne die die Welt nicht bestehen könnte, aber gleichzeitig so beschränkt – genau gleich beschränkt wie das Kriegerische.

Heute liebe ich das Männliche in der Welt, seit ich eben weiß, dass es die eine, unverzichtbare Hälfte ist, die aber ohne die andere wenig Glück zustande bringt, genau wie umgekehrt.

Im Lauf des Lebens – so kommt es mir wenigstens vor – geht der Gang eher vom Männlichen hin zum Weiblichen, oder besser und weit richtiger: das Männliche geht von außen (=Front) nach innen, das weibliche den umgekehrten Weg. Im besten Fall wirke ich dann nach außen weich, harmonisch, liebevoll – doch im Inneren ist große Klarheit und Stärke, unkorrumpierbar, ohne Wahl.

Was die Welt im Ganzen angeht, wundere ich mich nicht, dass ein paar wenige Jahrhunderte noch nicht alles geändert haben – aber die Zeit arbeitet für den Ausgleich, für das Weibliche, denn Beziehungswerte werden immer wichtiger. Gerade in einer globalisierten und immer mehr vernetzten Wirtschaft.

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