Thema: Liebe, Beziehung, Geschlecht

Claudia am 10. Dezember 2003 — Kommentare deaktiviert für Nicht dies, nicht das – über Beziehungen

Nicht dies, nicht das – über Beziehungen

Beziehung, Beziehungen, eine Beziehung haben – ich vermeide diese Worte lange schon. Mag sie nicht, je älter ich werde, desto weniger. Allein schon der Wortklang: Be – ZIEHUNG. In mir zieht sich etwas zusammen, wenn ich es höre! Man will an mir ziehen, mich anderswohin haben als ich von mir aus gehen will. Mich abziehen vom Eigenen, wegziehen, einen festen Be-Zug zu mir herstellen, der mich bindet und eingemeindet in die Erwartungen anderer. Mich berechenbar machen, genau gesagt.

Das Streben nach Beziehung bedeutet im Fall des Erfolgs oft die Zerstörung dessen, was gesucht wurde: der Andere in seiner Andersheit. Wie faszinierend er doch sein kann: fremd, unabhängig, ungebunden, unberechenbar. Im Fall des Gefallens – und nur dann streben wir ja nach Beziehung – ist er Projektionsfläche für alles denkbare und undenkbare Gute, Wahre und Schöne, ist inkarnierte blaue Blume, menschlicher heiliger Gral, potenzieller Erlöser aus aller Einsamkeit. Mit ihm (oder ihr) sein, bedeutet Entlastung vom Bei-Mir-Sein und Befreiung aus langweiliger Alltäglichkeit – aber nur solange, bis „die Beziehung steht“ , bis ganz klar ist, in welchem Bezug zueinander man künftig lebt: Wünschen und Wollen wird ausverhandelt und in Geben und Nehmen gegossen, das Miteinander bekommt eine feste Form, ein Gewand aus Ansprüchen und Pflichten. Beziehung erreicht – nun können die Beziehungs-Probleme beginnen!

Ich hatte Beziehungen, klar: beginnend mit dem 15. Lebensjahr eine Aufeinanderfolge intensiver, langjähriger Zweierbeziehungen. Mit allen Hochs und Tiefs, mit Himmel und Hölle, mit großer Nähe im Alltag, bis hin zum Zusammenleben und Arbeiten: Je näher und dichter die Verstrickung, desto größer die Abhängigkeit, desto schrecklicher und folgenreicher die Auseinandersetzungen und Konflikte. Je größer die „Liebe“, desto intensiver der Hass – ich schreibe die Liebe in Anführungszeichen, weil sie an dieser Stelle ein Besitzen- und Beherrschen-Wollen einschließt. Beziehungskonflikt ist dann, wenn der Andere nicht agiert, wie ich es erwarte – oder umgekehrt. Und weil ja eine „feste Beziehung“ besteht, meine ich, ein Recht darauf zu haben, dass er so sei, wie ich ihn mir wünsche. Ich liebe ihn also nicht in seiner Freiheit, diene nicht seiner Ganzheit, sondern habe handfeste Interessen, die ich bittschön befriedigt sehen will. Dafür bin ich schließlich bereit, die eigene Freiheit zu opfern und mich erwartungsgemäß zu verhalten – die Gegenleistung soll dann gefälligst auch stimmen. Hier passt gut die Rede vom „Investieren in die Beziehung“, die meint, sich mal wieder ausgiebig dem Anderen zu widmen: erhöhte Aufmerksamkeit, Zuwendung, eventuell Neuverhandlungen über Teilaspekte des unausgesprochenen „Beziehungsvertrags“ – das verbeulte und angeschrammte Beziehungsfahrzeug bekommt eine Runderneuerung, auf dass es noch ein bisschen weiter läuft.

Klar, man braucht Beziehungen. Solange sie rund um einen konkreten Zweck bestehen, wie etwa die Geschäftsbeziehung, die nachbarschaftliche Beziehung oder auch die Familienbeziehung, die es fürs Kinder-Aufziehen braucht, solange sind sie nicht wirklich problematisch, ja, nützlich und unverzichtbar. Aber kann es wirklich eine „Liebesbeziehung“ geben? „Liebe“ verweist auf etwas Absolutes, an sich bedingungsloses – „Beziehung“ ist dem klar entgegen gesetzt, ist konkret und begrenzt. Das Drama vieler Familien ist das Absterben der ursprünglichen Liebesbeziehung, bzw. das Ende der Illusion in Bezug auf einen konkreten Menschen, in Verbindung mit der Unfähigkeit, in eine reale, versachlichte Elternbeziehung überzuwechseln – eine, die durchaus Freundschaft, ja, Liebe umfassen kann, aber eben nicht in Gestalt der ursprünglich erwarteten in jeder Hinsicht beglückenden (und ausschließlichen!) Zweisamkeit.

Ohne es mir ganz bewusst gemacht zu haben, war ich Mitte dreißig fertig mit „Beziehung“: alles erlebt, mehrfach und überdeutlich das gesamte absurde Theater durchlebt, auf Wolken geschwebt, gefallen, gelitten, gekämpft, „investiert“ – wieder und wieder. Dass diese Männer ohne Ausnahme die Frau „nach mir“ geheiratet und/oder mit ihr ein Kind bekommen haben, zeigt mir, was ich verweigert habe: den natürlichen Sinn dieses illusionären „Beziehungsgeschehens“ für mich zu verwirklichen und eine Familie zu gründen. Für diese „Konkretisierung“ bin ich nicht geschaffen. Ich sage das so „passivisch“, weil ich das nur vordergründig selber wählte – es war mir einfach unmöglich! Man kann im besten Fall tun (oder lassen), was man will, aber ich kann nicht beschließen, zu wollen, was ich nicht will.

Mein Austritt aus dem Beziehungsleben geschah dann in Gestalt einer neuen Beziehung. Ja, das klingt absurd, ist aber Tatsache. Ich näherte mich einem Mann, der, wie ich von ihm wusste, keinesfalls willens oder in Lage war, eine „Beziehung zu leben“. Schärfer noch als ich betonte er das Unmögliche an diesem Vorhaben. „Trost kommt nur von Fremden“, sagte er zum Beispiel – und ich setzte dennoch alles dran, aus diesem Fremden einen Bekannten zu machen, entfaltete ein letztes Mal meine ganze „Bindungskraft“. Wollte mich in festen Bezug zum „ganz Anderen“ setzen – ganz schön verrückt!

Mit Erfolg? Ja. Zum wirklichen Allein-Sein war ich in diesem Lebensalter bei aller Beziehungskritik noch lange nicht fähig – ich lernte es in der „Nicht-Beziehung“, die zwischen uns entstand. Nicht das Erotische, nicht die Tiernatur bildete die Basis dieses Zusammenseins, sondern Bewusstsein. Konkretisiert in der Ablehnung des Üblichen, im Leiden an der Unmöglichkeit absoluter Liebe im Alltag. Er war nicht „mein Mann“ – aber doch war er mir „alles“, indem er in bewusster Weise „Nichts“ war: Nichts Bestimmtes, Berechenbares, niemand, den man „haben“ könnte – nicht weil er nicht wollte, sondern weil da nichts war und ist, was zu besitzen wäre. Das klingt jetzt mystisch und ist es auch! Ich habe es immer gespürt und nie gut genug in Worte fassen können. Noch heute ist es falsch und kommt falsch an, wenn ich ihn als meinen „Ex-Lebensgefährten“ bezeichne, nur weil wir zu Beginn des Jahres auseinander gezogen sind. Dass lässt im Zuhörer die Meinung entstehen, da wäre eine Zweierbeziehung gewesen und man hätte sich „getrennt“. Dem ist nicht so – WIE es aber ist, kann ich nicht erklären, konnte es nie.

Auch dieses Miteinander hatte Berührung mit den Niederungen. Das ist unvermeidlich, ganz besonders, wenn man zusammen wohnt, was wir nach ein paar Jahren dann doch taten. Es gab Konflikte, Agressionen, Projektionen – aber immer einen Bezug zum unaussprechlichen „Dahinter“. Wenn er inmitten einer schlimmen Phase das Wort von den „jugoslawischen Verhältnissen“ prägte, die zwischen uns ausgebrochen waren, wenn ich zum Beispiel mal eine erotische Liebschaft hatte, dann wusste ich: auch er lebt, bei aller aktueller Verstrickung, immer noch hauptsächlich in diesem „Dahinter“. Wo wir einig und eins sind, wo es nichts zu kämpfen gibt.

Eine „Beziehung“ aus dem Geist/Spirit, nicht aus dem Bauch, dem Kopf, dem Herzen. All diese Ebenen kommen vor, sind aber nicht der Grund, in dem wir wurzeln.

Und jetzt, das merke ich sehr intensiv, seit ich wieder alleine lebe und mir alle Formen möglichen Zusammenseins mit Anderen offen stehen, jetzt kann ich nicht mehr anders! Bin nicht mehr „in Beziehung“ zu meinem jeweiligen Gegenüber, sondern gestalte jedweden Kontakt aus dieser anderen Ebene heraus – in jedem Augenblick neu. Das bedeutet: ich bin und bleibe allein, ob ich nun mit Anderen zusammen bin oder nicht. Anders als früher fühle ich mich in diesem Alleinsein wohl und glücklich: mir mangelt nichts, was ich beim Anderen unbedingt suchen und finden müsste. Klar hab‘ ich Bedürfnisse nach Austausch, nach Erotik, nach menschlichem Miteinander, genau wie ich Appetit aufs Essen habe – und manchmal Lust, mich zu berauschen. Aber all das bindet mich nicht, korrumpiert mich nicht in der Tiefe, die üblichen „Bindekräfte“ und Druckmittel laufen ins Leere: ich bin nicht „wer“, fühle mich undefiniert und also durch Andere nicht definierbar. Mein Bild vom Selbst entsteht nicht mehr dadurch, dass jemand zu mir sagt: Du bist so oder so, bist die, die mir dies und das gibt und die dafür dies und jenes zurück gibt. Ich brauche nicht mehr zu verhandeln, sondern lebe einfach.

Gestern war ich dir nah, war anschmiegsam und ganz entzückend – heute bin ich auf einem andern Stern, ziehe meine Kreise in der Ferne. Was morgen ist, können wir nicht wissen.

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Claudia am 18. Juni 2003 — Kommentare deaktiviert für Weiblich und männlich – Alles und Nichts

Weiblich und männlich – Alles und Nichts

Wenn die Schubladen verschwinden:

Wenn die Bäume sich im Getöse der „orkanartigen Bö“ ungewohnt weit zur Seite neigen, wenn der Sturm mit Knall und Geschepper Gegenstände von den Baugerüsten reißt, Staubwolken, Pappe, Blätter und herab gestürzte Äste durch die Straßen treibt, wenn der Himmel sich verdunkelt, Blitze durch die Wolken zucken, und in den Sekunden danach sich die Zeit in Erwartung des Donnergrollens regelrecht zu dehnen scheint: wenn dann manche einfach vor den Kneipen sitzen bleiben und interessiert zusehen, als liefe ein Naturfilm im Fernsehen, bis der knapp vor den eigenen Füßen zerschellende Blumenkübel aus dem 4.Stock doch aufmerken lässt – ja, dann fühl‘ ich mich seltsam glücklich!

Jetzt scheint die Sonne, nur ein paar sanfte Schönwetterwolken segeln am Horizont daher. Ein vermutlich gemeinnütziger Arbeiter gießt den frisch eingesähten Rasen rund um das neue Schachspielfeld auf dem Rudolfplatz – am kollektiven Freizeitpark wird weiter gebaut, auch in Zeiten dramatisch leerer Kassen. Schach hab ich auch mal gespielt, fällt mir da ein, Anfang 20, Regionalliga Hessen Süd: Sonntags vier bis fünf Stunden gezittert, geschwankt zwischen einer Art Mordlust und der Angst, zu verlieren, mich zu blamieren, wo sie – alles Männer! – doch sowieso dazu neigten, mich erst mal für die Bedienung zu halten. Schweißausbrüche, extreme Spannung, heiße und kalte Schauer über den Rücken, wenn der Gegner endlich den falschen Zug machte. Die Aufregung versetzte den Körper in gänzlich unbekannte Alarmzustände – ohhhhhhh, der Adrenalinrausch hatte mich fest im Griff, während Freund und Feind des eigenen und gegnerischen Vereins ums Brett herum standen und kibitzten, wie „das Mädel sich wohl schlägt“, dabei mit entsprechenden Bemerkungen nicht sparend. Als dann in allen Vereinen endlich klar war: neben der 70jährigen Frau J. gibt’s jetzt NOCH EINE FRAU, die auch nicht schlecht spielt, war dann aber bald die Luft raus. Schach war mir nur Mittel bzw. Waffe gewesen, nicht Selbstzweck. Ohne es mir ganz bewusst zu machen, kämpfte ich darum, als Frau „ernst genommen“ zu werden, und das konnte nur geschehen, indem ich die Herren der Schöpfung in ihren traditionell angestammten Domänen aufsuchte, heraus forderte und – wenn immer möglich – auch besiegte.

Kämpfen, siegen oder verlieren: meine Liebesbeziehungen waren lange Zeit Arenen einer fortlaufenden Auseinandersetzung über alles und jedes. Für Männer mit einer starken oder gar übermächtigen Mutter war ich die Richtige, um ihren eigenen Kampf weiter zu führen – so hatten beide Seiten, was sie brauchten. Nur schade, dass diese Phase so lange dauern musste! Bis Mitte dreißig währte mein ganz persönlicher Beziehungskrieg mit wechselnden Gegnern, dann hatte ich endlich geschnallt, dass das „Siegen“ gleichzeitig ein Verlieren ist. Ich hatte „meinen Mann gestanden“, um als Frau geliebt zu werden, wie absurd!

Genießen statt bekämpfen

Da ich mich nun lange schon blendend „verwirkliche“, ohne dass mir einer aufgrund seines Mann-Seins noch irgend eine Butter vom Brot nehmen könnte, kann ich’s mir mittlerweile leisten, das andere Geschlecht einfach nur zu genießen. Und zwar gerade in seiner Andersartigkeit: wenn es ums Erotische geht, liebt mein weiblicher Aspekt das Männliche im Mann. Die Polarität generiert Spannung und schlägt Funken, nicht die Gleichheit. „Als Frau“ will ich nicht diskutieren, sondern fasziniert, erobert, erkannt werden. Die erotische Ebene ist ja zum Glück KEIN Unternehmen, nicht mal ein Familienbetrieb: nicht aus dem Verstand zu gestalten und zu „bespielen“, sondern aus Gefühl und Intuition.

Gelegentlich ecke ich mit solchen Äußerungen an. Zum Beispiel wehren sich viele Frauen dagegen, bestimmte Eigenschaften dem einen oder anderen Geschlecht zuzuschreiben. Ihre feministische Seite fühlt sich verletzt, wenn ich „althergebrachte“ Zuordnungen benutze, etwa Sanftheit, Weichheit, Launenhaftigkeit dem Weiblichen zuordne. Natürlich haben sie auf eine Weise recht: auch in Männern leben diese Eigenschaften, genau wie mir – physisch und im Ausweis ohne Zweifel weiblich – auch Härte, Durchsetzungsvermögen und Konsequenz zu Gebote stehen. Wir sind eben potenziell ALLES, und gerade dieses Wissen sollte uns in die Lage versetzen, das Spiel mit den Unterschieden, die nichts als unterschiedliche, manchmal jahrtausende-alte Schwerpunktsetzungen und Ausprägungen sind, zu genießen. Die Eigenschaften, die sich jeweils nach außen zeigen, sind ja nicht etwa die einzig vorhandenen, sondern finden ihre Entsprechung, ihren Gegenpart im Inneren – UND im Anderen, im andersgeschlechtlichen Gegenüber. Wie wunderbar!

Das Selbst nicht definieren

Dass es als wunderbar erlebt werden kann, setzt allerdings ein Selbstverständnis, ein Selbst-BEWUSSTSEIN voraus, das von Definitionen völlig absieht. Wenn ich auf die Frage „Wer bin ich?“ einfach nur mit „weiblich“ antworte und es damit bewenden lasse, dann habe ich ein Problem. Dann muss „frau“ tatsächlich GLEICH sein, muss in jeder Hinsicht ebenso geartet sein wie Mann, denn nur so lässt sich Gleich-Berechtigung rational begründen – und diese ist unverzichtbar, schließlich geht es im Leben nicht nur um Liebe und Erotik, sondern auch um die weltliche Macht.

Tatsache ist aber: ich bin nicht „nur“ weiblich. Es gibt auch meinen männlichen Aspekt, der ist sogar recht ausgeprägt. Ein anderer Teil bleibt immer und ewig Kind, „zuständig“ für eine ganze Welt aus Spaß, Freude und Spontaneität, die allen verloren geht, die dieses innere Kind einkerkern und es nicht mal kennen wollen. All diese Aspekte können mal im Vordergrund stehen, mal sind sie eher versteckt – und alle können Beziehungen dominieren: meine männliche Seite kann in Beziehung zu einem Mann stehen, der vor allem seine weibliche Seite nach außen lebt – in der Regel wird das aber keine sexuelle Beziehung sein, denn dafür muss (zumindest bisher), meine „innere Frau“ sich angesprochen fühlen. Um meine Rechte, um das nicht zu vergessen, kümmere ich mich nicht „als Frau“, sondern als Bürgerin, die sich gegen jede Diskriminierung ganz selbstverständlich zur Wehr setzt, öffentlich und wenn’s sein muß auch ganz privat – wobei mir langsam die Diskriminierung „wegen Alter“ brisanter erscheint als die „als Frau“. (Nicht hauptsächlich Frauen werden entlassen bzw. früh verrentet, sondern tendenziell alle über 50!)

Frau, Mann, Kind, nicht zu vergessen die/der ALTE WEISE, ein Aspekt, der in späten Lebensjahren nach außen tritt, aber in gewisser Weise immer schon da ist: ich bin sie alle, aber damit ist noch lange nicht ALLES genannt. Es ist unmöglich, „alles“ aufzuzählen und betrachtend vor sich hin zu stellen, weil wir es eben SIND.

Zu mystisch?? Dann denk mal an dein Lieblingstier. Ist es ein Hund? Oder magst du Katzen besonders gern? Schwingst dich vielleicht gar mit den Raubvögeln in die Lüfte? WARUM glaubst du, liebst du dieses Tier so? Ist es nicht einem Teil von dir unglaublich nah? Dieser Teil WEISS, wie und was dieses Tier ist, es fühlt mit ihm, kann seine Sprache, sein Verhalten in jedem Augenblick verstehen – warum?

Ich weiß nicht, wie du diese Frage beantwortest, ob du dem überhaupt je nachgespürt hast. Spätestens, wenn wir im Zoo den Affen ein Weilchen zusehen, ergreift dich vielleicht auch das Bewusstsein, das ich hier meine: DAS sind wir AUCH!

Hetero – und sonst gar nichts?

All die Seinsaspekte, die ich so schon als Aspekte des „Ich bin….“ kennen gelernt habe, sind nun üblicherweise auch schon gleich wieder „zu Tode definiert“. Zum Beispiel: Ich bin Frau – und hetero-sexuell. Ehrlich gesagt hab ich diese Überzeugung nicht selbst entwickelt. In meinem Umfeld schien es „normal“, hetero zu sein, also war ich es auch. Kam gar nicht erst auf die Idee, Frauen als erotische Wesen anzusehen – ich meine damit nicht „für möglich zu halten“, sondern wirklich persönlich HINZUSEHEN: ihr Lächeln, ihre Haare, ihre Figur… Weil ich immer nur Männer aus diesem erotischen Blickwinkel betrachtete, hatte ich natürlich nie eine gleichgeschlechtliche Beziehung und war umso überzeugter: ich bin heterosexuell, und zwar ausschließlich.

Wer jetzt glaubt, ich hätte gerade die Frau meines Lebens getroffen und fühlte mich deshalb genötigt, meine Lebensphilosophie umzuschreiben, irrt. Es verhält sich eher anders herum: umstellt von Definitionen und Vorgaben, wie man/frau zu sein und zu leben, zu empfinden und zu denken habe, bleibt irgendwann nichts anderes mehr übrig, als all das nicht mehr zu glauben. Sämtliche Konkretisierungen, die auf „Ich bin…“ folgen, sind mir suspekt geworden. Allesamt stehen sie zur Überprüfung an, sind keinesfalls mehr in Stein gemeißelt, sondern geben sich als bloße Programme zu erkennen. Programme, die dazu neigen, den Arbeitspeicher zu verstopfen, auch dann, wenn ich sie gerade nicht benötige.

Seit ich in diesem Sinne nichts mehr glaube, wird auch die Welt, in der ich lebe, zunehmend „undefiniert“. Ich erkenne und ERLEBE, dass die Selbstdefinitionen meine Erfahrung erzeugt, geformt und ausgestaltet haben – sobald ich an der jeweiligen Definition nicht mehr klebe, sie gar in Frage stelle (also beobachtend frage: Ist das wirklich so? NUR so?), eröffnet sich mir auch „der ganze große Rest“ als eigene Möglichkeit: Auch DAS bin ich, bzw. kann ich sein – wenn ich es wähle, ihm Aufmerksamkeit schenke, meine Energie in die neue Richtung lenke.

Himmel noch mal! So hier hingeschrieben hört sich das wunderbar an und das ist es auch. Allerdings fühl ich mich angesichts der vielen Möglichkeiten und Potenziale, die sich mir plötzlich zeigen und immer noch weiter zunehmen, zeitweise etwas desorientiert: Wenn ich so vieles SEIN kann und tatsächlich auch erleben – was WILL ich denn eigentlich? Es ist vergleichsweise leicht, in einer Welt der Schubladen und „Gegebenheiten“ gegen Widerstände zu kämpfen. Kein Problem, sich irgendwie „bei den Guten“ zu fühlen oder den Weg des geringsten Widerstands zu einem ganz bestimmten persönlichen Ziel zu finden. Was aber, wenn „gut“ und „böse“ mitsamt der „Persönlichkeit“ sich im Nebel des Alles & Nichts auflösen? Will ich Heilige oder Hure, Unternehmerin oder Künstlerin, Initiatorin sozialer Netze oder Seelen-Coach für Einzelne sein – oder vielleicht doch lieber ganz „Schreibende“?

Oh, was für Fragen! Überlegen lächelnd rufe ich mir zu: Hey, das ist ein Scheinproblem! Dein Kopf macht sich wieder mal allzu selbständig, die Dinge ergeben sich, wenn es so weit ist, ganz von selbst. Jeder Tag hat seine Erfordernisse. Folge einfach den Impulsen, gib dein Bestes. Iss, wenn du hungrig bist, verteile Wasser, wenn jemand Durst hat und vergiss das sprichwörtliche Holzhacken nicht!

Klar doch. Das sag ich mir dauernd. Was auch sonst. Wenn sich etwas Neues ergeben sollte, gibt’s dann die Fortsetzung. Das Diary lass ich jedenfalls nicht im Nebel verschwinden.

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Claudia am 05. Juli 2002 — Kommentare deaktiviert für Nähe und Verbindlichkeit

Nähe und Verbindlichkeit

Mal frische Luft schnappen. Ich stehe auf und will die Balkontür öffnen, da sehe ich den Spatz. Am Rande des Betonbodens, auf dem noch die große Pfütze vom letzten Regen steht, hüpft er zögernd vorwärts, schaut suchend um sich, guckt nach rechts, nach links – jetzt hat er mich bemerkt! Ein kurzes Erschrecken und weg ist er.

Mich packt prompt das schlechtes Gewissen, denn ich weiß, was der Spatz gesucht und nicht gefunden hat. Gestern noch, vorgestern und auch schon vor einer Woche hatte ich nämlich auf Fenstersims und Balkonbrüstung Brotreste ausgelegt. Der Wind hatte die Brosamen verweht und über den Boden verteilt, wo sie fein säuberlich von den Spatzen aufgepickt worden waren. Ja ja, ich weiß, weder ist es Winter, noch sind Spatzen „schützenswert“, im Gegenteil, sie gelten als die Allergewöhnlichsten unter den Vögeln. Aber egal, lieber seh‘ ich Spatzen auf dem Balkon als gar keine Vögel – so dachte ich zumindest gestern, vorgestern und vor einer Woche.

Heute aber hab‘ ich es vergessen. Ach was, das wäre schon zuviel gesagt, ich war einfach auf einem anderen Stern, beschäftigt in einer der vielen Welten, die mein Leben ausmachen und doch nicht allzu viel miteinander zu tun haben. Und nur ganz ganz wenig mit Vögeln.

Zum Beispiel gibt es keine Spatzen dort, wo ich gerade versuche, per E-Mail die Verwendung eines FTP-Programms Schritt für Schritt verständlich zu erklären. Auch nicht in den virtuellen Gemeinschaften und Informationsquellen, wo ich gerade für einen Interessenten erforsche, wann eine private Homepage ein Impressum braucht. Himmel, jene Welt ist dafür voll von lauernden Monstern, sogenannten „abmahnanwälten“ die einen Unwissenden hinterrücks überfallen und fünfzigtausend Euro fordern können, wenn man etwas falsch macht. Weit fürchterlicher also als ein realer Dschungel mit echten Würgeschlangen. Ich schaudere und mach‘ mich davon, sende die gesammelten Erkenntnisse noch als Warnung an liebe Freunde und rufe schließlich – Erholung suchend – meine Privatmail ab.

„Ich will dich“, „Get White Teeth Fast“, „Nachrichten von deinem Single-Finder-Team“ – ich schlage mich durch das übliche Gestrüpp aus unverlangter Werbemail und finde tatsächlich eine RICHTIGE Botschaft. Ein Bekannter spinnt einen Gesprächsfaden weiter, der schon vor Wochen abgerissen war, einfach unterbrochen, obwohl wir uns sogar offline getroffen und von angesicht zu angesicht geplaudert hatten. Verbindlichkeit ist eines seiner Themen – Himmel noch mal, ich geh‘ jetzt SOFORT in die Küche, schneide das alte Sesam-Vollkornbrot auf und füttere erst mal die Spatzen!

Verbindlichkeit? Was ist das eigentlich und existiert es noch in den Zeiten der Netze? Wenn ich „potenziell“ immer sofort alles haben, abrufen, ordern, auswählen, in mich hineinfressen, kaufen, genießen und verbrauchen kann, ja sogar soll – was bedeutet dann noch „Verbindlichkeit“?

Das Wort scheint ein Überbleibsel aus Zeiten des Mangels zu sein, wo man sich darauf verlassen können musste, dass unter ganz bestimmten, aber immerhin bekannten Bedingungen jemand da sein wird, für MICH da sein. Ich werde verlässlich bekommen, was ich brauche, seien es materielle Dinge, sei es Schutz, Zuwendung, Fürsorge, Zuspruch – oder einfach eine Gelegenheit, mich fallen zu lassen.

Achtung, hier gerate ich gefährlich nah‘ ans Therapie-Idiom: komm, lass dich gaaaaanz fallen, lass einfach los… Wünschen wir uns etwa Verbindlichkeit, um wenigstens zu bestimmten Terminen wieder Kind sein zu können? Will ich berechenbare Verhältnisse, damit ich psychisch und geistig einschlafen kann? Zumindest ist es bemerkenswert, dass der Hang zur Verbindlichkeit erst mit zunehmendem alter so richtig ins Bewusstsein tritt. In jungen Jahren dominiert die Sehnsucht nach Freiheit, nach Veränderung, nach dem Bruch mit dem allzu Bekannten und Verlässlichen. Spontaneität und Echtheit sind hohe Werte. Keinesfalls will man sich anpassen, womöglich verbiegen, nur um sich in vermeintlich sicheren Bahnen bewegen zu dürfen. Schlimmer noch: Dem Onkel Willy nach dem Munde reden, weil der zu Weihnachten immer das Scheckbuch zückt? Niemals! Zwar ist so eine Liebedienerei nicht dasselbe wie Verbindlichkeit, aber fängt es mit dem fraglosen Einhalten all dieser unausgesprochenen Verabredungen und Erwartungen nicht schon an?

Haben nicht alle Beziehungen etwas Korrumpierendes? Keine Frage, ich brauche Verbindlichkeit, ich sehne mich nach „Nähe“ und möchte gerne MEHR Menschen kennen, denen ich vertrauen, auf die ich mich verlassen kann. Dass ich dieses Bedürfnis spüre, das Gefühl gut kenne, heißt allerdings nicht, dass es damit schon „gut so“ ist. Die Rückseite der Medaille steht mir ebenso im Bewusstsein, die Unfreiheit, die Gebundenheit, ein Gefühl des Ausgeliefertseins und der Machtlosigkeit, das bis zum Ekel gehen kann. Als Kind wurde mir gelegentlich flau im Magen, wenn ich an der Hand meiner Mutter treppauf zur Wohnung unseres Drei-Generationen-Haushalts steigen musste. Ich war erst vier Jahre alt und fühlte mich zum kotzen, wusste aber nicht warum. Es hätte auch keinen erkennbaren Grund gegeben, den ein Beobachter hätte nennen können. Meine Kotzgefühle waren einfach eine Reaktion auf die vielfältigen, meist unter der Decke gehaltenen Konflikte und Spannungen zwischen Vater und Mutter, Eltern und Großeltern – aber es war immerhin „die Großfamilie“, der heut‘ von vielen nachträglich so gern gerühmte Hort der Sicherheit und Wärme.

Befreit vom Druck der Verhältnisse: zu kalt?

In den wunderbaren Atbauwohnungen mit den hohen Decken wohnen wir gerne, aber die Verhältnisse der Menschen, die früher darin lebten, haben wir mit Freude abgeschafft, haben uns weitgehend befreit, zu tun und zu lassen, was wir mögen. Jeder darf seinen eigenen Entwurf leben und diesen so oft wechseln, wie er es vermag; darf denken, sagen, schreiben, was immer ihm beliebt (im Rahmen der Gesetze, versteht sich, die aber vergleichsweise große Freiräume zulassen). Die Welt wird immer komplexer, es gelingt kaum mehr, für oder gegen etwas zu sein, wenn man nicht bei den Banalitäten der Oberfläche stehen bleiben will. Meinungen taugen also immer weniger dazu, Verbindlichkeit zu transportieren, sie wechseln einfach zu schnell oder existieren gar nebeneinander in einem allumfassenden Sowohl-als-auch. Was aber dann? Woher sollen die „Konstanten in menschlichen Beziehungen“, die man so gerne hätte, eigentlich kommen?

Der Partner, die Familie, der Clan, das Dorf oder die Nachbarschaft – all diese Beziehungen und Bezüge, die früher das ganze Leben bestimmten, haben ihre einstige Macht, ihre Bindungskraft aufgrund konkreter ökonomischer Bedingungen verloren. Diese art Verbindlichkeit haben wir gekündigt, uns von konkreten Mitmenschen emanzipiert und statt dessen abstrakte Systeme geschaffen. Das soziale Netz gibt Sicherheit, das Rechtssystem erzwingt Berechenbarkeit – war das nicht eine super Idee? Frei von Zwängen und Notwendigkeiten müsste sich so das Zwischenmenschliche doch eigentlich optimal entfalten können – warum nur stimmt sie auf einmal nicht mehr, diese sozialdemokratische Utopie? Hat es äußere Gründe, weil unser Export-abhängiger Wohlstand durch weltweite Konkurrenz angegriffen wird? Oder ist es einfach die Kälte des „Lebens mit den Systemen“, die immer unerträglicher erscheint?

Der Rollback ist jedenfalls im Gange, nicht erst seit gestern. Das Unbehagen an den erkämpften Freiheiten, das Leiden an der Unverbindlichkeit und „Beliebigkeit“ wird immer stärker. Die Errungenschaften der 68er und Post-68er verschränken sich lange schon mit den Bedürfnissen des alles durchdringenden Marktgeschehens und der damit einher gehenden Rationalisierung. Flexibilität, Mobilität, alles verändert und beschleunigt sich – wir kennen den Sound der Zeit und halten uns immer öfter die Ohren zu. Wo meine Großmutter noch darauf zählen konnte, dass zumindest die Farbe und Form ihrer acht verschiedenen Tabletten von Tag zu Tag gleich blieb, schwindet momentan selbst diese kleine Konstante des alltags im Zuge der Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen dahin. Nurmehr „Wirkstoffe“ darf der arzt verschreiben, und der Apotheker sucht dazu die preisgünstigsten Tabletten heraus. Völlig vernünftig, ja sicher – aber wohin mit dem Unbehagen, das mit all diesen Vernünftigkeiten über uns kommt? Vor manchen psychiatrischen Einrichtungen stehen die Menschen schon Schlange (wollen „sich fallen lassen“..), wie mir dort arbeitende glaubwürdig versichern. Und wie viele Individuen mag es geben, die sich in die Haltung eines amok-Läufers so richtig gut einfühlen können?

Hallo, hier bin ich! Und du?

Die Spatzen da draußen lassen es sich gerade richtig gut gehen. Wenn ich ans Fenster trete, bemerken sie mich zwar, flüchten aber nicht mehr gleich. Bloß jetzt nicht hektisch bewegen! Ha, sie sehen mich, behalten mich im augenwinkel, fressen aber trotzdem weiter. So schnell entsteht Nähe aus Zuwendung und Verlässlichkeit, zumindest bei Spatzen. Ist es bei uns denn wesentlich anders?

Und was heißt überhaupt noch „Nähe“? Wir sind doch überall-zu-jeder-Zeit erreichbar – per Handy, per E-Mail, per SMS rufen wir uns gegenseitig zu: „Hallo, hier bin ich, bist du auch da?“ Dieses Hereinbrechen der Stimmfühlungslaute, mit denen wir uns ständig neu aneinander ausrichten wie es Gänseschwarme tun, ist die grundstürzendste Veränderung in Sachen Nähe seit Erfindung der Sprache. Die Tugend, Verabredungen richtig ernst zu nehmen und pünktlich zu erscheinen, verliert so einfach den Boden, auf dem sie entstand. Es ist ja jederzeit möglich, Termine den geänderten Bedingungen entsprechend zu verlegen – und das wird auch zunehmend gemacht. Natürlich müssen dann alle von einer Verlegung Betroffenen in der Folge auch IHRE Termine verlegen – und so weiter und so fort, bis der ganze Gänseschwarm einen Schwenk nach links gemacht hat.

Der Vogelflug am Himmel hat etwas wunderbar Elegantes. Im Herbst schaue ich den Gänsen nach, bewundere die Pfeilformationen und bin tief berührt. Warum nur empfinde ich die technisch implementierte „Stimmfühlungs-Ära“ nicht als ebenso angenehm? Im Gegenteil, es kommen gelegentlich Gefühle auf, wie ich sie als Vierjährige empfand, als ich an der elterlichen Hand das Treppenhaus hochsteigen musste. Ohne zu wissen, was dagegen einzuwenden gewesen wäre, wollte ich einfach nicht!

Es sieht so aus, als bekäme ich auf meine alten Tage noch mal Lust, Sand im Getriebe zu sein. Einfach so, ganz unideologisch, aus rein ästhetischen Gründen. Da ich immer weniger im Außen nach dem suche, was mir gerade fehlt, bin ich auch kaum mehr korrumpierbar und kann es mir besser leisten als in meinen „wilden Jahren“.

Nähe? Je näher ich mir selber komme, desto näher bin ich dem anderen. Und sobald ich mich verbindlich verhalte, bekomme ich Verlässlichkeit zurück.

Es gibt kein Problem. Nur die Freude am aufschreiben.

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Claudia am 22. September 2001 — Kommentare deaktiviert für Zueinander kommen

Zueinander kommen

Ist es in den Zeiten des Terrors und der Kriegsvorbereitungen überhaupt möglich, über Sex zu schreiben? Das hab‘ ich mich schon gefragt, als mir Willie am 14.September einen Kommentar zu einem älteren Diary-Beitrag (Sex als Dienstleistung) ins Forum postete – und dann doch geantwortet. Welches Thema wäre schon „passend“, um den Horror abzulösen, über den nachzudenken, nachzuspüren, zu reden und zu schreiben leicht zur verzweifelten Endlosschleife geraten kann? Weiter → (Zueinander kommen)

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Claudia am 16. Juni 2001 — Kommentare deaktiviert für Über das Männliche

Über das Männliche

In jedem Frühling erscheinen neue Bücher und Rezensionen über Männer. Offensichtlich gibt es da immer noch jede Menge zu reflektieren. Mann ist sich selber ein Problem, genau wie Frauen sich lange Zeit mit Geschlechtsrollen auseinander setzten – nur: Mann hat irgendwie schlechtere Karten, zumindest ideologisch betrachtet. Ein paar tausend oder hunderttausend Jahre Patriarchat (über Zeiträume will ich nicht streiten) sind nicht so ganz easy wegzustecken, zumal eine Gleichverteilung von Macht und Einfluss zwischen den Geschlechtern auch heute nicht überall verwirklicht ist.

Ich spüre immer wieder, vor allem bei Männern meiner Generation (Post-68er) und den Älteren, dass sie das Männliche verurteilen: In der Welt, wo es vorgeblich so viel Schaden anrichtet (Krieg, Unterdrückung, Umweltzerstörung…) und natürlich auch in sich selbst. Dass einige – anstatt psychisch stets Trauer zu tragen – dann in einen offensiven Machismo oder resignierten Zynismus verfallen, kommt gelegentlich vor, ist aber auch nur Reaktion. Ganz beiläufig gilt vielen das Männliche als das Böse und Zerstörerische – im Unterschied zum rundum positiv erscheinenden Weiblichen. So schreibt mir zum Beispiel ein guter Freund über Wissenschaft:

„Im Westen ist die Wissenschaft (und Technik) eine männliche Wissenschaft – im Osten ist sie eine weibliche: Mitgefühl, Liebe, Einfühlung, Gewaltlosigkeit, Akzeptanz, Selbstbescheidung – dagegen: Wille, Durchsetzungskraft, Ego, Selbstsucht, Unabhängigkeit, Auflehnung.“

Arme Männer, kann ich da nur sagen! Moralisch völlig unten durch. Ich glaube aber nicht, dass der Geschlechterkampf enden kann, solange Männer und Frauen eine der beiden Seiten in sich diskriminieren.

Früher suchte ich selber immer den „Menschen im Mann“, als wäre der Mann etwas zu Überwindendes, ein archaischer Restbestand, bedauerlicherweise noch wirkungsmächtig. Heut‘ freu‘ ich mich über jedes bißchen „Mann“, das noch in der Packung ist! Und wenn die Männer selber das Männliche an sich mögen, ist es noch besser.

Natürlich ist alles, was man jeweils als männlich oder weiblich zu fassen meint, „nur“ eine Zuschreibung – gefestigt durch Jahrhunderttausende Tradition, oder meinetwegen auch codiert in den Genen… Doch jede und jeder trägt alles in sich und muss – zugunsten des eigenen Seelenheils – die je andere Seite in sich finden und lieben lernen.

Ich brauche mir nur die Urszene vor Augen führen, um zu erkennen, wie diese Traditionen und Zuordnungen entstanden sind, davon ausgehend, dass Menschen „ursprünglich“ (nicht historisch, sondern absolut: bevor je ein Mann und eine Frau einander begegneten und aneinander zu Vater und Mutter wurden) gleich sind, und keine verschiedenen Tierarten, die sich zufällig miteinander paaren können.

Urszene: Frauen werden schwanger und bekommen abhängige, pflegebedürftige Kinder. Wesen, die einige Zeit an ihnen hängen bleiben, das ist ja bei allen Säugetieren so. Dadurch teilt sich automatisch eine Arbeit das aller erste Mal: Die einen kümmern sich um die Kinder, die anderen passen auf, dass kein Angreifer kommt, bzw. bekämpfen die Angreifer, sofern doch welche kommen. (Daß man sich dabei langweilen kann und selber mal losgeht, ‚rüber zur nächsten Horde, wo die anderen Frauen sind, ist auch verständlich..)

Beides ergibt gleich überlebenswichtige, unverzichtbare und moralisch völlig gleich zu bewertende Eigenschaften: das Kämpferische am Mann, Beziehungswerte bei der Frau. Die Grundfrage des Mannes ist immer: „Was droht? Will mir hier einer an den Karren fahren? Wo steht der Feind?“ Und die weibliche Frage heißt: „Schadet das der Beziehung?“ (was immer es ist, das kann gut auch mal der Weltuntergang sein…).

Weil alle Menschen eine Mutter haben und also zunächst von Beziehungswerten existieren, ist es leicht zu erklären, dass dieses Beziehungsverhaftete (=weibliche) als das grundsätzlich Gute, Wahre und Schöne durchgeht, zumindest in der ganz individuellen Erfahrung sich so einprägt. Wogegen das Männliche erst später bemerkt wird. Dazu muß nämlich der Verstand schon erwacht sein, bevor das Kind den väterlichen Anteil am Überleben (=die erfolgreiche Verteidigung, das Siegen im Kampf) überhaupt bemerken kann. Hier ist der „abwesende Vater“ noch der GUTE Vater.

Dazu gibt es auch eine persönliche Geschichte. Rein vom Denken kommt der Friede leider nicht, und deshalb erzähl‘ ich die hier, ganz kurz:

Als älteste Tochter eines Vaters, der Frauen eigentlich hasste, war mir das alles nicht leicht gemacht, der Umgang mit Geschlechtsrollen mehrfach „ver-rückt“. Er behandelte mich eher wie einen Sohn, verlangte vor allem Stärke und – wenn das schon nicht klappte – wenigstens Intellekt. (Wissenschaft ist vom Mann her gesehen also schon zweite Wahl) Er diskriminierte das Weibliche im mir, wollte nicht mal, dass ich mir die Haare wachsen lasse. Ganz spät erst wurde mir klar, dass er so reagieren musste, weil er mit seinen sexuellen Gefühlen gegenüber der Tochter nicht zurecht kam (und sich für diese auch noch verachtete…) .

Im Ergebnis lebte ich in der ersten Lebenshälfte fast nur den männlichen Aspekt, ohne dass ich das als „das Männliche“ hätte anerkennen können: das Zupackende, Aktive, ja, Agressive und Kämpferische, mutiges, gelegentlich selbstzerstörerisches Kriegertum eben. Und ich kämpfte – einig mit der Frauenbewegung – gegen die Zuschreibung, die diese Eigenschaften als männlich betrachtet, sozusagen okkupiert und uns vermeintlich vorenthält. Eine Einstellung, die uns auch noch als „unweiblich“ dastehen lässt, wenn wir uns für eine gute Sache einsetzen… Schließlich ist eine Löwin, die ihre Jungen verteidigt, auch recht kämpferisch!

Als ich mit der „männlichen“ Art dann so Mitte dreißig nur noch an Wände lief und schließlich das Kämpfen erstmal von mir abfiel, änderte sich alles grundstürzend. Ich erkannte die „weibliche“ Seite der Welt, befand mich mitten drin, stellte auf einmal fest, dass ich nun Eigenschaften meiner Mutter lebte, die mir sogar als großer „Fortschritt“ erschienen. Es dauerte allerdings ein paar Jahre, bis ich im neuen Leben die neuen Werte als „weiblich/mütterlich“ erkennen konnte, ich verstand es eher als eine Art Erleuchtungsfortschritt. (ja, lacht nur!).

Erstaunlich war, dass meine „Führungskraft“ in Gruppen und Arbeitszusammenhängen dadurch gewonnen und nicht etwa verloren hatte. Es ging jetzt nicht mehr darum, mich durchzusetzen oder meine Stellung zu behaupten („Wer will mir hier an den Karren fahren?“), sondern ich konnte jetzt anstrengungslos von mir absehen und – ganz unverbissen – einer Sache bzw. einer Gruppe dienen. Auf einmal hatte ich auch keine Angst mehr, womöglich als „autoritär“ angesehen zu werden, was mich vorher immer schreckte, wenn ich mal wieder irgendwo sagte, wo’s denn lang gehen soll. (Seltsamerweise hat mich niemals mehr wieder jemand als autoritär bezeichnet.)

In einer Gestalt-Therapiegruppe hatte ich zu dieser Zeit Erlebnisse, die mich das Männliche in Reinform (bzw. das, was es für mich ist), in mir selbst sehen und spüren ließen. Ich sah mich in einem gefühlsgeladenen inneren Bild als Kriegerin – und fand mich wunderbar! Sah mich gleichzeitig von außen (als moralische Instanz, ganz wach) und spürte das wunderbare Gefühl, das man (und auch frau) haben kann, wenn der Kampf beginnt.

Das ist, wenn man das Visir herunterklappt und es wirklich los geht! Dann ist das Diskutieren nämlich zu Ende, sei es, um sich mit Gruppen abzustimmen, sei es im eigenen inneren Dialog der Rechtfertigungen und Abwägungen. Das Visir klappt zu und jetzt geht es nur noch um eines: Gewinnen, siegen! Und man ist ganz allein, ganz auf sich selbst gestellt, nicht einmal mehr Gott ist da gefragt, wenn die volle Aufmerksamkeit allein auf den Gegner und dessen Niederringen gerichtet ist. (Der meldet sich allenfalls hilfreich zu Wort, wenn man zweifelt und sich nicht traut, wie etwa bei Arjuna in der Baghavadgita)

Durch das Visir sieht man die Welt nur noch durch kleine Schlitze, ein schönes Symbol. Es ist eine spezifische geistige Verengung, die dafür nötig ist, kämpfen zu können. Man gibt dabei sehr viel auf, was den Menschen ausmacht, und wir könnten es gar nicht leisten, würden wir uns dabei nicht auch ein Stück weit selbst erfahren und verwirklichen – indem wir in jedem Kampf neu dem Tod und dem Unbekannten entgegen treten.

Es ist die – schreckliche UND schöne – andere Seite derselben Verengung, für die „das Weibliche“ steht: Beziehung als oberster Wert, also persönliche Liebe, Bindung, Fürsorge, Hingabe. Aspekte, ohne die die Welt nicht bestehen könnte, aber gleichzeitig so beschränkt – genau gleich beschränkt wie das Kriegerische.

Heute liebe ich das Männliche in der Welt, seit ich eben weiß, dass es die eine, unverzichtbare Hälfte ist, die aber ohne die andere wenig Glück zustande bringt, genau wie umgekehrt.

Im Lauf des Lebens – so kommt es mir wenigstens vor – geht der Gang eher vom Männlichen hin zum Weiblichen, oder besser und weit richtiger: das Männliche geht von außen (=Front) nach innen, das weibliche den umgekehrten Weg. Im besten Fall wirke ich dann nach außen weich, harmonisch, liebevoll – doch im Inneren ist große Klarheit und Stärke, unkorrumpierbar, ohne Wahl.

Was die Welt im Ganzen angeht, wundere ich mich nicht, dass ein paar wenige Jahrhunderte noch nicht alles geändert haben – aber die Zeit arbeitet für den Ausgleich, für das Weibliche, denn Beziehungswerte werden immer wichtiger. Gerade in einer globalisierten und immer mehr vernetzten Wirtschaft.

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Claudia am 03. Dezember 2000 — Kommentare deaktiviert für Sex als Dienstleistung

Sex als Dienstleistung

Endlich rückt das Aufstehen in die Frühe vor: Heute immerhin schon um sieben vor dem PC angekommen! Meine Idee, die einem echten Bedürfnis entspringt, nämlich die Zeit der Helligkeit mehr in Richtung Mitte der wachen Zeit zu legen, verwirklicht sich langsam. Ich hoffe, im Lauf dieses Winters nochmal auf sechs, wenn nicht fünf Uhr Aufstehzeit zu kommen!
Sowas hätte ich vor 20 Jahren für vollkommen irre gehalten. Wie die meisten Jungen war ich Langschläferin und NACHTMENSCH, wie man von sich gerne sagt. Freiheit bedeutete zu allererst, ausschlafen zu können, solange ich mochte. Komischerweise reflektierte ich nicht, wie frei oder unfrei ich eigentlich davon war, täglich bis vier Uhr morgens in die Kneipen zu rennen. Na, so ändern sich die Zeiten. Heute finde ich es geradezu abenteuerlich, einfach in mich hineinlauschen zu können und von daher meine Schlafens- und Wachzeien zu wählen. Im Prinzip…. :-) Faktisch nimmt man ja doch Teil am kollektiv Gewohnten, und sei es nur durch die abendliche Tagesschau, die ich noch immer nicht durch Radio oder Internet-Schlagzeilen ersetzen mag.

…und jetzt das mit dem Sex.. :-)

Apropos Schlagzeilen: Wichtige Veränderungen kommen manchmal auf leisen Sohlen daher. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin in Sachen Cafe „Pssst“, dass Prostitution heute nicht mehr in jedem Fall als sittenwidrig angesehen werden kann, ist so ein Fall. Endlich der erste kippende Domino-Stein, der vermutlich all die in Gesetze und „ständige Rechtsprechung“ gegossenen Diskriminierungen und Ausgrenzungen, Lügen und Heucheleien rund um den käuflichen Sex zu Fall bringen wird.

Im Einzelfall, der zu entscheiden war, ging es mal wieder um die Frage, ob die Betreiberin einer Bar an selbständige Huren stundenweise Zimmer vermieten darf, ohne sich der „Förderung der Prostitution“ schuldig zu machen. Bisher ging das nicht, die Zimmervermietung mußte über einen Strohmann laufen, um nicht zum Verlust der Konzession zu führen. Auch durfte das Ambiente keinen „gehobenen Eindruck“ machen, alles, was die Arbeitsbedingungen der Huren normalisiert und angenehmer macht, war (und ist in vielen Punkten immer noch) verboten.

Ein Ende dieses verrückten Zustands ist jetzt in Sicht. Rot-Grün plant ein Anti-Diskriminierungsgesetz, das es Huren ermöglichen wird, voll versichert und rechtlich rundum anerkannt zu arbeiten. Ihre Dienste werden als ganz normale Dienstleistungen bewertet, ähnlich wie Massage und Krankengymnastik. Richtig so!

Warum ich mich darüber freue? Schließlich könnte man auch darüber trauern, dass offenbar der real existierende Porno-Markt und die gesamte verlogene Übersexualisierung in den Medien nun dazu führt, dass sogar der offizielle „Maßstab der Sitten“ sich ändert. Ich ziehe es vor, das anders zu sehen: Die Entkriminalisierung und Enttabuisierung der bezahlten sexuellen Dienstleistungen hat vielleicht eine befreiende Wirkung. Wenn deren Nähe zum Schmuddligen, Verbotenen, jedenfalls politisch Unkorrekten tendenziell abnimmt, dann können sich vielleicht in Sachen Sex entspanntere Verhältnisse entwickeln – NICHT NUR im Bereich der Käuflichkeit!

Die Energie, die immer da ist

Um über Sex zu reden, muß man seine Grundeinstellung dazu mitteilen. Was ich „damals ’68“ als 14-Jährige einem oberflächlichen Underground-Mainstream ahnungslos nachplapperte, ist mir im Lauf eines erfahrungsreichen Lebens – dem gesellschaftlichen Rollback entgegen – zu tiefster Gewissheit geworden: Sex ist zuvorderst kein Zeichen der Liebe oder gar Unterpfand für Bindung und Geborgenheit, sondern ein Grundbedürfnis wie Essen & Trinken, eine Energie, die IMMER da ist, mal weniger, mal mehr spürbar, mal angenehm, mal eher unangenehm. Das Wegdrücken der Sexualität in nur ganz schmale erlaubte Bereiche, das die Gesellschaften immer schon pflegten, hat viele Gründe, für die es im Einzelnen Pro und Contra geben kann, doch mit Wahrheit hat das alles nichts zu tun. Zudem sind diese Unterdrückungs- und Kanalisierungsmechanismen allermeist unbewusst, es gab und gibt da kein Kollektiv wacher und bewußter Menschen, die sagen: Wir wollen das so!

Weite Bereiche der Sexualität werden so in eine Schmuddelprostitution gedrängt, von der kein Mann (und erst recht keine Frau) behaupten kann, er oder sie pflege hier den aufrechten Gang. Oder ist es etwa möglich, während einer Party mit Arbeitskolleginnen (!) und Kollegen zu sagen:

„Hey, ich war da gestern abend bei Mona in der Bleibtreustraße. WOW, die konnte mich für eine Eeeeewigkeit knapp vor dem Point of No-Return halten! Ich konnte alles vergessen, sogar mich selbst, es war großartig…
Sie nimmt übrigens keine Kreditkarten, sie meint, es sei ihr zu teuer und zu umständlich, bis das Geld wirklich da ist.“

Ganz ähnlich also, wie man zum Beispiel einen guten Koch oder ein neues Restaurant rühmt und dann zu anderen Themen übergeht.

Warum nicht?

Fakt ist, dass das ganz normale Geschlechterverhältnis entlang der sexuellen Ebene noch immer belastet ist wie eh und je. Auch der angeblich „kostenlose“ Sex liebevoll verbundener Paare ist gewöhnlich alles andere als easy; zuvorderst deshalb nicht, weil er (wie die Beziehung selbst) als regelmäßig und dauerhaft, als friedlich-verläßlicher „Normalzustand“ erwartet und gewünscht wird. Was normal ist, wird dabei auch noch an der Zeit der heftigsten Verliebtheit gemessen, wo man nicht viel anderes im Sinn hat, als möglichst viel Zeit miteinander im Bett zu verbringen. Aber kaum ist das abgeflaut und mensch beginnt, die Welt wieder wahr- und das eigene Leben wieder aufzunehmen, wirkt das auf den Partner als Entzug, gar als ungewollte Verstoßung, jedenfalls als eine Art BEWERTUNG. Schau an, es gibt wieder andere Prioritäten!

Selbst dann, wenn er oder sie selber schon heftig nach Luft schnappt und wieder mehr Raum und Energie für die Eigenbewegung braucht, geschehen diese negativen Bewertungen, es geht jetzt um Bedeutung und nicht mehr ums Erleben. Der Sündenfall ist da, das Kind im Brunnen. Es herrscht jetzt der Psycho, nicht mehr Eros oder Pan.

Das Erlebnis, größer werdende Teile der Aufmerksamkeit des endlich gefundenen und geliebten Partners auch wieder zu verlieren, macht junge Menschen verständlicherweise agressiv, traurig, ängstlich oder verbittert. Schließlich hofft man da noch, beim Anderen alles Heil zu finden, das man in diesem seltsamen Leben auf einer unerklärlichen Welt nötig haben könnte. Und wenn schon das nicht, so ist er (oder sie) doch wenigstens ein verläßlicher Verbündeter im Unbekannten – oder etwa doch nicht?

Hier geht es nicht mehr um Sex. Ich denke, das ist leicht erkennbar. Es geht um ganz andere Aspekte des In-der-Welt-Seins, der Sex wird mit ihnen nur unzulässig befrachtet. Leider geht das immer so weiter, springt von einem Thema zum nächsten, wird zur Methode der nichtmentalen Kommunikation. Das Bewerten des sexuellen Aufeinander Zugehens oder Fernbleibens im Hinblick auf Bedeutung für Anderes tötet das ursprüngliche und Unverfügbare der Erfahrung, macht einen Teil davon (den jeweils postiv bewerteten) zur möglichen Währung, den anderen Teil zum möglichen Sanktionsmittel. Und wer sich ganz unerwartet mit solchen Machtmitteln ausgerüstet sieht, müßte schon ein Heiliger oder eine Heilige sein, um sie niemals zu benutzen, meint ihr nicht auch? (Und was war mit der Hure? fragt der innere Assoziationsblaster…)

Nähe – sexuell ein Flop?

Wie immer: die sexuelle Dimension vieler Paare ist auch deshalb belastet, weil sie früher oder später erleben, dass die im besten Fall zunehmende geistig-psychische Nähe, aus der echte Verantwortung und dauerhafte Bindung entsteht, auf sexuellem Gebiet eher kontraproduktiv ist. Man fühlt sich verbunden, will aber immer weniger voneinander. Spirituell ist das ein Gewinn, sexuell eher ein Verlust, denn das Wesen des Sexuellen enthält auch etwas Forderndes, ja, agressives. Eben das, was verschwindet, wenn man sich wirklich nahe kommt. (Das Leiden am sog. „Kuschelsex“ hat hier seinen Ursprung.)

Wenn man sich erinnert, dass Sexualität ja doch ursprünglich im Zusammenhang mit Fortpflanzung entwickelt wurde, ist der agressive Aspekt nicht weiter verwunderlich. Schließlich mussten sich die Zweigeschlechtlichen Wesen bis ins 20ste Jahrhundert physisch recht nahe kommen, um sich fortzupflanzen zu können (einzig der Mensch macht da neuerdings einen „FORT-Schritt“). Und das als verteidigungsfähige erwachsene Einzelwesen, aus der Grabbelgruppe lange ‚raus! Unter den Spinnen überleben das manche Männliche nicht. Sex war nie NORMAL.

Es ist unsere Schuld, wenn wir Sexualität technisch von der Fortpflanzung lösen (uns davon „befreiend“), dann aber nicht neu interpretieren und nur armselig oder überhaupt nicht kultivieren. Unser Fehler, wenn wir immer noch das Märchen von der lebenslangen Liebe mit der regelmäßigen und erfüllten Sexualität (hier und nirgends sonst!!!) glauben oder im Zuge des neuen Konservatismus wenigstens wieder herunterbeten – damit die Welt im globalisierten Sodom und Gomorra nicht ganz vor die Hunde gehe.

Meiner Generation (den Post-68ern) hat AIDS die Sprache verschlagen. Wir sind zugunsten des Überlebens von der richtigen Einsicht abgewichen, die wir im realen Leben sowieso nicht „durch Verordnung“ verwirklichen konnten. Das ist keine Schande, aber in den Zeiten von BSE muss man wieder Worte finden.

Die genannten und weitere eigentlich unerotische (Paar-)Verstrickungen zeigen jedenfalls eines: Kostenlos ist das alles nicht. Man kann gut verstehen, dass viele gerne Geld zahlen, um frei von all diesem Ballast Sexualität zu erleben. Um dafür auch die allen wohlgefälligen „guten Sitten“ entwickeln zu können, darf Sex als Dienstleistung jedenfalls nicht mehr als „sittenwidrig“ gelten. Gelobt sei das Verwaltungsgericht Berlin! Der ‚heiligen Hure‘ Felicitas, die es mit vollem persönlichen Einsatz durchgeboxt hat, gebührt dagegen ewige Dankbarkeit.

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Claudia am 10. Oktober 2000 — Kommentare deaktiviert für Tauschgeschäfte

Tauschgeschäfte

Vor den Zeiten des Netzes dauerte mein längster Job gut zwei Jahre, eine kleine Ewigkeit. Per Netz arbeite ich nun seit 1996, lange voller Euphorie über die Bequemlichkeit und Effektivität, mit der ich von zuhause aus heute dieses und morgen jenes tun kann. Web-Aufträge dauern nicht lang, dazwischen passen eigene Projekte, bei denen ich tun kann, was ich will. Ein Paradies! So dachte ich lange, sehr sehr lange. Jetzt vergeht das fünfte Jahr, der dritte Computer rumpelt, der zweite Monitor strahlt 19 Zoll breit, der dritte und teuerste Bürostuhl meiner Sitz-Karriere schont meine Wirbelsäule – und seit einem guten Jahr sitze ich sogar in der gewünschten Wohnung auf dem Land. Und jetzt? Weiter → (Tauschgeschäfte)

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Claudia am 09. Mai 2000 — Kommentare deaktiviert für Geschlechterkampf

Geschlechterkampf

Im TV schau ich mir gerade noch die Tagesschau und ab und an einen Fernsehkrimi an: Tatort, Polizeiruf, K3 etc.. In jedem einzelnen Film fällt mir auf, dass ihr gesellschaftliches Hauptthema – neben der eigentlichen Krimihandlung – das Geschlechterverhältnis ist. Und zwar aus der Sicht von Männern zwischen 40 und 60, die stets und ständig mit fähigen erfolgreichen Frauen konfrontiert werden und auf unterschiedliche Weise daran kranken, mal mehr, mal weniger humorig dargestellt. Frauen als Kommisarinnen, Staatsanwältinnen, Sonderkommisionsleiterinnen, Ausbilderinnen, Gerichtsmedizinerinnen – und Frauen in der Wirtschaft, an Top-Positionen, souveräne Frauen mit vielen Fähigkeiten, die, wenn sie denn mal in die Rolle der Verfolgten geraten, den Täter letztlich selber erledigen – der retten-wollende Mann kommt immer zu spät. Die Heldenrolle ist – für Männer – passé, zumindest im deutschen Fernsehkrimi. Weiter → (Geschlechterkampf)

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