Thema: gesund leben

Claudia am 02. September 2010 — 4 Kommentare

Entspann dich gefälligst? Muße geht anders!

Es sind die einfachen Dinge, die richtig schwer fallen. Das vermeintlich allereinfachste, nämlich „gar nichts tun“ muss ich mir regelrecht erobern, erkämpfen, zumindest ganz bewusst erlauben. Geeignete Gelegenheiten wahrnehmen und dann aufpassen, dass ich nicht allzu schnell wieder ‚raus falle…

Das Problem mit der Muße

Die viel gelobte, aber wenig praktizierte Muße als „Pause des Geistes“ fällt mir schwer, weil ich mich durchweg in der Pflicht fühle, etwas zu tun. Das ist beileibe nicht immer bloß das Abarbeiten von ToDo-Listen im beruflichen Sektor: da sind auch Vorhaben und Zukunftsprojekte, die beplant werden wollen, allerlei Erledigungen für die „Behördenfront“, alle Arbeiten im Haushalt, waschen, aufräumen, einkaufen, Pflanzen gießen, mal wieder renovieren, Hausverwaltung kontakten etc. usw. Weiter → (Entspann dich gefälligst? Muße geht anders!)

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Claudia am 17. November 2004 — Kommentare deaktiviert für Eis auf heißer Haut

Eis auf heißer Haut

Diesmal ist die Drehschranke ausgefallen und die Frau an der Kasse fordert dazu auf, das Plastikarmband trotzdem ans rote Lämpchen zu halten. Klar, der Saunagast muss ja einloggen ins System, das die Schrankschlösser und eventuell gespeichertes Geld verwaltet. Kleider sind hier nicht erlaubt, aber ohne Chip geht nichts.

Bei meinem ersten Besuch im Blub war gleich das ganze System ausgefallen. Die Leute saßen nackt auf den Bänkchen vor den Spinden und warteten. Mein Begleiter und ich setzten uns in voller Montur dazu, was sollten wir machen? Die Stimmung war erstaunlich gut, niemand ärgerte sich lautstark über die digital verriegelten Schränke, deren rotes Lämpchen nicht mehr zu grün wechseln wollte, Chip-Kontakt hin oder her. Ein Loch in der Zeit hatte sich aufgetan und alle nutzten es, um ein bisschen zu plaudern und miteinander zu scherzen. Sauna ist in manchen Momenten Utopia – echter Friede in Frottee-Handtüchern und Badelatschen.

Nach ca. zehn Minuten erschien ein nervöser junger Mann, der uns verkündete, der Server sei abgestürzt, aber der Admin sei nun gerade dabei, sich einzuloggen. Man werde sehen. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, aber nicht wegen der Raumtemperatur. Ein Fremdkörper in Verteidigungsbereitschaft, der nicht mitbekam, dass gerade kein Angriff drohte.

Nach dem Dampfbad, mit dem ich immer beginne, um der Lunge ein Reinigungserlebnis zu verschaffen, das sie dringend braucht, liege ich im verglasten Halbdunkel unter Palmen. Mein Körper arbeitet auf Hochtouren, um die lange nicht erlebten intensiven Reize zu verarbeiten. Überall angenehmes Prickeln, spürbar intensiver strömt das Blut durch kleinste, ansonsten wohl kaum mehr gekannte Äderchen. Den Atem fühle ich bis hinunter in den großen Zeh und wenn ich mich darauf konzentriere, kann ich überall ein sanftes Pulsieren spüren – ah, wozu noch denken?

Um mit dem Mitmenschen in Kontakt zu bleiben. Mein Begleiter beantwortet die nicht gestellte Frage, indem er das Wort erhebt. Wir sind zwei voneinander getrennte Wesen und können das Pulsieren, das Atmen und Strömen nicht gemeinsam spüren. Wenn ich also mit meiner Aufmerksamkeit in mein Erleben hinein gehe, entferne ich mich von ihm, bin seiner nicht mehr gewahr – und das erscheint als Sünde gegen den Geist des Miteinanders.

Träge fließen meine Gedanken dahin, ich höre zu, nicke, verstehe, merke dann plötzlich, dass mir ein Stück fehlt, muss wohl abgedriftet sein, egal. Atmen ist so schön, es fällt mir schwer, daneben noch etwas zu veranstalten. Vielleicht wär‘ ja ein Leben als Pflanze auch nicht übel.

Bis Mitte dreißig glaubte ich, man könne die Getrenntheit überwinden, indem man sich zusammen aufs Bett legt und fest umarmt. Also ganz oft ausprobiert, mit den unterschiedlichsten Mitmenschen in ebenso verschiedenen Beziehungsformen, mit und ohne Sex. Es klappt aber nicht, man macht sich höchstens etwas vor. Was im glücklichsten Fall stattfindet, ist genau dasselbe wie ohne Berührung: Man driftet ab in die eigenen Bestandteile, wird zur Zelle, zum Blutstropfen, zum Luftstrom in der Nasenhöhle, zur Hautoberfläche, zur sich hebenden und senkenden Brust. Berührung, einmal angenommen, sie sei optimale Resonanz, ohne den Schimmer eines Missklangs, verschmilzt nur einfach mit jenem Orchester sinnlicher Empfindungen, in das hinein ich mich auflöse. Ich verschwinde – egal, ob in Richtung vegetabiler Trance oder in Richtung Orgasmus: je mehr ich die Aufmerksamkeit von der Welt der Bedeutungen abziehe und mich ins Spüren des Daseins vertiefe, desto weniger ist da jemand, der noch jemand anderen treffen könnte. Man mag zusammen KOMMEN, aber man kommt dennoch nicht zusammen.

Irgendwie sind wir jetzt doch zusammen in die Blockhaussauna gekommen, fünf Minuten vor der vollen Stunde, dann beginnt nämlich der Aufguss. Wunderbar, mal wieder all diese vielfältig geformten Nackten zu sehen, echte Menschen, keine Werbeplakate. Gegenüber eine zierliche Asiatin mit so kleinen Brüsten, dass das Wort „Knospen“ mal wirklich passt. Neben ihr die schlanke Endzwanzigerin in vorgebeugter Haltung, auch ihre winzigen Erhebungen betrachte ich mit Staunen. Ich merke, warum ich hinschaue: wer weiß denn, wie lange so etwas noch zu sehen ist?! Mein Blick archiviert das Gesehene bereits für eine Zukunft gleichmäßig aufgeblasener Silikonbrüste, in der es wirklich Mut kostet, sich mit „abweichenden Formen“ überhaupt noch zu zeigen. Dabei werde ich das doch gar nicht mehr erleben – oder doch?

Ich hab‘ mir einen Schneeball aus zusammen gedrückten Eisbröckchen mitgebracht. Inmitten der glühenden Winde, die der Herr des Aufgusses mit einem großen Handtuch entfacht, nachdem er Wasser mit Melissen-Aroma auf die heißen Steine gekippt hat, kühle ich meine Haut mit Gefrorenem. Das ist zwar nicht Sauna-gerecht, denn nur trockene Haut kann richtig schwitzen, aber ich genieße es, will heute gar nicht die reine Lehre, das garantiert Gesunde und Förderliche, will nur spüren und genießen: Eis auf heißer Haut.

Der Mann vor dem Ofen gibt sich Mühe, gießt neu auf, wedelt durch die Luft, doch hält er das Tuch falsch, so dass ihm zwar die Anstrengung ins Gesicht geschrieben steht, aber kaum ein echter „Gluthauch“ entsteht. Ich vermisse Christian, den Meister der Elemente, der so unnachahmlich gelassen das Handtuch schwingt. Der es versteht, durch langsame Steigerung der Intensität die Anwesenden an ihre Grenze zu bringen, bis ein Aufstöhnen durch die Runde geht, wenn er kundig die Luft peitscht. Auf der dritten Etage, wo es sowieso am heißesten ist, glaubt man glatt, nun gleich zu verbrennen. Die Tür ist zu, das Schild „Achtung, Aufguss!“ verwehrt Neuen den Zutritt, und selbstverständlich wagt es niemand, inmitten des Rituals den Raum zu verlassen – ums verrecken nicht, denk ich mir manchmal, während ich mir das Handtuch über den Kopf ziehe, um mich ein wenig gegen das Schlimmste abzuschirmen. Warum tun wir uns das an, frag‘ ich mich, während ich zusammengeduckt den nächsten Gluthauch erwarte und Andere, die noch weit leidensbereiter sind, sogar aufstehen, um der heißen Luft eine größere Fläche zu bieten. Und warum bin ich jetzt mit dem Aufguss des „Ersatzmanns“ nicht zufrieden, wo doch alles so schön im locker erträglichen Wellness-Bereich bleibt?

Mein Eisball ist geschmolzen, den kleinen Rest lasse ich mir auf der Zunge zergehen. Ich genieße die konzentrierte Stille, die Abwesenheit jeglichen Geredes. Es genügt, zu fühlen, zu spüren, zu sehen. Jeder für sich, und doch alle zusammen, niemand will etwas vom Andern, denn das, was ist, reicht völlig aus – na ja fast! Wenn Christian das Handtuch geschwungen hätte….

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Claudia am 11. Juni 2004 — Kommentare deaktiviert für Fordern ist Fördern: Dem Schmerz begegnen

Fordern ist Fördern: Dem Schmerz begegnen

Gestern bin ich also wieder losgelaufen. Zweiter Versuch, vom „zügigen Gehen“ über korrektes Walken nun endlich mal ins Joggen zu kommen. Ich HASSE Joggen, immer schon. Nirgends schien mir der Spruch „Sport ist Mord“ so gut zu passen wie zu den verzerrten Gesichtern der Leidenden, die mir auf meinen Spaziergängen in immer größerer Zahl begegnen. Warum tun sie sich das nur an? Selten nur sehe ich einen Läufer, der harmonisch in der Bewegung aufgeht. Die meisten schleppen sich eher dahin, schwitzend und verbissen vor sich auf den Boden starrend – ein Elend!

Dachte ich mir so, ganze Jahrzehnte lang. Doch genau wie der Feige sich abfällig über jegliches Hervortreten aus der Masse äußert und mutige Taten zynisch belächelt, speiste sich meine Ablehnung aus eigenem Unvermögen. Alle paar Jahre hatte ich es mal ausprobiert und immer war ich kläglich gescheitert. Keine 300 Meter konnte ich laufen! Binnen kürzester Zeit geriet ich völlig außer Atem, der ganze Körper ein einziger Schmerz, das Herz raste und mit hochrotem Kopf gab ich entnervt auf. Brauchte dann zehn Minuten, um mich von diesem „Wahnsinn“ wieder zu erholen. Ob mit zwölf, zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren: Joggen war und blieb mein sportlicher Mega-Flop, die beste Methode, mich als Totalversagerin zu erleben – und wer mag das schon?

Mal gucken…

Jetzt also, mit fast fünfzig, ein neuer Versuch. Mittlerweile bin ich belehrt, dass Joggen für sportliche Anfänger nicht das Richtige ist. Ein bisschen Fitness sollte schon sein, damit der Kraftaufwand, um die Füße im Laufschritt vom Boden abzuheben, für kurze Zeit geleistet werden kann ohne in das verhasste Gefühl „gleich sterbe ich“ zu verfallen. Das lässt hoffen, denn mittlerweile bin ich fitter denn je. Die vielen Spaziergänge, die sonntäglichen Wanderungen und das in letzter Zeit wieder forcierte Training im Center sind nicht spurlos an mir vorüber gegangen. Locker steige ich mehrmals am Tag die drei Treppen zu meiner Wohnung hoch, ignoriere auch mal die U-Bahn und gehe zu Fuß den Weg nach Kreuzberg: Bewegung fühlt sich gut an!

Ein lieber Freund, der sichtlich nicht „gut zu Fuß“ ist und auch für kleine Strecken lieber ein Taxi ruft, gab mir den letzten Anstoß, dem Joggen mal wieder eine Chance zu geben. Er läuft seit Jahren täglich eine halbe Stunde und schwärmte mir vor, wie schnell sich sein Empfinden von „ätzend“ zu „ekstatisch“ gewandelt habe – ja, er wäre eine Zeit lang geradezu süchtig danach gewesen! Da er immer kräftig, fröhlich und voller Energie ist, wenn ich ihn treffe, kann ich ihm das glauben, auch ohne dass er meine Freude am „zügigen Gehen“ teilt.

Süchtig auf Joggen? Das hab‘ ich schon öfter gehört, immer ein bisschen neidisch, denn selber neige ich zu deutlich weniger gesunden Suchtmitteln. Die Hürde vom Leiden zur Lust erschien jedoch unüberwindlich, bisher jedenfalls.

Letzten Samstag lief ich dann los. Bloß nicht nachdenken, einfach machen! Rechts raus aus der Haustür, den Rudolfplatz entlang, vorbei am Tante-Emma-Laden bis zur nächsten Kreuzung, wo ich schon gleich von der roten Ampel gestoppt wurde – BEVOR ich außer Atem gekommen war! Also weiter. In langsamem Laufschritt schaffte ich es noch zwei Häuserblöcke weiter, dann begann das eklige Gefühl, nicht mehr genug Luft zu bekommen. Anstatt das auszuhalten bis an unerträgliche Grenzen, verfiel ich ins Walken, erholte mich dabei ein wenig, bis ich mich wieder fähig fühlte, erneut eine Strecke zu versuchen: vielleicht bis zur nächsten Ampel da vorne???

An diesem Tag lief ich so ohne Pause einmal rund um die Halbinsel Stralau. Meistens walkend, doch immer mal wieder eine kurze Strecke im Laufschritt. Mehrfach geriet ich ins Schwitzen, was sich sogar angenehm anfühlte – als Sauna-Gängerin hab‘ ich nichts gegen Schwitzen, erlebe es nicht mehr als Anzeichen des nahenden Kreislaufkollapses, wie früher.

Und dann das große Wunder: die jeweils ersten Momente der „Laufphasen“ empfand ich tatsächlich nicht mehr als extreme Anstrengung. Kurzzeitig fühlte es sich sogar richtig gut an! Doch schon gleich wurde es mühsamer, gerade noch ohne inneres Jammern und Schimpfen leistbar, solange ich mich weiterhin auf einen ruhigen Atem konzentrierte. Komm, noch bis da vorne hin! Auf den letzten paar Metern der insgesamt lächerlich kurzen Strecke erreichte ich dann das Reich des Leidens, das mich bisher von allem derartigen Tun so erfolgreich abgeschreckt hatte. Die Beine wogen plötzlich fünfmal soviel, wenn ich sie noch vom Boden abheben wollte, Füße, Waden, Schenkel und Schienbeine schmerzten – und dieser (für sich allein betrachtet gar nicht so furchtbar schlimme) Schmerz breitete sich von innen her über den ganzen Körper aus – bis in die Arme, in den Kopf, ins Herz. Ich hörte auf zu laufen, fiel schwer atmend zurück ins Walken. Intuitiv merkte ich, dass es wichtig ist, nicht zu STOPPEN, wie ich es früher immer tat, wenn es unerträglich wurde. Einfach weiter gehen, erleben, dass es geht, dass die Schmerzen gleich wieder verschwinden und ich es dann einfach noch mal versuchen kann.

Energie!

AnglerStralau ist eine wunderbare Lauflandschaft, grad mal zehn Minuten vom Rudolfplatz. Eine in die Spree hinein ragende Halbinsel fast ohne Autoverkehr. Interessante Fabrikruinen und architektonisch reizvolle Neubauten, Wanderwege am Wasser entlang, viel Grün, alte Bäume, blühende Gärten und Wiesen, noch brachliegende, wild überwucherte Grundstücke, die auf den Investor warten und ein idyllischer Friedhof. Zum Glück kein richtiger Park, denn der wäre in dieser zentralen Lage gleich überlaufen und zu Tode genutzt, wie praktisch alle Parks inmitten von Berlin. Hier aber bin ich jedes Mal fast alleine, genieße den frischen Duft, den Blick auf den Fluss, an dem hier und da ein paar Angler ihre Ruten ins Wasser hängen lassen. Was für eine Idylle!

Nach einer guten Stunde war ich wieder zuhause, aufs Angenehmste erschöpft. Ich spürte jede einzelne Faser meines Körpers, ruhte mich im Liegen aus und fasste den Entschluss, das jetzt öfter zu machen. Später dann, im weiteren Verlauf des Samstags, fühlte ich mich noch einige Stunden wie auf Wolken, leichter als sonst, voller Energie und Kraft. Ich staunte, denn es unterschied sich deutlich vom – auch angenehmen – Empfinden nach einem „zügigen Spaziergang“, war weit intensiver, lustvoller, deutlich länger anhaltend.

An die Grenzen gehen

Wie es so geht mit spontanen Beschlüssen, dauerte es dann doch ein paar Tage bis zum nächsten Lauf. Gestern Mittag erst sah mich Stralau wieder. Erneut lief ich kurzzeitig in den Bereich des schier Unerträglichen hinein – aber nur für ein paar Momente, so für ein kurzes Sightseeing: Was ist hier eigentlich los? Was IST das Unerträgliche, mal genau hingesehen? Seltsamerweise erwies sich keine einzige Körperempfindung, wenn ich sie isoliert betrachtete, als extrem schmerzhaft. Also ist es wohl die Psyche, die das Geschehen insgesamt von alters her derart negativ bewertet, dass aus lauter an sich erträglichen Einzelempfindungen ein kaum auszuhaltender Gesamteindruck entsteht.

Es erinnerte mich an das, was ich neuerdings im Fitness-Center erlebe, seit ich auch dort an die Grenzen meiner Kraft gehe. Den letzten Satz an jedem Gerät übe ich jeweils mit einem Gewicht, das mir gerade noch sechs bis acht Wiederholungen erlaubt – und dann ist Schluss, nichts geht mehr! Auch da erreiche ich für ein paar Momente diesen Bereich des vermeintlich Unerträglichen. Eine innere Stimme schreit dann alarmiert „sofort aufhören!“ – aber wenn man genau hinguckt, was eigentlich das Schreckliche ist, findet sich nichts Konkretes. Der Muskel weiß von ganz alleine, wann Schluss ist, und wenn ich die Bewegungen sorgfältig, ruhig und korrekt durchführe, bis es nicht mehr geht, gibt es nichts zu fürchten.

Doch auch hier derselbe spektakuläre Unterschied wie beim Laufen im Vergleich zum Walken! Eine Übungsphase, in der ich diesen zunächst beängstigenden „Schmerzbereich“ betrete, hat gänzlich andere Nachwirkungen als eine, in der ich nur mit locker handhabbaren Gewichten ein bisschen herumturne. Gleich danach spüre ich das Blut in jede Muskelfaser einschießen, ich atme besser, bin wunderbar entspannt und ein Gefühl der Euphorie breitet sich aus, das noch am nächsten mit dem Empfinden nach einem Orgasmus vergleichbar ist.

Und all das hab ich ein halbes Jahrhundert gemieden als drohe die Pest! Schon zu Zeiten meiner Kinderbande war ich die Kleinste, Jüngste und Schwächste, konnte körperlich mit den Anderen nicht mithalten und wurde dafür gehänselt und gedemütigt. In der Schule ging es dann genauso weiter. Mich wählte man als eine der letzten aus, wenn Mannschaften aufgestellt wurden, und manchmal zog ich es vor, absichtlich hinzufallen und mir das Knie aufzuschürfen, anstatt dieses ganze Herumgehetze weiter zu ertragen.
Schwimmen hatte mir anfangs noch gefallen, mein Vater nahm mich immer Samstags mit ins Hallenbad. Die ersten paar Male war es ein wunderbares Abenteuer – bis er mich seinen Kollegen „vorführen“ wollte, zeigen, was seine Tochter alles schon kann. Auf einmal MUSSTE ich vom Ein-Meter-Brett springen – oder vom Rand des Beckens einen Kopfsprung wagen, zu dem er mich zwang, indem er mir die Beine nach hinten wegzog. Prompt landete ich mit einem schmerzhaften Bauchplatscher auf der harten Wasseroberfläche und hatte fortan auch vom Schwimmen die Nase voll. Wie blöde Eltern doch sein können – und wie idiotisch ein Turnunterricht, der allein auf Wettbewerb setzt!

Wachsen oder verkümmern

Als ich dann gestern unter einem riesigen alten Weidenbaum eine Pause einlegte, ging mir all das durch den Kopf. Vielleicht, weil auch die kleinen grauen Zellen außergewöhnlich gut durchblutet waren, erlebte ich eine ganze Reihe kleiner Erleuchtungen. Nicht nur im Sport hatte ich mein Leben lang das „Reich des Schmerzes“ gemieden, sondern eigentlich auf jedem Gebiet: Solange ich nicht von außen zu neuen, vielleicht anstrengenden oder sonstwie unangenehm wirkenden Aktivitäten motiviert werde, ziehe ich das bequeme „Weiter so!“ vor. Bewege mich auf ausgetretenen Pfaden, gehe der Angst und dem Unbekannten lieber aus dem Weg. Eine Herausforderung einfach annehmen, weil sie da ist, wäre mir nie in den Sinn gekommen! Allenfalls Zwang, Ehrgeiz, oder das Ziel, durch Anstrengung und Wagnis einem größeren Übel auszuweichen, konnte mich in Bewegung versetzen. Mutig etwas tun, wovor sich Andere scheuen – ich hab‘ es allermeist nicht um meiner selbst willen getan, sondern immer, um dadurch meinen Status zu heben, um in einer Gruppe etwas zu gelten, um zu gefallen. Augen zu und durch – aber niemals: Augen auf und vorsichtig mitten hinein! Mal sehen, was da ist…

Auf einmal ist mir klar, wie man im schlechten Sinne altert. Im Lauf des Lebens wächst die Klugheit und Weltgewandtheit: man lernt, die eigenen Fähigkeiten ökonomisch einzusetzen und mit ganz gut erträglichem Einsatz ein halbwegs gemütliches Leben zu fristen. Wo man als junger Mensch noch 1000 Ängste spürt und sich überwinden muss, um zu wachsen, um einen eigenen Platz in der Welt zu finden, herrscht bald schon unaufgeregte Routine. Alles im grünen Bereich, den Spruch hör ich zur Zeit oft.

Aber das Leben ist dynamisch: wo kein Mehr-wollen und Neues-Wagen mehr geschieht, wo keine Bereitschaft mehr besteht, der Angst und dem Schmerz zu begegnen, beginnt ein subtiler Schrumpfungsprozess. Ein guter Musiker, der nicht ständig übt, verliert schon binnen weniger Tage einen Teil seiner Fähigkeiten. Das ist nicht „natürliches Altern“, sondern faules, freiwilliges Verkümmern.

Deshalb sehen die Alten in den noch naturnäheren Kulturen oft so viel besser aus, sind beweglich und fröhlich, arbeiten noch auf den Feldern mit und haben auch etwas zu sagen. Sie können sich den Herausforderungen der täglichen Mühsal nicht entziehen, sich körperlich und psychisch frühzeitig auf Bürostuhl und Bäderliege absetzen, um chronische Krankheiten und miese Launen zu entwickeln. So bleiben sie in Übung, bleiben auch als Alte in vieler Hinsicht jung.

Wir haben es „besser“. Auch ich wünsche mich nicht zurück ins vorindustrielle Zeitalter, bewahre – es ist gut, dass wir mehr denn je die Wahl haben, ob und in welcher Richtung wir uns anstrengen: beim Joggen, am Trainingsgerät, beim Yoga, Wandern oder Bergsteigen. Auf der körperlichen Ebene ist es jedenfalls am einfachsten, den Zusammenhang zwischen Anstrengung, Angst und Schmerz einerseits, Entspannung, Wohlbefinden und Lust andrerseits zu erleben.

Komisch, dass ich solange brauchte, um es zu bemerken. Und vielleicht daraus zu lernen.

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Claudia am 24. Mai 2004 — Kommentare deaktiviert für Zugeschaut: Männer im Fitness-Center

Zugeschaut: Männer im Fitness-Center

„Mein“ Fitness-Center ist eher eines von der gemütlichen Sorte. Mit gut 40 Euro pro Monat sehr erschwinglich, kein anonymer Massenbetrieb, kein glitzernder SPA&Wellness-Tempel für besser Verdienende, sondern ein von immer denselben Leuten seit über zehn Jahren betriebenes Kiez-Studio in Berlin Friedrichshain, das jedem etwas bietet. Menschen zwischen siebzehn und siebzig trainieren und schwitzen oder lassen es locker angehen, besuchen die nun endlich wunderschön erneuerte Sauna oder hängen einfach nur ein bisschen ´rum. Die Mädels hopsen in Kursen mit beeindruckenden Namen zu hektischer Musik, die junge Männlichkeit bevorzugt Karate. Und in der großen Fabrik-Etage mit all den Geräten sind sie fast alle mal zu sehen – allerdings deutlich mehr Männer als Frauen. (Die Mittsechzigerin, die da bemerkenswerte Gewichte stemmt, ist eher die Ausnahme.)

Während ich mich auf dem Laufband aufwärme, sehe ich gerne zu: Was sie tun und wie sie es machen, wie ihre Körper aussehen und wie sie sich beim Üben geben. Die Unterschiede sind erstaunlich: sowohl zwischen den einzelnen „Typen“, als auch der zu den trainierenden Frauen. Männer leiden offenbar gern, sie üben im Schmerzbereich, genau am Rand ihrer Kraft – sie wollen MEHR. Oft steht ihnen der Schweiß auf der Stirn, manche stöhnen schon mal, wenn sie gewichtige Hanteln nach oben drücken. Wogegen ich noch nie eine Frau im Center sah, die schmerzvoll ihr Gesicht verzerrt hätte.

Frauen kommen allein oder zu zweit, ziehen ihr Ding durch und bleiben für sich. Männer bilden gelegentlich „Expertenrunden“, stehen schon mal zu dritt oder viert um einen „Gerätebaum“ und reden. Was sie reden kann ich nicht mithören, aber es ist sichtbar, dass die Geübteren das Wort führen. Oft tragen sie besondere Assesoires, die einen schwer professionellen Eindruck machen: etwa einen breiten Gürtel um die Taille, oder schicke mattschwarze Handschuhe, die die Finger frei lassen. Ledermanschetten um die Gelenke sind auch recht beliebt. Da ich öfter komme und immer wieder dieselben Männer fachsimpeln sehe, konnte ich feststellen, dass einige von ihnen kaum noch selber üben. Das Center ist ihr Wohnzimmer, hier haben sie eine Aufgabe – ja warum auch nicht? Wenn ich falsch stehe, während ich so ein Ding am Seil nach unten ziehe oder drücke, werd‘ ich schon mal beraten, wie es richtig ist. Angenehm – es sei denn, ich zweckentfremde gerade ein Gerät absichtlich zu anderen Zwecken, als es gedacht ist, massiere mir z.B. mit so einem Wulst den Rücken, anstatt ernsthaft Beuge-Übungen zu machen. Das verstehen sie nicht, sehen nicht, dass ich mir grad nur „was Gutes tue“. Lust ist halt nicht das, was sie hier suchen.

Der Alpha-Mann

Gibt es einen dominierenden Fitness-Center-Typus? Der Profi-Bodybuilder mit den extremen Formen ist es heute nicht mehr, von denen gibt’s hier nur noch ganz wenige. Ich sehe eher den engagierten Amateur vorherrschen, üblicherweise ein Mann zwischen 20 und Mitte dreißig, der seinen Körper konsequent „in Form gebracht“ hat. Ständig arbeitet er dran, vor allem den Oberkörper zu „entwickeln“ und am Bauch den sogenannten „Sixpack“ entstehen zu lassen. Er trägt ein ärmelloses Hemd, damit die Erfolge seines Tuns auch gut zu besichtigen sind – und oft sind seine Oberarme mit modisch schwarz-weißen Tattos verziert. Er sieht STARK aus! All die anderen Männer, die dünneren, schmächtigeren und (noch) schlafferen, die mit den normalen Büro-Körpern und die aus der Form geratenen Bierbauchträger würden ganz gerne auch so werden – zumindest sind die Vorzeige-Typen davon überzeugt. Sie bewegen sich als selbstbewusste Alpha-Männer gänzlich anders durch die Räume als der zahlenmäßig größere Durchschnitt der (noch?) Unauffälligen.

Gefallen sie mir? Ich frag‘ mich das öfter, wenn ich ihre schwellenden Muskeln betrachte, die so „wohldefiniert“ zeigen, wie schwer sie daran gearbeitet haben. Also: wenn sie noch halbwegs „harmonisch entwickelt“ sind, finde ich sie ganz hübsch anzusehen. Ja, zu SEHEN, aber mehr nicht. An erotischer Ausstrahlung gewinnen sie für mich nichts, im Gegenteil, da ist ein schmaler Grat, den leider viele überschreiten, der sie mir ein wenig lächerlich erscheinen lässt. Was soll denn heutzutage so ein hypertrophierter Oberkörper bringen? Wozu braucht MANN den? Schnell wirken sie wie aus dem Comic gefallen, oder wie diese Plastikheldenfiguren, die den Kids immer passend zu den TV-Serien verkauft werden. Mehr komisch als attraktiv.

Was ist es wohl, das mir diese männliche „Super-Form“ erotisch gesehen eher als Minus erscheinen lässt? Zum einen verfehlen viele die physische Ausgewogenheit: Obenrum alles super, auch noch ein knackiger Hintern – aber die Beine vernachlässigen sie und bemerken nicht mal, dass es seltsam aussieht, wenn so ein Megamuskelmann auf dünnen (naturbelassenen?) Waden daher kommt. Aber selbst, wenn alles stimmt: so ein Körper ist überdeutlich das Ergebnis großer Mühen. Er ist gewollt, gemacht, erarbeitet, ist Werk, vielleicht Kunstwerk – also weit „mehr“ als nur die physische Seite des Mannes, den ich erlebe. Unübersehbar wird mir durch einen solchen Körper mitgeteilt, dass mein Gegenüber eben diesen Körper als Objekt verstanden wissen will, etwas, das ausgestellt, gewürdigt, bewertet, belobigt oder getadelt werden will – nicht einfach nur erlebt und genossen.

Natürlich gehört STÄRKE unzweifelhaft zum Archetypus des Männlichen, und wer sich auffällig starke Muskeln antrainiert, tut es vermutlich – neben gesundheitlichen und sportlichen Motiven – auch, um diesem „starken Mann“ weiblicher Fantasien nahe zu kommen. Und gewiss gibt’s auch genug Frauen, die mit so einem „Bild von Mann“ zufrieden, ja, entzückt sind! Meine Eindrücke sind rein subjektiv und mir reicht das halt nicht. In meinem Verständnis ist männliche Stärke mit Mühelosigkeit und Selbstverständlichkeit untrennbar verbunden. Mein „Traum-Mann“ HAT es einfach – er braucht nicht zu malochen wie ein Irrer, um dies und jenes an sich zu Vorzeige-Qualitäten aufzublasen (das gilt übrigens nicht nur für die körperliche Seite). Wenn ich einen Körper sehe, von dem ich die vielen „Stunden pro Woche am Gerät“ geradezu ablesen kann, dann ist es einfach nicht DAS!

Anders, wenn jemand durch reale körperliche Arbeit muskulös geworden ist – diejenigen sehen aber niemals so „wohldefiniert“, keinesfalls „übertrieben“ aus. Auch im Center gibt’s durchaus „harmonisch“ trainierte Männer: wenn ich so jemanden auf der Straße treffe, seh ich es ihm nicht direkt an, wie er sich in Form bringt – er sieht nur einfach GUT aus.

…in Bewegung

Soviel zur Optik – und jetzt guck ich mal auf den „Mann in Bewegung“. Krafttraining mit Geräten ist ja ein steter Wechsel zwischen Übung und Pause. Die Übung selbst kann langsam und bewusst oder schnell und schmutzig ausgeführt werden (bei letzterem hab‘ ich mir kürzlich meinen ersten Muskelfasserriß geholt und bin seitdem ein gebranntes Kind). Zwischen den Geschlechtern seh‘ ich da kaum Unterschiede, außer dem, dass sich Männer mehr anstrengen und dadurch deutlichere Kraftzuwächse erreichen, wogegen Frauen mit einer „allgemeinen Straffung“ meist schon zufrieden sind und es eher locker angehen.

Aber die Pause. Dieser Moment, wenn das Maximum der Anstrengung, Konzentration und Anspannung im Nichts-mehr-Tun endet – schon erstaunlich, dass manche das offenbar weit weniger vertragen als die schmerzliche Hochspannung zuvor! Sie halten kaum mal richtig inne, sondern dehnen und schlenkern die Glieder, massieren sich die Gelenke, gehen zweimal ums Gerät herum, schauen auf die Uhr oder reden mit dem Nachbarn. Ab und zu sehe ich sogar Männer, die sofort zum mitgeführten Spiegel, Stern oder Auto-Bild greifen, sobald sie die Finger von der Stange lassen. Das sind die echten Extremisten: bloß keinen Moment mit nichts als sich selbst sein, immer muss irgend ein Input passieren, Eindruck muss auf Eindruck folgen, Reiz auf Reiz – ich muss an Luftballone denken, die an einen Wasserhahn angeschlossen werden: immer mehr fließt rein, mehr und mehr… ich will nicht dabei sein, wenn das Ding platzt!

Dabei empfinde ich den Moment, wenn die Anspannung nachlässt, als die interessanteste Phase im Üben. Es rieselt und strömt durch den Körper, fühlt sich so lebendig an wie selten. Selbst eine Übung für die Schultern spüre ich dann bis in den kleinen Zeh – und so angenehm! Wie man darauf freiwillig zugunsten irgendwelcher Zeitungsartikel verzichten kann, ist mir ein Rätsel. Es erinnert mich an Handwerker, die niemals ohne Radio arbeiten – ob es ihnen irgendwie „unheimlich“ wird, wenn die Gedanken frei schweifen können und die Aufmerksamkeit nicht festgebunden ist?

Meine „Aufwärmphase“ ist zu Ende – und damit auch das Rumgucken. Grad‘ hab ich beschlossen, das Thema „Krafttraining“ mal am eigenen Leib zu erforschen. Nicht mehr nur „sanftes Straffen“ unter geringer Belastung, sondern selber erleben, wie es ist, an die Grenzen zu gehen. Aber davon handelt dann ein anderer Artikel.

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Claudia am 24. März 2004 — Kommentare deaktiviert für Genug gefastet

Genug gefastet

Eine Woche gefastet, drei Kilo abgenommen, raus aus den achtlosen Gewohnheiten beiläufiger Völlerei. Es war gut, aber für dieses Mal hat es mir gereicht. Fastend erlebe ich eine Verlangsamung, eine „meditative Verinnerung“, die mich psychisch und geistig vom Alltag abzieht. Sie lenkt den Blick auf das Wesentliche, stellt alles in Frage, lässt mich immer wieder inne halten – ein Zustand, den ich am Fasten eigentlich schätze, doch diesmal spürte ich, dass ich ihn nicht verlängern oder vertiefen will. Hätte ich eine Arbeit, die mehr Routine beinhaltet, wäre es vielleicht anders. So aber kehre ich gerne in die „Welt der Essenden“ zurück.

Trotz der Kürze hat mich das Fasten inspiriert: ich verfolge eine neue Idee, die den bisherigen Rahmen meiner Netz-Publikationen erweitern und bereichern wird. Ja, für „etwas Neues“ in 1000 Gestalten ist Fasten genau richtig, es untergräbt die verfestigten Denk- und Fühlweisen des Gewohnten und öffnet für neue Möglichkeiten. Mich dann aber tatsächlich aufraffen, neben dem Alltäglichen auch das Neue umsetzen (und endlich mal meinen aufgelaufenen Verwaltungskram abarbeiten), dazu brauch‘ ich Kraft, Willen, Konzentration.

Ich stellte fest, dass mir fastend das Gefühl der „Kraft“ nicht mehr so ohne Weiteres zur Verfügung stand. Als hätte ich eine Rüstung abgelegt, die ich für den alltäglichen „Kampf uns Dasein“ und auch fürs kreative Spielen brauche. Aus früheren Fastenzeiten weiß ich, dass dieses Empfinden nicht physisch bedingt ist, sondern auf Gedanken beruht. Es schlägt bei längerem Fasten wieder um in andere Formen von „Stärke“. Doch darauf zu warten hatte ich keine Geduld: zu drängend erscheinen mir die Dinge, die ich abarbeiten und angehen muss. Mir fehlt die „äußere Ruhe“, um mich intensiver aufs Fasten einzulassen.

Beeindruckt hat mich auch die soziale Bedeutung des Essens, die erst richtig bewusst wird, wenn ich es mal ein paar Tage weglasse. Was tut man mit einem oder mehreren anderen Menschen, wenn „nichts Besonderes“ anliegt? Man geht essen. Irgendwie reicht es nicht, einfach da zu sitzen und zu reden, es fehlt das gemeinsame Erleben von etwas „Drittem“. Gemeinsam speisen ist das Simpelste, ohne Anstrengungen und Irritationen zu verwirklichen. Alle tun es, es bedarf keiner Begründung. Wogegen fast alle anderen physischen Aktivitäten (laufen, tanzen, Sex, massieren, singen…) eine spezielle Beziehung oder besondere Vorbereitungen und Umgebungen benötigen. „In Bewegung kommen“ ist deshalb erst mal ein einsames Unterfangen, gesellschaftlich kaum unterstützt.

Jetzt werde ich frühstücken. Ein bisschen Obst reicht mir für den Anfang.

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Claudia am 19. März 2004 — Kommentare deaktiviert für Fasten, Tag 5: Kein Schreiben „zum Termin“

Fasten, Tag 5: Kein Schreiben „zum Termin“

Die Idee, hier anzusagen, dass ich alle zwei Tage schreibe, solange ich faste, ist ein ziemlicher Flop. Diary-Schreiben ist die freieste meiner öffentlichen Aktivitäten, gerade hier ein Terminkorsett zu platzieren, wirkt kontraproduktiv. Wenn ich schreiben muss, weil ich es versprochen habe, fällt mir zum richtigen Zeitpunkt nichts ein – jedenfalls nichts, was ich wirklich sagen möchte. Klar, ich könnte ausführlich über „Darmreinigung“ schreiben oder andere „Fasten-Themen“, nur um Wort zu halten – aber so würde mir das Diary zur Auftragsarbeit! (was sein Ende wäre, schließlich bezahlt mich hier niemand).

Ich nehme also Abstand von dieser Idee und schreibe weiter, wann immer ich Lust habe.

Die Lust zum Schreiben ist schon vorhanden, deutlich mehr als sonst, doch ergießt sie sich gerade eher in Privatmail. Ein persönliches Gespräch ist oft der „Anstoß“ für einen Diary-Artikel zu einem „Herzblut-Thema“ – aber der kommt dann verzögert, in anderem Gewand, und gewiss nicht nach Terminplan.

Gestern fuhr ich mit U-Bahn und Bussen durch die halbe Stadt. Dabei ist mir verschärft aufgefallen, dass an allen Orten, wo die Bewegung stockt, Imbisstände stehen. Einfach irgendwo stehen bleiben und nichts tun, wie etwa an einer Bushaltestelle, ist offensichtlich so unerträglich, dass es viele vorziehen, jetzt etwas zu essen. Mich erinnert das an die zunehmende Zwangsbeschallung: bloß nirgends Stille aufkommen lassen! Neuerdings ist auch in der Sauna meines Fitness-Centers Musik – und auch im „Ruheraum“.

Vor was hat man eigentlich Angst?

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Claudia am 19. März 2004 — Kommentare deaktiviert für Fasten, Tag 2: Einstieg mit Hindernissen

Fasten, Tag 2: Einstieg mit Hindernissen

Eigentlich wollte ich schon vorgestern mit dem Fasten beginnen. Auch erst mal gut gestartet: nach dem Aufstehen kein Kaffee und keine Zigarette, sondern Wasser, Tee, ein Löffel Honig. Im Bioladen kaufte ich Gemüsesaft, Gemüsebrühe und „Kindersaft“, eine Obstsaftmischung, die ich sehr gerne mag. Mittags Brühe, vor- und nachmittags ein Glas Saft – das ist „Buchinger-Fasten“, schonender als das totale Fasten, das nicht mehr so empfohlen wird.

Der völlige Verzicht auf die üblichen Gifte fiel mir nicht schwer – am Vortag hatte ich zum „Abschied“ vom ungesunden Leben ein kleines Fest mit mir selbst und einer Flasche Weiswein veranstaltet. Das nimmt die Lust auf Rauchen am nächsten Morgen erst mal weg und auch nach Kaffee, meinem üblichen Wachmacher, gelüstete es mich nicht.

Schon nach wenigen Stunden spürte ich „die Umschaltung“: es war, als hätte die Zeit sich ein wenig verlangsamt. Alle körperlichen Empfindungen wurden stärker, draußen tobte der Frühling, mein Interesse, vor dem Monitor zu sitzen, sank, und so gönnte ich mir schon bald einen Spaziergang, der im Fitness-Center endete: nicht an den Geräten, sondern in der dortigen wunderschönen Sauna. Ich genoss die Reinigungsrituale, das Schwitzen, das kalte Wasser, das Abliegen in Nahezu-Trance – wunderbar! Hinterher ging ich gleich noch zum Frisör, ließ acht Zentimeter Haare abschneiden, fühlte mich leichter und leichter und wanderte dann durch die sonnigen Straßen Richtung Heimat.

Und dann plötzlich der Einbruch: ich kam an einer Metzgerei vorbei und wurde von eine Welle heftigen Appetits geradezu überwältigt. Gier hatte mich im Griff – erst widerstand ich noch, ging weiter, kaufte in einem kleinen Lädchen etwas ein – und dann kehrte ich doch um, betrat die Metzgerei und verfiel dort kurzfristig einer letzten Völlerei!

Was hatte mich bewegt, das geschehen zu lassen? Natürlich die plötzliche Gier aufs Essen, doch sie allein kann erfahrungsgemäß nichts ausrichten, mein Geist muss „ja“ dazu sagen. Ich hätte bloß weiter gehen müssen und nach wenigen Minuten wäre die Anwandlung verflogen. Warum gab ich also nach? Ich erinnere mich nur an den totalen Unwillen, zu kämpfen. Keine Lust darauf, mich als gespalten zu empfinden in diejenige, die jetzt einen Imbiss will und die Andere, die sagt: Nein, du sollst doch fasten!“ Ich soll überhaupt nicht, ich will – und wenn ich das Gefühl des „ich will“ nicht durchgängig verspüre, dann lasse ich es lieber.

Also gut, ich verbuchte es unter „letzte Sünde“ und verbrachte den Rest des Tages „vorschriftsmäßig“. Als ich dann jedoch abends mit einem Freund aus dem Theater kam und wir durch die warmen, frühlingshaften Straßen wanderten und nicht recht wussten, was tun, hing ich das Fasten-Vorhaben für diesen Tag an den Nagel und ging doch noch mit ihm Essen. Komischerweise hatte ich jetzt keinen Appetit mehr und aß nur eine Kleinigkeit.

So war mein Einstiegstag also volle Kante gescheitert, und ich fragte mich ernsthaft: Will ich wirklich fasten? So ein Fragen heißt nicht Grübeln, es ist eher eine Art In-mich-hinein-horchen. Gerade Fasten kann ich nicht einfach „machen“, denn es greift tief in alle Wesensteile ein. Wenn dann ein Teil von mir der Meinung ist, dass es nicht in Frage kommt, ist der Kopf letztlich machtlos. Klar, man kann sich mühevoll kasteien – aber das ist nicht das Fasten, das ich meine. Schließlich hab‘ ich mich danach gesehnt!

Seit gestern morgen nun bin ich „drin“. Die Saft-, Brühe-, Tee- und Honig-Zufuhr verlief zwar noch ein bisschen chaotischer als „nach Vorschrift“, aber das störte mich nicht: besser ein holpriger „Übergang“ ins Fasten, als wegen marginaler Startschwierigkeiten den Versuch abbrechen.

Jetzt stimmt soweit alles, nur vom Rauchen bin ich noch nicht ganz weg. Auch das wird noch geschehen, am Wochenende, wenn ich viel Zeit habe, mich zu bewegen und das „andere Gefühl“ zu genießen, das mich schon aufgrund der bisherigen „Verzichte“ tief verändert. Zum Beispiel ist die Wirkung von Kaffee wirklich heftig! Das merke ich erst, wenn ich ihn weglasse: erst mal eine stundenlange Fast-Trance, ein „ausgelaugtes“ Körpergefühl: offensichtlich ist dann jede Zelle damit beschäftigt, ihren Stoffwechsel umzukonfigurieren – und das schlaucht. Schlaucht aber auf eine angenehme Weise, fast so, als wäre man nach einer Gartenarbeit „rechtschaffen müde“.

Die Notbremse ziehen

Und nun zum Wesentlichen: Ich bin wirklich froh, die Kurve doch gekriegt zu haben! Erst das Abseilen von all den täglichen „Inputs“ zeigt mir, wie extrem ich in letzter Zeit am Äußeren gehangen habe, wie sehr ich „aus dem Kopf“ lebte. Damit meine ich diese Nichtachtung des Ganzen, wenn ich arbeite oder sonst etwas Zielgerichtetes tue: das MUSS jetzt – und wenn die „anderen Wesensteile“ ihr Recht verlangen, werden sie mit irgend etwas gestopft! Fastend bestehen zunächst all diese Gewohnheiten weiter: ganz automatisch kommt mir die gewohnte Idee, jetzt an den Kühlschrank zu gehen, und… aber es ist bereits nur noch ein Gedanke, den ich mit Verwunderung betrachte. Wer Fasten kennt, weiß, dass man ab dem zweiten, dritten Tag keinen Hunger mehr hat: der Körper schaltet auf Selbstversorgung um und lebt problemlos von seinen angesammelten Reserven. Da ist also einerseits die Idee, etwas zu essen, doch gleichzeitig ist deutlich spürbar, dass der Körper nicht danach verlangt. WER will das also? Wozu brauch ich das?

Es ist fast nie der physische Hunger, der mich treibt, mir irgend etwas einzuverleiben (den warten wir in der Regel gar nicht ab). Sondern eher ein „Erlebnishunger“, bzw. ein Ablenkungsbedürfnis. Das, was ist, scheint „nicht genug“ – und anstatt diesem „Nicht-Genug“ nachzuspüren, es anzusehen, darin zu verharren, bis es mehr von sich erzählt, wähle ich normalerweise das Essen. Etwas fehlt, also nehme ich etwas zu mir. Essen ist das Selbstverständlichste, die schnelle Lösung für Missempfindungen aller Art: ich gönn mir erst mal was! Es ist auch eine Art, sich selbst zu streicheln und zu belohnen, es braucht dazu keine Anderen und keine Fantasie, keine Konzentration und keine große Achtsamkeit.

Und „Essen“ ist nur die deutlichste Form, so zu verfahren. Genauso verhält es sich mit Rauchen, Trinken, die Glotze einschalten – auch „E-Mail abrufen“, auf Webseiten herum surfen und Zeitung lesen kann so benutzt werden. Irgend etwas in mir giert nach mehr, nach Anderem, nach Veränderung des Status Quo – und anstatt mich darauf einzulassen, probiere ich ein Pflaster nach dem anderen aus. Und keines hilft nachhaltig, denn auf diese Weise wird der Grund des Geschehens gar nicht berührt.

Natürlich faste ich jetzt auch, um mein Sommergewicht zu erreichen – zum Winter hin hab ich mir ein paar Kilo zuviel angefressen, die mich wirklich belasten. Hauptsächlich aber sehe ich dieses Fasten als eine Art „Notbremse“: Es katapultiert mich heraus aus dieser schlampigen und unachtsamen Art, mit mir und meinem täglichen Leben umzugehen, rettet mich aus der völligen Veräußerung, in die ich über den Winter zunehmend geraten bin. Ohne mich groß dem entgegen zu stellen. Ich bin wie gesagt nicht bereit, dauernd „mit mir zu kämpfen“. Lieber gehe ich in alles tief hinein, auch ins Schädliche und Ungesunde, bis es seine Folgen spürbar ausbreitet – erst dann sind auch „die anderen Wesensteile“ bereit, Änderungen mitzutragen. Das mach‘ ich schon immer so und bin damit in Frieden. Ja, es scheint mir der effektivste Weg zur Veränderung – für mich.

Heute abend geh ich ins „Liquidrom“: Klassische Musik unter Wasser. Man lässt sich in einem großen Schwimmbad treiben und von unten her kommt die Musik. Eine Sauna gibt’s auch. Ich war noch nie dort, doch jetzt bin ich auch durch das Fasten motiviert, neue Dinge zu erleben. Und wenn diese Tabak-Packung alle ist, ist auch mit Rauchen Schluss – dann werde ich der Leere noch intensiver begegnen als bisher.

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